Spenden gegen Ostzuwanderung

Mit dem Blog “Ostzuwanderung” eröffnet der jüngste Nationalrat der Schweiz, Lukas Reimann von der SVP, eine neue dynamische Website, die gezielt auf die Volksabstimmung vom 8. Februar 2009 hinarbeitet. Zu den Neuerung darauf zählt auch der Versuch, den Blog als Spendenquelle zu erweitern.

Der Aufmacher ist typisch: Ein junger Mann, ärmlich aussehend, wohl auch erwerbslos, schaut einem entgegen. Das Spendenbarometer dazu ist aber keine Glückskette, sondern Teil der Kriegskasse der EU-Gegner in der laufenden Kampagne zur Personenfreizügigkeit.

Viel Geld verzeichnet das Spendenbarometer gegen die Ostzuwanderung noch nicht. Gut 400 Personen haben den neuen Link bisher angeclickt, und knapp 1500 Schweizer Franken sind dabei zusammen gekommen.

Das reicht zweifellos nicht, um erfolgreich gegen die Personenfreizügigkeit werben zu können. Denn als Faustregel gilt, dass man Kampagnen mit weniger als 1 Million Schweizer Franken nicht flächendeckend wahrnimmt.

Das ist wohl auch nicht die Absicht des neuen gegnerischen Kampagnenblogs. Wohl geht es mit der Neuerung auch darum, ein Spannungselement für die Zielgruppe “junge Gegnerschaft” aufzubauen und über diese Abstimmung hinaus über Adressen aus diesem Segment zu erhalten, die man später wieder bewirtschaften kann. So jedenfall liesst sich der Aufruf: “Jeder Eintrag zählt!”

Mehr Transparenz in Geldfragen während politischen Kampagnen ist auf jeden Fall zu begrüssen. Die Transparenz, die so entsteht, kann für die Initianten der Innovation aber auch tückisch werden. Denn bisher haben die EU-Gegner immer wieder betont, ihre Kampagnen würde weitgehend über Kleinspenden finanziert. Nun kann man anhand des Online-Spendenbarometer auch nachprüfen, ob das auch stimmt.

Claude Longchamp

Pro-Kampagne zur Personenfreizügigkeit: ein bisschen wie US-Wahlkampf auf dem Lande

Die Pro-Kampagne zur Personenfreizügigkeit wartet nicht, bis die Feiertage vorbei sind. Sie hebt bereits jetzt auffällig ab. Zum Beispiel mit Otto Ineichen, dem FDP-Nationalrat, der als Leader der BefürworterInnen den Abstimmungskampf in die richtige Richtung lenken soll.


Otto Ineichen, Typ “guter Unternehmer” ist Leader der Ja-Kampagne zur Personenfreizügigkeit

Wer kennt ihn nicht? Seine Firma trägt nur seinen Vornamen, und erst noch im Genitiv: “Otto’s” steht landesweit für zahlreiche Filialen des Surseers Unternehmers Otto Ineichen, der sich sich mit Günstigprodukten an untere und mittlere Einkommensklassen wendet. Und seit 2003 als FDP-Nationalrat im der Bundespolitik aktiv ist. Die Forschungsgruppe Sotomo sieht seinen Platz im Parlament leicht rechts der Mitte. Für einen FDPler ist der Luzerner Politiker eher gemässig modern. Für einen Schweizer Volksvertreter aber klar auf wirtschaftlichen Liberalisierung ausgerichtet.

Der Mann fürs Handfeste
In der Ja-Kampagne zur Personenfreizügigkeit spielt er diesmal die erste Geige: Er ist der volksnahe Mann fürs Konkrete, der direkt mit den StimmbürgerInnen reden soll. Denn er telefoniert landauf landab gegen die Gegner an.

