Lukas Reimann – der Zukunftstyp des nationalkonservativen Politikers

Lukas Reimann verkörpert wie kein anderer Schweizer Parlamentarier den Zukunftstyp des nationalkonservativen Politikers in der Nach-Blocher-Aera. Nicht zuletzt wegen seinem systematischen Auftritt auf Internet.

Jüngster Nationalrat 2007
Geboren am 18. September 1982, wurde Lukas Reimann am 3. Dezember 2007 Nationalrat, dessen jüngstes Mitglied er gegenwärtig ist.

Keine 18 war Reimann, als er durch die Genschutz-Initiative der Grünen politisiert wurde und der SVP beitrat. 2000 gründete er die Junge SVP des Kantons St. Gallen, deren Präsident er bis zur Wahl in den Nationalrat war. Bis heute ist Reimann Co-Präsident von Young4Fun.ch, der Jung-Organisation der AUNS, die er 2001 aus der Taufe hob.

Selbstgenerierte Kommunikation via Internet
Was auch immer Lukas Reimann politisch anpackt, bleibt nicht unwidersprochen, sodass es in den Medien seinen Widerhall findet. Da die mainstream-Medien dem Jung-Star nicht nur freundlich gesinnt sind, hat er auf dem www ein beachtenswertes Netz an eigenen Kommunikationsplattformen aufgebaut. Seine eigene Website ist gut mit Xing und Facebook verlinkt, und sie hat auch ihr eigenes Blog. Auf Youtube finden sich zahlreiche Clips des Icehoppers, wie Reimann in der community heisst.

Schon als Kantonsrat dokumentierte er auf dem Web jede Stimmabgabe mit dem Wort, das er seinen Wählern geschenkt hatte. Zwischenzeitlich hat er seine Positionsbezüge massiv aufgebaut. Entstanden sind so verschiedene Themenwebsites, zum Beispiel EU-Kritik, die namentlich die jungen, eu-kritischen Organisationen im In- und Ausland vernetzen. Seit Reimann Nationalrat ist, gibt es auch Watch-Sites, die sich mit Reimanns Aktionen kritisch befassen.

Aktivist der Anti-EU-Politik
Lukas Reimann hat sich im Nu den Schwerpunkt im Parlament schaffen können, den er sich gewünscht hatte: die Politik der Schweiz gegenüber der EU.

2002 lancierte er an seinem Wohnort Wil eine Referendum gegen einen Kredit für die polnische Partnergemeinde Dobrzen Wielki für den Ausbau der Gasversorgung. Die Unterschriften kamen zusammen, doch zur Volksabstimmung kam es nicht, da Parlamentsbeschluss in Wil aufgrund der kleinen Beitragssumme gar nicht refendeumsfähig war.

Zwischenzeitlich hat Reimann seine Fähigkeiten als Unterschriftensammler auch auf nationaler Ebene beweisen. Selber gegen den Willen seiner Mutterpartei, aber gemeinsam mit der Jungen SVP und den Schweizer Demokraten trug er Wesentliches zu den gut 51’000 Signaturen gegen die Personenfreizügigkeit bei. Die erste Stufe der Referendumsfähigkeit hat er damit bewiesen. Ob er auch eidgenössischen Volksabstimmungen gewinnen kann, wir sich noch weisen müssen.

Statt Blocher in der “Arena” zur Personenfreizügigkeit
Auf dem Weg dazu scheut der zukünftige Politikertyp der nationalkonservativen Rechten keinen Zwischenschritt. Die Jungparteien ausserhalb der SVP hat mit seiner Persiflage ihrer Website derart in Rage gebracht, dass er seine Kopie auf richterlichen Spruch hin vom Netz nehmen musste. Was solls, dürfte er sich der Jus-Student und das Mitglied der Rechtskommission des Nationalrats gesagt haben. Unter anderer Adresse und mit neuen Logo hat er die Provokation gleich wieder ins Netz gehängt, und den Untersuchungsbehörden Beihilfe zur Zensur verpasst.

Der forsche Stil gefällt seiner Partei. So soll Lukas Reimann die Farben der SVP in die “Arena” zur Personenfreizügigkeit tragen. Statt dem SVP-Uebervater und alt Bundesrat Christoph Blocher – fast schon symbolisch, der Schritt in die Nach-Blocher-Aera.

