Wie genau sind die amerikanischen Vorwahlumfragen in der Regel?

Im Jahre 2004 kamen die Umfrageserien, die bis vor den Wahltag erstellt worden waren, im Schnitt bis auf 2 Prozentpunkte an das effektive Ergebnis heran. Sie waren damit im Schnitt etwas besser als vier Jahre zuvor. In der Richtung haben die Umfrageserien von 2000 und 2004 jeweils den Republikaner Bush leicht überschätzt. Auch das spricht für eine Wahlsieg von Barack Obama, der in den letzten Umfragen mit durchschnittlich 7,6 Prozent führt.

6 der 8 Institute, die 2004 eine Projektion erstellten, sahen richtigerweise Georges W. Bush (50.7%) als Sieger vor John Kerry (48.3%). Am genauesten waren damals die Vorhersage von TIPP (50.1 zu 48.0). Sie gab Bush 2.1 Prozentpunkte Vorsprung. Mit etwas abnehmender Genauigkeit folgten damals die Institute PEW, Battleground-Tarrence und Harris, beide knapp vor Zogby und Gallup. Eigentliche Fehlprognosen lagen bei Democracy Corps und Battleground-Lake vor.

Im Jahr 2000 war die Sache komplizierter, weil Al Gore (48.4%) effektiv einen halbe Prozentpunkt mehr Wählerstimmen hatte als Georges W. Bush (47.9%). Diese wurde dank eine hauchdünnen Mehrheit bei den Elektoren gewählt. Die Umfragen wiederum sahen Bush ist als klaren Sieger. Nur Zogby hatte Kerry vorne, und Harris kam dem bizzaren Endresultat mit 47:47 am genauesten.

Was lernt man daraus?

Erstens, die Differenz zwischen den beiden Spitzenkandidaten wurde 2000 falsch, 2004 aber richtig erkannt. Der Fehler liegt zwischen 2 und 3 Prozentpunkten.
Zweitens, die republikanischen Bewerber werden nicht einfach unterschätzt, egal ob sie Herausforderer oder Amtsinhaber sind.
Drittens, auf ein Institut abzustellen, ist nicht einfach, da Harris nicht mehr dabei ist, und TIPP und TIPP“>Zogby, die beiden besten bei einer Wahl bei der anderen kleinere Probleme hatten.

Wenn Obama diesmal in allen Umfrageserien mit durchschnittlich 7,6 Prozent (wenn auch mit unterschiedlichen Differenzen von 2 bei Battleground Tarrence bis 11 Prozent bei Zogby resp. Gallup führt, kann, egal wie gross der Vorsprung letzten Endes sein wird, nichts mehr schief gehen.

Weder für ihn, noch für die Umfrageinstitute als Ganzes.

Claude Longchamp

Die letzte funktionierende Börse …

54 Prozent der Stimmen erhält Barack Obama, 47 Prozent gehen an John McCain. Das ist Prognose, welche die Wahlbörse der Iowa University am Vortag des election day ermittelt hat. 90 Prozent der Händler gehen zudem davon aus, dass der demokratische Bewerber gewinnt, 10 Prozent glauben noch an den Sieg des Republikaners.


Das Experiment

1988 begann das Tippie College of Business der Iowa University zu wissenschaftlichen Zwecken mit elektronischen Wahlbörsen zu experimentieren. Seit 1996 wird dieses Instrument regelmässig bei nationalen Wahlen in den USA, aber auch verschiedenen anderen Ländern eingesetzt.

Wahlbörsen funkitionieren wie richtige Börsen, doch geht es nicht um die Bewertung von Firmen, sondern die Wahlergebnisse von Parteien oder Kandidaten. Es gibt Wahlbörsen, bei denen echtes Geld eingesetzt wird; sie funktionieren aber auch mit Spielgeld. Abzocken ist nicht das Ziel der Wahlbörsen, die mit wissenschaftlicher Absicht geführt werden. So setzt man beim Experiment der Iowa University echtes Geld ein, doch sind die Beiträge limiert.