Seine bisherigen Erfahrungen fasst er wie folgt zusammen: “Erstens bereitet die wirtschaftliche Situation vielen Leuten Sorgen. Zweitens verfängt die Angstmacher-Kampagne der Gegner.” Da hält er schon mal dagegen: “Jeder einzelne Punkt auf der Liste der Gegner entbehrt jeder Grundlage. Das haben die bisherigen Erfahrungen gezeigt. Die Ausländer zahlen mehr in die Sozialwerke ein, als sie kassieren. Die meisten sind jung, mobil und gut qualifiziert. Und einen Job erhalten sie nur, wenn ein Unternehmen sie engagiert.” Wer ins Nein tendiert, hält Ineichen mit folgenden Worten zurück: “Das Bankgeheimnis geriete bei einem Volksnein stärker unter Druck, Förderbeiträge würden gestrichen, die Exporte sinken, die Karten im Steuerstreit würden neu gemischt.”

Bei seinen Auftritten im SVP-Umfeld hat er begriffen, wie gut die Nein-Kampagne funktioniert: “Die Bauern haben Angst um den Milchpreis, die Chauffeure um ihre Jobs und die SVP-ler vor dem Rumänen an sich.” Deshalb sieht er die Exponenten der Partei in Politik und Wirtschaft gefordert: “Eine wichtige Rolle kommt auch Ueli Maurer zu. Als Bundesrat müsste er die Ja-Parole vertreten. Nächste Woche muss ich Christoph Blocher anrufen. Auch von ihm erwarte ich etwas. Seine Kinder, die in der Ems-Chemie engagiert sind, üben ebenfalls Druck auf ihn aus, wie ich höre.”

US-amerikanische Kampagnenvorbilder

Ein wenig wirkt das Ganze wir eine amerikanischer Wahlkampf auf dem Lande. Ein bewährter Exponent aus der Region wird unbelastet von seiner Partei für ein politisches Anliegen aktiv. Er wendet sich per Telefon direkt an BürgerInnen und Verantwortliche. Und die Medien begleiten ihn dabei. Das schafft Medienaufmerksamkeit, gibt Raum, um Botschaften unabhängig von Kampagneplattformen zu platzieren.

Publicity hat der Otto Ineichen im laufenden Abstimmungskampf schon einige erfahren. Denn alle wissen: Er beherrscht die einfach Sprache. Das ist für die Zielgruppenanspache entscheidend. Und keiner wäre glaubwürdiger, um die Botschaft zur wirtschaftlichen Kooperation der Schweiz mit der EU zu verkünden als der Chef des Günstigwaren-KMUs aus der Innerschweiz. Ganz gemäss seiner Eigenwerbung: Er bewegt garantiert!

Claude Longchamp

Alle Zitate von Otto Ineichen sind aus dem neueste Interview mit der Berner Zeitung

Guerilla Marketing als Instrument im Abstimmungskampf

Guerilla Marketing als Begriff ist nicht neu, als Erscheinung in schweizerischen Abstimmungskämpfen wurde er bisher jedoch wenig verwendet. Aktivitäten der Jungen SVP gegen die Personenfreizügigkeit können unter diesem Label analysiert werden. Eine kleine Auslegeordnung.



Begriffsdefinitionen

Guerilla-Marketing ist die Kunst, den von Werbung übersättigten Konsumenten, grösstmögliche Aufmerksamkeit durch unkonventionelles bzw. originelles Marketing zu entlocken. Das gibt der deutsche Werbeprofi Thorsten Schulte (“Guerilla Marketing Portal”) als Definition des Phänomens. Er hält aber auch fest: Eine abschliessende Umschreibung eines sich rasch entwickelnden Trends gibt das nicht. “Anregungen, Ideen, kritische Kommentare und zukunftsweisende Optimierungen sind ausdrücklich erwünscht.”

Entstanden ist das Guerilla Marketing aus aus der Werbemüdigkeit heraus, die man seit einiger Zeit immer wieder beklagt. Das hat teilweise zu kleineren Budgets geführt und zu einem verschärften Kampf um Aufmerksamkeit. Thorsten Schulte versteht Guerilla Marketing denn auch als “übergreifende Philosophie, als Kunst, als das Ergebnis eines kreativen psychischen Prozesses, als die Strategie der Kriegsführung um die Aufmerksamkeit der Kunden, für die Marke und gegen die Wettbewerber. (…) Die Aktion und das “Handeln” erfolgt durch den physischen Einsatz unterschiedlicher Instrumente wie Ambient Medien, Ambush-Marketing, Viral-Marketing oder Guerilla Sensation / Ambient Stunts.”