Claude Longchamp

Wenn Leute wie Du und ich werben

Kampagnen befördern Botschaften, – und brauchen dafür BotschafterInnen. Prominente PolitikerInnen, Wirtschaftsführer, Grössen aus Sport und Kultur sind die eine Möglichkeit als KommunikatorInnen. Leute wie Du und ich sind die andere. Sie mit viralem Marketing zu sprechen zu bringen, ist der neueste Trend in schweizerischen Abstimmungskämpfen.


California. 5. November 2008.
Amerika wählt einen neuen Präsidenten, Kalifornien stimmt über eine Vielzahl von Vorlagen ab. Zum Beispiel über Proposition 11, eine Vorlage des Gouverneurs Arnold Schwarzeneggger, der damit verhindern will, dass die jeweilige Parlamentsmehrheit die Wahlkreise so einteilen kann, um ihre Wiederwahl zu sichern. Die Materie ist für die meisten Menschen eher trocken, und PolitikerInnen als Kommunikatoren erscheinen alle befangen. Geworben wird deshalb für den “Vorschlag 11” mit Clips, unter anderem mit einem von gänzlich unbekannten Luke Perisin, einem Feuerwehrmann, aus California. In 30 Sekunden erklärte der Sprecher, um was seiner Meinung nach geht, und was für den Vorschlag des Gouverneurs spricht. Die Botschaft ist kurz und knapp. Und sie sitzt. Schwarzenegger dankt am Ende des Abstimmungskampfes Perisin, denn seine Vorlage wird mit 51 Prozent Zustimmung hauchdünn angenommen.

In der Schweiz hat die Hauptphase des Abstimmungskampfes zur Fortsetzung und Erweiterung der Personenfreizügigkeit mit der Europäischen Union begonnen. Die Materie ist zwar nicht fremd, aber komplex. Es besteht Unsicherheit, was bei einem Nein geschehen würde. Und es vermengen sich längerfristige Perspektiven der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und der EU einerseits, skeptische Beurteilungen der aktuelle Wirtschaftslage anderseits. Bedeuteunde Wirtschaftsführer als Kommunikatoren kommen im gegenwärtigen Umfeld kaum mehr in Frage; sie haben genug zu tun, ihre eigene Lage in den Griff zu bekommen. BundesrätInnen in Kampagnen von Komitees sind auch umstritten; immer mehr macht man ihnen den Vorwurf, Propaganda zu betreiben, statt zu informieren. Und gesellschaftliche Grössen eigenen sich in dieser Frage weniger.

Das Ja-Komitee zur Personenfreizügigkeit folgt ganz dieser Entwicklung. Es stellt verschiedene Clips ins Netz, die nach dem kalifornischen Muster gestrickt sind. Nun ist es beispielsweise Bea Diallo, Aerztin an der Hirslandenklinik, die für die Bilateralen wirbt. Wenige Worte genügen ihr, den Sachverhalte, um den es für sie im Spitalbereich geht, zu schildern. Und einige Sekunden der Argumentation reichen, um ihn auch aus der persönlichen Sicht zu begründen. Die bildhafte Unterstützung im Gang des Spital soll helfen, die Botschaft zu transportieren. Nach 45 Sekunden muss diese plaziert sein.



Erste Zwischenbilanz

Zielgruppenspezifische Ansprache im Zeitalter der visuellen Kommunikation, könnte man das Ganze nennen. Das ist zwar theoretisch nicht ganz neu, aber eben, es muss in die Praxis umgesetzt werden. Spots als Instrumente der politischen Werbung sind in der Schweiz, anders als in den USA, verboten. Deshalb muss man hierzulande zwingend aufs Web ausweichen. Leute wie du und ich waren bisher in Kampagnen keine grossen SprecherInnen. Das scheint sich zu ändern, und soll sich dank viralem Marketing in den Netzwerken der Aerzte, Köche, ihrer PatientInnen und KundInnen verbreiten – eine Innovation, die Schule machen dürfte.

Claude Longchamp

PS:
Die Gegner reagierten ein wenig nervös. Sie stellten unmittelbar nach Erscheinen dieser Video 13 eigene ins Netz. Der Unterschied: Es reden da alles Politiker.

