Der politische Raum in der Konjunkturpolitik der Schweiz

Unser Institut hat jüngst die Akzeptanz konjunkturpolitischer Programme untersucht. Dabei wurden unter anderem 10 Forderungen getestet, um die Höhe der Zustimmung, aber auch die wichtigsten Konfliktlinien unter den StimmbürgerInnen zu bestimmen.

Beides ist statistisch mit gängigen Prüfverfahren aus der uni-, bi- und multivariaten Statistik leistbar, für die Ergebniskommunikation aber wenig geeignet. Genau da bieten sich die Stärken der multidimensionalen Skalierung an, die komplexe statistische Ergebnisse visuell darstellt.

Produziert werden dabei zweidimensionale Karten, die sich ähnlich wie Landkarten lesen. Kennen zwei Städte, die auf einer Karte weit auseinander liegen, meist nur geringe Gemeinsamkeiten, ist das auch bei Indikatoren aus Befragungen so. Was nahe beeinander liegt,ist dagegen verwandt, das heisst es wird von vergleichbaren Menschen befürwortet (oder abgelehnt).

konjunktur

Die Anwendung auf unsere konjunkturpolitische Abklärung ist obenstehend abgebildet. Dabei entspricht die x-Achse der Zustimmungshöhe zu den Forderung. Was im Westen der Karte erscheint, geniesst eine dezidierte Zustimmung, während bei Forderungen im Osten das Gegenteil der Fall ist.

Entscheidender noch ist die y-Achse, den sie zeigt auf, von wo die politische Zustimmung überdurchschnittlich erfolgt. Forderungen mit sehr hoher Befürwortung befinden sich auf dieser Dimension in der Achsenmitte. Forderung mit einer mittlere Zustimmung können aber eher rechts, linke oder Mitte-Potenziale ansprechen, während Forderung, die mehrheitlich abgelehnt werden von den eindeutig von den politischen Polen stammen.

Die Resultateinterpretation lautet demnach:

Erstens, von den gegenwärtig diskutierten konjunkturpolitischen Massnahmen kennen die Sicherung der Arbeitsplätze, die Befristung von Massnahmen und die Vermeidung von Steuererhöhung die höchste und parteipolitisch kaum profilierte Zustimmung. Aehnlich ist die Bewertung von Forderungen, wie nachhaltige Investition im Bau zu tätigen resp. die Ausagendisziplin beizubehalten, wenn sich auch hier minimale Einflüsse aus der links/rechts-Positionierung der Befragten ergeben.

Zweitens, mehrheitsfähige Positionen mit einem eindeutig überdurchschnittlichen rechten Zustimmungsprofil sind Forderungen wie sozialpolitische Ausgaben in Krisenzeiten schwächen den Wirtschaftsstandort Schweiz resp. wie nur jene Massnahmen zu realisieren, die kurzfristig eine gesicherte Wirkung zeigen. Umgekehrt kann man festhalten, dass die Ankurbelung der Wirtschaft durch Sozialausgaben eine mehrheitsfähig linke Massnahme darstellt. Dazu gehört auch, dass man mit Mehrausgaben Rezession verhindern kann.

Drittens, schliesslich gilt, dass Steuersenkungen als Massnahme gegen die Wirtschaftskrise in der Schweiz als eindeutig von rechts unterstützte Forderungen identifiziert werden können, deren Zustimmung keine Mehrheit findet, weil sie klar aus dem rechten politischen Lager unter den StimmbürgerInnen kommt.

Das MDS-Verfahren erstellt solche Uebersichten über Häufigkeit und zentrale Konfliktlinie, die aus einer Mehrzahl von Indikatoren abgeleitet werden müssen, rasch und zuverlässig, sodass sie als gültige Objektivierung politischen Forderungen im politischen Raum verwendet werden können.

Claude Longchamp

Ganzer Bericht

Staatsbankrotte nicht auszuschliessen

Seit Islands Regierung am 16. Oktober 2008 bekannt gab, ein Anleihe der verstaatlichten “Glitnir-Bank” von 750 Millionen US-Dollar nicht zurückzuzahlen, gilt der Staat auf der Atlantikinsel als zahlungsunfähig. Im Volksmund nennt man das Staatsbankrott, – ein Phänomen, das sich bald schon wieder vermehren könnte.

spiegel

Heiner Flassbeck, führender Oekonom der Uno-Organisation für Handel und Entwicklung (Unctad), schliesst Staatsbankrotte nicht mehr aus. “In der Europäischen Union ist die Gefahr sehr gross”, denn viele Länder hätten in den vergangen Jahren über ihre Verhältnisse gelebt und riesige Schulden aufgetürmt. Besonders bedroht erscheinen ihm im Moment Irland, Griechenland und Spanien sowie verschiedene Länder in Osteuropa ausserhalb der EURO-Zone. Deshalb begrüsst er eine Gemeinschaftsanleihe der EU, wie das jüngst auch Oesterreichs Aussenminister Michael Spindelegger gefordert hatte, “um überraschende Effekte auszuschliessen, an den wir alle zu beissen haben”.