Beispiel der Jungen SVP gegen die Personenfreizügigkeit
Nimmt man diese Grundhaltung auf, kann man die Aktionen von Lukas Reimann, SVP-Nationalrat aus St. Gallen, als Guerilla Marketing verstehen. Wenn die drei federführenden BundesrätInnen zur Medienkonferenz aufrufen, mischte er sich auf dem Weg dorthin persönlich unter die Regierungsmitglieder, um die Botschaften der Gegnerschaft zu plazieren. Selbstredend ist eine Gratiszeitung dabei, auch ein Videoteam, das die Aktion in die Massenmedien bringt und im Internet festhält.

Die neueste Aktion, der Fake der Website der Jungparteien für die Personenfreizügigkeit, hat einen lockeren Bezug zum Guerilla Marketing. Doch auch hier geht es nur darum, den Kampf mit allen Möglichen Mitteln um Aufmerksamkeit zu gewinnen. Die Aktion ist die Botschaft selber. Die Verhöhnung der Gegner ist das Ziel, nicht die Diskussion mit ihm.

Je klarer und prominenter der Regelverstoss dabei ist, desto grösser sind die Chancen, dass die Aktion selber in die Kampagnendiskussion aufgenommen wird. Deshalb ist sie nicht einfach eine Jahresendidee einer Werbebude. Vielmehr steht ein Nationalrat gerade. Denn genau das zieht den Medienfocus an.

Eine Eigenheit von SVP-Kampagnen sei noch angefügt. Wer als Reaktion auf die Guerilla Aktion mit Klagen droht, wird gleich als Zensor verschrien. Obwohl es um Argumente gehe, meint Reimann. Zynismus pur, sage ich da!

Claude Longchamp

Der Beitrag von 10vor10 zum Guerilla Marketing der SVP

Wenn ein Bindestrich die politischen Jungparteien trennt

Es ist nicht das Gleiche, ob man www.dabei-bleiben.ch oder www.dabeibleiben.ch auf Internet eingibt. Wenigstens politisch nicht. Und schon gar nicht, wenn man BefürworterIn oder GegnerIn der Personenfreizügigkeit ist.

Unter den Jungparteien der Schweiz herrscht eit Tagen eine Art Bindestrich-Krieg. Die Junge FDP, Junge CVP und Junge SP haben sich für die Kampagnen zugunsten der Personenfreizügigkeit zusammen getan und verbreiten ihre befürwortenden Informationen unter www.dabei-bleiben.ch. Sie werben wie ihre Mutterparteien für eine Ja, weil sie via Bilaterale bei der EU dabei bleiben wollen.

Die Junge SVP wiederum war von Beginn weg gegen die Vorlage, über die in der Volksabstimmung vom 8. Februar 2009 entschieden wird. Zuerst provozierte sie damit ihre Mutterpartei. Jetzt, wo die SVP das Lager gewechselt hat, geht die Provokation muntern weiter. Unter www.dabeibleiben.ch wirbt man als Parodie äusserlich genau gleich, inhaltlich aber genau umgekehrt als die befürwortenden Jungparteien. Dabei haut man gerne auf den Putz: Bundesrätin Micheline Calmy-Rey figuriert bei der Gegnerschaft unter der Rubrik “Lügner”.

Die befürwortenden Jung-Parteien finden den Polit-Scherz ihrer Website gar nicht lustig. Sie haben die jungen Gegner aufgefordert, diese vom Netz zu nehmen, denn man täusche Informationssuchende ganz bewusst. Dem haben die Opponenten nach einer ersten Frist nicht entsprochen, weshalb sie jetzt eine Klage aufgebrummt bekommen haben.

Lukas Reimann, SVP-Nationalrat und Initiant der Websiten-Parodie bestreitet postwendend, eine solche Klage bekommen zu haben. Wenn dem so würe, würde er aber zurück klagen, liess er sich gegenübr der sda verlauten. Die Schweizerische Depeschenagentur wiederum gibt an, im Besitz der Klage zu sein.