Neue Rechtspartei: Angriff auf die hegemoniale Stellung der SVP im rechten Lager

Die Stellung der SVP im rechten Politspektrum der Schweiz ist europäisch einmalig. Sie verlangt aber auch eine Gratwanderung, die immer schwieriger zu werden scheint. Eine neue Rechtspartei dürfte nach der BDP den Handlungsspielraum der wählerstärksten Partei in der Schweiz weiter einschränken.


Eric Stauffer, Präsident des Mouvement citoyens genevois, kündigte die Gründung einer neuen Rechtspartei in der Schweiz an


Das Lavieren der SVP bei der Personenfreizügigkeit

Man erinnert sich: Die SVP schwankte, als es darum ging, ihre Position zur Personfreizügigkeit festzulegen. Im Parlament stimmte sie gespalten. Angeführt von alt-Bundesrat Christoph Blocher empfahl die nationale Parteileitung, das Referendum nicht zu ergreifen. Erst die Aktivitäten der Jungen SVP und der AUNS, die Wesentliches dazubeitrugen, dass die Sammelaktionen der Schweizer Demokraten und der Lega die nötigen Unterschriftenzahlen beibringen konnte, liessen die Mutterpartei kippen. Mit dem Zustande gekommenen Referendum setzte sich die SVP gegen die Personenfreizügigkeit ein, selbst wenn sie damit eine erhebliche Minderheit der eigenen Fraktion desavouierte.

Die Rechnung der SVP war einfach zu machen, aber schwierig einzuhalten: Ohne Referendum bleibt ihr nach der abgelehnten Einbürgerungsdebatte ein weiterer Spagat in einer Volksabstimmung erspart. Mit einem Referendum risikierte sie in der Opposition zur Personenfreizügigkeit einen Teil des Kredits, den man für die Wiederwahl in den Bundesrat brauchte. Doch ohne Opposition bei einem Referendum verlöre sie die Themenführung im Europa-Dossier an die rechten Organisationen in der Schweiz.

Neue Rechtspartei im günstigsten Moment lanciert

Nun scheint es noch schwieriger zu kommen. Denn trotz der SVP-Themenopposition bei der Personenfreizügigkeit, kündigte gestern Abend der Genfer Eric Stauffer im Westschweizer Radio an, die Gründung einer nationalen Partei stehe bevor. Möglicherweise werde sie “Nationale Allianz” heissen und die Lega dei Ticinesi in der italienischsprachigen Schweiz, die Schweizer Demokraten aus der deutschsprachigen Schweiz und die Bürgerbewegung MCG aus Genf zu einer gesamtscheizerischen Rechtspartei zusammenschliessen. Ziel des Allianz könnte es sein, bei den eidgenössischen Wahlen 2011 in Fraktionsstärke ins Parlament einzuziehen.

Um dieses Ziel zu erreichen, müsste die neue Partei erfahrungsgemäss bei den Nationalratswahlen 2011 3 Prozent der Stimmen machen, kenzentriert auf 5-7 Kantone mit aussichtsreichen Bewerbungen. Die Wählenden dürften, wenn sie zusammenkommen sollten, im Wesentlichen aus drei Quellen stammen: aus den bisherigen Rechtsparteien, die mit Ausnahme der Lega, kein Nationalratsmandat haben, aus den NichtwählerInnen von 2007, die durch eine neue, klar rechte Partei motiviert werden könnten, und aus den Reihen der bisherigen SVP-WählerInnen, die das Lavieren bei der Personenfreizügigkeit enttäuscht hat.

Hegemoniale Stellung der SVP könnte bröckeln
Die hegemoniale Stellung der SVP im Rechtslager würde damit eine weitere Konkurrenz erhalten. Nach der BDP, die ebenfalls Fraktionssstärke anpeilt und die SVP in der politischen Mitte konkurrenzieren dürfte, gäbe es mit der “Nationalen Allianz” auch für ausgesprochen xenophobe WählerInnen-Schichten eine Alternative.

