Im Bundesrat ist die SVP besser vertreten als in den Kantonsregierungen.

In Volkswahlen kommt die SVP auf knapp 12 Prozent der Regierungsmitglieder – auf Kantonsebene. Im Bund stellt sie mit Ueli Maurer 14 Prozent der BundesrätInnen.

110111.111218_beatrice_metraux2-184
Die neugewählte Waadtländer Regierungsrätin Béatrice Metraux verschob einen (weiteren) Sitz der SVP zur GPS.

Der Kanton Waadt hat gewählt. Die neue Regierungsrätin heisst Béatrice Metraux. Die grüne Gemeinderätin aus Bottens ersetzt den im vergangenen September verstorbenen SVP-Regierungsrat Jean-Claude Mermoud. Neu hat damit Rotgrün die Regierungsmehrheit im grössten Kanton der französischsprachigen Schweiz, genauso wie in Bern und Baselstadt.

In der Westschweiz ist die SVP mit dem heutigen Tage wieder flächendeckend in der Opposition. Denn mit dem Scheitern der Kandidatur von Pierre-Yves Rapaz ist die SVP in keine Kantonsexekutive mehr der französischsprachigen Kantone vertreten. Selbst mit der Empfehlung bürgerlicher Parteien gelingt es der SVP nicht (mehr), den Durchbruch zur Mehrheit zu schaffen. Zu gering ist entweder die Mobilisierung oder die Unterstützung durch die bürgerlichen WählerInnen.

Damit besteht in den welschen Regierungen Gleichstand mit dem Ständerat, ebenfalls überwiegend nach dem Majorzverfahren bestimmt. Denn die SVP stellt in der kleinen Kammer keinen Standesvertreter französischersprachiger Zunge. Genauso wie die SVP im Tessin keinen Regierungs- oder Ständerat hat.

Anders verhält es sich in der deutschsprachigen Schweiz. 18 Regierungsräte zählt die SVP da. Im Kanton Schaffhausen und Thurgau stellt sie gar 2 von 5, in den Kantonen Appenzell-Ausserrhoden, Nidwalden, Schwyz, Zug und Zürich hat sie eine Doppelvertretung im jeweiligen Siebnergremium. Hinzu kommen je 1 SVP –Regierungsrat im Aargau, in Bern, in St. Gallen und in Uri.

Klar besser vertreten sind in den Kantonsregierungen die FDP, CVP, aber auch die SP und die GPS. Letztere ist die eigentliche Siegerin des Jahres, denn sie schaffte in den Kantonen Basellandschaft, Zürich und Freiburg den Einzug in die Regierung, und in der Waadt ist sie erstmals mit 2 Vertreterinnen präsent.

Genau umgekehrt entwickelte sich 2011 die SVP. In Baselland und der Waadt gingen ihre Sitze direkt an die Grünen, während sie den Einzug in Luzern verpasste, ebenso im Tessin und Freiburg. Einzig in den Kantonen Zürich und Appenzell Ausserrhoden fanden ihre beiden Regierungsräte Bestätigungen.

Bilanziert man die SVP-Stärke in den Kantonen kommt man auf knapp 12 Prozent. Das ist rund die Hälfte des Wähleranteils bei den kantonalen Parlamentswahlen. Genauso wie auf Bundesebene. Es zeigt, dass die SVP nicht nur im Bundesbern Mühe hat, ihre Kandidaten in der Bundesversammlung durchzubringen. Auch in Volkswahlen kommt sie mit ihren aktuellen Bewerbungen ausserhalb der eigenen Partei nicht überall gut an. Denn mit einem von sieben BundesrätInnen stellt die SVP auf schweizerischer Ebene 14 Prozent der Regierungsmitglieder.

Das alles läst nur einen Schluss zu: Die SVP hat neuerdings verbreitet Mühe, mehrheitsfähige KandidatInnen zu stellen. In Proporzwahlen schneidet sie seit 2 Jahrzehnten als wählerstärkste Partei ab, bei Majorzwahlen 2011 agiert sie aber in erheblichem und wachsendem Masse isoliert.

Claude Longchamp

Von der Strategie der SVP bei den Bundesratswahlen

Eigentlich ist alles ganz einfach: Die SVP will in den Bundesrat, mit 2 Hardlinern und 2 FDP-Vertreter, um die Mehrheit unter Ausschluss der CVP zu sichern. So wie es vor der Abwahl von Christoph Blocher der Fall war. Dabei überschätzte sie sich bei den jüngsten Wahlen selber, und unterschätzte sie die Entschlossenheit der Allianz hinter Eveline Widmer-Schlumpf; sie schätzte auch die Geschlossenheit der CVP falsch ein, als sich die Fraktion von den anfänglichen Zielen der Partei abzuwenden begann.

topelement
Verwässerung der Strategie bis zur Unkenntlichkeit: SVP-Spitze nach der Wiederwahl von Bundesrätin Widmer-Schlumpf

Zur Strategie der SVP
In der einfachsten Definition handelt es sich bei einer Strategie um den möglichst direkten Weg von einem Ist- zu einem Soll-Zustand zu kommen. Abweichung davon sind möglich, indessen nur mit der Verwässerung der Strategie.

Der Ist-Zustand ergab sich im konkreten Fall aus der Abwahl von Christoph Blocher aus dem Bundesrat. Der Soll-Zustand leitet aus dem Ziel ab, die parteipolitische Zusammensetzung des Bundesrats zwischen 2003 und 2007 wieder anzustreben, die berühmt gewordene “Wiederherstellung der Konkordanz” also: 2 Vertreter der SVP, 2 der SP, 2 der FDP und 1 der CVP. Schritt 1 vollzog man Ende 2008 mit der Wahl von Ueli Maurer. Nun sollte Schritt 2 erfolgen, durch die Abwahl von Eveline Widmer-Schlumpf und ihren Ersatz durch einen SVP-Bundesrat, der, ohne Abstriche, das Gedankengut der Partei in die Bundesregierung einbringt.

Phase 1: Der Wahlkampf
Bis zum 23. Oktober 2011 schien diese Ziel erreichbar: Die SVP strebte bei den Nationalratswahlen 30 Prozent Wähleranteil an und wollte ihre Vertretung im Ständerat klar erhöhen. Beabsichtigt war eine Schwächung der CVP. Zulegen wollte dman durch eine verbesserte Mobilisierung, indessen nicht mehr von WechselwählerInnen der FDP profitieren, denn auf die Stärke dieser Partei würde es am Tag X ankommen. Vier Sitze für SVP und FDP schienen mit dem Support der rechten Kleinparteien wie die Lega möglich.

Wir wissen es: Es kam anders. SVP und FDP verloren bei den Nationalratswahlen zusammen 5 Prozent WählerInnen-Anteil; es reichte für 42 Prozent. Auch bei den Ständeratswahlen gab es für beide Parteien Verluste. Gestärkt wurden die neuen Kleinparteien wie BDP und GLP, aber auch die SP legte an Sitzen zu. Der Durchmarsch der SVP bei den Bundesratswahlen war vorerst so gestoppt. Zudem, die Favoriten für einen Posten im Bundesrat fielen bei den Ständeratswahlen durch: Fraktionschef Caspar Baader wurde nicht gewählt, Parteipräsident Brunner scheiterte, sein Vize, Adrian Amstutz, wurde gar abgewählt. Auch für Jean-Francois Rime und Guy Parmelin reichte es nicht. Das Kompliment einer Mehrheitswahl hatte damit keiner der Favoriten. Das Ende der Phase 1.