Der Bindestrich-Krieg unter den Jungparteien ist damit voll entbrannt. Ich-bleibe-dabei!

Claude Longchamp

Die zweitbeste politische Plakatkampagne der Gegenwart

Eines ist klar: Die “Schäfchen-Plakate” der SVP im Wahlherbst 07 waren die erfolgreichste politische Plakatkampagne der Gegenwart. In meiner Bewertung an zweiter Stelle steht die Serie von Affichen zugunsten der Bilateralen, die aktuell wieder anläuft, um für die Personenfreizügigkeit zu werben. Die Einfachheit, die Wiederholung und die Persiflage durch die Gegner spricht für deren Wirkung.


Befürworter und Gegner der Bilateralen beziehen sich seit längerem auf das gleiche Motiv, wenn sie für ihren Standpunkt werben (Bilder anklicken, um das ganze Plakat zu sehen).

Eingängige Formen
Aestheten der politischen Kommunikation mögen sie nicht. Denn ihr fehlt es an Subtilität. Ihr mangelt es auch an Kreativität. Und bisher gab es kaum ein Ueberraschungsmoment, wenn die Wirtschaftsseite mit ihrem Baum, grünen Blättern und roten Aepfeln die Bilateralen propagierte.

Doch genau das macht die Stärke der Plakatreihe aus: Ihr Stil ist einfach. Das Motiv ist eingängig. Die Formen sind einfach, und die Farben sind einhellig bekannt. Das macht den Auftritt robust, die Erinnerung nachhaltig.

Die intellektuellen Schichten, die mehrheitlich für die Bilateralen, die Personenfreizügigkeit und die Abkommen von Schengen und Dublin waren, sind die nicht die Zielgruppe. Vielmehr geht es darum, die normalen Erwerbstätigen in der Schweiz anzusprechen.

Spärliche, aber zentrale Botschaften
“Wer sät, wird Ernten”, hiess es, als es vor 2 Jahren um die Osterweiterung ging. Das wirkt zwar ein wenig vulgärökonomisch, prägt sich aber gut ein. Denn es entspricht einer einfachen Lebensweisheit, nach der man ausserhalb der grossen Städte lebt.

Diesmal ist Botschaft ebenso knapp: “Nötig und bewährt”, titelt man, wenn es darum geht, die Fortsetzung der Personenfreizügigkeit mit der EU zu begründen. Wer es etwas patriotischer mag, wie etwas die FDP, variiert den Slogan. “Der richtige Weg für die Schweiz”, heisst es da schon mal, und es schwingt mit, dass ein EU-Beitritt als Alternative falsch wäre.

Das Plakat als Trend-Mittel der Kommunikation
Plakate werden in Abstimmungskämpfen zwischen einem Drittel und der Hälfte der Teilnehmenden als Element der Meinungsbildung memoriert. Eine eigentliche Entwicklung gibt es nicht, denn es die Nutzung hängt von den Kampagnen selber ab. Dennoch kann man feststellen, dass das Plakat, wie auch das Internet und die Gratiszeitungen in der jüngeren Bevölkerung eine überdurchschnittliche Beachtung findet und damit zu den Trend-Mittel der politischen Kommunikation gewordenist.

Das scheinen auch die jungen GegnerInnen der Vorlage zur Fortsetzung und Erweiterung der Personenfreizügigkeit zu spüren. Denn auch sie setzen auf das Plakat in ihren Intenet auftritten. Und sie kreiieren dabei nicht einmal ein neues Sujet, sondern variieren nur das der Befürworter. Der Vorher/Nachher-Vergleich fällt da allerdings nicht positiv aus, sondern negativ.

Man betreibe bloss eine subkulturelle Differenzierung des Leitmotivs, das die Gegnerschaft dominant gesetzt hatte, warf man während des Wahlkampfes 2007 den SVP-Gegnern vor, als sie die Schäfchen-Plakat zu variieren begannen. Genau das kann man heute auch an die Adresse der Gegner der Bilateralen sagen, wenn sie die Ja-Kampagne der Wirtschaft persiflieren.

