Die Stunde der Wahrheit für die BDP.

Eine der zentralen Fragen bei den anstehenden Berner Wahlen betrifft die BDP: Zu was ist die Partei bei ihrem ersten grossen Einsatz bei kantonalen Wahlen fähig, und was kann man daraus für die nationalen Wahlen vom Oktober 2011 ableiten?

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Hoffnungsträgerin der Berner BDP: Beatrice Simon, die Seedorfer Gemeindepräsidentin, die in den Regierungsrat möchte.

Nach dem Ersatz von Christoph Blocher im Bundesrat durch Eveline Widmer-Schlumpf 2007 kam es in der SVP zur Parteispaltung. Die grosse Mehrheit blieb bei der Mutterpartei, eine Minderheit verliess sie und gründete 2008 die BDP. Stark ist sie in Graubünden, Bern und Glarus, wo ganze Teile der SVP übertraten, während sie in den anderen Kantonen fast von Null auf aufgebaut werden muss.

Am kommenden Sonntag kommt es mit den Regierungs- und Grossratswahlen im Kanton Bern zur ersten eigentlichen Nagelprobe für die BDP. In der Regierung hat sie den zurücktretenden Urs Gasche zu ersetzen; sie versucht dies mit der Kantonalpräsidentin Beatrice Simon. Und im Parlament geht es darum, die 16 GrossrätInnen zu bestätigen, was einem Anteil von rund 10 Prozent der Stimmen entsprechen dürfte.

Die kommunalen Wahlen, zu denen die Berner BDP bisher angetreten ist, stimmen die Partei optimistisch. In Rubigen machte die Partei auf Anhieb drei der sieben Sitze in der Exekutive und 45 Prozent der Stimmen. An den meisten Orten, wo sie für den Gemeinderat antrat, hatte sie Erfolg, blieb aber hinter der SVP zurück; einzig in Lyss und Köniz scheiterte sie ganz. In den Parlamentswahlen der Städte schnitt die BDP tendenziell noch besser ab. In Langnau realisierte sie 19 Prozent der Stimmen, in Burgdorf 17, Lyss 16, in Köniz 12 und in der Stadt Bern 8 Prozent.

Was alles kann das am Sonntagabend heissen? Erstens, schafft es die BDP bei ihrer ersten Beteiligung an kantonalen Wahlen den Regierungsratssitz zu halten und 10 Prozent der Stimmen zu machen, wird das die Partei mit Blick auf die eidg. Wahlen wohl positiv lancieren. Verliert sie in dessen den Regierungsratssitz beispielsweise an die SVP, wird die Wirkung umgekehrt sein. Und sollte sie darüberhinaus in einem ihrer Kernkantone unter 10 Prozent der Wählenden repräsentieren, wird man ihr gesamtschweizerisch kaum mehr Kredit gewähren.

Zweitens, kommt es auch auf die Herkunft der Stimmen an. Nimmt die BDP vor allem der SVP Stimmen weg, dürfte sich die Konkurrenzsituation zur grössten Partei der Schweiz verschärfen, und das Klima, das zwischen Parteien ausgesprochen angespannt ist, auch national prägen. Denn dann entsteht die Option, dass die BDP die gemässigte SVP werden könnte, die inhaltlich (ausser in dern Aussenpolitik) ähnlich politisiert, aber einen anderen Stil einbringt. Die Berner SVP hat das bereits erkannt, und spricht von der grössten Herausforderung in der Parteigeschichte.

Legt die BDP dagegen vor allem bei Neuwählenden, ehemaligen FDP- und CVP-WählerInnen zu, könnte national das politische Zentrum verstärken, aber auch die Bemühungen der bürgerlichen Parteien, sich da auszubreiten, vereiteln. Vor den kommenden nationalen Wahlen dürfte das die parteipolitische Konkurrenz in der Mitte erhöhen, was nicht unerheblich wäre für die Wiederwahl von Eveline Widmer-Schlumpf.

