“Rita Fuhrer gewinnt Volkswahl”, sagt eine kuriose Online-Umfrage (Bundesratswahlen 2008/6)

So steht es heute in vielen Medien, ohne den Platz, den die Aussage beansprucht, Wert zu sein.

Die Fragen nach der Regierungsbeteiligung der SVP und der geeigneten Vertretung im Bundesrat sind wichtig. Deshalb interessieren Ergebnisse, die helfen, Antworten zu geben.

Die news
Suggeriert wird mit der Meldung, dass durch die Erhebung von Marketagent.com sogar präziseste Resultate vorliegen: “15,9 Prozent der Befragten würden ihre Stimme der Zürcher Regierungsrätin geben. Weniger als das, genau 14,5 Prozent der Befragten, würden sich für Blocher entscheiden.” Und: “Die Mehrheit von 51,6 Prozent der Befragten möchte, dass die SVP wieder in den Bundesrat zurückkehrt.”



Die Tücken des Schneeball-Prinzips

Damit man zu solchen Schlüssen kommen kann, braucht man entweder eine Vollerhebung bei allen SchweizerInnen, wie die Titel im Sobli- und anderen Medien fälschlicherweise suggerieren. Oder man macht eine systematische Stichprobenziehung unter den Entscheidungsberechtigten. Doch auch das ist bei Online-Umfragen nach dem Schneeball-Prinzip (“Mach doch auch mit …”) nicht der Fall.

Denn das Ganze funktioniert so: Ich registriere mich bei Marketagent. Meine Angaben werden kontrolliert. Da bin ich in der Community aufgenommen. Wenn ich die Fragebögen ausfülle, kann ich Preise gewinnen und bekomme ich Bonuspunkte. Die kann ich gegen Geld eintauschen oder in Partnerfirmen von Marektagenten damit einkaufen gehen. Um was es dabei geht, legt die Werbeseite der Agentur offen. “express yourself”! Mach mit. ist das Motto, denn Du kannst Trends bestimmen. Die Agentur spricht denn auch ganz bewusst nicht von “Befragten”, sondern ganz offen von “Meinungsbildnern” …

Repräsentativ-Befragung funktionieren ganz anders. Sie brauchen eine systematische Auswahl aus einer bekannten Grundgesamtheit, die durch niemanden beeinflusst werden kann. Beim genannten Beispiel handelt es sich um ein Schneeball-Prinzip, bei dem weder das mitmachende Individuum effektiv kontrolliert werden kann, noch seine Bedeutung für die Grundgesamtheit geklärt ist. Verallgemeinerung von Messergebnissen müssen daher zwingend ausbleiben.

Lernprozesse in Massenmedien nötig
Massenmedien stürzen sich auf solche Erhebungen, weil sie günstig sind, BürgerInnen-Nähe vorgeben, und Ergebnisse liefern, die man gut kommunizieren kann. Solange sie Informationen liefern, die sachdienlich sind, ist dagegen nichts einzuwenden. Wenn sie aber etwas vorgeben, was nicht ist, handelt es sich um Täuschungen, die letztlich keiner Erwähnung wert sind.

Eine kleine Recherche zeigt, was ich damit meine: In der parallel dazu realisierten Online-Umfrage des “Schweizer Bauer” hat Andreas Aebi, SVP-Nationalrat aus dem Bauernstand, 23,4 Prozent der Stimmen erhalten. Er lag damit vor Ueli Maurer (16,2%) und Hansjörg Walther (9,0%). Doch auch das sagt nichts aus, ausser dass die mitmachenden Bauern wohl am liebsten Aebi hätten.

Einige beispielhafte Patzer in dieser Sache kann man hier studieren. Ein Lernprozess, wie man mit solchen Marketingangeboten auf Internet umgeht, ist dringend zu wünschen.

Claude Longchamp

Die Bundespräsident verdient Unterstützung (Bundesratswahlen 2008/5)

Vielleicht ist Pascal Couchepin nicht die richtige Person, um der SVP den Tarif zu erklären. Denn er fordert von ihr aufzuzeigen, wie sie in der Schweiz wieder mitregieren will. Die Reaktion der SVP ist verständlich, trägt aber nichts zur Klärung der Sache bei.