Claude Longchamp

mehr dazu hier

Gegen die Personenfreizügigkeit bloggen

Die schweizerische Volksabstimmung zur Personenfreizügigkeit animiert auch die Blogosphäre. Zum einem der Zentren der Gegnerschaft hat sich das Blog “EU-Kritik” entwickelt. Gegenwärtig gibt es nur ein Thema: Alles was im Zusammenhang mit der Personenfreizügigkeit schief läuft.

Das EU-kritische Blog nimmt die typisch euroskeptische Perspektive in der Schweiz ein. Die EU ist gross, demokratisch nicht legitimiert, harmonisiert die nationalen Politiken und untergräbt damit die Souveränität der Staaten. Solche, die keine direkte Demokratie kennen, könnten sich gegen die Machenschaften der Politiker nicht wehren. Anders die Schweiz, wo sich das Volk dank dem Referendum wehren kann.

Führend bei der aktuellen Sammlung von Referendumsunterschriften gegen die Personenfreizügigkeit war der Neo-Nationalrat der Jungen SVP in St. Gallen, Lukas Reimann. Er ist mit seinem eigenen Blog direkt verlinkt, und er dürfte auch den Geist des Blogs prägen. Die Inhalte haben einen misstrauischen Grundton. Die Wahrungen der nationalen Interessen werde durch den Bundesrat verraten, gehört zum Standard-Repertoire der unbekannten Autoren. Am beisten zeige sich dies, liesst man mehrfach, an der Paketlösung für die Volksabstimmung zur Verlängerung und Erweiterung der Personenfreizügigkeit. Da sei das Parlament auf den EU-freundlichen Kurs der Landesregierung hereingefallen, wird weiters kritisiert.

Die grosse Chance der EU-Opponenten wittert man in der aktuellen Wirtschaftskrise. Diese habe die Basis der befürwortenden Kampagne zerstört. Jetzt gelte es in der Defensive, in der sich auch die Schweiz befinde, die Vorrechte der eigenen Landsleute zu sichern. Zusätzliche Bulgaren und Rumänen haben da in der Schweiz nichts verloren.

Formal ist das Blog sehr einfach gemacht. Keine Bilder, kaum gestaltete Texte, dafür viel Propaganda. Angaben über die Nutzung findet man nirgends. Die meisten Kommentarfelder sind leer, und in den gängigen Verzeichnissen der Schweizer Blogs taucht diese Seite nicht auf.

Ein Treiber in der Kampagne ist dieses Blog wohl nicht, aber eine Quelle der raschen und ungeschminkten Information über die Themen der Nein-Kampagne, vor allem jener, die von der Jungen SVP in der Ostschweiz ausgeht.

Claude Longchamp

siehe auch:
Für die Bilateralen bloggen

Der Plan B bei einem Nein zur Personenfreizügigkeit

Juristen, die für die SVP Gutachten machen, glauben nicht, dass bei einem Nein zur Personenfreizügigkeit am 8. Februar 2009 die Bilateralen I gekündigt werden müssen. Sie argumentieren, es könne zu einer zweiten Volksabstimmung am 27. September kommen, bei der man über Fortsetzung und Erweiterung der Personenfreizügigkeit getrennt abstimme. Die Fortsetzung der Personenfreizügigkeit werde dann sicher angenommen, was reiche, um die Bilateralen nicht zu gefährden. “Es gibt keinen Raum für Spekulationen und Spielen auf Zeit”, erklärt dazu der EU-Botschafter in der Schweiz, Michael Reiterer.

Die Position der SVP
Man weiss es: Die SVP lehnt die Vorlage zur Personenfreizügigkeit ab, obwohl es in der Partei Stimmen dafür und dagegen gibt. Am liebsten hätte man eine Vorlagenteilung gehabt, am zweitliebsten würden man diese noch bekommen. So könnte der Wirtschaftsflügel sein Ja zur bisherigen Personenfreizügigkeit durchsetzen, während die nationalkonservative Teil der Partei Nein zur Erweiterung sagen könnten.