Wie auch immer, nachdem die BDP in Glarus den geerbten Regierungsratssitz sichern konnte, sind die Erwartungen an die Partei gestiegen. Das wird auch die Aufmerksamkeit für das Berner – und bald auch das Bündner – Ergebnis verstärken, um eine Vorstellung zu bekommen, was 2011 national geschehen könnte, und zwar im Parlament, wie auch in der Regierung.

Hochrechnung zu den Berner Regierungsratswahlen 2010

Wie seit 1986 üblich, gibt es am Wahlsonntagnachmittag eine Hochrechnung zu den Berner Regierungsratswahlen. Neu wird das Projekt vom Institut für Politikwissenschaft an der Universität Bern mit dem Forschungsinstitut gfs.bern realisiert.

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Die Analyse der Ergebnisse für Telebärn und Radio capital fm nimmt der Politikwissenschfter Adrian Vatter, Direktor des IPW, vor. Präsentiert werden diese von Lukas Golder, ebenfalls Politikwissenschafter und Senior-Projektleiter am gfs.bern.

Ziel der Hochrechnung ist es, so genau wie möglich und so schnell wie es geht Hochrechnungen zu den Regierungsratswahlen vom 28. März 2010 zu haben. Dafür werden die Resultate der KandidatInnen aus den Berner Gemeinden eingelesen, nach einem neuen Verfahren bewertet und auf die kantonale Ebene hochgerechnet. Das neue Verfahren hat Stephan Tschöpe vom Forschungsinstitut gfs.bern ausgearbeitet.

Die Ausgangslage ist diesmal nicht nur für die KandidatInnen neu; sie ist es auch für die Hochrechner. Denn es wird keine vorgedruckten Wahlzettel mehr geben. Vielmehr werden die Wähler und WählerInnen die Bewerber ihrer Wahl eigens aufschreiben müssen. Das kann das Muster im bisherigen Wahlverhalten verändern. Zudem kommen zwei neuen Parteien hinzu, wovon die BDP für ein Regierungsamt kandidiert, im bürgerlichen Lager aber keine ungeteilte Unterstützung hat. Umgekehrt tritt das rotgrüne Lager geeinigt und als Vertretung der Regierungsmehrheit an, was bisher nicht sehr häufig vorgekommen ist.

Insgesamt rechnen man deshalb mit einem leicht verzögerten Ablauf der Auszählung, sodass erst im Verlaufe des Nachmittags eine valide Hochrechnung vorliegen wird. Ueber die genauen Zeiten wird eine Woche vor der Wahl informiert werden.

Alle Hochrechnungsergebnisse werden mit 10minütiger Verzögerung auf Internet dokumentiert. Ich selber werden sie laufend im www analysieren.

Claude Longchamp

Erstmals Wahlbörse zu den Berner Grossratswahlen

Erstmals prognostiziert eine Internet-Wahlbörse die Berner Grossratswahlen und kommt zu einem überraschenden Schluss: Gewinne für BDP, GLP und SP, Verluste für SVP, Grüne und christlichen Parteien.

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Der Grosse Rat des Kantons Bern wird am 28. März 2010 neu gewählt. www.wahlfieber.at liefert bereits jetzt eine Prognose.

Wahlbörsen gelten vielerorts als Alternativen zu Umfragen von Wahlen. Anders als diese ermitteln sie nicht Stimmabsichten unter den Wahlberechtigten. Vielmehr erheben sie Erwartungen zum Wahlausgang. Das geschieht in Form einer Börse. Denn es geht um Geld, das man auf die Stärken von Parteien wettet. Wer am Schluss dem Ergebnis am nächsten kommt, gewinnt, wer daneben liegt, bezahlt.