Anders als bei Repräsentativ-Befragungen, die individuell geäusserte Wählerwillen aggregieren, funktionieren Wahlbörsen nach dem Prinzip, dass die Masse recht hat. Wenn sich genügend Händler einfinden, die selber Wetten wollen, aber auch andere Wetten bewertenl, stellt sich ein bewerteter Marktwert von Parteien oder Kandidaten ein.

Die amerikanischen Präsidentschaftwahlen
Die aktuellen Quotierungen der amerikanischen Präsidentschaftsbewerber im Iowa Electronic Market haben sich über die Zeit mit wenigen Ausnahmen nur beschränkt verändert.

Eigentlich ging man von Anfang an davon aus, dass Barack Obama gewinnen würde. Die jetzigen Verhältnisse pendelten sich schon bald ein, und sie blieben trotz regem Handel insgesamt weitgehend unverändert.

Stark erhöht hat sich aber in den letzten Wochen die geschätzte Wahrscheinlichkeit eines demokratischen Wahlsieges bei den Präsiedentschaftwahlen.

Mein Kommentar
Wenn Wahlbörsen bei einfacher Ausgangslage recht schnell plausible Schätzungen von Wahlausgängen liefern, sind sie doch kein Ersatz für Wahlbefragungen. Denn sie geben “nur” die Grössenordnungen, allenfalls auch die Wahrscheinlichkeiten von Wahlergebnissen an. Sie lassen keine Rückschlüsse zu, wer wie und warum so stimmen wird, nur, dass so gestimmt wird. Zudem ist bis jetzt kein namhaftes Experiment bekannt, bei dem es Wahlbörsen, aber keine Wahlbefragungen gegeben hat.

Immerhin, Wahlbörsen sind ein Element der Bestimmung öffentlicher Meinung nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Politik geworden. Ich würde fast eine Wette eingehen, dass sie besser funktionierende Börsen sind als jene an der Wahlstreet. Solange jedenfalls man sie zu Erkenntniszwecken für die Realpolitik betreibt, und sich um spekulative Gewinne in der Fiktivwirtschaft zu erzielen …

Claude Longchamp

Die Zeit der Dramatisierungen

Das letzte Wochenende vor dem amerikanischen Präsidentschaftswahlen hat begonnen. Es sind die Tage der Dramatisierungen vor allem in den Massenmedien. Vorsicht ist angesagt.

Alles rechnet mit dem Sieg des Demokraten Barack Obama. Jede Verdoppelung dieser Nachricht hat deshalb keinen Newswert mehr, selbst wenn sie stimmt. Deshalb liesst man mehr vom Gegenteil, auch wenn es nicht stimmt.

Selbst das informative Netzwerk der grossen deutschschweizer Zeitungen (Tagesanzeiger, Bernerzeitung und Baslerzeitung) macht jetzt auf Dramatisierungen. “Obamas Vorsprung zerrinnt”, kann man heute in fetten Lettern lesen.

Als Beleg hierzu werden recht beliebig Umfragen verwendet, deren Ergebnisse einander gegenüber gestellt werden, um einen Trend zu haben, den man dann auch flink noch extrapolieren kann!

Besser als das ist es auf jeden Fall, sich nur an die Serien der bewährten Institute zu halten, oder aber einzig die rollenden Mittel aller, nicht ausgewählter Umfragen zu verwenden.

Letzteres leistet beispielsweise der SuperTracker der unabhängigen Wahlplattform 538. Alternativ dazu kann man auch den Trend von Real Clear Politics verwenden. Die Entwicklung, die so aufscheint, ist viel konstanter, und die Prognose, die daraus für den Wahltag gemacht werden kann, viel eindeutiger.

Momentan führt Obama bei 538 mit durchschnittlicher 7 Prozentpunkten, und es wird erwartet, dass dies am Wahltag 6 sein werden.