Das stellt zwar die SVP als wählerstärkste Partei der Schweiz nicht in Frage. Es zeigt aber, dass es immer schwieriger wird, das historisch einmalige Ergebnis von 2007 mit 28,9 Prozent der Stimmen zu wiederholen. Denn zuerst spaltete sich die BDP ab, als die Partei nach der Nicht-Wiederwahl von Christoph Blocher in den Bundesrat in die Opposition ging. Und nun, wo die SVP wieder in die Bundesregierung zurückgekehrt ist, könnte eine weitere Parteineugründung ihren Handlungsraum einschränken.

Der Trend zur Konzentration des rechten Parteispektrum in einer hegemonionalen Partei, den man 2007 beobachten konnte, hätte damit seinen Höhepunkt erreicht.

Claude Longchamp

Börsianer und Personenfreizügigkeit

Abstimmungsbörsen auf Internet geben nicht nur die Erwartungen der Händler zum wahrscheinlichsten Abstimmungsausgang wieder. Sie folgen den Ergebnissen veröffentlichter Umfragen, ob diese real oder fiktiv sind. Das mindert den Wert von Wahlbörsen als unabhängige Abstimmungsprognosen erheblich.


Quelle: Wahlfieber zur Personenfreizügigkeit

Seit längerem gibt es auf Internet auch zu politischen Themen der Schweiz die Rubrik “Wahlfieber”. Die Chancen von Bundesräten gewählt zu werden oder von Abstimmungsvorlagen durchzukommen, werden dabei wie an Aktienmärkten gehandelt. Sie entstehen zwischenzeitlich weltweit Prognosen dazur, was die Erwartungshaltung der anonymen Händler sind.

Gestern abend 17 Uhr erschien die erster der beiden SRG-Umfragen zur Volkabstimmung vom 8. Februar 2009 zur Personenfreizügigkeit. Das Hauptergebnis lautete: 49 Prozent sind bestimmt oder eher dafür, 40 Prozent bestimmt oder eher dagegen. 11 Prozent der beteiligungswilligen BürgerInnen sind unentschieden.

Die Veröffentlichung des Ergebnisses brachte Bewegung in die Abstimmungsbörse “Wahlfieber”. Der Marktwert der Ja-Aktien stieg postbewendend von 50 auf 54. Jener verringerte sich leicht, von gut 50 auf knapp 50.

In den Tagen zuvor war fast nichts gegangen in der Abstimmungsbörse zur Personenfreizügigkeit. Der Wert der Nein-Aktie lag meist leicht über dem des Ja-Papiers. Die letzte wirkliche Bewegung hatte es an Weihnachten gegeben. Damals schnellt der die Nein-Aktie auf über 53, ihrem bisher höchste Wert, während die Ja-Aktien vorübergehen einen Wert von 48 notiert. Vorausgegangen war damals die Publikation einer Umfrage durch den “Blick”. Die Werte, die genannt wurden (40 dafür 50 dagegen, 10 unentschieden), erwiesen sich nachträglich als erfunden.

Was lernt man daraus? Abstimmungsbörsen wurden eingeführt, weil man annimmt, dass eine genügend grosse Zahl von Händlern, die auf den Ja- resp. Nein-Anteil wetten, den Einfluss individueller Präferenzen auf den erwarteten Abstimmungsausgang verringern. Das ist möglicherweise auch der Fall. Doch die Händler an der Politbörse lassen sich insgesamt durch die gleichen Ereignisse beeinflussen. In erster Linie durch Umfragen in Massenmedien, und zwar unabhängig davon, ob die Veröffentlichungen auf realen oder fiktiven Erhebungen basieren.

Das relativiert den Wert von Wahlbörsen als unabhängige Prognose-Instrumente doppelt!

Claude Longchamp

Verkommt Sachwerbung zu Imagewerbung?

Die übergeordnete Kampagne für die Personenfreizügigkeit wird immer mehr durch einzelne Kampagnen der Parteien verdrängt. Warum, und mit welchen Folgen, ist hier das Thema.

Das politische System der Schweiz kennt Wahlen und Abstimmungen. Im ersten Fall entscheiden wir über Parteien, im zweiten in Sachfragen. Entsprechend unterscheidet man üblicherweise zwischen Partei- und Sachwerbung.

Mit dem historisch einmaligen Aufstieg der SVP seit Mitte der 90er Jahre sind die Grenzen verwischt worden. Abstimmungskämpfe dienen immer mehr der Profilierung von Parteien. Sie mutieren zum Wahlkampf zwischendurch.