Phase 2: Die neue Personalsuche
Ohne personelle Kompromisse würde es nicht gehen. Blocher portierte Regierungsräte aus der zweiten Reihe, gemässigte Fraktionsmitglieder mobilisierten ihre Kollegen. Denn ohne Alternativen bei den Kandidaten würden nur der Angriff auf andere Parteien bleiben, was sich mit dem Slogan zur Konkordanz nicht vertrug.
Die entscheidende Avance kam aus den Reihen der CVP; ähnlich wie die GLP verschloss sie sich einer Zweiervertretung der SVP nicht, wenn der Kandidat aus der Deutschschweiz genügend Distanz zur Führungsriege haben würde. Das Dilemma der Partei, das in Partei und Fraktion zu unterschiedlichen Antworten führen konnte, erkannte die “Weltwoche” frühzeitig und plädierte für eine Kandidatur von Nationalrat Peter Spuhler bei gleichzeitiger Firmenübernahme durch Blocher. Der Deal platzte am Desinteresse des Thurgauers.

In der Phase 2 änderte die SVP ihr Ziel nicht wirklich, passte es aber mit einem Angebot an die CVP. MIt dem nötigen Rückhalt der Fraktion und Parteispitze wurde Bruno Zuppiger, Präsident der Schweizerischen Gewerbeverbandes, nominiert. Christophe Darbelley hatte ihn, wiederum in der “Weltwoche”, demonstrativ gelobt. Diese “Weltwoche” war es allerdings, die Zuppiger, kurz nach der Nomination, mit einem gezielten Artikel diskreditierte. Die Interpretationen gehen auseinander: für Viele im Bundesbern geschah das mit Absicht, für einige mit Tolerierung der SVP-Spitze, während sich diese selbst trotz Wissen um Hintergründe überrascht gab. Ein Einer-Ticket mit Rime lehnte die FDP, die wichtigste Bündnispartnerin, ab, denn mit einem Romand war die anvisierte Bündnerin sicher nicht zu schlagen. Nachnominiert wurde Hansjörg Walther, der frisch gewählte Nationalratspräsident – mit der Hoffnung, via Bauern-Netzwerk die Phalanx zugunsten von Eveline Widmer-Schlumpf brechen zu können. Der Plan zeigte zwar gewisse Wirkungen, indessen nicht im erwarteten Ausmass, denn die CVP hatte grossmehrheitlich eine von Kandidaten unabhängige Position eingenommen und für die BDP stand die Wahl eines weiteren SVPlers in den Bundesrat ausser Diskussion. Selbst die GLP kippte, nachdem das Verfahren für Viele aus dem Tritt geraten war.
Nun zeichnete sich ab, dass auch die modifizierte Strategie scheitern würde, denn es blieb nur noch das Angebot der SP, mit einem Angriff auf die FDP zum Ziel zu kommen. Peter Spuhler sondierte übers Wochenende vor der Wahl die Unterstützung hierfür; Rime war bereit, Walther nicht.

Phase 3: Die Hektik der letzten Stunden
Die Phase 3 umfasst die Stunden vor und während der Wahl. Bestimmt war sie von der SVP-Hoffnung, die Abwahl von Eveline Widmer-Schlumpf gelinge aus der Dynamik des Verfahrens heraus. Nötig wäre gewesen, dass Widmer-Schlumpf in der ersten Runde das absolute Mehr verfehlen würde und Walther ihr im zweiten Wahlgang gefährlich nahe gekommen wäre. Auch hier kam es anders: Denn die Allianz aus SP, CVP, BDP, unterstützt von GPS und GLP, hielt weitgehend, sodass die BDP-Bundesrätin auf Anhieb mit 131 Stimmen gewählt wurde. Zudem teilten sich die Stimmen für die SVP-Kandidaten, indem Walther und Rime je ihren Support bekamen, jedoch weit weg von anvisierten Ziel waren.

Was jetzt geschah, verdient den Titel “Strategie” gar nicht. Ursprünglich angekündigt war von der SVP, die Wahlen zu unterbrechen, um sich neu aufstellen zu können. Dann erwartete man nach der Wahl von Widmer-Schlumpf eine Erklärung von Caspar Baader, der den Bruch mit der Konkordanz festhalten würde, womit sich die SVP frei fühlen konnte, jeden weiteren Sitz anzupeilen. Beides geschah nicht, wohl auch deshalb, weil das auch die Wiederwahl von Ueli Maurer gefährdet und die direkte Opposition bedeutet hätte. Zur allgemeinen Ueberraschung passierte es aber auch nicht bei der Bestätigung von Didier Burkhalter. Fast schon glaubte man, die SVP habe kapituliert.

Erst als die Wiederwahl von Sommaruga an der Reihe war, kündigte der SVP-Fraktionspräsident an, Rime stehe als Herausforderer in allen Wahlgängen zur Verfügung, während sich Walther aus dem Rennen genommen habe. Der Angriff auf die FDP wurde damit begründete, die Partei habe abmachungswidrig nicht geschlossen für die SVP und gegen die BDP gestimmt, was die Fraktionspräsidentin jedoch energisch bestritt. Nach Zeitungsberichten habe es sich um eine abrupt beschlossene Gegenoffensive des Strategiechefs Christoph Blocher gehandelt. Auch dieses Ergebnis kennen wir: Rime scheiterte drei Mal – mit abnehmender Stimmenzahl, die schliesslich unter der SVP-Fraktionsstärke war.

Drei Fehleinschätzungen der SVP
Es zeichnen sich drei Fehleinschätzung ab: Zuerst die erwarteten Wahlsiege im National- und Ständerat; dann die Unterschätzung der Eveline Widmer Schmid-Allianz, schliesslich der Grad an Ent- und Geschlossenheit der CVP. Das führte dazu, dass nur das ungeliebte Angebot der SP blieb, wechselweise als Falle Levrats oder als Geiselhaft durch die SP tituliert. In der Tat gab es für die SVP gute Gründe, nicht darauf einzusteigen, denn es war damit verbunden, auf die Abwahl von Widmer-Schlumpf zu verzichten und es hätte aus FDP-Reihen den Vorwurf provoziert, selber die Konkordanz brechen zu wollen. Denn die doppelte Doppelvertretung war das gemeinsame Interesse von SVP und FDP, sich gegen den BDP-Anspruch zu stellen. Das hatte nicht nur eine machtpolitische Begründung; es war auch dadurch legitimiert, dass die Mehrheit für beide Parteien nur durch einen dritten Sitz für die SVP in der Zukunft oder durch die Rückeroberung des zweiten Sitzes der FDP nach den Wahlen 2015 möglich geworden wäre. Beides erschien unwahrscheinlich.

Mit anderen Worten: Die Bundesratswahlstrategie der SVP scheiterte, weil man sich erstens mit der Kritik an der Personenfreizügigkeit im frühen Wahlkampf überschätzte und nicht von einer Gegenreaktion aus Wirtschaft und Politik ausging; zweitens weil man die Konkurrenz unterschätzte, die Widmer-Schlumpf teils aus personellen Gründen, vor allem aber auch aus inhaltlichen Grünen wiederwählte, um den Ausstieg aus der Atomenergie zu sichern; und drittens, weil man die CVP falsch einschätzte, die im Wahljahr aber immer deutlicher von der Fraktions- wie auch der Parteispitze Richtung Einheit geführt wurde.