Im Umfeld der SVP kursiert seit geraumer Zeit ein juristisches Gutachten, wie es bei einem Nein am 8. Februar 2009 weiter gehen könnte. Verfasst hat es der Jurist Manuel Brandenberg aus Zug, gleichzeitig Präsident der SVP der Stadt Zug. Darin wird bestritten, dass die Schweiz nach einer Ablehnung der Vorlage die Nicht-Weiterführung des Abkommens zur Personenfreizügigkeit und damit auch das Ende der Bilagteralen I mitteilen müsse. Denn es sei seinerzeit nur festgehalten worden, dass man über die Fortsetzung abstimmen müssen, nicht aber wann das zu erfolgen habe.

Die Szenarien
Der Parteigutachter schlägt vor, dass sich das Parlament auf einen Plan B, für den Fall einer Ablehnung der jetzigen Vorlage einstellt. Das Vorgehen wäre gerafft wie folgt:

. In der Märzsession 2009 fasst das Parlament zwei neue, getrennte Bundesbeschlüsse über die Weiterführung der Personenfreizügigkeit einerseits und die Ausdehnung auf Rumänien und Bulgarien anderseits.
. Die Referendumsfrist wird abgewartet.
. Allenfalls wird am 27. September 2009 erneut, nun aber getrennt abgestimmt wird.

Drei Szenarien sind möglich:

Erstens, sollte das Parlament bzw. das Volk sowohl der Weiterführung der Personenfreizügigkeit als auch der Ausdehnung auf Rumänien und Bulgarien zustimmen, muss die Schweiz gar nichts unternehmen. Die Bilateralen I laufen einfach weiter.

Zweitens, sollte das Parlament bzw. das Volk der Weiterführung zustimmen, die Ausdehnung auf Rumänien und Bulgarien jedoch ablehnen, kann die Schweiz der EU mitteilen, dass sie die Bilateralen I so, wie sie ursprünglich unterzeichnet wurden, weiterführen will, ohne die Anwendung der Verträge auf Rumänien und Bulgarien.

Drittens, sollte das Parlament bzw. das Volk sowohl die Weiterführung als auch die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit ablehnen, dann, aber erst dann, muss das Freizügigkeitsabkommen gekündigt werden, wonach auch die übrigen Bilateralen I dahin fielen.

Kommentar der EU
Solche Ueberlegungen werden auf EU-Seite nicht geteilt: Im Falle eines Neins zur Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf Rumänien und Bulgarien werde das erste Paket der Bilateralen hinfällig. Reiterer kann sich zwar nicht vorstellen, dass es zwischen der Schweiz und der EU angesichts der räumlichen Nähe keine bilateralen Beziehungen mehr gäbe. Aber die Schweiz könne nicht damit rechnen, bei Neuverhandlungen ein besseres Resultat zu erzielen.

Claude Longchamp

Warum die EU für die Personenfreizügigkeit ist

Der freie Personenverkehr in der EU ist eine der vier Grundfreiheiten des Binnenmarktes und somit einer der wichtigsten Pfeiler der Europäischen Integration. Damit verbunden sind die Erweiterung von persönlicher Freiheit und Mobilität sowie die Gleichberechtigung bei Stellenausschreibungen, Arbeitsbedingungen sowie bei der Anerkennung von Diplomen und Sozialversicherungsansprüchen.

Rund 900’000 EU-Bürgerinnen und Bürger lebten anfangs 2008 in der Schweiz, zirka 400’000 Schweizerinnen und Schweizer haben sich umgekehrt in den EU-Staaten niedergelassen. Die damit gemachten Erfahrungen werden beiseitig positiv bewertet. Die Befürchtungen von Massenimmigration, höherer Arbeitslosigkeit oder Lohndumping haben sich selbst nach der EU-Osterweiterung nirgens bestätigt. Denn die Wanderungsbewegungen hängen stark von den Konjunkturbedingungen und damit von der Nachfrage der Wirtschaft ab.

