Angebliche Studentin schreibt Seminararbeit, horcht aber politische Gegner aus: Was tun?

Es ist eine unappetitliche Geschichte, welche die aktuelle Wochenzeitung unter dem Titel “Studentin in fremden Diensten” präsentiert. Den Universitäten kann es nicht egal sein, wenn studentischen Qualifikationsarbeiten für andere als vorgesehene Zwecke missbraucht werden.

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Laut WOZ hat eine Freelancerin der Zürcher PR-Firma Farner AG, seit Jahren gegen armeekritische Volksinitiativen aktiv, an einem Strategieseminar der pazifistischen “Gruppe für eine Schweiz ohne Armee” teilgenommen, bei dem es um die Kampagnenplanung zur anstehenden Volksabstimmung über die Kriegsaterialausfuhr ging.

Seitens der PR-Firma beteuert man, mit der privaten Aktion nichts zu tun zu haben. Die Agentur werte nur aus, was allgemein greifbar ist. Das Initiativkomitee seinerseits wehrt sich gegen den Vorwurf, mit der Ausschreibung der Veranstaltung auf Internet zur Bespitzelung geradezu eingeladen zu haben; Es sei auf die Mitarbeit von vielen Gleichgesinnten angewiesen.

Aus Sicht der Politikwissenschaft als Fach darf die Diskussion nicht dabei stehen bleiben. Vielmehr muss interessieren, dass das unübliche Vorgehen seitens der Freelancerin mit der tatsachenwidrigen Aussage begründet wurde, sie studiere in Bern Politologie und bereite eine Seminararbeit über Abstimmungskämpfe vor.

Es ist fast schon symptomatisch, wie wissenschaftliche Ausbildungsvorschriften zu politischen Zwecken missbraucht werden können. Denn universitären Qualifikationsarbeiten geht der Ruf voraus, ohne Hintergedanken gemacht zu werden. Das verschafft notwendige Freiräume, die es auch für die Zukunft zu schützen gilt.

Angesichts der Vielzahl Seminar- und ähnlicher Arbeiten, die in den Sozialwissenschaften auch zu aktualitätsbezogenen Fragen verfasst werden müssen, entsteht ein kollektives Forschungssystem, das individuell leicht missbraucht werden kann. Letztlich können sich wissenschaftliche Institute nur so schützen, indem sie als Institutionen die bewilligten Arbeiten und deren VerfasserInnen auf Internet publizieren. Damit kann jeder und jede, der oder die Verdacht schöpft, einen einfachen Kontrollckeck machen. Und die Tarnung der Politik als Wissenschaft entfällt.

Claude Longchamp

Amtszeitbeschränkung

Gestern war ich als Experte in der “Arena“, der bekanntesten Politsendung im Fernsehen der deutschsprachigen Schweiz. Diskutiert wurde das Thema “Gesucht: Bundesrat”. Mitten drin wurde abgestimmt, über Amtszeitbeschränkungen. Eine Reflexion hierzu.

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Judith Stamm, 1996/7 Nationalratspräsidentin, brachte die Idee in der Sendung auf. 8, allenfalls 12 Jahren seien in Vollämtern wie dem Bundesrat genug; danach sei man ausgebrannt und solle man neuen Kräften Platz machen, argumentierte die erfahrene Ex-Politikerin. Reto Brennwald, der Moderator, nahm den zugeworfenen Ball auf wollte von allen Teilnehmenden in der Sendung ihre Meinung hierzu wissen – und liess abstimmen.

Wohl drei Viertel der Personen in der gestrigen “Arena” sprachen sich für Amtszeitbeschränkungen aus. Prominenteste Opposition kam vom anwesenden alt Bundesrat Christoph Blocher, sekundiert von seinem damalige Generalsekretär in der SVP, Gregor Rutz. Beide outeten sich als Gegner von zeitlichen Beschränkungen für politische Aemter.

Ein wenig erstaunt war man da schon, forderte doch die SVP nach den Parlamentswahlen 2007 und mit Blick auf die anstehende Gesamterneuerungswahl der Bundesregierung (nicht ganz unberechtigt) lautstark den Rücktritt dreier “Sesselkleber” (die damaligen BR Schmid, BR Couchepin und den jetzigen BR Leuenberger), da der Bundesrat zu überaltern drohe.