Von einem dramatischen Umschwung in letzter Minute kann nicht die Rede sein. Doch hat das in der gängigen Berichterstattung der Massenmedien kurz vor dem Ereignis keinen news-Wert.

Claude Longchamp

13 Gründe, warum Obama Präsident wird

Als Alternative zu Umfragen vor Wahlen haben sich gerade in den USA Prognosemodelle entwickelt, die aufgrund der Wahlumstände qualitative oder quantitative Aussagen über Sieger und Verlierer zulassen. Das ist zwar kein Ersatz für Wahlbefragungen, aber eine Erweiterung für die Analyse der Gründe von WählerInnen-Entscheidungen.

Alan Lichtman, Professor für Geschichte an der Amerikanischen Universität von Washington DC, hat rechtzeitig vor den diesjährigen Wahlen in der Zeitschrift “New Scientist” ein interessantes Prognosemodell vorgeschlagen. Anders als Politökonomen, die in der Regel nur oder vor allem auf die Wirtschaftslage abstellen, hat Lichtman 13 politiknahe Kennzeichungen von Wahlen entwickelt, die es in den vergangenen 6 Wahlen erlaubt haben, korrekte Aussagen zu amerikanischen Präsidentschaftswahlen zu machen. Sie lauten:

1. Does the incumbent party hold more seats in the House of Representatives after the midterm election than after the preceding midterm election?
2. Is there a serious contest for the incumbent-party nomination?
3. Is the incumbent-party candidate the current president?
4. Is there a significant third-party or independent candidate?
5. Is the economy not in recession during the campaign?
6. Does per capita economic growth during the term equal or exceed mean growth for the preceding two terms?
7. Has the administration effected major policy changes?
8. Has there been major social unrest during the term?
9. Is the incumbent administration untainted by major scandal?
10. Has there been a major military or foreign policy failure during the term?
11. Has there been a major military or foreign policy success during the term?
12. Is the incumbent-party candidate charismatic or a national hero?
13. Is the challenger not charismatic or not a national hero?

Nicht alle Fragen lassen sich eindeutig beantworten resp. quantifizieren. Aber sie führen zu einer Einschätzung der Wahlchancen der zwei wichtigsten Bewerber, die im Vergleich zu den Wahlchancen, die frühere Bewerber hatten, beurteilt werden können. Daraus ergibt sich dann die Prognose für 2008.

Lichtman folgert, dass am kommenden Dienstag Obama gegen McCain gewinnt. Er werde mit 55 Prozent der Stimmen gewählt werden.

Mein Kommentar
Veröffentlicht wurde die Studie am 22. Oktober 2008, also nur zwei Wochen vor den kommenden Wahlen. Entwickelt wurde das Vorgehen indessen früher, und es hat sich in der Rückschau mehrfach bewährt. Und das zeigt den Unterschied solcher Ableitungen des Wahlssieger von den üblichen Herleitungen. Repräsentativ-Befragung definieren die Erwartungshaltung, die dann, zahlreiche andere Prognosen als wahrscheinlich oder weniger wahrscheinlich erscheinen lassen.

Ersetzt werden Wahlumfragen dadurch nicht. Denn sie bilden unverändert den Mikrokosmos der Entscheidungen ab, und sie ergeben, aufaddiert in repräsentativen Stichproben verlässliche Grössenordnungen, für das was momentan Sache ist. Erweitert wird aber durch Modelle wie das von Lichtman die makro- und mesopolitische Analyse der Entscheidungen. Bei Lichtman gefällt, dass er nicht nur ökonomische, sondern auch genuin politische Grössen verwendet.

Am kommenden Dienstag wissen wir mehr, ob aus solchen Retrognose auch Prognosen gemacht werden können.

Claude Longchamp

Vor dem Finale

Die amerikanischen Präsidentschaftswahlen stehen vor der Entscheidung. Am nächsten Dienstag wird bestimmt, wer der 44. Präsident der USA ist. Alle Zeichen deuten auf eine recht klaren Sieg von Barak Obama hin.