1988 wurden solche Wahlbörsen erstmals bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen realisiert. Hinsichtlich der Prognose erreichten sie eine beachtliche Genauigkeit, sodass sie gerade im Internet weit verbreitet sind. Immerhin gab es auch zahlreiche Fehlschläge, denn die Leistungen der Wahlbörse hängt unter anderem davon ab, wie viele Börsianer mitmachen, und wie intensiv gehandelt wird. Je mehr dies der Fall ist, umso eher kommen die Aktienwerte der Parteien den Wahlabsichten nahe.

Die österreichischen Plattform “Wahlfieber.at” führt regelmässig solch systematische Wetten auch bei Schweizer Wahlen und Abstimmungen durch. Erstmals ist das auch bei den Berner Grossratswahlen der Fall. Das Beispiel ist besonders interessant, weil häufig eingewendet wird, die Börsianer liessen sich durch Wahlumfragen beeinflussen – und solche liegen bei den Kantonswahlen in Bern nicht vor.

Nimmt man die gegenwärtigen Aktienkurse der Parteien, erscheint die SP als kleine Siegerin. Sie könnte 1 Prozentpunkt zulegen. Selbstredend geht die Wahlbörse auch bei den neuen Parteien, der BDP und der GLP, von Gewinnen aus. Bei jener rechnet man mit einem WählerInnen-Anteil von 5,3 Prozent, bei dieser mit einem solchen von 3,1. Kleine Verlierer wären die FDP mit einem Verlust von 0,4 Prozent, die christlichen Parteien mit einem Minus von insgesamt 1,5 Prozent, gefolgt von den Grünen, die 2,5 Prozent verlieren könnten. Den grössten Einbruch sehen die Börsianer bei der SVP, bei der sie von einem Minus von 3,2 Prozent ausgehen.

Die Werte können jederzeit ändern, vor allem wenn der Wahlkampf in der Schlussphase ereignisreich sein sollte. Dann wird man sehen, ob eine anonyme Gruppe von Menschen, die via Internet miteinander um die Einschätzung der Parteistärken wetten, zuverlässig Wahlen prognostizieren können.

Und wer den jetztigen Stand für falsch hält, kann sein Geld unmittelbar setzen, um die Aktienkurse beeinflussen zu suchen. Denn: Meckern lohnt sich hier nicht, etwas machen muss man!

Wo die Berner Parteien politisch stehen

Rund die Hälfte der GrossratskandidatInnen im Kanton Bern hat beim eWahlspiel “smartvote” Position bezogen. Damit entstehen die Umrisse der Parteien aufgrund ihrer aktuellen Eliten, was die Frage beantwortet, wer wo politisch steht.

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Smartvote klassiert politische Positionen aufgrund der Antworten in 65 Sachfragen. Diese werden entweder in einem spider nach Sachgebieten verarbeitet. Oder man stellt sie auf zwei Dimensionen dar, welche den Polaritäten zwischen links und rechts und zwischen liberal und konservativ entsprechen.

Klar links und beschränkt liberal sind die SP und die Grünen. Sie decken praktisch das gleiche Spektrum ab. Mit anderen Worten, sind beide Partei klar sozialpolitisch ausgericht und autoritäts- resp. herrschaftskritisch.

Rechts und liberal ist die FDP. Das heisst, sie setzt auf Eigenverantwortung und Wirtschaftsfreiheiten. Internationale Kooperationen und Reformen traditioneller Strukturen werden befürwortet. In beidem gleicht ihr die BDP, wenn sie auch in beiderlei Hinsicht weniger ausgeprägt positioniert ist.

Am klarsten rechts steht die SVP, und sie ist auch deutlich konservativ. Darin gleicht ihr die EDU, die etwas näher bei der Mitte ist. Gemeinsam ist ihnen die Orientierung an der Tradition, der Bezug auf das Nationale und die restriktive Migrationspolitik.

Politisch in der Mitte und und leicht konservativ ist die EVP. während die GLP ebenso in der Mitte, aber leicht liberal ist. Das gilt auch für die CVP (leicht rechts der GLP) und die Piraten (leicht links davon); beide sind noch etwas deutlicher als die GLP liberal.