Der Erfolg der SVP als politische Partei bei Wahlen hat einen Mythos geboren. Entscheidend sei die Kommunikation gewesen, und dabei massgeblich sei das Plakat. Zwar sind die SVP-Affichen der letzten 10 Jahre mehrfach kritisert worden. Doch haben sie gerade wegen des Stilbruchs die Aufmerksamkeit der Meinungsbildner immer auf sich gezogen.

Auch die irritierten Parteien haben in den letzten Jahren angefangen, Abstimmungskämpfe für Eigenwerbung zu verwenden. Die Kampagnen zur Personenfreizügigkeit Sprechen eine deutliche Sprache. Economiesuisse macht die Dachkampagne der Wirtschaft. Und die befürwortenden bürgerlichen Parteien sollten die dazu passenden Basiskampagnen leisten. Getrennt marschieren, vereint schlagen war das Motto.

Das Bild stimmt zwischenzeitlich nicht mehr. CVP und FDP nutzen die Themenaufmerksamkeit, welche die Volksabstimmung vom 8. Februar 2009 erzeugt, um sich zu profilieren. Sie haben nicht mehr nur ihr eigenen Komitees. Vielmehr veranstalten sie auch eigene Medienkonferenzen. Und sie haben ihre eigenen Plakate und Inserate. Die betreiben ihre eigenen Kampagnen.

Das ist nicht ohne: Die Zahl der vergleichbaren Medienkonferenz nimmt zu; die Kapazitäten der Medien bleiben sich aber gleich. Man greift gerade in den elektronischen Medien zu drastischen Massnahmen. Statt jede Finesse in der Argumentation auszuleuchten, bringt man das Pro und Kontra je einmal. Die Differenzierung wird zum potenziellen Bumerang.

Im gekauften Teil der Medien wächst dafür der Eindruck, dass heute das gemeinsame Projekt der Befürworter hinter den parteieigenen Interessen ihrer Trägerinnen verschwindet. Die langfristige Orientierung verliert sich im kurzfristigen Aktionismus. Sachwerbung verkommt zur Imagewerbung.

Ob das für die Sache von Gutem ist?

Claude Longchamp

Wirtschaftliche Oeffnung der Schweiz mobilisiert Stadt/Land-Gegensatz

Nie war der Unterschied zwischen den Sprachregionen in einer EU-Abstimmung so gering wie bei der Entscheidung über die Personenfreizügigkeit 2005. Dennoch ergaben sich charakteristische Unterschiede zwischen mehr ruralen und mehr urbanen Regionen.


Quelle: BfS

Man erinnert sich: 1992 bei der EWR-Abstimmung gab es einen exemplarischen Röscht-Graben. Die Romandie war fast geschlossen dafür; die deutsch- und italienischsprachige Schweiz mehrheitlich dagegen. 32 Prozentpunkt betrug die Differenz zwischen den beiden grösseren Sprachregionen im Zustimmungswert.

Der sank bis 2005 stufenweise ab. Bei der Volksentscheidung über die Personenfreizügigkeit betrug er keine 6 Prozent mehr. Bei der Einführung der Bilateralen im Jahr 2000 errechnete das BfS noch einen Unterschied von 12 Prozentpunkten.

Das heisst nicht, dass es 2005 keine regionalen Unterschiede mehr gab. Die waren aber weniger durch den Faktor Sprache geprägt als durch die Siedlungsart. Die Zustimmung war in den städtischen Gebieten überdurchschnittlich, auf dem Land klar unterdurchschnittlich.

Man kann es sogar noch differenziert haben, wenn man Bezirks- oder Gemeindekarten zu Rate zieht. Massiv war die Verwerfung in Misox und im Entlebuch. Besonders hoch war sie in den Kerngebieten der grossen Agglomerationen, namentlich in Bern und Zürich.