Persönlich befürworte ich Amtszeitbeschränkungen für vollberufliche Exekutivstellen. Sie konzentrieren naturgemäss viel Macht, damit die Amtsinhaber politische Prozesse auch wirklich beeinflussen können. Ohne Amtszeitbeschränkungen riskiert man, dass die Verschmelzung von Amt und Person ungehindert fortschreitet, und die institutionelle Macht zu stark auf dem Amtsinhaber oder die Amtsinhaberin als Individuum übergeht.

Ich befinde mich damit in guter Tradition mit republikanisch gesinnten Denkern, die mit der Annuität der Aemter in Rom das Prinzip entwickelt haben, das mit der französischen Revolution wieder geboren wurde und heute in vielen Staaten verwirklicht ist. Gegner solcher Ueberlegung hängen entweder dem feudalen Verständnis an, wonach man von Gottes oder Kaisers Gnaden auf Lebzeiten zur Herrschaft berufen sei, oder aber sind sie politische Ueberzeugungstäter wie Hugo Chavez oder Fidel Castro, deren Mission oder Auftrag nie endet.

Claude Longchamp

Immer wieder dieser Röschtigraben!

Regelmässig erhalte ich Anfragen für Auskünfte als Experte. Die meisten dieser Anfrage lehne ich ab; aus Zeitgründen, weil mich die Fragestellung nicht intessiert oder weil man mit einer einfachen Internetrecherche das Ganze auch beantworten kann. Jetzt habe ich wieder einmal eine Ausnahme gemacht, und eine Anfrage einer Studentin zum unendlichen Thema „Röstigraben“ beantwortet; hier das ganze Interview, für alle anderen, die mich danach fragen möchten …

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Alice Grosjean: Was sind für Sie persönlich die grössten Unterschiede zwischen Romands und Deutschschweizern (Sprache, Charakter, Mentalität)?

Longchamp: Selbstverständlich in der unterschiedlichen Sprache, die auch andere Kulturräume eröffnet, verbunden mit einer ganz anderen Geschichte, welche das Verhältnis zu Imperien, Aufgaben des Staates, Einstellung zu Steuern und Formen der Entscheidfindung geprägt hat. Darüber hinaus gibt es für mich eher innerhalb der Sprachgruppen mehr Unterschiede, als dass ich solche zwischen diesen sehen würde.

Was schätzen Sie besonders an den West-, was an den Deutschschweizern?

In Fribourg aufgewachsen, Sohn einer deutschsprachigen Mutter und eines französischsprachigen Vaters bin ich ja von beidem etwas. Auch deshalb glaube ich nicht, dass es den Deutsch- und Westschweizer gibt. Wir allen haben mehr oder wenig viel oder wenig des einen oder anderen Kulturraumes in uns. – So gesehen schätze ich an der Romandie das Latenium, das Museum in Neuenburg, wegen der modernen Architektur, des grossen Wurfs über die Regionalgeschichte, und den Publikumsandrang, den es damit auslöste. und an der Deutschschweiz mag ich besonders Luzern mit dem perfekten Einbindung in die Umwelt, der gemütlichen Lebensweise und dem Mix aus Tradition und Offenheit besonders gut. Am liebsten bin ich aber in Murten, irgendwo zwischen der Kirche der französisch- resp. deutschsprachigen Bevölkerung …

Sind die Romands die besseren Patrioten?

Ach, was sind schon Patrioten? Als Napoléons Truppen die Schweiz besetzten, machten sie aus den französischsprachigen Untertanen gleichberechtigte Citoyens. Aufgeklärt wie vor allem die Intellektuellen in der Akademiestädten Genf und Lausanne von damals waren, verstanden sie sich als Patrioten, das heisst als Freunde der Revolution. Ihre Gegner nannten sich Republikaner, Föderalisten, und waren Reaktionäre, die das Rad der Geschichte umdrehen wollten. Während der Staatsgründung waren die Freisinnigen die Patrioten, welche mit der Schweizerischen Eidgenossenschaft von 1848 mitten im monarchistischen Europa einen Coup lancierten. Doch das alles ist durch das Erlebnis des Zweiten Weltkriegs nachhaltig verändert worden: Patrioten waren danach jene, die sich gegen Hitler wandten, den General verehrten, dem Reduit anhingen, und dabei übersehen, dass sie sich ins Schneckenhaus zurückzogen, die Demokratie über Bord warfen, und die aufklärerischen Werte der Französischen Revolution verrieten. Patriot war man nun, wenn man antikommunistisch dachte und handelte, während alle anderen als fremde Fötzel traktiert wurden. – Nun sagen Sie zuerst, welchen Patriotismus sie meinen …

Gibt es Ihrer Meinung nach noch viele Vorurteile der Romands gegenüber den Deutschschweizern (oder anders herum)?