Das renovierte Bundeshaus auf der Suche nach neuem Ausdruck (Foto: cal)

Das Regieren in der Konkordanz ist nicht ohne. Es ist kein Entscheid von Fall zu Fall, sondern auf Dauer angelegt. Deshalb basiert es auf Engagement für die Sache und Mässigung im Verhalten. Es soll garantieren, dass VertreterInnen von Parteien mit unterschiedlichen Position gemeinsam nach Lösungen suchen.

Die alten Eintrittsregeln
Lange war klar, was die Voraussetzungen hierfür waren. Die FDP als Staatsgründerin und ehemalige Mehrheitspartei legte fest, wie sie lauteten. Häufig mussten Oppositionsparteien als Erstes das Problem einer gemeinsamen Lösung zufügen, mit sie stark wurden. Aus der Minderheitsposition heraus konnte sie das auch erheblich kompromitieren. Das galt dann als Zähmung.

Die De- resp. Reregulierung
Von dieser Regulierung sind wir heute weit entfernt. Denn sie wurde in den letzten 20 Jahren vollständig verändert. Unter dem Ansturm der SVP wurden die Eintrittsbedingungen in den Bundesrat weitgehend dereguliert. Artithmetische Konkordanz nennt man das heute: Der WählerInnen-Anteil, allenfalls die Repräsentation in beiden Kammern und in den verschiedenen Landesteilen, berechtigt einzig, Besitzansprüche anzumelden.

Seit einiger Zeit beobachtet man eine Tendenz zur Reregulierung der Schwelle, um im Bundesrat vertreten zu sein. Die arthmetische Regel bleibt, doch wird sie immer mehr durch ethische Anforderungen ergänzt. Denn konkordantes Regieren setzt die Anerkennung grundlegender Prinzipien des politischen Systems, seineer Funktionsweisen und der sie bestimmenden politischen Kultur voraus. Respekt vor den Partnern, Akzeptierung der eigenen Minderheitsposition und Loyalität gegenüber gemeinsamen Entscheidungen werden von Mitgliedern einer Exekutive erwartet. Achtung der Institutionen, der Verfassung und internationalen Verpflichtungen durch die Regierungsparteien gehören heute ebenfalls dazu.

Den Tatbeweis einfordern
Diesen Tatbeweis erwartet man heute zurecht, wenn eine Partei aus der Opposition in die Regierung will. Es geht nicht mehr darum, in einer Sachfrage eine totale Kehrwende machen zu müssen. Doch es geht darum, vom politischen Akteur, der sich seiner Stärkung wegen frei definiert, was und wie er etwas tut, zum verantwortungsbewussten Träger eines Staates zu werden, denn man gemeinsam regiert.

Das einzufordern, ist dann die Aufgabe des Bundespräsidenten, wenn alle anderen, denen die öffentliche Sache nicht einfach egal ist, es nicht tun.

Claude Longchamp

“They never come back” (Bundesratswahlen 2008/4)

Boxer sind hart im Nehmen und hart im Geben, sonst geht gar nichts! Doch gibt es für sie ein ehernes Gesetz: Einmal weg vom Fenster, gibt es kein zurück mehr, lautet wenigstens die populäre Redewendung. Auf die Politik übertragen schient das nicht zu gelten. Zwar teilt man gerne aus, und kassiert man dafür auch Schläge, doch bei der SVP macht sich ein stures Festhalten an einer Einerkandidatur von alt-Bundesrat Christoph Blocher bemerkbar. Mit hohen Risiken!


Die Abwahl von Christoph Blocher als SVP-Bundesrat, die bei ihm und seiner Partei unverarbeitet ist

Es erstaunt, mit welcher Hartnäckigkeit die SVP die Rückkehr von Christoph Blocher in den Bundesrat fordert. Und es überrascht, mit welcher Zielstrebigkeit Christoph Blocher selber sein Comeback anstrebt.

Die richtige Person zum richtigen Moment
2003 waren Christoph Blocher und seine SVP im richtigen Moment am richtigen Ort. Was vorher nicht gelang, glückte nach dem grosen Wahlsieg der SVP bei den Parlamentswahlen von 2003. Die grösste politische Partei der Schweiz, die mit nur einem von sieben Bundesräten in der Landesregierung unterdotiert vertreten war, konnte nach den Regeln der arithmetischen Konkordanz Anspruch auf einen weiteren Sitz in der Exekutive pochen. Sie konnte diesen mit Hilfe der interessierten FDP und weniger CVP-Vertretern auch mit einer alternativlos präsentierten Kandidatur durchsetzen. Das Ueberraschungsmoment am Wahlabend selber war für den späteren Erfolg mitentscheidend.