Auch wenn es einzelne Ausreisser unter den KandidatInnen hat, werden die Schwergewichte in den Parteien recht klar sichbar. Dabei bestätigt sich, dass die BDP der FDP verwandter ist als der SVP, und es zeigt sich, dass es zwischen Grünen und Grünliberalen Unterschiede gibt. Erstmals in der Schweiz kann man auch die Piratenpartei aufgrund der Stellungnahmen von Kandidierenden positionieren. Das dürfte sich auch nicht mehr ändern, wenn einmal alle KandidatInnen die Fragen beantwortet haben.

PS:
Die jeweils aktuellste Fassung der Grafik für alle und für jede einzelne Partei kann hier erstellt werden (GR Wahlen 2010 auswählen, auf Analyse und auf aktualisieren drücken)

Nun wählen Sie aus!

Am 28. März 2010 wählt der Kanton Bern seine Regierung und sein Parlament. “smartvote” hilft bei der Auswahl!

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Bei den Nationalratswahlen 2007 macht das Projekt smartvote, von findigen PolitikwissenschafterInnen und InformatikerInnen entwickelt, Furore. Knapp 1 Million Wahlempfehlungen ermittelte das Computerspiel für die interessierte Bürgerschaft. Jetzt kommt es auch bei den Wahlen im Kanton Bern flächendeckend zum Einsatz.

Das Vorgehen ist einfach. Man wählt sich auf smartvote ein, und füllt je nach Zeit, die einem zur Verfügung steht, einen Fragebogen mit 15 oder 65 Fragen zur politischen Aktualität aus. Die meisten Fragen sind ohne Weiteres Nachschlagen beantwortbar, und wenn man will, kann man die Themen, die einem besonders wichtig sind, speziell gewichten.

Dann drückt man auf Wahlempfehlung und erhält die Liste der KandidatInnen für die Regierungsratswahlen in der Reihenfolge, in der diese mit den eigenen Positionen übereinstimmen. Das Ganze kann man sich auch für Grossratswahlen durchrechnen lassen, und man erhält so die Uebereinstimmung mit Parteien und KandidatInnen im eigenen (oder einem beliebigen) Wahlkreis.

Fast alle Theorien des Wählens berücksichtigen die Positionen in Sachfragen, um die Wahlentscheidungen zu erklären. Die Medien tendieren dagegen immer mehr zur symbolischen Kommunikation mit Stimmungsmache. Dem setzen die praxisorientierten ForscherInnen von smartvote nun etwas gegenüber: Von den Kandidierenden erwarten sie, dass sie ihre Positionen vor der Wahl bekannt machen, versprechen ihnen dafür, Wahlempfehlungen bei Ratsuchenden aus der Bürgerschaft. Für diese wiederum erhöht sich die Transparenz, weniger der Parteien, denn deren Positionen kennt man, mehr aber der Bewerber und Bewerberinnen für Regierungs- und Grossrat, die in ihrer Differenziertheit ohne smartvote nicht möglich wären.

Noch haben nicht alle, die gewählt werden wollen, den Fragebogen ausgefüllt. Bei den Regierungsratswahlen fehlt die Hälfte, bei den KandidatInnen sind es noch etwas mehr. Der Trend ist aber steigend.

Vielleicht hängt es auch mit einer Scheu zusammen sich festlegen zu müssen. Was für die Wählenden ein Vorteil ist, kann sich für die Gewählten als Problem erweisen. Dann etwa, wenn Medien auf die Antworten bei smartvote verweisen, während die politische Diskussion in zwei, drei Jahren weiter sein kann. Oder wenn die Daten der Gewählten von Interessenverbänden genutzt werden, um zu ermitteln, in welcher Partei die ParlamentarierInnen sitzen, die für die Mehrheitsbildung massgeblich sind.