Die Konstruktion der Welt aufgrund einer einzigen Konfliktlinie ist das grösste Vorurteil, egal wo man lebt. „The Clash of Civilisation“ leitete der US-amerikanischen Politologe Samuel Huntington aufgrund einer Polarisierung von Kulturräumen ab, die er in erster Linie religiös, das heisst christlich oder nicht-christlich aufbaute. „Die Identitätsfalle“ nennt das sein grösster Kritiker, der Nobelpreisträger Amartyra Sen, und zählt auf, wie viele Identitäten die Menschen als soziale Wesen haben, kulturell, sprachlich, religiös, moralisch, ethisch oder politisch konstituiert sind und nur selten in der gleichen Kombination bei zwei verschiedenen Menschen vorkommen. Genau deshalb macht die Polarisierung in der Schweiz entlang des Röschtigraben wenig Sinn!

Wann und weshalb haben Sie persönlich den „Röstigraben“ am stärksten erlebt/wahrgenommen?

Am 6. Dezember 1992, bei der Volksabstimmung über den EWR-Vertrag, in der Romandie fast einstimmig angenommen, in der deutschsprachigen Schweiz mehrheitlich verworfen, nur von ausgewählten städtischen Gegenden befürwortet. Das war es auch berechtigt, diese Chiffre zu verwenden, doch finden sich davon selbst bei Europa-Abstimmungen heute nur noch Spuren.

Wie beurteilen Sie heute die politische Lage um den Röstigraben, existiert er überhaupt noch?

Er ist dann problematisch, wenn er gleichzeitig politisch, kulturell und ökonomisch wirkt, Mehr- und Minderheit, dominante und unterlegene Kultur, starke und schwache Oekonomien einander immer wieder gleich ausschliessen. Denn dann neigt man dazu, wirtschaftliche Verteilkämpfe in ethnischen Kategorien zu lesen, womit sie hochexplosiv und kaum mehr rational verbesserbar werden. Gegenwärtig findet man ja davon nur noch wenig: Die Romandie ist die Region der Schweiz, die am stärksten boomt, von der Weltwirtschaftskrise am wenigsten betroffen ist. Der Arc Lémanique, der entlang von Strassen und Schienen zu einem grossen melting pot von Interessen und Werten zusammenwächst, ist Zürich von seinem Zukunftspotenzial her jedenfalls ebenbürtig.

Was hat sich in den letzten 40 Jahren verändert?


40 Jahre sind willkürlich! Eine Zusammenstellung des Poltikwissenschafters Christian Bolliger, die man auf dem Internet schön nachverfolgen kann, zeigt, dass das Verhältnis zwischen den Sprachregionen seit es Volksabstimmungen gibt, die ihm als Indikatoren gelten kaum je stabil waren, und es wohl auch nicht sein werden. Das einzige war immer ein Problem ist, besteht darin, dass man nur noch neben, kaum mehr miteinander lebt.

Sind die Anstrengungen den Röstigraben zu überqueren und die jeweils andere Sprache und Mentalität kennen zu lernen, z.B. von jungen Leuten, heute grösser als früher?

Nein, eher nicht. Eigentlich lebt ja nur noch Biel/Bienne die Zweisprachigkeit wirklich. Der Rest kümmert sich kaum darum. Im Alltag, im Berufsleben, in den Medien, herrscht Segregation und Binnnensicht vor. Die lingua franca, in der sich die SchweizerInnen gemeinsam unterhalten, ist zwischenzeitlich englisch, weil man einander sonst nicht mehr versteht! Und unter den Zuwanderern ist es bald einmal albanisch!

Glauben Sie, dass sich Westschweizer manchmal in gewissen Dingen benachteiligt fühlen (Z.b. in politischer Sicht oder in den Medien)?