Die Ursachen der Veränderung
Doch vier Jahre später wurde Christoph Blocher abgewählt. Nicht wegen eines fehlenden politischen Leistungsausweises. Auch nicht mangels fachlicher Kompetenzen. Nein, die zustande gekommene Allianz gegen ihn hatte drei Grundlagen:

Erstens, die politischen Gegnerschaft, die Bundesrat Christoph Blocher vorwarf, Verfassungs- und Völkerrecht zum Gegenstand parteipolitischer Gefechte gemacht zu haben, bei denen der Justizminister gerne die Schiedrichterrolle in eigener Sache spielte;
zweitens, der Teil der Wahlmänner und -frauen von 2003, die mit der Verstärkung der SVP im Bundesrat gehofft hatten, eine Zähmung der erfolgreichen Parteien erreichen zu können, zwischenzeitlich aber enttäuscht waren;
und drittens, bürgerliche ParlamentarierInnen, die genug von den regelmässig aggresiven Beleidigungen im täglichen Umgang mit Bundesrat Blocher hatten.

Die falsche Person im Moment der Rückkehr

Das Szenario, das sich jetzt bei der Ersatzwahl für Bundesrat Samuel Schmid abzuzeichnen beginnt, erinnert zu stark an frührere Vorgänge: Die SVP will Christoph Blocher. Sie verweist auf seinen Leistungsausweis als Unternehmer, der viele Herausforderungen erfolgreich bestanden hat. Doch sie schliesst personelle Alternativen von Beginn weg aus.

Damit ging und geht sei ein hohes Risiko ein. Rechnet man die gemachten Erfahrungen mit Bundesrat Blocher zwischen 2003 und 2007 hinzu, muss man von einem halsbrecherischen Poker sprechen: Wenig wahrscheinlich ist es, dass der Trumpf sticht und die SVP erneut mit Christoph Blocher im Bundesrat vertreten sein wird. Denn die anderen Regierungsparteien haben nicht offiziell, aber unmissverständlich verlauten lassen, abgewählte Bundesräte nicht wieder zu wählen. Viel wahrscheinlicher ist es, dass die Karte, auf die man zu setzen scheint, nicht zieht. Die SVP wäre dann keinen Schritt weg von der Oppositionsrolle, in die sich die Partei wegen der Abwahl von Christoph Blocher manövriert hatte.

Die Hoffnung stirbt zuletzt
Zu hoffen wäre, dass die SVP den Reflex der Boxer aufnimmt, nicht ungeschützt einen k.o.-Schlag zu kassieren, sondern rechtzeitig auszuweichen. Auf die Politik übertragen heisst dies, Partei- und Personeninteressen zu unterscheiden, damit die Partei ihren Anspruch auf einen Bundesratssitz einlösen kann.

Entscheidend ist bei einer erfolgreichen Wahl in die Landesregierung, auf die Unterstützung im den eigenen Reihen und auf die Anerkennung durch eine Mehrheit der ParlamentarInnen zählen zu können. Dass es ohne Rückhalt in einer Partei nicht geht, hat das Scheitern von Samuel Schmid nachträglich bewiesen. Ohne die nötigen Zustimmungsabsicht im Wahlgremiums ist eine Kandidatur von alt-Bundesrat Blocher schon im Voraus illusorisch.

Claude Longchamp

10 Gründe, warum man in der Schweiz besser in der Regierung als in der Opposition ist (Bundesratswahlen 2008/3)

Unmittelbar nach der Abwahl von Christoph Blocher aus dem Bundesrat erklärte die SVP, in die Opposition zu gehen. Sie nahm den Bisherigen Samuel Schmid und die Neue Eveline Widmer-Schlumpf nicht (mehr) in die Bundeshausfraktion auf. Es folgte die Parteispaltung in die grosse Mehrheit der SVP und die kleine Minderheit der BDP. Jetzt will die SVP wieder zurück in die Regierung. Eigentlich nicht überraschend, denn es gibt in der Schweizer Politik 10 Gebote, warum man besser in der Regierung als in der Opposition ist.


Aller Kritik zum Trotz: Die 1959er Wahl in den Bundesrat, die Geburt der Zauberformel, ist bis heute stilbildend für das sinnvolle Verhalten der grösseren politischen Parteien in der Schweiz geblieben.