Die enorme Ressonanz, die das spannende Projekt bei den Wahlen 2007 erreicht, ergab sich seither nicht mehr. Immerhin, bei den kantonalen Wahlen in St. Gallen wurde mehr als 13000 Wahlempfehlungen ausgestellt, in Basel in Genf waren es knapp 10000. Im Kanton Bern sind es wenige Tage nach dem Start bereits 2800. Gewählt wird erst in sieben Wochen.

Ich sage da nur: Greifen Sie zu, und wählen sie aus!

Das geometrische Mittel der Stimmen bei Exekutivwahlen mit Sprachminderheiten

Auf eidgenössischer Ebene sammelt die SVP Unterschriften für ihre Initiative zur Volkswahl des Bundesrates. Dabei werden den Sprachminderheiten zwei Sitze garantiert – nach dem Vorbild des Kantons Bern, das nach Verfassung der französischsprachigen Minderheit einen Sitz sichert.

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Der französischsprachige Berner Jura (1) hat einen Sitz in der Kantonsregierung auf sicher.

Diese Wahl steht am 28. März 2010 an, ist also quasi ein Live-Experiment, wie Klauseln für Minderheiten funktionieren.

Gegenwärtiger Inhaber des Jura-Sitzes in der Berner Regierung ist der Sozialdemokrat Philippe Perrenoud, der sich auf der rotgrünen Liste für eine Wiederwahl bewirbt. Herausgefordert wird er in erster Linie durch Sylvain Astier von der FDP.

Doch ist Astier nicht der einzige, den es reizt, in den kommenden vier Jahren den Berner Jura in der Kantonsregierung zu vertreten. Gewichtigstere Herausfroderer ist der Stadtpräsident von Moutier, Maxim Zuber. Als Vertreter der separatistischen Autonomen Sozialisten bildet er ein Gegengewicht zum berntreuen SP-Regierungsrat aus dem Berner Jura.

Gewählt ist, wer im Berner Jura am besten abschneidet. Die Minderheitenklausel sieht als Kriterium das geometrische Mittel vor. Dieses bestimmt sich aus den Stimmen im Berner Jura und im ganzen Kanton, die miteinander multipliziert werden; daraus wird dann die Wurzel gezogen, um das Wahlergebnis zu erhalten.

Das geht für Fachleute in Ordnung, für die BürgerInnen ist es undurchschaubar. Die Sprachminderheit bekommt auf jeden Fall einen Regierungsratssitz, egal ob der bestgewählte Kandidaten das absolute Mehr schafft oder nicht.

Massgeblich ist also mitunter auch, in welchem Masse ein Kandidat aus der Sprachminderheit bei der Sprachmehrheit bekannt ist oder bekannt gemacht werden kann. Das ist diesmal umso wichtiger, als es keine vorgedruckten Wahlzettel mehr gibt, mit denen man unverändert wählen kann.

Spannend wird vor allem sein, ob der Bisherige Perrenoud vor dem Herausforderer Astier liegen wird, und, ob der Kandidat des PSA dem SP-Mann entscheidende Stimmen wegnehmen kann oder nicht.

Mit Blick auf die eidgenössische Ebene kann man jetzt schon sagen: Die Dynamik der Wahlen in den Regionen der Sprachminderheiten folgen einer ganz anderen Logik als die in der Sprachmehrheit.

Und dennoch kann die Sprachminderheit die parteipolitischen Mehrheitsbildung in der Regierung ausmachen. Denn in der Berner Kantonsregierung stehen sich gegenwärtig vier linke drei rechten PolitikerInnen gegenüber.

Wahlbistro zu den Berner Wahlen

“Wahlbistro” – das verbindet man mit Bar-Atmosphäre, und es gehört der politische small-talk dazu. Das Wahlbistro zu den Berner Wahlen 2010 ist aber anders: Es geht um politische Debatten-Kultur im Internet.