Sie sind eine Minderheit. Die Sprache ist aber nur eine der grossen Konfliktlinien in der europäischen und schweizerischen Gesellschaft, die sich politisch auswirken. In der Schweiz ist der Stadt/Land-Gegensatz heute viel wichtiger, auch der Konflikt zwischen wirtschaftlichen Interessengruppen rangiert vor der Sprachenfrage. Diese findet sich am ehesten, wenn es um Relation zwischen Zentral- und Gliedstaaten geht, denn da reflektiert sich die Minderheitsposition am ehesten. Beschränkt trifft das auch zu, wenn wir über die Aufgaben des Staates, der Gemeinschaft und des Individuums reden und wenn es um das Verhältnis zum Ausland geht, weil es durch die nächstgelagerten Referenzraum ganz unterschiedlich erscheint. Die Mehrheiten sind aber nicht immer identisch, sodass ich das nicht zu vertiefen brauche.

Was könnte man in der Kommunikation zwischen Deutsch- und Westschweiz verbessern?

Reisen bildet, wandern auch! Reisen und wandern Sie alle mehr in der Schweiz umher, und gehen sie nicht immer an die gewohnten Orte. Das gilt für alle, entdecken sie Vielfalt der Schweiz, wie das im 18. Jahrhundert so populär wurde und lange nachhalte, heute leider viel zu wenig mehr vorkommt. Und lernen sie dabei auch Menschen in ihrer ganzen Kultur kennen, indem sie sich Mühe geben, ihre Sprache zu verstehen. Die Bestimmung der Schweiz ist es, eine GrenzgängerInnen-Nation zu sein!

Claude Longchamp

Hochrechnungen zum Abstimmungssonntag

17. Mai 2009. Abstimmungstag. Die Volksentscheidungen über die Biometrischen Pässe und die Komplementärmedizin werden gefällt. Ein Bericht in Raten, wie ich die von unserem Institut gfs.bern geleitete Verarbeitung der Abstimmungsergebnisse erlebte.

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11 00
Im Studio ist die Zeit des Probens. Die Schminke ist auch schon gesetzt. Jetzt kommen die ersten Ergebnisse. Gemeinden, die um 10 Uhr die letzte Urne schliesslich, melden ihre Resultate. Unser Telefonteam ist im vollen Einsatz. Und das Analyseteam verfolgt die news-Lage interessiert.

11 30
Gespannte Ruhe. Eigentliche Prognosen wagt niemand. Nur über das Wetter wird gelästert. Einen sonningen Tage im Freien, das wünschen sich hier die meisten, die im Dienst sind. Von Westen her drohe ein Gewitter, wirft jemand ein. Man ärgere sich nicht zu früh, heisst es. Ob das politisch gemeint sei, fragt die Redaktion sicherheitshalber nach. Wie gesagt, für Prognosen ist es nicht der Moment.

12 35
Die Komplementärmedizin wird gemäss Trendrechung klar angenommen. Bei der Biometrie ist alles offen; eine Trendaussage in die eine oder andere Richtung ist nicht möglich.
Das bestätigen auch die Kantonsergebnisse, die schon vorliegen. Glarus sagt zur Biometrie nein, mit 5 Stimmen Differenz. Derweil sind die vorliegenden vorläufigen Kantonsergebnisse in der Romandie eher im Nein, in der deutschsprachigen Schweiz nicht ganz einheitlich, aber ganz knapp mehrheitlich im Ja.

13 10
Die Komplementärmedizin ist angenommen. Gemäss Hochrechnung sind 67 Prozent dafür. In der Extrapolation der Gemeindeergebnisse erscheinen auch alle Kantone auf der Ja-Seite. Das doppelte Mehr ist hier ausser Zweifel.
Bei den biometischen Pässen zeichnet sich ein ganz knappes Ergebnis ab. Eine Hochrechnung liegt noch nicht vor, und die Trendrechnung ist zu nahe bei 50 Prozent um die Richtung anzugeben.

13 45
In der Tat, die Hochrechnung zu den Biometrischen Pässen gibt gerundet 50:50. Die Differenz aufgrund der vorläufigen Extrapolation ist so gering, dass keine weiterreichenden Schlüsse gemacht werden können. Bei der Beteiligung zeichnet sich ein tiefer Teilnahmewert ab. Er wird unter 40 Prozent liegen.