Das alles hat auch mit dem wiederholt inszenierten Fremdbild der “anderen Parteien” in der SVP selber zu tun. Es geht davon aus, dass praktisch die ganz FDP und eine kleine, aber entscheidend Minderheit der CVP zur SVP hält, wie das 2003 bei der Wahl von Christoph Blocher in den Bundesrat der Fall war. Dem ist teilweise seit den letzten Wahlen nicht mehr so, denn die CVP kümmert sich um den Neuaufbau der politischen Mitte, und die FDP weiss ihre Position personal- und sachpolitisch mit Bündnissen in alle Richtung geschickt zu halten, auch wenn elektorale Erfolge ausbleiben. Die SVP wiederum hat sich immer mehr von den früheren Partnern isoliert, indem sie ihre Attraktivität bei Proporzwahlen maximiert hat, dabei aber übersah, dass das bei Majorzwahlen zum Problem wurde – egal, ob die Wahlberechtigten oder die National- und StänderatInnen die Entscheidungen fällen.

Weiterhin zwischen Regierungsverantwortung und Oppositionspolitik
Einmal gestartet, war der Plan, den zweiten Bundesratssitz zum Maximaltarif zurückzuerobern, nicht mehr zu stoppen; man konnte nur noch die Ziele bis zu ihrer Unkenntlichkeit verwässern. Oder aber man verfolgte angesichts des voraussehbaren Scheiterns mindestens am Schluss auch eine ganz andere second best Variante: den Gang in die Opposition.

Ob es dazu kommt oder nicht, bleibt offen. Es zeichnen sich Widerstände in der Fraktion und den Kantonalparteien mit vom Volk gewählten Regierungsräten ab. Es bleibt jedoch die Herausforderung, ohne Positionsänderung rechts wieder wachsen zu müssen. Halb Regierung, halb Oppositionspartei dürfte die Losung. «Wir müssen nicht mehr mithelfen, jeden Dreck zuzudecken», kennzeichnet Strategiechef Christoph Blocher diese Position im Nachhinein – dick übertüncht mit lauten Klagen, alles getan zu haben, um zum Erfolg zu kommen, aus Gründen der willentlichen Demütigung aber ausgegrenzt worden zu sein.

Das wichtigste Signal hierzu sendete am Wahltag Ueli Maurer aus. Ihm kommt in dieser Frage die Schlüsselrolle in der Vermittlung von Regierung und Opposition zukommt. Seine Wiederwahl verfolgte er mit den Wahlmitgliedern; er hielt sie tief, dafür die Wut hoch, weil Kollegin Widmer-Schlumof nicht abgewählt worden sei – vor laufender Fernsehkamera. Nun wird er alleine SVP-Bundesrat sein, der zweitbesten und auch zweitschlechtesten Variante. Denn eines wollte die SP von Anfang an nicht: Mit zwei Bundesräten eingebunden zu sein und mit der CVP oder BDP Mehrheiten für die eigene Politik im Bundesrat suchen zu müssen. Der Bruch von 2007/8 wirkt offensichtlich nach – bis in den heutigen Bundesrat.

Claude Longchamp

Die Schweiz hat einen alt-neuen Bundesrat

Ich hatte gestern einen unvorhergesehenen Eingriff, der mir seither den Mund verbietet. Mit Reden ist heute nichts, deshalb schaue ich die Bundesratswahlen am Fernseher zu – und protokolliere und kommentiere sie als Blogger.

SWITZERLAND-POLITICS-GOVERNMENT
Der Bundesrat 2012-2015 bei seiner Vereidigung

Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey macht einen glücklich Eindruck, als sie vor der Vereinigten Bundesversammlung verabschiedet wurde. Erinnert wurde an ihren Satz beim Antritt, eine aktive und sichtbare Aussenpolitik betreiben zu wollen, denn in der direkten Demokratie wäre alles andere falsch; in der Tat, sämtliche Volksabstimmungen aus ihrem Departement gingen während ihrer Regierungszeit im Sinne der Behörden aus. Da heisst nicht, dass sie sich selber nur lobte, denn sie erwähnt auch die zu geringe Präsenz der Schweiz in der Welt dar. Die Rücktrittsrede für MCR, wie sie bei Insidern hiess, hielt nicht wie es die Tradition will Nationalratspräsident Hansjörg Walther, sondern Hans Altherr, sein Kollege auf dem obersten Stuhl im Ständerat. Denn Walther wird selber Kandidat sein, wenn es um die Nachfolge von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf geht. Und damit sind wir beim Thema: Die Gesamterneuerungswahl des Bundesrates der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Als einziges Parlament der Welt wählt die Bundesversammlung die Mitglieder der Regierung. Sie macht es Sitz für Sitz – in Einzelwahlen. Das ist nicht ohne, denn der Bundesrat muss anschliessend als Kollegium funktionieren.

Die Erklärungen der FraktionspräsidentInnen
Vor der Wahl erklären sich die FraktionspräsidentInnen. Sie erklären die Entscheidungen von gestern und heute. Insgesamt bemühen sie sich um Zurückhaltung, denn sie wissen, dass heute viel auf dem Spiel steht.

SVP: Zuerst spricht Caspar Baader von der SVP. Er zeichnet ein düsteres Bild des Umfeldes der Schweiz, was ein konkordantes Verhalten bei der Bundesratswahl bedinge. Diese Wahl habe nach der Grösse der Partei zu erfolgen. Er empfiehlt Jean-François Rime und Hansjörg Walther als Kandidaten für den Sitz von Widmer-Schlumpf. Zudem wolle man Doris Leuthard und Ueli Maurer wählen, während er alles andere offen lässt.
SP: Ursula Wyss, die Sprecherin der SP, kritisiert anschliessend, dass der rechte Block, der bei der Parlamentswahl 16 Sitze verloren habe, gestärkt werden wolle. Die SP anerkenne den Anspruch der SVP auf 2 Sitze, aber nur, wenn sie gegen die FDP antrete. Wyss erklärt, die SP werde heute alle bisherigen Regierungsmitglieder wiederwählen. Es werde keine Spielchen mit den Stimmen der SP geben, nicht zuletzt, damit einer der SP-Kandidaten als Nachfolger für Genfer SP-Bundesräte werde.
FDP: Für Gabi Huber von der FDP geht es heute mehr als um Harmonie, sondern um die Wahl des Bundesrates. Sie plädiert für die Rückkehr zur Zauberformel, bestimmt nach dem Wählerwillen, denn nur die Konkordanz lasse Volksrechte zu. Ihre Fraktion werde deshalb 2 SVP wählen; sie empfiehlt auch die beiden FDP-Bundesräte zur Wiederwahl.
CVP/EVP: Urs Schwaller spricht für die CVP/EVP-Fraktion und lobt CVP-Bundesrätin Doris Leuthard als künftige Bundesrätin. Im übrigen will seine Gruppe alle bisherigen Bundesräte bestätigen und wird einen der beiden SP-Kandidaten unterstützen. Ziel sei es die Kontinuität und Stabilität zu sichern. Eine Abwahl von Widmer-Schlumpf lehnt er ab, denn die Untervertretung der SVP durch die SVP selber geschaffen worden.
GPS: Antonio Hodgers, Fraktionspräsident der Grünen, meint, es bestehe keine Konkordanz, was Konkordanz sei; deshalb seien die Mitglieder frei, das zu wählen, was sie für das Beste halten. Er will so eine Regierung schaffen, die allgemeine Orientierung gebe, die nötig seien, wie zum Beispiel in der Energiepolitik.
GLP: Gemäss Sprecherin der GLP, Tiana Moser, werde man anders als angekündigt der SVP keinen zweiten Sitz gewähren. Angesichts des missglückten Nominiationsverfahrens sei das Vertrauen in die SVP gesunken. Vielmehr wird man Eveline Widmer-Schlumpf wiederwählen; sie empfiehlt zudem Alain Berset als neuen SP-Bundesrat.
BDP: Schliesslich empfiehlt Hansjörg Hassler Eveline Widmer-Schlumpf aus Ueberzeugung als Bundesrätin. Der Sonderfall sei nicht von der BDP, sondern von der SVP mit dem Ausschluss ein ganzen Kantonalpartei geschaffen worden. Er lobt sein Regierungsmitglied auch wegen ihrer bisherigen Arbeit in der Bankenfrage genauso bei der Energiewende: befliessen, konsequent und mutig sei ihr Handeln.