Optimistisches Szenario: Verteilung aller Elektorenstimmen

www.electoral-vote.com, eine der relevanten Hochrechungen von Umfragen auf Stimmen, rechnet aktuell mit einem konfortable Sieg Obamas, der sich im April des Wahljahres abzuzeichnen begann. Ernsthaft in Bedrängnis geriet der demokratische Bewerber danach kaum.


Pessimistisches Szenario: Verteilung der nur sicheren Elektorenstimmen

Einzig nach dem Konvent der Republikaner drehte McCain, jetzt um seine Vize-Kandidatin Sarah Palin verstärkt auf. Der Effekt war jedoch nicht von Dauer, nicht zuletzt wegen dem Börsencrash an der Wallstreet, denn seither sind die Republikaner, John McCain und Sarah Palin klar in Rücklage geraten und konnten die Demokraten mit ihrem Duo Obama/Biden voll aufdrehen.

Wie genau sich die optimistische resp. pessimistische Vorhersage von “electoral-vote” bewahrheiten, wissen wir in 5 Tagen.

Claude Longchamp

Beyond Presidency: Direct Democracy in the United States

Ich gehe in die USA. Ich bleibe eine gute Woche, die Woche der Präsidentschaftswahlen. Doch das ist nicht mein eigentliches Ziel, denn dieses folgte dem Motto “Beyond the Presidency” – über die Präsidentschaft hinaus. Mir geht es eine Woche lang um die direkte Demokratie in den Vereinigten Staaten.

Die Einladung stammt vom amerikanischen “Initiative&Referendum” Institute der University of Southern California. Das dortige IRI-Institute, Partner des Marbuger IRI-Europe-Instituts, ist führend in der Dokumentation und Analyse der amerikanischen Volksabstimmungen. Es hat die Gelegenheit wahrgenommen, die momentan erhöhte Aufmerksamkeit für die USA zu nutzen, um ein Dutzend ExpertInnen der direkten Demokratie aus der ganzen Welt auf eine Studienreise durch San Franzisco, Sacramento, Denver und Washington einzuladen.

Gleichzeitig mit den amerikanischen Präsidentschaft- und Parlamentswahlen finden in 36 Gliedstaaten Volksabstimmungen statt. 152 sind es insgesamt. Dabei geht es um gleichgeschlechtliche Ehen, Abtreibung, Bürgerrechte, Tierschutz, Energiepolitik, Marijuana-Legalisierung, Landverkäufe, öffentliche Angestellte, Verschuldung und Sterbehilfe.

Man sieht es auf eine Blick: Es sind die gleichen Themen, welche die BürgerInnen der USA am 4. November 2008 zu entscheiden haben, wie wir sie kennen. Anders ist jedoch das Verfahren: Die Volksabstimmungen finden meist gleichzeitig mit den Wahlen statt.

Die Zahl der Abstimmungsthemen war auch schon höher. 2004 lagen 162 Vorschläge auf, 2006 bei den Zwischenwahlen, waren es gar 204. Am meisten Volksabstimmungen finden diesmal in Colorado statt, wo 14 Entscheidungen zu treffen sind. In Oregon und California gilt es über je 12 Vorlagen abzustimmen. Ueberhaupt: Der Westen der USA kennt viel ausgebautere direktdemokratische Institutionen als der Osten.

Am Freitag ist es soweit: Ich fliege nach San Franzisco, mit Hoffnung, neue Erfahrungen zu sammeln über das Funktionieren der direkten Demokratie weltweit. Ich werden auf “zoonpoliticon” als Politikwissenschafter berichten, und auf dem “Stadtwanderer” mich als Zeitgenosse vom Erlebten berichten.