Erster Grund
Das politische System und seine Kultur sind auf Machtteilung und Integration der grösseren politischen Parteien ausgerichtet. Eine Oppositionsrolle für eine politische Partei existiert nicht. Selbst die Parteien, die nicht direkt im Bundesrat vertreten sind, verstehen sich in der Regel nicht als Oppositions-, sondern als Nicht-Regierungsparteien.

Zweiter Grund
Die Volksrechte sind ein Mittel der thematischen, nicht aber der systematischen Oppostion. Volksinitiativen sind geeignet, länger andauernde gesellschaftliche Probleme, die keiner politischen Lösung zugeführt werden, aufzugreifen und zu thematisieren. Ihre Behandlung erfolgt aber weder just in time, noch ist die Mehrheit wahrscheinlich.

Dritter Grund
Referenden sind zwar besser geeignet, schnell auf parlamentarische Entscheidungen reagieren zu können als Initiativen. Doch ist ihr taktischer Gebrauch für eine politische Partei nicht unproblematisch, weil sich der Konflikt nicht zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien focussieren lässt. Je nach Interessen verlaufen die Bruchlinien eher quer zu den Parteien und Fraktionen.

Vierter Grund
Oppositionsparteien finden zwar unverändert mediale Aufmerksamkeit. Sie können aber nicht mehr darauf zählen, in Themen, welche den Mediendiskurs bestimmen, automatisch als Trendsetter angesehen zu werden. Das verändert ihre Darstellung und Bewertung, die, ohne eigene Medien kritischer wird.

Fünfter Grund
Eigene Massenmedien als politische Partei zu haben, ist illusorisch geworden. Dazu ist keine Partei mehr in der Lage. Artikulationsmedien, die via schnell und kostengünstig via Internet funktionieren, sind zwar möglich, aber nicht besonders wirkungsvoll. Sie bestimmen den Mainstream in den Massenmedien nicht.

Sechster Grund
Die periodischen kantonalen und städtische Wahlen werden vor allem für Oppositionsparteien zu Herausforderungen. Denn es wird erwartet, dass sie diese lückenlos gewinnen. Gelingt ihnen das nicht, wendet sich die Erwartungshaltung schnell gegen sie, was die Partei und ihre Wählenden rasch verunsichert.

Siebster Grund
Da auch nationale Oppositionsparteien auf kantonaler und kommunaler Ebene in der Regierung sind und verbleiben, ist die Kommunikation einer klaren Alternative zum Regierungslager problematisch, denn faktisch gehört man auch als nationale Opposition in vielen, vor allem lokal und föderalistisch bestimmten Politiken zum Regierungslager.

Achter Grund
Die parlamentarischen Entscheidungen auf nationaler Ebene eröffnen zwar reichhaltige Möglichkeiten der thematischen Opposition. Diese ist jedoch ohne faktischen Fraktionszwang nicht ohne Weiteres durchsetzbar. Das Problem erhöht sich, je unvollständiger die Oppositionrolle definiert wird, etwa bei der Besetzung von Kommissionspräsidien.

Neunter Grund
Fraktionen, die keinen formellen und informellen Zugang zum Bundesrat haben, sind von relevanten Informationen der Willensbildung abgeschnitten. Die Chance, politische Entscheidungen relevant vorweg nehmen zu können, um sie im Sinne der Opposition zu beeinflussen sind bescheiden.

Zehnter Grund
Die politischen Ambitionen der Schweizer PolitikerInnen ist nicht auf die Realisierung bestimmter Politiken ausgerichtet. Sie ist auch durch den Wunsch, politisch relevant an der Macht beteiligt zu sein, bestimmt. Das erschwert die innere Kohärenz von Fraktionen in Oppositionsparteien.

Zwar konnte man diese 10 Geründe gegen die Opposition von Parteien im politischen System der Schweiz in den letzten 10 Monaten ausgesprochen gut beobachten. Allerdings sind sie alles andere als neu.

Die unübersehbaren Spaltungen in der Konkordanzkultur der Schweiz von heute, dürfen nicht darüber hinweg täuschen, dass die Struktur der politischen Entscheidfindung in der Schweiz ausgesprochen auf Integration angelegt ist, die es nur um den Preis der politischen Mässigung gibt.

So bleibt eigentlich nur ein Fazit: Der einzige wirkliche “Erfolg” der Oppositionspolitik von Parteien ist der Sturz von Regierungsmitgliedern, die den eigenen Interessen, selber wieder in der Regierung vertreten zu sein, entgegenstehen.