Die Wahl
Nach einer Stunde schreitet man zur Wahl. Wahlberechtigt sind 245 ParlamentarierInnen, denn Peter Föhn, SVP-Ständerat aus dem Kanton Schwyz, konnte wegen einer Wahlbeschwerde nicht rechtzeitig vereidigt werden. Das absolute Mehr liegt demnach bei 123 Stimmen.

Als Erste wird die Doris Leuthard wiedergewählt. Sie schafft es komfortabel mit exzellenten 216 von 227 gültigen Stimmen. Sie weiss damit fast die ganze Bundesversammlung hinter sich.
Damit steigt die Spannung, denn es geht es um die vielbeachtete Besetzung des Sitzes von Eveline Widmer-Schlumpf. Und sie schafft es auf Anhieb! Sie vereinigt 131 Stimmen auf sich; 63 sind für Hansjörg Walther und 41 entfallen auf Jean-Francois Rime. Mitte/Links hat sich damit durchgesetzt, SVP und FDP haben ihre gemeinsame Stimmkraft auf die beiden SVP-Kandidaten verteilt – fast genau im Verhältnis der beiden Fraktkionen und ihren Zugewandten. Damit ist auch diese Entscheid eindeutig. Der von der SVP angekündigte Unterbruch der Wahl bleibt aus, während bei der BDP die Freude gross ist. Bei der SVP wird in den Wandelhallen die Volkswahl des Bundesrats wieder ins Spiel gebracht. Doris Fiala, FDP-Nationalrätin meint, Goethe zitierend, an die Adresse der SVP: “Wer das oberste Knopfloch verfehlt, hat Mühe mit dem Zuknöpfen”.
Ueli Maurer, bisherige SVP-Bundesrat, ist mit 159 Stimmen gewählt worden. 41 ParlamentarierInnen stimmten für Hansjörg Walther, 13 für Luc Recordon von der GPS. Damit macht Maurer ein gutes Resultat – und distanziert sich klar von Walther, der ihm als einziger hätte gefährlich werden können.
Unbestritten ist die Wiederwahl von Didier Burkhalter, dem ersten Romand und FDP-Bundesrat, der wiedergewählt werden muss. Son résultat: 194 voix! Jean-François Rime est retenue par 24 parlamentaire.
Das Wahlprozedere wird an dieser Stelle unterbrochen. Caspar Baader fordert einen zweiten Bundesratssitz für die SVP, bevor es um die Wiederwahl von Simonetta Sommaruga geht. Er erklärt, dass Hansjörg Walther nicht mehr zur Verfügung steht, dass man aber Jean-François Rime in den Bundesrat wählen solle – er treten bei jedem Wahlgang an, denn die FDP habe nicht geschlossen für die SVP gestimmt. Ursula Wyss kontert: Die Ankündigung sei ein simpler Racheakt, der nicht erstaune. Denn seit 10 Jahren trete die SVP bei jeder SP-Wahl als Konkurrentin an. Sie bittet die anderen Fraktionen, jetzt Wort zu halten. Die FDP schweigt offiziell, inoffiziell wird das Störmanöver der SVP kritisiert.
Trotz SVP-Attacke: Simonetta Sommaruga wird mit glanzvollen 179 Stimmen gewählt. Rime kommt auf 61 Stimmen, der Stärke seiner Fraktion. Die Antwort der anderen Parteien ist damit auch klar.
Nun kommentiert die FDP-Fraktionspräsidentin die Lage. Sie beschuldigt die SVP, mit ihrem Pauschalangriff auf bisherige Bundesräte unglaubwürdig geworden zu sein. Für ihre Fraktionsmitglieder lege sie die Hand ins Feuer, dass sie im zweiten Wahlgang für die SVP gestimmt hätten. Sie brüskiere damit ihren einzigen Verbündeten bei Bundesratswahlen. Sie empfiehlt die Wiederwahl von Johann Schneider-Ammann, dem ehemaligen Unternehmer, der die Sozialpartnerschaft hoch halte und hinter dem alle, ausser der SVP stehen.
Die Vereinigte Bundesversammlung gibt auch hier ihre eindeutige Antwort. Gewählt ist mit respektablen 159 Stimmen Johann Schneider-Ammann. Rime kommt in diesem Wahlgang auf 64 Stimmen. Auch hier ist die Analyse recht einfach: Alle Fraktionen stimmten grossmehrheitlich entsprechen den Empfehlungen.
Zum Schluss steht die Wahl eines neuen SP-Kandidaten an. Ursula Wyss präsentiert in Französische die beiden Kandidaten, Pierre-Yves Maillard, Waadtländer Regierungsrat, und Alain Berset, Freiburger Ständerat.
Im ersten Wahl lautet das Ergebnis: Absolutes Mehr ist 122. Stimmen haben erhalten: Berset 114, Maillard 59, Rime 59, Marina Carrobio 10. Da keine Kandidatur das absolute Mehrheit erreicht hat, findet hier ein zweiter Wahlgang statt. Favorit ist mit diesem Resultat aber der Freiburger Alain Berset. Sein Ziel verfehlte er knapp, letztlich wegen einer dispersen Gegnerschaft, bestehend aus Tessiner PolitikerInnen, aus SVP-Stimmen und einer gewissen Uneinigkeit der Mehrheit bezüglich der beiden Kandidaten.
Im zweiten Wahlgang wird Aain Berset mit 126 Stimmen gewählt. Die anderen Stimmen gehen zu 64 an Maillard und an 53 an Berset. Der 39jährige Freiburger Oekonom erklärt unmittelbar danach in vier Sprachen die Annahme der Wahl.

Der Kommentar
Die Bundesratswahl 2012 ist vorbei. Gewählt wurde der Status Quo. Die Schweiz in der Bedrohung entschied sich, keine bisherigen BundesrätInnen abzustrafen grösstmöglichen personalpolitischen Konsens zu suchen. So wurden alle amtierenden Reigerungsmitglieder teilweise mit sehr guten Stimmenzahlen wiedergewählt. Für die zurückgetretene Micheline Calmy-Rey zieht der bisherige Freiburger Ständerat Alain Berset in die Bundesregierung ein.

Anders als im Vorfeld medial vielfach vermutet, gab es keine Ueberraschungen, und es brauchte es nicht unzählige Szenarien, um die Mechanik der Bundesratwahlen zu durchschauen. Zu hoch waren die Interessen der bestehenden BundesrätInnen und ihrer Parteien, – zu fehlerhaft war das Niveau des SVP-Angriffs. Am Schluss war die Kontinuität im Bundesrat entscheidend, verbunden mit einer gewählten Stabilität, die der Mehrheit im neuen Parlament nahe kommt.