Claude Longchamp

Das Hoffen auf den entscheidenden Schlag

Angesichts der amerikanischen Finanzkrise waren die Erwartungen an die TV-Debatte zwischen Barack Obama und John McCain, die sich diese Nacht abspielte, hoch. Man erwartete, das mit diesem ersten Höhepunkt im amerikanischen Wahlkampf auch eine erste Vorentscheidung gefällt werde. Zwischenzeitlich ist die Stimmung gedämpfter: Unentschieden lautet das fast schon enttäuschende Verdikt der Auguren. Also waren wir Politikkonsumenten auf den entscheidenden Schlag in der nächsten Runde!

TV-Duelle und public viewing: Politische Entscheidung als sportlichere Wettkampf
TV-Duelle und public viewing: Politische Entscheidung als sportlichere Wettkampf


Position 1: Medien ohne Einfluss

Paul Lazarsfeld prägte mit seiner soziologisch inspirierten Wahlstudie “The people’s choice”, die 1944 erschien, den ersten Klassiker, der der bis heute gängigen Pole in der wissenschaftlichen Deutungen von Medien und Wahlen bestimmte. Typisch für seine Antwort ist die sog. Verstärker-These. Demnach üben die Massenmedien keinen genuin verändernden Einfluss auf die Wahlentscheidung aus, denn ihre Botschaften prallen an bestehenden Einstellung ab, wenn sie diese nicht bestätigen. Von meinungsbildender Wirkung bleibt da nicht viel übrig. Entsprechend ist nicht zu erwarten, dass sich diese Nacht etwas Wesentliches im amerikanischen Wahl verändert hätte. Vielmehr gilt: Demokraten bewerten Obama besser, und für Republikaner ist McCain der geeignetere Kandidat.

Position 2: Medienbild bestimmt Politikbild

1980 erschien unter dem Titel “The mass media election” die Studie von Thomas E. Patterson, die bis heute den klassischen Gegenpol zu Lazarsfeld und seinen Mitstreitern bildet. Anhand einer Untersuchung der Präsidentschaftswahlen von 1976 kam er zu folgenden Befunden und Schlüssen:

Erstens, die Bedeutung der Massenmedien liegt darin, dass sie mit ihrer Auswahl die für die WählerInnen relevante Wahrnehmung der Politik prägen.
Und zweitens, die Wahlentscheidungen fallen unterschiedlich aus, je nachdem wie die massenmediale Informationsauswahl ausfällt.

Das wichtigste Argument, das für einen Medieneinfluss spricht, ist die medienbestimmten Fokussierung auf kontroverse Themen mit klarer Pro- und Kontra-Struktur: Wer polarisiert, hat einen Vorteil. Wer indessen integriert, verliert bereits hier an Terrain. Denn Massenmedien neigen nach Patterson dazu, aus Spannungsgründen Politik als Spiel zu inszenieren, als Wettkampf bei dem es Helden und Versager, Gute und Böse, Gewinner und Verlierer gibt.

Kommentar

Nur schon die allgemeine Einschätzung von Patterson zu Medien und Politik erhellt unsere Erwartungshaltung an die amerikanischen TV-Duelle, die zwischenzeitlich weltweit die Medienberichterstattung bei Wahlen bestimmen. Es geht bei öffentlichen politischen Debatte nicht mehr darum, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Egal um was es geht, eine Politik der Verständigung ist massenmedial gar nicht mehr gefragt. Vielmehr sucht man wie fixiert nach den berühmten 10 Unterschieden. Bei Wahlen, die stets auch Auswahlen sind, kann man damit auch leben. Das Problem aber besteht darin, dass nicht mehr die politischen Inhalte bestimmend sind, sondern meist nur noch die medial inszenierte Persönlichkeiten der KandidatInnen.

Nach Patterson machte es einen Unterschied aus, ob man sich ausschliesslich über das Fernsehen oder im Mix von TV und Printmedien informiert. Das Fernsehen reicht weiter in die Wählerschaft, und es ist bei WählerInnen mit geringerem politischem Interesse die einzige zentrale Informationsquelle. Demgegenüber sind Printmedien bei die interessierteren WählerInnen wichtiger, und die Zeitungen können auch informativer sein.