Claude Longchamp

“Grosse” resp. “kleine” Konkordanz-Ideen (Bundesratswahlen 2008/2)

Mit dem Rücktritt von Bundesrat Schmid ist – von links her – die Idee der kleinen Konkordanz erneut aufgebracht worden. Was hat es damit auf sich, wie ist der Vorschlag zu beurteilen, und was sind die Konsequenzen für die Nachfolge Schmids.

Der Vorschlag
Entstanden ist die Vorschlag der kleinen Konkordanz in der letzten Legislatur. Richtig lanciert wurde er Ende August 2007 mit dem Buch “Fahrplanwechsel“, das im Wesentlichen rot-grüne Stimmen aus Politik, Publizistik und Wissenschaft vereinte.

Die Ueberlegung dahinter besticht auf den ersten Blick: Die Regierungszusammensetzung wird im politischen Spektrum auf jene Kräfte verringert, die sich grundsätzlich zur Zusammenarbeit verpflichten. Aktuell sind das wohl die CVP, die FDP, die BDP und die SP.

In Sachfragen besteht zwar keine regelmässige Einigkeit, in den wesentlichen Dossiers wie etwa der EU-Frage ist man sich aber sehr nahe, sodass die Homogenität eine solchen Regierung auf Personen- und Parteienebene erhöht werden könnte. Ihre Handlungsfähigkeit könnte damit gestärkt werden, was der Verteidigung zentraler Werte, Rechte und Institutionen gegen die Opposition dienlich wäre.

Seine Schwächen
Der Nachteil dieser Variante ist offensichtlich: Ohne die SVP würden zwischen 25 bis 30 Prozent der rechten, nationalkonservativen WählerInnen von der Regierung ausgeschlossen sein. Käme inskünftig eine Variante mit SVP, aber ohne SP zustanden, wären mit den Grünen eher mehr Wählende auf der linke, rotgrünen Seite ausgeschlossen.

Angesichts dieser Schwäche des Konzept, die auf den zweiten Blick nicht zu verkennen ist, kann man sich fragen, ob eine solche Regierung überhaupt noch konkordant wäre, oder ob es nicht besser wäre gleich zum einem Koalitionsmodell überzugehen.

Zu diesem scheint die Schweizer Politik aber nicht reif zu sein. Die republikanischen Mehrheit, von der die Fahrplanwechsler im Jahre 2007 träumten, hat sich nicht entwickelt. Ihr sichtbarstes Ergebnis ist die Abwahl von Christoph Blocher aus dem Bundesrat geblieben. Was als Negativ-Allianz in Personenfragen funktionierte, ist nicht zur Positiv-Allianz in Sachfragen geworden. Das hat viel damit zu tun, dass die SP einen bindenden Koaltionsvertrag scheut, und die Spielmöglichkeiten der FDP zur Mehrheitsbeschaffung unter generellem Ausschluss der SVP verringert werden.

Nachfolge Schmid: Vorentscheid über Zukunft der Konkordanz
Vor diesem Hintergrund gilt es auch die parteipolitische Herkunft des oder der NachfolgerIn von Samuel Schmid zu beurteilen: Die Wahl eines CVP-Vertreters wäre wohl das Ende der grossen Konkordanz und würde den Uebergang zu einem Regierungs- und Oppositionssystem mit Koalition nötig zu machen, um mittelfristig kohärent regieren zu können.

Wenn man umgekehrt eine SVP-Vetretung berücksichtigt, wäre das, ebenso mittelfristig ein erster Schritt zur konkordanten Zusammensetzung des Bundesrates, die sich mehr oder minder stark an der Stärke der Parteien unter Wählenden und im Parlament zu reichten hätte. Das könnte für die BDP und Eveline Widmer-Schlumpf eng werden, je nach Ausgang der nächsten Parlamentswahlen allenfalls auch für die FDP/LP.

Claude Longchamp

Rechne! (Bundesratswahlen 2008/1)

Samuel Schmid ist zurückgetreten. Am 10. Dezember 2008 finden damit Bundesratsersatzwahlen statt. Die Spekulation schiessen keine 24 Stunden nach dem Rücktritt ins Kraut. Dabei wäre es sinnvoll kühlen Kopf zu bewahren, und zurechnen. Denn nur das hilft, die kommenden Wahlen strategisch zu analysieren.