Die Verlagerung der räumlichen Konfliktlinien hatte mit unterschiedlichen Präferenzen in der aussenpolitischen resp. -wirtschaftlichen Oeffnung zu tun. In der französischsprachigen Schweiz ist die Vorliebe für die politische Oeffnung stark ausgeprägt; Aengeste gegenüber Mitgliedschaften in supra- oder internationalen Organisationen sind geringer ausgeprägt. Besonders in der deutschsprachigen Schweiz neigt man dazu, aussenpolitischen Beitritten kritischer gegenüber zu stehen, die wirtschaftliche Kooperation aber nicht auszuschliessen.

Ein besonder Fall ist die italienischsprachige Schweiz. Sie hat alle Europa-Vorlagen seit 1992, egal, ob sie eher politischer oder wirtschaftlicher Natur waren, mit Nein-Anteilen zwischen 57 und 64 Prozent verworfen.

Claude Longchamp

Personenfreizügigkeit 2005/2009: ein erster Vergleich

Seit Tagen gibt es in den Schweizer Medien eine Debatte über Umfragen zur Personenfreizügigkeit. Dabei übertrifft die Fiktion die Realität. Dieser könnte man sich beispielsweise über die VOX-Analyse annähern, die 2005 nach der ersten direkten Volksabstimmung über die Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und der Europäischen Union gemacht wurde.


Die Ergebnisse der Volksabstimmung und der Nachanalyse
Die Ergebnisse der Volksabstimmung vom 25. September 2005 lauteten: Genau 56 Prozent stimmten für die Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und der EU, 44 Prozent votierten dagegen. An der Volksentscheidung beteiligten sich 53.8 Prozent der Stimmberechtigten.

Das Profil der beiden Lager konnte in erster Linie mittels politischer Merkmale bestimmt werden. SP-, CVP- und FDP-AnhängerInnen waren zu rund vier Fünfteln wie ihre Partei für die Personenfreizügigkeit. Ungebundene war genau hälftig gespalten. Die politischen Entscheidung war in erster Linie durch die Einstellung zur EU beeinflusst, aber auch durch Werthaltungen gegenüber der Oeffenheit zum Ausland und zur Gleichstellung der AusländerInnen mit SchweizerInnen. In ihr reflektierte sich auch das Vertrauen in den Bundesrat.

Soziologisch gesehen war die Entscheidung vor allem durch die Schicht mitbestimmt: Je höher die Bildung und die berufliche Position war, desto stärker war man für die Personenfreizügigkeit. Schliesslich ergaben sich Einflüsse aus der Einschätzung der Wirtschaftslage. Vor allem bei negativen Beurteilungen überwog das Nein.

Das veränderte Umfeld
Die Skepsis gegenüber der allgemeinen ökonomischen Lage ist heute deutlich höher als vor dreieinhalb Jahren. In den Worten des Dispositionsansatzes: Das Umfeld der Entscheidung ist anders.

Das hat zwar das Parlament nicht einflusst. Es beeinflusst aber den Abstimmungskampf, und es ist zu erwarten, dass es auch auf die Meinungsbildung der Bevölkerung Auswirkungen haben wird. Das Ausmass ist jedoch noch nicht abschätzbar.


Quelle: Sorgenbarometer 2008. Die aktuellsten Werte stammen aus dem September 2008. Sie dürften jetzt noch kritischer sein.

Auswirkungen auf den Abstimmungskampf
2005 verfügte die Ja-Seite über drei klar mehrheitsfähige Argumente sozio-ökonomischer Natur. Rund zwei Drittel der Stimmberechtigten waren damals der Meinung, die Personenfreizügigkeit sei für die Schweiz wichtig, um Zugänge zu neuen Märkten zu erhalten, um Arbeitskräfte aus den mittel- und osteuropäischen Staaten rekrutieren zu können und um den SchweizerInnen im Ausland bessere Erwerbsmöglichkeiten zu gewähren.

Das alles dürfte im jetzigen Umfeld relativiert worden sein, was die Position der Ja-Seite kommunikativ schwächen dürfte und zielgruppenspezifisch negative Auswirkungen haben dürfte.

Argumentativ ergibt sich auf der Nein-Seite kaum eine Aenderung. Die 2005 populärsten Argumente war der erhöhte Druck auf den Schweizer Arbeitsmarkt einerseits, die Belastungen für die Sozialwerke anderseits. In beiden Themen war die Gegnerschaft der Personenfreizügigkeit punktuell mehrheitsfähig. In andere Kampagneschwerpunkten, die auch jetzt wieder auftauchen, war das nicht der Fall. Das gilt insbesondere für Aengste vor vermehrter Migration und für Botschaften, die Schweiz werde von der EU erpresst. Allenfalls letztes ist vor der gewachsenden EU-Skepsis in der Schweiz heute etwas wirksamer.