Die Schweiz und die EU haben im Rahmen der Bilateralen I ein Abkommen zur Personenfreizügigkeit abgeschlossen. Damit erhalten die BürgerInnen der EU und der Schweiz das Recht, in der Schweiz und der EU den Arbeitsplatz frei zu wählen, wenn sie über einen gültigen Arbeitsvertrag oder selbstständig erwerbend sind. Nichterwerbstätige Personen wie Rentner oder Studenten erhalten das Recht, ihren Aufenthaltsort bzw. Studienort frei zu wählen, vorausgesetzt sie verfügen über genügend finanzielle Mittel und sind ausreichend gegen Krankheit und Unfall versichert. Die Freizügigkeit gilt nicht für Arbeitslose und andere Personen, die auf Zuwendungen aus den Sozialversicherungen angewiesen sind.

Das Personenfreizügigkeitsabkommen wurde im Rahmen der ersten Bilateralen Verträge auf schweizerischen Wunsch hin für sieben Jahre geschlossen. Deshalb muss sich die Schweiz 2009 entscheiden, ob sie es für unbestimmte Zeit weiterführen will. Gleichzeitig ist durch den Beitritt von Rumänien und Bulgarien am 1. Januar 2007 die EU um zwei Mitglieder gewachsen. Das Schweizer Parlament hat im Juni 2008 den Beschluss gefasst, die beiden Vorlagen in einem einzigen Bundesbeschluss zu erlassen.

Die nötigen 50’000 Unterschriften für ein Referendum wurden fristgerecht eingereicht, so dass nun das Schweizer Volk am am 8. Februar 2009 zur Weiterführung und Ausdehnung der Personenfreizügigkeit abstimmt. Die Leseweise der EU hierzu ist: “Sollten die StimmbürgerInnen gegen die Personenfreizügigkeit stimmen, würden die Bilateralen I gemäss Vereinbarung zwischen der EU und der Schweiz ausser Kraft treten.”

Claude Longchamp

Warum die Gewerkschaften für die Personenfreizügigkeit sind

2000 und 2005 unterstützte die Gewerkschaften die Bilateralen resp. die Personenfreizügigkeit in den Volksabstimmungen. Sie betrachten Regelungen mit der EU werden angesichts der engen Verflechtung der schweizerischen und der europäischen Wirtschafts als nötig. Und sie setzen auf flankierende Massnahmen, die den Oeffnungsprozess begleiten und damit die Rahmenbedingungen sichern sollen.


Die Verstärkung der Kontrollen in sensiblen Branchen sind entscheidend für die Zustimmung der Gewerkschaften zur Personenfreizügigkeit mit der EU

Generell gut für sozialen Fortschritt
Dank der Personenfreizügigkeit sehen die Gewerkschaften Vorteile für SchweizerInnen, die auswandern möchten, aber auch von MigrantInnen in der Schweizer, deren Aufenthaltsbedingungen vebessert würden. Zwar bringe Personenfreizügigkeit Mehrausgaben für die Sozialversicherungen, etwas für die Mutterschaftsversicherung und für die Arbeitslosenversicherung, argumentieren sie. Doch würden diese durch Mehreinnahmen durch MigrantInnen-Saläre mehr als kompensiert.

Vor der neuerlichen Volksabstimmung über die Personenfreizügigkeit gibt es aus Gewerkschaftssicht zwei interessante Neuerungen: Einmal ist der Gesamtarbeitsvertrag in der Temporärbranche allgemein verbindlich erklärt worden. Sodann zeichnet sich ein zwingender Normalarbeitsvertrag für Dienstleistungen in Haushalten ab. Damit werden zwei prekäre Branchen besser vor Lohndumping geschützt.

Gewerkschaftliche Bedenken

Paul Rechtsteiner, der Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, verbirgt nicht, dass die Gewerkschaften noch nicht zufrieden seien. Deshalb mischten sich kritische Bemerkungen in das Ja der Gewerkschaften zur Fortsetzung und Erweiterung der Personenfreizügigkeit. Man erwarte einen schwierigen Abstimmungskampf, nicht zuletzt wegen der einsetzenden Wirtschaftskrise. Für den Schutz der Arbeitsplätze brauche es stabile Rahmenbedingungen, die mit den Bilateralen gesichert würden, und für die Binnenwirtschaft konjunkturstützende Massnahmen. Das werden denn auch die zentralen Botschaften der Gewerkschaften in den kommenden Monaten sein.