Ohne es übertreiben zu wollen: die heutige Wahl war eine Richtungsentscheidung. Die Mitte wurde bei den Parlamentswahlen gestärkt, und sie ist heute nicht mehr nur mit der rechten Hälfte des Parlaments, nein, auch mit der linken mehrheitsfähig. Die Mitte besteht dabei nicht mehr aus CVP und FDP, sondern aus CVP und BDP, unterstützt von GLP. SVP und FDP mögen dagegen nicht mehr ankommen, was ihren Zusammenhalt schwächt. Von der Neuinstallierung einer bürgerlichen Regierung, wie man es verschiedentlich ankündigte, ist man heute soweit weg wie noch nie.

Um es aber klar zu sagen: SP, CVP und BDP, im Bundesrat mit vier PolitikerInnen vertreten, verfügen nur im Ständerat eine gesicherte Mehrheit, im Nationalrat jedoch nicht. Doch haben sie mit der neuen Energiepolitik, die sie gemeinsam gestalten wollen, die entscheidende Brücke gebaut, dass GPS und GLP für ihre BundesrätInnen stimmen konnten. Damit sicherten sie die Basis für die klare Wahl von heute – auch von Eveline Widmer-Schlumpf und iher BDP.

Frohlocken kann heute die SP: Obwohl die Nachfolge von Micheline Calmy-Rey als Letzte geregelt wurde – und das geflügelte Wort gilt, dass die Hunde den Letzten beissen können – setzte sie sich dank hohem Können und Geschick auf der ganzen Linie durch. Sie hat über zwei Bundesratswahlen hinweg den Frauen –und Männersitz zwischen den Sprachregionen ausgetauscht. Sie hat nun ihre zwei WunschkandidatInnen in der Bundesregierung. Und sie hat sich, anders als auch schon, im politischen Zentrum mindestens personelle Unterstützung verschafft.

Die FDP hingegen entging einer Abstrafung für die Parlamentswahlen. Sie unterstützte die SVP, wurde dafür vom rechten Partner nicht belohnt. Die SVP griff nicht nur die SP, auch den FDP-Vertreter Johann Schneider-Ammann. Selbst wenn Kandidat Walther dafür nicht zu haben war. Erfolglos, denn die Vereinigte Bundesversammlung gab ihre eindeutige Antwort auf das Störmanöver – und sie belohnte die FDP mit ihrer Regierungsarbeit, die selbstbewusst auf sich ausgerichtet, aber auf alle Seiten offen ist.

Verliererin der heutigen Wahl ist die SVP. Sie ist mit knapp 27 Prozent Wähleranteil unbestritten die stärkste Partei und auch die erste Fraktion unter der Bundeskuppel. Proporzwahlen haben ihr geholfen, Profil und damit Unterstützung zu gewinnen; bei Majorzwahlen, wie in den meisten Kantonen für den Ständerat, wird das schon schwieriger, denn hier entscheiden Allianzen über den Erfolg und Misserfolg. Bei Bundesratswahlen schliesslich ist Verlässlichkeit im politischen Verbund das A und O. Genau das fehlte mindestens heute: Kein Wahlsieg der SVP trieb die Oeffentlichkeit, alles für die SVP zu tun. Kein Kandidat aus der zweiten Reihe überzeugte so, dass man nicht um ihn herum kommen konnte. Und keine Partei- und Fraktionsspitze sicherte mit einem geordneten Nominierungsverfahren den 2. Bundesratssitz ab.

Die Schweiz hat damit eine neue Regierung, die ähnlich ist wie die alte. Sie muss sich als Kollegialbehörde finden, was angesichts der personellen Zusammensetzung durchaus möglich ist. Denn die Aera der Alphatiere im Bundesrat ist mit dem Ausscheiden von Personen wie Christoph Blocher, Pascal Couchepin und Micheline Calmy-Rey vorbei.

Es bleibt aber auch Unerledigtes: Die Konkordanz sei gebrochen worden, hiess die härtere Variante der SVP-Anklage; in der weicheren kennzeichnete man die heutige Wahl so, dass die Konkordanz nicht wieder hergestellt worden sei. Angekündigt wurde eine Sonderdelegiertenversammlung, die Ende Januar 2012 über die Position der Partei im Regierungssystem entscheiden solle. Die wird, wie bisher, zwischen Regierungsverantwortung und Oppostion sein. Erwähnt wurde heute auch, nun ganz auf die eingereichte Volksinitiative zur Volkswahl des Bundesrates zurückzugreifen. Die Auseinandersetzung dazu muss geführt werden.

Denn es ist das Recht der SVP, sich zu wehren; weniger berechtigt ist indessen, den Fehler für die missratene Wahl ausschliesslich bei der Konkurrenz zu suchen, denn die SVP verhielt sich trotz gemässigtem Zweierticket mehrfach ungeschickt. Ihr ist zu raten, die heutige Nicht-Wahl als Denkzettel aufzufassen, sich an Haupt- und Gliedern zu erneuern, und aus diesem Prozess heraus, einige in- und extern gut abgestützte Kandidaturen für die kommenden Bundesregierungen zu aufzubauen.

Heute wurde, so meine Bilanz, die Konkordanz nicht abgeschafft, denn sie gründet tief in Kultur und Struktur der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Nicht befördert wurden indessen die Regierungskonkordanz, die nach 2003 und 2007 zum dritten Mal gelitten hat. Den Stand der Dinge hat der grüne Fraktionspräsident, der Genfer Antonio Hodgers, vor der Wahl treffend auf den Punkt gebracht: Es besteht keine Uebereinstimmung mehr, was die Ueberstimmung zwischen den Parteien bei Bundesratswahlen sein soll. Konkordanz verkommt so zum inflationär verwendete Unwort bei Bundesratswahlen – was eigentlich nicht sein darf! Was für die Einen apodiktisch die alte Arithmetik ist, sind für die Andern ebenso unversöhnlich die Inhalte. Vielleicht gibt es einen Ausweg über die Köpfe. Das jedenfalls sagen eigentliche auch alle Bevölkerungsbefragungen. Für sie ist Konkordanz, wenn ein Team, das kooperieren will, die Herausforderungen der Zukunft gemeinsam anpackt. Ein Wahlsystem, das dem mehr Rechnung trägt als das jetzige, könnte hier hilfreich sein.

Claude Longchamp

Der Tanz rund um die Konkordanz

Heute sass ich erstmals auf dem heissen Stuhl der “Rundschau” – um zu analysieren, was bei der Bundesratswahl geschieht. Was mir in den kurzen fünf Minuten an Vermittlungsleistung gelang, kann man sich hier ansehen, und was mir darüber hinaus noch wichtig gewesen wäre, kann ich hier als Blogger ausbreiten.

Rundschau vom 07.12.2011

Nehmen wir mal an: Alles verläuft nach dem Gewohnheitsrecht. Gewählt werden die sieben BundesrätInnen nächsten Mittwoch einzeln und zwar in der Reihe des Amtsalters. Dann ist Doris Leuthard als Erste wieder Bundesrätin.