Vorläufiges Fazit
Damit sei nicht gesagt, dass sich alles aus dem Jahre 2005 wiederhole. Es sei aber vor dem Hintergrund des Dispositionsansatzes als Analysemöglichkeit von Meinungsbildungsprozessen postuliert, was damals Sache war und was diesmal Sache sein könnte. Der wichtigste Unterschied ergibt sich aus dem veränderten Umfeld wirtschaftlicher Natur. Alles andere hatten wir 2005 in eine weitgehend ähnlichen Masse wie heute auch.

Die wahrscheinlichste Hypothese ist demnach, dass die damaligen Entscheidungen die jetzigen mitbestimmen, dass die Skepsis gegenüber der Personenfreizügigkeit jedoch etwas höher ist als vor dreieinhalb Jahren und dass das die Profilierung der ökonomischen Begründungen aus dem Ja-Lager erschweren dürfte.

Claude Longchamp

Hansjörg Walther: die neue Galionsfigur für die Bilateralen

“Galion” ist spanisch und meint Balkon. Galionsfiguren sind jene Personen-darstellungen auf Schiffen, die auf einem gut sichtbaren Vorbau angebracht werden, um auf dem richtigen Weg Unglücke zu verhindern. Diese Figur der Seefahrer geht jetzt auf neue Reise und macht bei den Landwirten Halt.

< Die neue Galionsfigur der SVP, wenigstens jener starken Minderheit der Fraktion, die dem befürwortenden Komitee beigetretenist, heisst Hansjörg Walther. Dank seiner Fast-Wahl in den Bundesrat ist der Schweizerische Bauernpräsident aus dem Thurgauischen im vergangenen Dezember national bekannt geworden. Jetzt wird er auf den neuen Plakaten der befürwortenden Kampagne zu den Bilateralen als Aushängeschild der Landwirte präsentiert. Auf dem Balkon der Werbung stehend, sagt Walther "Ja" nicht nur zu Weiterführung der Personenfreizügigkeit; er ist auch für die Erweiterung auf die neuen Mitgliedstaaten. Die Bauern hätten insbesondere mit Rumänen als Arbeitskräften in den Landwirtschaft gute Erfahrungen gemacht, bekennt Walther im heutigen "Sonntagsblick“. Bei einem Nein zum ganzen Paket würden die wirtschaftlichen Nachteile überwiegen, gibt er konträr zur Parteimeinung wieder. Denn: “Bewährtes sollte man nicht kündigen.”

Es ist offensichtlich: Das neue Kampagnenelement des Ja-Lagers zu den Bilateralen zielt auf die Landwirte. Sie sollen für ein “Ja” gewonnen wereden. Real machen sie zwar kaum mehr 5 Prozent der Erwerbstätigen resp. der Stimmenden aus. Gefühlsmässig neigt aber rund ein Drittel der Schweizer Bevölkerung zu den Bauern: “mentale Bauern” werden sie gelegentlich genannt – SchweizerInnen, die so entscheiden, wie wenn sie Landwirte wären, auch wenn sie es nicht (mehr) sind.

Der SVP wird das symbolisch schmerzen. Denn sie kann die Bauernschaft als Inbegriff der traditionellen schweizerischen Lebensweise nicht mehr als sichtbare Gegner der Personenfreizügigkeit für ihre Kampagne beanspruchen.

Real wird das die SVP jedoch kaum kümmern. Sie setzt auf die zahlreicheren, EU-feindlich eingestellten Bevölkerungsteile und mobilisiert hierzu ganz bewusst die Ausländerfeindlichkeit, die recht quer zu den sozialen Schichten vorkommt. Die Bauernschaft lässt sie (diesmal) links liegen.

Claude Longchamp

Unkoordiniertes Vorgehen

Die Befürworter der Personenfreizügigkeit sammeln ihre Truppen. Das kann man ihnen nicht verargen. Doch sie schlagen auf benachbarten Schlachtfeldern selber quer. Das kann ihnen nur schaden.