Wenn man sich die heutigem Realtionen auf die gestrige TV-Debatte ansieht, kann man auch Zweifel an dieser Einschätzung haben. Die hohen Erwartungen an das Duell seien nicht eingelöst worden hört man da. Beide Kandidaten seien bezüglich der Finanzkrise vorsichtig aufgetreten. Und keinem sei es gelungen, sich wirklich vom anderen zu unterscheiden. So bleibt der sichtbarste Gegensatz bestehen: Obama und McCain vertreten je eine andere Generation.

Unentschieden war denn auch das Urteil der meisten Kommentatoren. Das wohl auf den entscheidenden Schlag bei einer der beiden kommenden Sendungen, den wir PolitikkonsumentInnen dannzumal hoffentlich alle gesehen haben werden.

Claude Longchamp

Quelle:
Paul Lazarsfeld, Bernard Berelson, Hazel Gaudet: The people’s choice. How the voter makes up his mind in a presidential campaign. New York 1944.
Thomas E. Patterson: The mass media election. How Americans choose their president. New York 1980.

Wählerprozent und Elektorenstimmen

“Obama überholt McCain”, “Palin-Effekt wirkt”, “McCain in der Defensive” oder “Finanzkrise lässt Obama siegen”. Dies und ähnliches bekam in den letzten Tagen über die amerikanischen Präsidentschaftwahlen zu hören. Die Nominationsversammlungen der Parteien liegen zurück, der Wahlkampft ist in vollem Gange, und die Medien veröffentlichen im Tagesrhythmus Wahlumfragen. Doch was sagt das alles aus?

Darstellung der demokratischen und republikanisch stimmenden Staaten bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen, gewichtet nach Bevölkerungsstärke.
Darstellung der demokratischen und republikanisch stimmenden Staaten bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen, gewichtet nach Bevölkerungsstärke.

Von der Hektik sollte man sich indessen nicht zu stark beeindrucken lassen. Zwar finden die Wahlen in den ganzen Vereinigten Staaten statt, doch gibt jeder Bundesstaat seine Stimmen geschlossen nur für einen der beiden Bewerber ab. Man erinnert sich: Al Gore kam im Jahr 2000 auf 49 Prozent der Stimmen; er lag damals vor George W. Bush. Doch dieser erhielt 4 Elektorenstimmen mehr als sein Kontrahent und gewann so die damaligen Wahlen.

Um zum amerikanischen Präsidenten gewählt zu werden, braucht es 270 Elektoren. Das ist eins mehr als die Hälfte der Abgeordenten im Repräsentantenhaus und im Senat zusammen. Denn jeder Bundesstat hat soviele Elektoren wie Vertreter in Washington.

Zwischenzeitlich gibt es zahlreiche Uebersichten über die Umfragen, die auf der Ebene der Bundesstaaten durchgeführt wurden. Sie alle systematisieren entweder die eigenen oder alle Umfragen und klassieren die Staaten aufgrund der Wahrscheinlichkeit, dass demokratisch oder republikanisch stimmen werden.

Zwar differieren auch hier die Plattformen in den genauen Zahlen. Das hängt damit zusammen, wie man die Staaten mit erwartetem knappen Ausgang klassiert. Doch eines ist allen Uebersichten gemeinsam: Es führt Barack Obama. Nachgeschlagen werden können die Uebersichten beispielsweise auf wikipedia.

Claude Longchamp

PS:
So berechtigt solche Uebersichten für die USA sind, so wenig sagen sie in der Schweiz aus. Zwar finden die schweizerischen Parlamentswahlen auch in den Kantonen statt, doch bei der Bestimmung der Parteistärken zu den Nationalratswahlen kommt das Proprozsystem zum Tragen, das sich erheblich vom Wahlverfahren in den USA unterscheidet.