Wer hat wieviel Gewicht?
Um bei vollständiger Besetzung des Wahlgremiums, der Bundesversammlung, als neuer Bundesrat gewählt zu werden, braucht es 124 der 246 Stimmen. Ohne das geht nichts!

Keine der Fraktionen in der Bundesversammlung bringt es auch nur annähernd auf diese Zahl. Damit ist die Hoffnung, den Ausgang der Wahl parteiintern bestimmen zu können, für alle eine blanke Illusion.

Das trifft vor allem die SVP, die liebend gerne eine rein interne Nomination durchführen und die bevorzugte Kandidatur ohne wenn und aber durchs Wahlgremium durchdrücken würde.

Es gibt in der gegenwärtigen Bundesversammlung auch keine Allianz aus zwei Parteien, die mehrheitsfähig wäre. Konkret heisst das, weder ein Bündnis aus rot-grünen Parteien, noch aus SVP und FDP kann mit Sicherheit den Wahlausgang bestimmen.

Grüne, die gerne im Bundesrat wären, sind damit nicht nur auf alle Stimmen der Linken angewiesen. Sie brauchen auch jene der Zentrumsfraktion, und zwar fast vollständig geschlossen. Das gilt, in eingeschränkter Hinsicht auch für Wahlallianzen aus SVP und FDP. Auch ihre FavoritIn muss eine Minderheit der Stimmen aus dem CVP-Lager mobilisieren können.

Das ist die Logik der Mehrheitsfindung in einem Parlament, dass nicht mehr allein durch die Polbildung rechts und links bestimmt werden kann, sondern mit den Wahlen von 2007 eine neues Zentrum erhalten hat, das vor allem aus CVP besteht, und das durch EVP und Grünliberale verstärkt wird.

Mögliche Entwicklungen
Drei Szenarien sind denkbar:

Erstens, die Zentrumsfraktion löst sich als Block auf und verliert damit jedes Gewicht in der Wahl. Die Exponenten, vor allem am rechten Flügel sind dann die Königsmacheren.
Zweitens, sie erklärt die Bedingungen, unter denen eine Partei, die jetzt nicht im Bundesrat vertreten ist, wählbar ist. Wer die Gelegenheit nutzen will, muss sich danach richten.
Drittens, sie verweigert rechten wie linken Wahlvorschlägen ihre Unterstützung, nominiert dafür selber eine Kandidatur der Mitte.

Meine vorläufigen Bewertungen
Am wahrscheinlichsten ist gegenwärtig das mittlere Szenario: Die CVP/EVP/grünliberale-Fraktion bestimmt, wer mit wem im Bundesrat vertreten ist. Konflikte sind bei einer SVP-Kandidatur, die nicht CVP-like ist, zu erwarten. Möglich ist in dieser Variante Szenario 1. Was bei Sachfragen immer wieder vorkommt, könnte auch in der Wahlfrage spielen: eine bürgerliche ausgerichtete, rechte Mehrheit bestimmte demnach den Wahlausgang für sich.

Für die wieder erstarkte CVP wäre das fatal; für die bei der Blocher-Nichtwiederwahl unterlegene Minderheit in der Partei wäre es indessen eine willkommene Imagekorrektur. Da die CVP ihren leichten Aufwind von 2007 kaum aufs Spiel setze will, ist zu erwarten, dass sie sich deshalb demonstrativ auf keine grüne Kandidatur einlässt, dafür aber auf eine eigene Kandidatur setzt, die von ihr, SP, Grünen, allenfalls auch BDP getragen wird, um die anstehenden Bundesratswahlen indirekt mitzubestimmen.

Spekulieren ist bei Bundesratswahlen Sache der Spassmacher. Wer sich ernsthaft damit beschäftigt, rechnet zuerst einmal.

Claude Longchamp

Erstanalyse des Fahrplanwechslers

(zoon politicon) Der Dokumentarfilm von Schweizer Fernsehen über die Abwahl von Christoph Blocher als Bundesrat mischte die Geschichte neu auf. Nun meldet sich einer der Wortführer des Fahrplanwechsels direkt zu Wort. Andi Gross, selber Politikwissenschafter, Publizist und Politiker, macht seine Diagnose zum wichtigsten Ereignis der jüngsten Zeitgeschichte in der “Berner Zeitung” deutlich. Ich fasse hier die vier Thesen von Andi Gross zu Ursachen und Folgen der Abwahl zusammen, lasse aber die eher parteipolitisch gefärbte Analyse der Parteien des SP-Nationalrates ganz weg.

fahrplan.jpg
Gemeinsam mit KollegInnen untersuchte Andi Gross Ende August 2007 die Möglichkeit der Abwahl von Christoph Blocher als Bundesrat, und lancierte damit als Nationalrat die Kampagne gegen das Regierungsmitglied. Heute analysiert er als Politikwissenschafter, was wie die Abwahl zustande kam und was bisher daraus wurde.