Diese Woche klar verbessert haben sich die Aussichten von Eveline Widmer-Schlumpf. Denn sie hat nicht nur die Zustimmung ihrer Fraktion und die der GLP bzw. GPS. Auch die SP hat sich einstimmig für sie ausgesprochen, und bei der CVP ist es eine klar Mehrheit, die sie wiederwählen will. Zusammen macht das fast 140 mögliche Stimmen; bei 124 nötigen erträgt es da durchaus einige Abweichler von den Fraktionsvorgaben, und die BDP-Politikerin bleibt trotz mangelnder WählerInnen-Stärke ihrer Partei im Bundesrat.
Eine vertitable Koalition wäre es nicht, die sie erneut in die Regierung hieven würde, aber eine Themenallianz, welche die Mehrheit für den Ausstieg aus der Atomenergie im Bundesrat sichern möchte. Immerhin, das war eines der Hauptthemen im Wahljahr, und es hat bei der Parlamentswahl jene Kräfte im Zentrum gestärkt, die ohne Rücksichten auf bisherige Entscheidungen neue Mehrheiten beschaffen können und wollen.

Unwahrscheinlich geworden wäre damit die Rückkehr zur Formel von 2003 mit je zwei Bundesräten für SVP und FDP. Die SVP, die kaum mehr etwas gewinnen könnte, würde mit Sicherheit protestieren, allenfalls auch die Unterbrechung der Wahl fordern. Würde sie damit nicht durchdringen, wäre am kommenden Mittwoch die Wiederwahl von Johannes Schneider-Ammann der nächste Kristallisationspunkt.
Votierten da FDP, CVP, BDP und SVP wie angekündigt ganz oder grossmehrheitlich für ihn, könnte der Volkswirtschaftsminister schon im ersten Wahlgang bestätigt werden. Enthielte sich die SVP in der ersten Runde, wäre das die Aufforderung zum Tanz mit Mitte/Links, indem SP und GLP, die eine Doppelvertretung der SVP gegen die FDP nicht ausschliessen für Bruno Zuppiger votieren würden, was mit den SVP Stimmen aus dem Gewerbeverbandspräsidenten einen Bundesrat machen würde.
Mit der heutigen Attacke der Weltwoche gegen Zuppigers Integrität ist das nicht wahrscheinlicher geworden. Der Schaden in der Oeffentlichkeit ist da, selbst wenn es sich um nicht mehr als eine instrumentelle Aktualisierung eines Sachverhalts handelt, der in der SVP-Spitze bekannt war. Das macht man entweder aus journalistischem Gespür für Sensationen heraus – oder aus gezielter Absicht, um den Kandidaten zu demontieren. Am Dilemma der SVP, im jetzigen Parlament wohl nur über den Weg gegen die FDP zum zweiten Bundesrat zu kommen, ändert das nichts. Und davon ist man heute auch ohne mediale Kampagne weit entfernt. Denn man misstraut sich aus den SVP- und SP-Reihen wechselseitig, anstatt gegenseitig anzuhören.

Wahrscheinlicher wird da immer mehr, dass sich SP und FDP hinter den Kulissen arrangieren. Denn tauschen sie sich ihre Stimmen in der Vereinigten Bundesversammlung aus, sind beide Parteien auch im kommenden Bundesrat mit je zwei PolitikerInnen vertreten, wenn diese wahlweise bei CVP, BDP, GLP und GPS je 25 Stimmen als Bisherige, als Romands oder als Ständerat für sich gewinnen. Mögilch ist das.
Im Grenzfall könnte zuerst die FDP mit Schneider-Ammann, dann die SVP mit ihrem zweiten Kandidaten Jean François Rime bedient werden. Doch würde so die CVP, der wichtigsten Partei in dieser Frage, ihrer Rolle als Mehrheitsbeschafferin in der Energiepolitik verlustig werden.

Damit erscheint aus heutiger Sicht der Status Quo als probabelster Ausgang der kommenden Bundesratswahl. Grosser Vorteil: Kein Mitglied der jetzigen Bundesregierung würde abgewählt. Neue Wunden aus der Wahlschlacht bei PolitikerInnen und ihren Parteien könnten so vermieden werden. Grosser Nachteil: Konkordant wäre die Wahl nicht wirklich, denn die SVP wäre nicht adäquat im Bundesrat vertreten. Ihre volle Rückkehr aus der selbst gewählten Opposition würden wohl bis zur nächsten Vakanz aus den FDP-Reihen aufgeschoben werden. Oder die nächsten Parlamentswahlen ändern die Zusammensetzung von National- und Ständerat nach rechts.
Die Begründung für die Regierung nach der bisherigen Zusammensetzung würde lauten: Stabilisierung des Gremiums, das amtsjung ist, um in der herausforderungsreichen Zeit, die ansteht, zu bestehen. Personen, die zusammenarbeiten wollen, wären dann definitiv wichtiger als die Konkordanz-Arithmetik. Für die SVP wäre die Begründung, Opfer einer Intrige geworden zu sein, die zum definitiven Bruch mit der Zauberformel führte. Das würde es ihr erlauben, ihren Tanz um die Konkordanz fortzusetzen, der im angedrohten Erfolg in Proporzwahlen besteht, aus dem sie ihre bisherige Stärke bezogen hat.
Soweit die heutigen Aussichten – ausser die Wahlen vom kommenden Mittwoch liefen nicht nach dem Gewohnheitsrecht ab!

Claude Longchamp

4 Szenarien für die anstehenden Bundesratswahlen

“Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt!”, lautet eine Volksweisheit. Das beherzigend, verzichte ich auf eine Prognose zu den anstehenden Bundesratswahlen. Dafür skizziere ich hier meine vier Szenarien, von denen jedes etwas an sich hat. Konkreter werde ich heute Abend in einem Vortrag vor der Neuen Helvetischen Gesellschaft in Bern.

brw2011

Erstens, der Status Quo: Der neue Bundesrat wäre demnach, parteipolitisch gesprochen, der alte. Die Vakanz auf dem SP-Sitz von Micheline Calmy-Rey wuürde durch eine Vertretung der SP aus der Romandie ersetzt. Vorteil dieses Szenarios ist die personelle Stabilisierung des Bundesrates, der in den letzten 4 Jahren fast vollständig ausgewechselt worden ist. In vier Jahren kann man besser beurteilen, ob sich auch die BDP weiter etabliert hat und zu einer vergleichbaren Kraft geworden ist wie die FDP oder die CVP, und ob der Taucher der SVP bei der jüngsten Wahl mehr als eine Episode war. Je nachdem kann man dann verbindliche Entscheidungen, etwa im Sinne von Szenario 2 oder 3 treffen. Klar ist, dass die SVP mit diesem Szenario nicht zufrieden sein kann und der Machtkampf zwischen ihr und den anderen Parteien andauern wird. Immerhin, die Partei bekäme so die Chancen, einen oder zwei ausgewiesene und breit akzeptierte Bundesratskandidaturen aufzubauen. Selbstredend hat vor allem die BDP ein Interesse an dieser Perspektive, auch wenn man die neue Regierung nur noch beschränkt nach dem Konkordanzmuster hergestellt kritisieren würde.

Zweitens, die Rückkehr zur Zauberformel: BDP-Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf würde dem neuen Bundesrat nicht mehr angehören. Da sie ihre Kandidatur angemeldet hat, wird sie in dieser Perspektive abgewählt. An ihre Stelle tritt sofort ein Politiker der SVP. Der Vorteil dieser Variante ist evident: Die Grösse der Parteien würde zum entscheidenden Kriterium für die Zugehörigkeit im Bundesrat. Indes, die vier Parteien sind nicht mehr die gleichen wie 1959, als man die Formel begründete. Und damals wurde sie eingeführt, um die Vorherrschaft der FDP/SVP von Mitte/Links her zu brechen. Jetzt wäre es ziemlich anders, denn die SVP und FDP erhielten im Bundesrat ein Mehrheit. Das führt zur Schwäche der Variante: Beide Parteien verfügen weder im Parlament noch in der Bevölkerung über eine Mehrheit; sie könnten aber den beschlossenen Ausstieg aus der Atomenergie empfindlich bremsen. Zudem würden ausgerechnet die beiden grössten Wahlverlierer in der Regierung gestärkt. Unzufrieden wären die Linksparteien und die UmweltschützerInnen. Interessiert an dieser Variante sind die SVP und die FDP.