“Samuel Schmid im Tief” oder “Keine Volkswahl des Bundesrates”

Am Samstag berichtete der “Blick” auf zwei Seiten über eine Umfrage von Isopublic zur Unterstützung der BundesrätInnen, insbesondere zum support von Bundesrat Samuel Schmid. Zusammengefasst wird das Ganze unter dem Titel: “Schmid verliert die Gunst des Volks”. Ich halte mal dagegen, denn der Titel zur Studie hätte heissen müssen: “Keine Volkswahl des Bundesrates”.

Die Brisanz ist klar. Bundesrat Schmid hat bei der Ernennung der Person des Armeechefs einen Fehler gemacht. Er hat das im Bundesrat und in der Oeffentlichkeit selber bestätigt. Der Bundesrat stützt ihn unverändert. In den Worten von Bundespräsident Couchepin ist das Ganze eine virtuelle Krise, – von den Medien entfacht. In der Bevölkerung werde Schmid genauso wie im Bundesrat getragen, so die präsidialen Worte.

Nüchtern betrachtet, legt die Umfrage von Isopublic drei Schlüsse nahe:

. Eine knappe Mehrheit will, dass der Bundesrat im Parlament gewählt wird.
. Eine knappe Mehrheit will, dass Schmid im Amt bleibt.
. Eine knappe Mehrheit misstraut dem VBS-Chef nach dem gemachten Fehler.

Selber gefragt, würde die Bevölkerung zwei Bundesräte nicht wiederewählen: Couchepin (FDP) und Schmid (BDP).

Diese Befunde gelten übrigens weitgehend auch für die einzelnen Parteien. Selbst bei der SVP findet die Aussage, Schmid solle im Amt bleiben, eine Zustimmung von über 50 Prozent.

Die mediale Verarbeitung der Umfrage erfolgte ganz anders. Der “Blick” drehte an der Schmid-Rücktritts-Schraube munter weiter. Ganz nach dem Motto: “Wer angeschlagen ist, darf man weiter schlagen!”

Eine saubere Analyse der Umfrageergebnisse hätte eigentlich einen anderen Schluss nahe gelegt: Die Volkswahl des Bundesrates hat in der Schweiz kaum Tradition. Für das Gros der Menschen in der Schweiz gilt: Die Wahl und Abwahl von BundesrätInnen ist Sache des Parlamentes. Denn gegenüber diesem Gremium muss sich ein Bundesrat in Sachfragen bewähren und die spezifische Unterstützung finden. In der Bevölkerung geht ist die Stimmung mal besser, mal schlechter. Die diffuse Unterstützung, die sich daraus ergibt, ist kein hinreichendes Kriterium die Aufstellung oder Abbestellung eines Bundesrates.

Unvoreingenommen hätte die Geschichte statt “Samuel Schmid im Tief” eigentlich “Keine Volkswahl des Bundesrates!” lauten müssen. Und das Interview hierzu hätte man mit Micheline Calmy-Rey führen sollen.

Claude Longchamp

Erstanalyse des Fahrplanwechslers

(zoon politicon) Der Dokumentarfilm von Schweizer Fernsehen über die Abwahl von Christoph Blocher als Bundesrat mischte die Geschichte neu auf. Nun meldet sich einer der Wortführer des Fahrplanwechsels direkt zu Wort. Andi Gross, selber Politikwissenschafter, Publizist und Politiker, macht seine Diagnose zum wichtigsten Ereignis der jüngsten Zeitgeschichte in der “Berner Zeitung” deutlich. Ich fasse hier die vier Thesen von Andi Gross zu Ursachen und Folgen der Abwahl zusammen, lasse aber die eher parteipolitisch gefärbte Analyse der Parteien des SP-Nationalrates ganz weg.

fahrplan.jpg
Gemeinsam mit KollegInnen untersuchte Andi Gross Ende August 2007 die Möglichkeit der Abwahl von Christoph Blocher als Bundesrat, und lancierte damit als Nationalrat die Kampagne gegen das Regierungsmitglied. Heute analysiert er als Politikwissenschafter, was wie die Abwahl zustande kam und was bisher daraus wurde.