1. These: Die Erklärungsebenen der Abwahl vob Bundesrat Blocher
Die Abwahl von Bundesrat Blocher hat nach Gross hat drei Erklärungsebenen: erstens, den persönlichen Umgang mit ParlamentarierInnen, der beleidigend und erniedrigend war; zweitens, das Kippen von ParlamentarierInnen, die 2003 Blocher gewählt hatten, um ihn zu zähmen und die SVP zu bändigen, bei den Parlamentswahlen 2007 aber enttäuscht wurden, und drittens, der politische Widerspruch zu Blocher und zur SVP, der Verfassungs- und Völkerrecht zum Gegenstand parteipolitischer Gefechte mit Blocher als Schiedrichter machen wollten.

2. These: Die Motivation von Bundesrätin Widmer-Schlumpf
Ueber seine Rolle bei der Suche nach einer Alternative zu Blocher, schweigt sich Gross jedoch aus. Die Wahlannahme durch Eveline Widmer-Schlumpf sieht er doppelt begründet: Sie habe das höchste der irdischen Güter, die man als PolitikerIn anstreben können, angenommen; Kollege Schmid habe ihr auch klar gemacht, dass der Sitz sonst an die CVP gehe.

3. These: Der selbstverschuldete Trugschluss der SVP
Den Aerger der SVP nach der Abwahl versteht Gross; andere Parteien hätten mit vergleichbaren Situationen auch schon umgehen müssen. Die SVP sei nach den erneut gewonnenen Parlamentswahlen übermütig geworden. Sie sei Opfer ihres eigenen Trugbildes, ihrer eigenen Rhetorik und ihrer unscharfen Analyse geworden. Zudem habe sie auf das Erfolgsrezept von 2003 vertraut: «Blocher oder Opposition».

4. These: Die Herausforderung der republikanischen Mehrheit gegen Blocher
Die republikanische Mehrheit, welche Blocher abgewählt hat, steht nach Auffassung von Gross nun in der Verantwortung. Sie müsse verhindern, dass die SVP zu einer Partei mit einem Wähleranteil von 35 Prozent werde. Sie habe ihre Aufgabe noch nicht begriffen und handle aufgrund innerparteilicher Ueberlegungen nicht koordinert. In zentralen Fragen werde sie das aber tun müssen, selbst wenn sie keine Koalition der Sieger werde; vielmehr sieht Gross kleine Konkordanzen kommen, die angesichts des Referendumsdruckes situativ geschlossen werden und ein fallweises Ausscheren auch weiterhin erlauben.

Mein Kommentar
Andi Gross hat seine Fähigkeit bewiesen, sowohl als Politikwissenschafter zu denken, als auch als Politiker zu handeln. Das gilt, was die Abwahl betrifft, und es gilt auch, was die Herausforderungen angeht.

Dabei vertritt Gross seit Jahren eine Position, die in der Politikwissenschaft nicht unbestritten ist. Es geht um das Verhältnis von politischer Konkordanz und direkte Demokratie, das er, anders als die Mehrheit der hiesigen Politikwissenschafter, stets recht flexibel interpretiert hat. Institutionell hat er gute Argumente auf seiner Seite, gegen die kleinen Konkordanzen, gibt es aber auch erhebliche Einwände.

Richtig ist an der Diagnose von Gross, dass es in der Schweiz keine Tradition gibt, in Mehr- und Minderheiten zu denken. Ohne diese Ueberlegungen wäre aber die Abwahl von Blocher nicht möglich gewesen. Sie hat sich hier, fallweise, personenbezogen und als Negativ-Allianz ergeben. Als Positiv-Allianz, die auch thematisch und strategisch denken würde, existiert sie indessen nicht, und ist das Bewusstsein dafür, eine solche zu schaffen, nur schwach entwickelt.

Claude Longchamp

Das Interview in der vollen Länge