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Die Stadtberner und Stadtbernerinnen kennen das Wahlbistro seit den Gemeinderatswahlen 2008. Damals schon lancierte der Kommunikationsspezialist Mark Balsiger diese neue Gelegenheit des politischen Gedankenaustausches. Doch baute er kein Gebäude, und auch die Bar war nicht zum Greifen nahe. Denn Balsigers Wahlbistro ist ein Bar 2.0.

Die Debatten finden im Internet statt, werden durch aktuelle Themen lanciert, durch Teilnehmende diskutiert und durch Balsiger moderiert. Eingeladen sind zunächst die KandidatInnen der Grossratswahlen, die sich so profilieren könnnen. Erwünscht ist aber keine Podiumsdiskussion unter ParteirepräsentantInnen, sondern eine Debatte mit interessierten BürgerInnen. Aufgefordert sind Leute, die eine Sache vertreten, oder solche, die ihrem/ihrer FavoritIn (wenigstens) zum Durchbruch verhelfen wollen.

Marc Balsiger, der Initiant, schreibt: “Die Bashing-Kultur der Gegenwart beelendet mich”. Jetzt braucht es erst Recht ein Forum für Debatten-Kultur! Tragen Sie aber nächster Woche dazu bei!

Listenverbindungen – das unterschätzte Mittel der Beeinflussung von Sitzverteilungen

Daniel Bochsler ist unter den Schweizer Wahlforschern ein Einzelgänger. Nicht die grossen Siege der SVP interessieren ihn. Auch nicht die neuartigen Kampagnendynamiken ziehen ihn an. Nein, der Spezialist für Wahlrechtssysteme interessiert sich beispielsweise für Listenverbindungen und ihre Wirkungen. Und kommt dabei zu teilweise neuen Schlüssen.

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Gemeinhin meint man, dass Parteien, die ihre Listen verbinden, eine politische Allianz eingehen. Das muss nicht sein. Denn Listenverbindungen beinhalten in der Schweiz keine politisch-programmatische Aussage. Sie werden gemacht, um beim Umrechnen von Stimmen in Sitze bei einer Parlamentswahl möglichst kein Restmandat zu verlieren.

Diese entstehen, wenn die Stärken der Parteien keine eindeutigen Verteilungen der Sitze zulassen. Nach dem in den meisten Schweizer Wahlen geltenden Recht, geht der letzte, nicht richtig verteilbare Sitz an die Partei, die ihm am nächsten kommt. – Oder an die Listenverbindung, die am nächsten dran ist.

Listenvebindungen sind damit in hohem Masse ein Elemente der Parteientaktik. Kleine Gruppierungen, von denen jede aussichtslos ist, einen Sitz zu machen, können sich so zusammen einer verbundenen Gruppierung vereinen, die als Ganzes den Einzug ins Parlament schafft. Das heisst nichts anderes als: Mit Listenverbindungen erhöhen sie ihre Wahrscheinlichkeit wenigstens Sitze zu gewinnen.

Dabei haben nicht alle Parteien die gleichen Chancen. Ueber die Zeit betrachtet kommt der Genfer Politologe, der gegenwärtig in Budapest forscht, zu folgendem Schluss: Wenn politische verwandte Lager parteimässig gespalten sind, wirken sich Listenverbindungen am vorteilhaftesten meisten aus. Die Lager werden so zusammengehalten; die wahrscheinlichste Profiteurin ist dabei die grösste Partei im Lager. Kleine Parteien können diese Effekte nur umgehen, indem sie sich mich anderen kleinen, gleich starken Parteien zu Unterlistenverbindungen zusammenschliessen.

Auf die Berner Parlamentswahlen 2010 angewandt, könnte man nach Bochsler folgern: Die beiden Blöcke rechts und links sollten ihre Grossratslisten jeweils untereinander verbinden, im Sitzverluste der Blöcke zu vermeiden. Rechts ist das 2010 weitgehend nicht der Fall, links zeichnet es sich zwischen SP und Grünen ab. Theoretisch begeht damit die SVP den grössten Fehler, während die SP sitzmässig am ehesten profitiert. Die Grünen können durch dem durch Unterlistenverbindungen untereinander steuern, und Gleiches gilt für die Kleinparteien in der Mitte, wenn sie sich miteinander verbinden.