1. These: Die Erklärungsebenen der Abwahl vob Bundesrat Blocher
Die Abwahl von Bundesrat Blocher hat nach Gross hat drei Erklärungsebenen: erstens, den persönlichen Umgang mit ParlamentarierInnen, der beleidigend und erniedrigend war; zweitens, das Kippen von ParlamentarierInnen, die 2003 Blocher gewählt hatten, um ihn zu zähmen und die SVP zu bändigen, bei den Parlamentswahlen 2007 aber enttäuscht wurden, und drittens, der politische Widerspruch zu Blocher und zur SVP, der Verfassungs- und Völkerrecht zum Gegenstand parteipolitischer Gefechte mit Blocher als Schiedrichter machen wollten.

2. These: Die Motivation von Bundesrätin Widmer-Schlumpf
Ueber seine Rolle bei der Suche nach einer Alternative zu Blocher, schweigt sich Gross jedoch aus. Die Wahlannahme durch Eveline Widmer-Schlumpf sieht er doppelt begründet: Sie habe das höchste der irdischen Güter, die man als PolitikerIn anstreben können, angenommen; Kollege Schmid habe ihr auch klar gemacht, dass der Sitz sonst an die CVP gehe.

3. These: Der selbstverschuldete Trugschluss der SVP
Den Aerger der SVP nach der Abwahl versteht Gross; andere Parteien hätten mit vergleichbaren Situationen auch schon umgehen müssen. Die SVP sei nach den erneut gewonnenen Parlamentswahlen übermütig geworden. Sie sei Opfer ihres eigenen Trugbildes, ihrer eigenen Rhetorik und ihrer unscharfen Analyse geworden. Zudem habe sie auf das Erfolgsrezept von 2003 vertraut: «Blocher oder Opposition».

4. These: Die Herausforderung der republikanischen Mehrheit gegen Blocher
Die republikanische Mehrheit, welche Blocher abgewählt hat, steht nach Auffassung von Gross nun in der Verantwortung. Sie müsse verhindern, dass die SVP zu einer Partei mit einem Wähleranteil von 35 Prozent werde. Sie habe ihre Aufgabe noch nicht begriffen und handle aufgrund innerparteilicher Ueberlegungen nicht koordinert. In zentralen Fragen werde sie das aber tun müssen, selbst wenn sie keine Koalition der Sieger werde; vielmehr sieht Gross kleine Konkordanzen kommen, die angesichts des Referendumsdruckes situativ geschlossen werden und ein fallweises Ausscheren auch weiterhin erlauben.

Mein Kommentar
Andi Gross hat seine Fähigkeit bewiesen, sowohl als Politikwissenschafter zu denken, als auch als Politiker zu handeln. Das gilt, was die Abwahl betrifft, und es gilt auch, was die Herausforderungen angeht.

Dabei vertritt Gross seit Jahren eine Position, die in der Politikwissenschaft nicht unbestritten ist. Es geht um das Verhältnis von politischer Konkordanz und direkte Demokratie, das er, anders als die Mehrheit der hiesigen Politikwissenschafter, stets recht flexibel interpretiert hat. Institutionell hat er gute Argumente auf seiner Seite, gegen die kleinen Konkordanzen, gibt es aber auch erhebliche Einwände.

Richtig ist an der Diagnose von Gross, dass es in der Schweiz keine Tradition gibt, in Mehr- und Minderheiten zu denken. Ohne diese Ueberlegungen wäre aber die Abwahl von Blocher nicht möglich gewesen. Sie hat sich hier, fallweise, personenbezogen und als Negativ-Allianz ergeben. Als Positiv-Allianz, die auch thematisch und strategisch denken würde, existiert sie indessen nicht, und ist das Bewusstsein dafür, eine solche zu schaffen, nur schwach entwickelt.

Claude Longchamp

Das Interview in der vollen Länge