Der Bundesrat hat das Heft zur Volkabstimmung über die Personenfreizügigkeit im Dezember 08 in die Hand genommen. Er hat die Sozialpartner, die an einem liberalen, aber geregelten Verhältnis zur Europäischen Union interessiert sind, hinter sich geschart. 4 der 5 Regierungsparteien, die europapolitisch uneingeschränkt zum Bilateralismus stehên, unterstützen seinen Kurs in Sachen Personenfreizügigkeit. Das ist der Sache nützlich.

Schädlich ist es, dass die Problem mit der Abstimmung, die man gewinnen will, unnötig vergrössert werden. Letzlich unverständlich ist es bei dieser Ausgangslage, weshalb der Bundesrat genau im Vorfeld der Volksabstimmung die heiklen Dossiers in der Europafrage aufs Tapet setzt. Gestärkt durch eine Mehrheit in der Volksabstimmung vom 8. Februar 2009 könnte er die schweizerischen Interessen viel besser verteidigen.

Ich meine, es sei abstimmungstaktisch ungeschickt, die Weiterentwicklung der institutionellen Beziehungen zur EU genau mit dem Kampagnenstart zu thematisieren. Und es wirkt geradezu kontraproduktiv, wenn der Bundespräsident gleichzeitig mit dem Kampagnenstart der EU-Gegner mit dem deutschen Finanzminister Steuerstreit zwischen der Schweiz und der EU aufwärmt. Denn in beiden Fällen wird die Schweiz Schritte weg vom Sonderfall hin zu Normalregeln machen, was man besser nachvollziehen kann, wenn es einem Gegenüber erfolgt, mit dem man nicht im Zwist ist.

Mehr koordiniertes Handeln wäre bei der Sammlung der Truppen und Bezeichnung der Schlachtfelder gerade durch den Bundesrat angezeigt.

Claude Longchamp

Rabenschwarz

Die SVP lanciert heute ihre Kampagne gegen Personenfreizügigkeit, über die am 8. Februar 2009 in eine bundesweiten Volksabstimmung entschieden wird. Dabei setzte sie als Sinnbild auf Raben, die auf der Schweiz herumhacken. Eine Kurzinformation zur Symbolik der Vogelwelt für die politischen Kommunikation.

Die Textbotschaften sind bekannt: Das Parlament hat die Fragen über die Weiterführung der Personenfreizügigkeit mit den bisherigen EU-Ländern und über die Ausdehnung auf die neuen EU-Mitgliedstaaten Rumänien und Bulgarien, die nach Auffassung der SVP zwei verschiedene Sachen sind, in undemokratischer Art und Weise zusammengefasst. Das will die grösste Partei der Schweiz nun stoppen, denn die neue “Freizügigkeit für alle und alles” bringe der Schweiz mehr Arbeitslose, tiefere Löhne, leere Arbeitslosenkassen, ruiniere die Sozialwerke und führe zu mehr Kriminalität.

Das Plakat hierzu spielt ganz bewusst auf die bedrohte Schweiz ein, die umgeben wird von grossen Rabenvögeln. Die eine hat das Land schon fast im Griff, und die andere möchte es am liebsten ganz verschlucken.

Das Bild ist eingängig, wie immer, wenn die SVP kommuniziert. Es ist auch symbolträchtig. Denn Raben, Krähen und Dohlen, sind in der christlich verstandenen Kultur negativ besetzt. Es sind böse Tiere, die so (raben)schwarz sind, weil sie für immer verflucht wurden. Wo sie auftauchen, bringen sie, gemäss Volksmund, Verderben und Tod. Pech hat, wer sich nicht gegen die Vögel wehrt.

Die Symbolik dem Volksmund nachempfunden sein. Doch ist nicht unproblematisch. Denn die Wissenschaft ist gerade dabei, mit dem Aberglauben zu Rabenvögeln auzuräumen, handelt es sich doch um die Vögel mit der grössten Intelligenz, die Werkzeuge gebrauchen, gesellschaftliche Regeln beachten und Gelerntes unter einander weitergeben.

Ich bin mal gespannt, was aus dem Kampf um Symbole im Abstimmungskampf entwickelt.

Claude Longchamp