Drittens, die Etablierung der neuen Mitte zwischen den Polen: In diesem Szenario bleibt BDP-Bundesrätin Widmer-Schlumpf in der Bundesregierung. CVP, BDP und GLP treten in eine lockere Fraktionsgemeinschaft ein. Sie bleiben eigenständige Parteien, die je eine Fraktion bilden. Sie bilden aber ein übergeordnetes Gremium, das mit einem qualifizierten Mehr übergeordnete Standpunkte diskutieren und beschliessen kann, die für alle drei Fraktionen Gültigkeit bekommen. Gemeinsam melden sie den Anspruch auf zwei Sitze im Bundesrat an, welche das Zentrum abdecken – und zwar zu Lasten der FDP, die als Mitte/Rechts-Partei eine Sitz verlöre. Zur Hälfte ist dieses Szenario gleich wie das zweite; die SVP erhielte als grösste Partei der Schweiz zwei Sitze. Allerdings würde dies nicht gegen Bundesrätin Widmer-Schlumpf gerichtet sein, sondern gegen Johann Schneider-Ammann. Vorteilhaft wäre, dass die Zusammensetzung den Kräfteverhältnissen unter den Bundeskuppel angepasst würde. Nachteilig selbstredend, dass nach der SVP auch die FDP an der Konkordanz Zweifeln würde. Nutzniesser dieser Variante sind letztlich alle – ausser der FDP.

Viertens, jeder gegen jeden: Auch in diesem Szenario kommt es zur Wiederwahl der BDP-Bundesrätin Widmer-Schlumpf. Danach brechen aber alle Dämme. Die SVP attaktiert erfolgreich die FDP. Johann Schneider-Ammann würde aus dem Amt gedrängt, indes erneut kandidieren, und zwar im letzten Umgang als Nachfolger für SP-Bundesrätin Calmy-Rey. Hier würde er reüssieren. Die so ausgelösten Turbulenzen sind das Ende des Wiederbelebungsversuch der Konkordanz. Die Regierung wäre weniger aus Strategie entstanden, eher als Unfall. Sie würde einzeln zum Parlament passen, gesamthaft aber nicht. Mit einer erhöhten Diskussion über die Wahl des Bundesrates, sei es aus einer Volkswahl heraus oder aber mit einer Listenwahl im Parlament, wäre zu rechnen. Geführt würde die Debatte kaum mehr von der SVP, dafür von der SP und der GPS und vielleicht auch der GLP, welche die Zeche bezahlen würden. Mit Instabilitäten der Regierung wäre zu rechnen, mit Protesthaltungen aus der Romandie aus. Gewinnerin dieser Wahl wäre das bürgerliche Lager, das so vielleicht wieder zusammen finden würde – allerdings zu Lasten eine Variante, die man nicht mehr konkordant bezeichnen könnte.

Und zum Schluss noch dies: Vielleicht kommt es noch mehr anders, als man denkt. Dann zum Beispiel, wenn die Reihe der Wahlen nicht nach der Anciennität erfolgen würde, sondern im offenen Kampf. Das würde mit Sicherheit zu einer neuen Regierung führen. Sie hätte, genau wie das Verfahren, wohl den Mackel, unberechenbar zu sein.

Claude Longchamp

Die BDP bleibt gefordert

Bei der anstehenden Diskussion zur Zusammensetzung des Bundesrates geht es um zweierlei: um den Machterhalt der Bisherigen, und um die Gestalt der Regierungsbildung für die Zukunft.

Uebers Wochenende ist in Sachen Bundesratswahlen einiges in Bewegung gekommen. Klar geworden ist, dass nicht nur die SP ihren 2. Sitz verteidigt und die BDP Eveline Widmer-Schlumpf weiterhin im Bundesrat haben möchte. Ihre Ansprüche bekräftigen haben die FDP und die SVP, die je 2 Sitze wollen. Damit ist der erwartete Konfliktfall angesagt.

Einer der 8 Ansprüche für 7 Sitze wird am 14. Dezember nicht eingelöst werden können: jener der SVP, mangels einer überzeugenden Kandidatur, jener der BDP, mangels Wählerstärke der Partei, jener der FDP, wegen den Wählendenverlusten oder jener der SP, weil die Ersatzwahl für Micheline Calmy-Rey zu letzt an der Reihe ist.

Exponiert ist vor allem Eveline Widmer-Schlumpfs BDP. Zwar geniesst die Magistratin Populärität im Wahlvolk; doch wählt dieses das Parlament, nicht die Regierung. Und ihr Ruf als Finanzministerin ist unbestritten. Indes, die gut 5 Prozent ihrer Partei reichen alleine nicht aus, um einen Anspruch im Bundesrat zu begründen.

Für die BDP stellen sich aus meiner Sicht die folgenden Fragen:

. Wiederwahl der eigenen Bundesrätin und damit Sicherung des Status als Regierungspartei;
. Demonstration der Wählendenmacht in der Konkordanz und
. Wachstumschancen als Partei

Diskutiert werden aktuell 3 Szenarien: die Fusion, wie sie von der CVP Aargau ins spiel gebracht wird, die Fraktionsgemeinschaft, wie sie die GLP wünscht (und die SP unterstützt), und die Koordination der Mitte in einer Arbeitsgruppe, wie sie der BDP Schweiz vorschwebt.

Klar ist, dass die vier oben genannten Ziele mit einer Fusion nicht umfassend realisiert werden können. Die neue Kraft hätte keine Chance, sich zu bewähren und auf diesem Wege zu einer relevanten Partei aufzusteigen. Da schimmert der Wunsch der CVP, einen unliebsamen Partner zu inkorporieren zu stark durch,

Klar ist auch, dass beim Alleingang der BDP notfalls der Sitz im Bundesrat wegfällt. Das würde der Identität der Partei schaden, selbst wenn das Wachstumspotenzial genutzt werden könnte. Denn ohne sich vor der GPS platzieren zu können wäre der Anspruch, eine Regierungspartei zu sein, nicht einlösbar.

Es bleibt die Möglichkeit einer Franktionsgemeinschaft auf Bundesebene – und zwar als Zentrumsfraktion mit CVP und EVP. Zusammen käme man auf genau 20 Prozent und personell wäre man aller Voraussicht nach die zweitgrösste Fraktion. Der Anspruch auf zwei Sitze könnte problem eingefordert werden. Er liesse sich auch im Rahmen der Konkordanz begründen.

Die BDP macht es sich meines Erachtens etwas zu einfach, wenn sie alleine auf den Status Quo setzt. Das ist zwar im Normalfall das wahrscheinlichste und auch beste Szenario. Angesichts der Uebergangsphase, in er sich die Regierungsbildung seit 2003 befindet, handelt es sich nur um eine Verlängerung der Probleme. Denn benannt werden muss nicht nur, was an diesen 14. Dezember geschehen soll, sondern auch, was die Zukunft des Regierungssystems der Schweiz betrifft. Da gibt es nebst dem Machterhalt auch die Rückkehr zur alten Zauberformel und die Arbeit an einer neuen Formel, die der veränderten Lagerbildung Rechnung trägt. Ohne Arithmetik kommt man da nicht aus, nur mit Rechnerei allerdings auch nicht.