Claude Longchamp

Warum Bundesrat und Parlament für die Personenfreizügigkeit sind

Bundesrat und Parlament empfehlen, die Vorlage zur Weiterführung und Ausweitung der Personenfreizügigkeit anzunehmen. Der Nationalrat stimmt ihr bei 6 Enthaltungen mit 143 zu 40 zu, der Ständerat war mit 35 zu 2 Stimmen bei 4 Enthaltungen dafür. 5 Gründe sind für die Behörden massgeblich.


Drei Bundesrätinnen für die Personenfreizügigkeit: Eröffnung des Abstimmungskampfes durch die Bundesregierung

“Sechs Jahre Erfahrungen mit der Personenfreizügigkeit bestätigen, dass offene Arbeitsmärkte den Standort Schweiz stärken und dadurch Wohlstand und Arbeitsplätze vermehren. Für Schweizerinnen und Schweizer öffnen sich zudem mit dem EU-Arbeitsmarkt zahlreiche Chancen”, so fasst das Informationsportal des Bundes die Vorteile der Schweiz mit der Personenfreizügigkeit gegenüber der Europäischen Union aus offizieller Sicht zusammen.

5 entscheidende Gründe
Fünf Gründe haben Regierung und Parlament bewogen, die eingeleitete Politik zu verallgemeinern:

Erstens, den Bilateralen Weg bestätigen: Die EU ist die mit Abstand bedeutendste Wirtschaftspartnerin der Schweiz. Grundlage dieser Beziehung sind die bilateralen Abkommen. Mit einem Ja zur Personenfreizügigkeit sichern wir den bewährten bilateralen Weg und die guten vertraglichen Rahmenbedingungen für unsere Wirtschaft.

Zweitens, die Wirschaft braucht Arbeitskräfte: Längerfristig nimmt die Zahl der inländischen Erwerbstätigen ab, weil die Geburtenrate zurückgegangen ist. Mit der Personenfreizügigkeit können die nötigen ausländischen Fachkräfte und Spezialisten einfacher rekrutiert werden. zu einer unkontrollierten Einwanderung ist es nicht gekommen.

Drittens, Arbeitsplätze sichern: Ein offener Arbeitsmarkt verbessert die Chancen der einheimischen Firmen im internationalen Wettbewerb, die Schweizer Wirtschaft wächst, und es werden neue Arbeitsplätze geschaffen. Auch in schwachen Konjunkturphasen ist nicht mit einem übermässigen Anstieg der Arbeitslosigkeit zu rechnen. Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung hat nur, wer hier ausreichend Arbeitslosenversicherung bezahlt hat.

Viertens, die Befürchtungen von damals sind nicht eingetreten: Seit Einführung der Personenfreizügigkeit ist die Ausländerkriminalität leicht zurückgegangen. Auch eine Zunahme von Sozialmissbrauch ist nicht festzustellen. Die mehrheitlich jungen und gut qualifizierten Arbeitskräfte aus der EU zahlen sogar mehr Beiträge in die Sozialwerke AHV und IV ein, als sie Leistungen beziehen.

Fünftens, positive Bilanz würdigen: Auf dem bilateralen Weg kann die Schweiz ihre Interessen in den Beziehungen zur EU erfolgreich vertreten. Dies sollten wir nicht aufs Spiel setzen. Im Sinne einer Fortsetzung des bewährten bilateralen Wegs soll die Personenfreizügigkeit darum unbefristet weitergeführt und auf alle Mitgliedstaaten ausgedehnt werden.

Zusammengefasst: Die Schweiz selber hat den Bilateralismus gegenüber der EU nach dem gescheiterten EWR-Beitritt aus schweizerischen Weg vorgeschlagen. Er hat sich bewährt, und er soll ohne Abstriche weiter begangen werden, empfehlen Bundesrat und Parlament.

Claude Longchamp