Die Volkswirtschaft definiert Staatsbankrott (oder Staatsinsolvenz) als förmliche Erklärung einer Regierung, fällige Forderungen nicht mehr oder nur noch teilweise erfüllen zu wollen resp. als faktische Einstellung fälliger Zahlungen. Beim Staatsbankrott bereinigt der Staat seine Schulden zulasten seiner Gläubiger, meist mit negativen Folgen für sich selber, die Wirtschaft, die BürgerInnen und die KonsumentInnen.

Als Ursachen für Staatsbankrotte sind bekannt:

. der Untergang eines Staates (Deutschland 1923 nach dem Ersten resp. 1948 Zweiten Weltkrieg)
. die Ueberschuldung eines Staates (Kaisertum Oesterreich 1811, Osmanisches Reich 1876)
. die politisch motivierte Weigerung, nach einem Regierungswechsel die Schulden der vorherigen Regierung nicht zu übernehmen (1918 die Sowjetregierung)

Beispiele aus der Gegenwart sind nebst dem erwähnten Fall von Island Russland (1998) und Argentinien (2002).

Eine Möglichkeit, die Wahrscheinlichkeit eines Staatsbankrott in den nächsten 10 Jahren strukturell abzuschätzen, ist die Credit Default Swap Prämie (CDS). Demnach sind die Ukraine, Pakisten, Argentinien und Venezuela mittelfristig gefährdet. Vor Island rangierten anfangs 2009 auch der Irak, Kasachstan, Lettland und Dubai. In der EU gelten Rumänien, Bulgarien und Ungarn als von einer Pleite strukturell bedrohte Staaten.

Meines Wissens gibt es keine diesbezüglichen Angaben zur Schweiz, auch nicht zu den verschiedenen Kantonen. Interessant wären sie aber!

Claude Longchamp

G-20: die Koordination der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer findet ohne die Schweiz statt

Die Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G-20) besteht aus 19 Staaten und der Europäischen Union. Sie ist ein informeller Zusammenschluss, um sich in Fragen des internationalen Finanzsystem zu konsultieren und zu koordinieren. Seit neuesten dienen diese Zusammenkünft als Weltfinanzgipfel, um gegen die aktuelle Finanzkrise vorzugehen.

800px-g20_svg

An den Treffen der G-20 nehmen die Finanzminister und Zentralbankchefs der G7 und zwölf weiterer Staaten, die EU-Präsidentschaft, der Präsident der Europäischen Zentralbank, sowie die Spitzen der internationalen Währungs- und Finanzorganisationen teil.

Die gegenwärtigen Mitgliedstaaten sind Argentinien, Australien, Brasilien, die Volksrepublik China, Deutschland, Frankreich, Indien, Indonesien, Italien, Japan, Kanada, Mexiko, Russland, Saudi-Arabien, Südafrika, Südkorea, die Türkei, das Vereinigte Königreich und die USA sowie die Europäische Union.

In der Gruppe der Zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer leben rund 62 Prozent der Weltbevölkerung, die rund 77 Prozent des Welt-Bruttonationaleinkommens vereinigen.

2008 fand auf Initiative des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und des englischen Premierministers Gordon Brown erstmals ein Weltfinanzgipfel statt, an dem ausser den G-20-Mitgliedern auch Spanien und die Niederlande teilnahmen. Er soll am 2. April 2009 in London fortgesetzt werden.

Die zentralen Themen werden die neue, von Gordon Brown vorgeschlagene Finanzarchitektur und die aktuellen Krisenbewältigung sen. Ziel ist es Protektionismus und Wettbewerbsverzerrungen zu ermeiden. Gordon Brown kündigte jüngst an, das Vorgehen gegen Steueroase mit hoher Priorität zu behandeln. Zur Vorbereitung dieses Gipfel am 2. April 2009 in London treffen sich die G-20 Mitglieder an diesem Wochenende in Berlin.

Die Schweiz hat sich letztmals am WEF in Davos bemüht, unter die 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer aufgenommen zu werden. Grossbritannien lehnt einen analogen Status wie ihn Spanien und die Niederlande kennen ab. Die Schweiz, und mit ihr die Finanzplätze Zürich und Genf, bleiben von den Verhandlungen ausgeschlossen.

Claude Longchamp