Die Fraktionsgemeinschaft auch nationaler Ebene bietet verschiedenen Beteiligten gute Aussichten: Der BDP auf Kantonsebene frei zu bleiben und damit auch wachsen zu können, bei gleichzeitiger Sicherung des Status als Regierungspartei auf Bundesebene; der Allianz, welche die Wahl von Eveline Widmer-Schlumpf ermöglichte, einer neuen Konstellation für Bundesratswahlen zum Durchbruch zu verhelfen, was zu einer Neudefinition der Konkordanzspielregeln führen könnte.

Claude Longchamp

Auf dem Weg zu einem Bundesrat der politischen Lager

Mit der Ankündigung, sich der Wiederwahl stellen zu wollen, hat Eveline Widmer-Schlumpf den Wahlkampf um die Bundesratswahl eröffnet. Gefragt sind, wie der neue Bundesrat aussehen soll, und was die Spielregeln bei künftigen Wahlen in die Bundesregierung sein sollen. Eine Auslegeordnung, welche den vorläufigen Stärkeverhältnissen im neuen Parlament Rechnung trägt.

241d69d0-b506-4336-9c21-7ef18423aec1
Definitive Zahlen der Lager: rotgrün: 61; nationalkonservativ: 57, neue Mitte: 52; mitte/rechts: 30 Sitze

Die SVP möchte ihren zweiten Bundesratssitz zurück. Eveline Widmer-Schlumpf, will in der Bundesregierung bleiben. SP, FDP und CVP wollen keine Sitze im Leitungsgremium der Schweizer Politik abgeben. Damit sind 8 Ansprüche für 7 Sitze vorhanden.

Die Regierungskonkordanz, wie sie 1959 eingeführt worden ist, basierte auf dem Kriterium der Grösse. Relevante Parteien sollten gemäss ihrer Stärke eingebunden sein, damit der Machtkampf die Sachentscheidungen nicht lähmt. Das war ein Erfolgsmodell für die Schweiz – und es dürfte auch inskünftig eines sein.

Die Veränderungen im Parteiensystem, ausgelöst durch die fast ungebrochene Erosion der FDP und CVP auf ihren historischen Tiefststand, durch den wellenartigen Auf- und Abstieg von SVP, SP, und GPS, aber auch durch die neuen Kräfte BDP und GLP haben der Zauberformel zugesetzt. Mit der Abwahl von Ruth Metzler 2003 war der Zauber vorbei, geblieben sind verschiedene Formeln die jeder nach seinem Gusto aufbaut und auslegt.

Hinzu gekommen sind nebst der Arithmetik inhaltliche Ueberlegungen, aber auch personelle. Das alles erleichtert es nicht, einen neuen, festen Schlüssel zu entwickeln.

Zu den Neuerungen der Diskussion gehört, abgesichts volatil gewordener Parlamentswahlen, nicht mehr nur in Parteistärken zu denken, sondern Lager zu identifizieren. Diesen Gedanken habe ich am Wahlsonntag abend aufgenommen, und ein Parlament mit mehreren politischen Lagern geschildert, in dem es nicht nicht mehr die klassische Teilung zwischen bürgerlich und links gibt. Vielmehr zeichnen sich 4 Gruppen ab, mit dem

. mit dem nationalkonservativen Lager, zusammengesetzt aus SVP, Lega, MCR,
. rotgrünen Lager, bestehend aus SP, GPS
. mit der neuen Mitte, die von der CVP, BDP, GLP, EVP und CSP gebildet wird
. mit der Position Mitte/Rechts, formiert aus den fusionierten FDP und LP.

Noch ist nicht sicher, ob es drei oder vier Parteiengruppen gibt: 2010 bildete sich, vor allem aus sachpolitischen Ueberlegungen die Allianz der Mitte aus CVP und FDP, später um die Bündnispartner der CVP erweitert. Davon wolle die FDP im Wahljahr nichts mehr wissen, denn die Profilierung des Liberalen Pols war ihr wichtiger als alles andere. Dies führte auch zu einer Abgrenzung gegenüber dem nationalkonservativen Pol. Immerhin, eine Bindung an die Mitte bleibt. Im neuen Ständerat dürftenFDP und CVP über eine Mehrheit verfügen, wenn GLP und BD mitziehen.

Was heisst das für die Bundesratswahlen der nahen und weiteren Zukunft? In der “Zeit” vom letzten Donnerstag haben Michael Hermann und ich eine Auslegeordnung gemacht, die zwischenzeitlich mehrfach aufgenommen worden ist. Der rechte und der linke Pol verfügen über je 27 bis 28 Prozent Wählenden-Anteil. Die neue Mitte bringt es auf 25 Prozent. Die FDP.Liberalen auf 15 Prozent.

Die Sitzverteilung hängt von der Ausrichtung der FDP und SVP ab. Auf Dauer wird die FDP ihren zweiten Sitz nicht halten können, ohne elektoral zuzulegen. Vorübergehend ist dies denkbar, wenn die SVP sich nicht an die Regeln der Konkordanz hält, dass heisst gleichzeitige Regierungspartei sein will und Systemkritik betreibt, im gleichen Aufwisch Respekt für ihre Ideen fordert, das bei denjenigen der Partner nicht gewährt. Kurzfristig zentral wird die Positionierung in der Personenfreizügigkeitsfrage resp. zu den Bilateralen sein.

Die Zielvorstellung ist klar: Sinnvoll erscheint es, wenn Rechte und Linke je 2 BundesrätInnen bekommen. Auf der rechten Seite kommen die wohl auf Dauer von der SVP, auf der linke von der SP, solange sie doppelt so gross ist wie die GPS. Koordiniert, sodass politisch berechenbare Entscheidungen möglich werden, kann die neue Mitte einen Anspruch auf 2 Sitze anmelden, während die FDP Sonderstellung seit Verlassen der Allianz der Mitte auf einen käme. In einer engeren Allianz mit der SVP käme das Lager auf drei Sitze, ohne dass die FDP profitieren würde, und auch in einer solche mit der Mitte wäre das Ergebnis gleich.

Damit drängen sich, in Kenntnis des vorläufigen Wahlresultats, aus der Sicht der Lagerbildung für die kommende Legislatur eine Verteilung von 2 SVP, 2 SP, 1 FDP, 1 CVP, 1 BDP auf, allenfalls vorübergehend 2 SP, 2 FDP, je 1 SVP, CVP und BDP auf. Erstere ist artihmetischer und wünschbarer, letztere bedingt keine Abwahl, was auch ein Vorteil ist. Beiden ist eigen, dass sie in einem zentralen Dossier des Wahljahres, der Kernenergie, Stabilität auf Regierungs- und Parlamentsebene sichern.

Das Ziel bleibt, eine Formel für eine Regierungszusammensetzung zu haben, welche der Neuaufteilung der politischen Lager nach der Ueberwindung der einfachen Bi-Polarität zwischen bürgerlich und links Rechnung trägt, die neue Mitte würdigt wie die Pole, Dauerhaftigkeit vespricht, auch wenn sich die Wählendenteile in den Lagern weiterhin bewegen.

Claude Longchamp