Eines sei klar gestellt: Alleine damit gewinnt und verliert man Wahlen nicht. Das sagt auch Wahlforscher Daniel Bochsler. Er sagt aber, dass man bei gegebener Stärke seine Chancen auf Sitze vergrössert oder verkleinert, je nachdem, wie man mit Listenverbindungen taktiert.

Die Prognose zu den Berner Grossratswahlen

Hans Hirter, Politologe an der Universität Bern, wagt eine Prognose zu den Berner Grossratswahlen. Die FDP sieht er als grosse Verliererin. Rückläufige Tendenzen gegenüber 2006 ortet er auch bei der SVP und der SP. Die BDP und die Grünliberalen betrachtet er als GewinnerInnen.

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Hans Hirter ist ein erfahrener Polit-Fuchs. Seit einem Vierteljahrhundert analysiert und kommentiert er die nationale Politik. Seit 1986 ist auch bei den Berner Grossratswahlen dabei, wenn es gilt, im Voraus oder im Nachhinein die Parteien zu beurteilen.

Von der heutigen “Berner Zeitung” auf die kommenden Grossratswahlen im Kanton Bern angesprochen, sieht der Politologe vor allem für die FDP schwarz. 10 bis 12 Prozent sei sie nach den Wahlen vom 28. März 2010 noch wert – ganz im Gegensatz zu den bisherigen 16 Prozent. Die BDP kommt nach seinen Schätzung sicher auf 7 Prozent, eventuell gar auf 11. Die Grünliberalen hält er kantonal für 3 bis 4 Prozent gut.

Paradox dürfte das Resultate der SVP ausfallen, folgt man Hirters Ueberlegungen. Gegenüber dem aktuellen Stand wird sie aller Wahrscheinlichkeit nach Sitze hinzugewinnen. Doch gegenüber 2006 rechnet er mit einem WählerInnen-Verlust von 3 bis 4 Prozent. Der vermeintliche Widerspruch rührt daher, dass sich die BDP erst nach den letzten Grossratswahlen von der SVP getrennt hat und der SVP 17 Mandate, aber keine Wählenden gekostet hat. Kommt die BDP auf 7 Prozent, verliert sie wohl Sitze, während sie bei 11 Prozent Anteil ihre Mandatszahl wohl halten könnte.

Bei der SP rechnet Hirter mit 2 bsi 3 Prozent Rückgang im WählerInnen-Anteil. Bis zu 1 Prozent könnte der bei der EVP betragen, während sich die Grünen gemäss Politologen-Urteil halten dürfte. Keine Aussage macht der Augur über die EDU und die CVP.

Die offensichtliche Dynamik geht nach Hirter von den beiden zentrumsnahen Parteien BDP udn GLP aus. Sie werden das gemässigt bürgerliche Lager neu aufmischen und WechselwählerInnen anziehen. Das wird der FDP am meisten zu schaffen, machen aber auch der SVP, der SP und vielleicht gar der EVP, sagt der Analytiker. Insgesamt geht er aber nicht von einer grundlegenden Verschiebung der Kräfteverhältnisse aus. Mitte-Rechts wird seiner Ansicht nach im neuen Grossen Rat wieder die Mehrheit haben, bei Allianzen der Kleinparteien mit RotGrün kann aber auch dieses thematisch oben aus schwingen.

Johannes Matyassy, Präsident der Berner FDP, unterstellt, Hirter übertrage da ganz einfach nationalen Trends auf den Kanton. Hirter indessen widerspricht. Er hat die kommunalen Wahlgänge der jüngsten Zeit im Kanton Bern analysiert und so seine Prognose erstellt.

PS:
Die Vorhersage stimmte überwiegend, aber nicht ganz. So verloren auch die Grünen WählerInnen, die BDP legte viel mehr zu, und der Anteil der SP verringerte sich stärker. Grundsätzlich richtig eingeschätzt wurden die GLP, die FDP und die SVP. Damit gilt, dass die Verluste von Rotgrün, unter anderen an die BDP in der frühen Prognose noch unterschätzt wurden.

Piratenpartei kandidiert bei den Berner Wahlen erstmals für ein Kantonsparlament

“Der Wahlkampf im Kanton Bern ist eröffnet! Wir haben Listen in den Wahlkreisen Bern, Mittelland Nord und Süd, Biel-Seeland, Thun und Berner Jura. Wir suchen Piraten, welche im Kanton Bern wohnen, dort Wahlrecht haben und auf eine Liste möchten. Natürlich sind wir auch allgemein über jede Hilfe dankbar.”

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Kandidierendenrekord bei den Berner Grossratswahlen 2010: erstmals ist auch eine Liste der Piratenpartei dabei (Quelle: Der Bund)

Diesen Aufruf stellten die Berner Piraten jüngst ins Netz. Damit kommt es in der Schweiz in Bern erstmals zu einer kantonalen Parlamentswahl mit Beteiligung der Piratenpartei.

Entstanden ist die Piratenpartei 2006 in Schweden, als die Polizei den Server der Internettauschbörse «Pirate Bay» beschlagnahmte und gegen die Betreiber ein gerichtliches Verfahren einleitete. Die Wirkung war unerwartet: Statt eingeschüchtert zu reagieren, entstand eine Bewegung unter Internet-NutzerInnen. Zwischenzeitlich haben die Piraten Ableger in mindestens 15 meist europäischen Ländern.

Bei den Europawahlen im Sommer 2009 eroberte die Piratenpartei in Schweden 7 Prozent der Stimmen und ein Mandat in Strasbourg. In Deutschland kamen sie auf 2 Prozent, scheiterten aber an der 5 Prozent Hürde. Die Parteigründung in der Schweiz ist eine unmittelbare Auswirkung der deutschen Wahlen im Herbst 2009. Erster Parteipräsident ist der Berner Informatikstudent Denis Simonet.

Erste Analysen in Deutschland zeichneten schon mal ein Profil der denkbaren Wählerschaft: Ansgar Wohlsing, der das Phänomen für die Uni Mannheim untersuchte, sieht die jungen, männlichen Wähler, die sich vor allem und eifrig über das Internet über Politik informieren als Kern. In dieser Zielgruppe erreichten die deutschen Piraten 2 von 5 Personen. Schwer hat es die Partei dagegen bei Frauen und bei über 40-jährigen. Im deutschen Koordinatensystem ergaben sich thematische Nähen vor allem zu den Grünen, beschränkt auch die FDP und SPD, kaum aber zur CDU/CSU.

Nach eigenen Angaben hat die Piratenpartei Schweiz heute gut 600 vereinsrechtlich eingetragene Mitglieder. 6 mal mehr sind es in der entsprechenden Facebook-Gruppe. Das Programm ist erst im Entstehen begriffen. Es zirkelt um das Potenziel von Internet, das Freiheit und Demokratie beleben soll. Hoch im Kurs stehen Transparenz im Staat, Förderung von Open-Access-Software und Bildung ohne Einschränkungen. Im Links/Rechts-Spektrum will man sich nicht so genau verorten, um keine potenziellen AnhängerInnen, Mitglieder oder KandidatInnen zu verscheuchen.

Die NZZ von morgen nimmt das parteipolitisch schwer fassbare, individual-liberale Phänomen jedenfalls erst; unter dem Titel Angriff der Internetgeneration schreibt sie: “Noch fehlt es der politischen Botschaft an Intensität und der Bewegung an Kraft. Dass sich die Piraten bis anhin vor allem monothematisch profilieren, sollte indessen nicht zu voreiligen Schlüssen verführen: Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Einthemenpartei die politische Landschaft ins Rutschen bringt.”