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Knapp, knapp, knapp, so knapp wie seit 7 Jahren nicht mehr! Damals ging es um die SVP-Asylinitiative. Den Ausschlag gaben die AuslandschweizerInnen, welche die Vorlage kippten. Es brauchte aber eine Nachzählung, bis das Resultat klar war.
Momentan weiss man nicht, ob das alles auch hier auf uns zukommt.

15 15
Es ist entschieden: Die Hochrechnung von 14 50 gab 50,1 Ja zu den Biometrischen Pässen, das vorläufig amtliche Endergebnis von 1505 weist einen Ja-Wert von 50,14 Prozent aus. In Stimmen sind das gut 5508 an Differenz.
Die Stimmbeteiligung liegt bei hochgerechneten 37 Prozent.

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Die kleine Pause war verdient. Ein Stück Käsekuchen und ein Orange-Jus. Doch wird sind mit dem Zeitplan im Verzug, wegen dem knappen Ja zur Biometrie.
Jetzt geht die Analyse los: 38 Prozent effektive Beteiligung sind nicht nur wenig, sondern auch unterdurchschnittlich für schweizerische Volksabstimmungen. Das ist so etwas wie die “Basis-Mobilisierung +”. Die BefürworterInnen erhielten die Unterstützung von den praktisch sicheren Teilnehmenden. Die GegnerInnen haben darüber hinaus wohl ein wenig zusätzlich mobilisieren können. Dafür spricht, dass die Beteiligung in der Romandie etwas mehr ist, als der Sockelwert erwarten lässt, und dort die Biometrischen Pässe etwas verstärkt umstritten waren.

Räumliche Verteilung von Zustimmung Ablehnung bei Komplementärmedizin (links) und Biometrischen Pässen (rechts)
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Quelle: BfS

16 15
Die Erstanalyse der Komplementärmedizin gibt eine klare Abweichung. Sie betrifft die Gebiete mit einer überdurchschnittlichen SVP-Stärke. Sie sind die einzigen, die statistisch signifikant weniger stark zugestimmt haben. Die Effekte werden vor allem in der deutschsprachigen Schweiz sichtbar, kaum aber in der Romandie.
Die parteipolitische Aufladung gesundheitspolitischer Vorlagen ist und bleibt aber schwierig. Parteipolitische Opposition wird maximal von den treuen Parteianhängerschaften verstanden, strahlen aber kaum darüber hinaus. Die Basis der Grünen, der SP, der CVP und der FDP will, dass die Komplementärmedizin wieder in die Grundsversicherung aufgenommen wird.

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Auch zu den Biometrischen Pässen liegt die Erstanalyse vor. Wo die CVP, genereller auch die Mitte-Wählenden überdurchschnittlich stark vertreten, stimmt man eher zu. Das gilt exemplarisch für den Kanton Luzern, der am klarsten von allen Ja sagte. Auf der anderen Seite zeigt sich die verstärkte Ablehnung durch die Regionen, in denen insbesondere rot-grün verstärkt gewählt wird. Hier war das Nein über dem Mitteln. Nur sehr beschränkt kann das auch für Regionen mit SVP-Dominanz gesagt werden.
Von den generellen Konfliktmuster schlägt aber nur das zur Sprache systematisch an. Alles andere bleibt zurück.
Das Ja zu den biometrischen Pässen stammt demnach aus dem politischen Zentrum, das kräftig in den Schwitzkasten genommen wurde. Da das von verschiedener politischer Seite, ergibt die Nein-Karte ein neuartiges Patchwork. .
Der politische Druck kam von aussen auf das Parlament. Dieses tut gut daran, ihre diesbezüglichen Modernisierungsvorhaben nicht nur juristisch und technisch zu beurteilen, sondern auch politisch zu gewichten.

18 00
Was bleibt von diesem Abstimmungssonntag? Sicher das knappe Ja zu den Biometrischen Pässen, dann die klare Sache bei der Komplementärmedizin. Und schliesslich die auch für die Schweiz tiefe Beteiligung.
Die Debatten waren diesmal weniger durch Konfrontation, Emotion und Werbemitteleinsatz geprägt. Vielmehr berichteten Zeitungen und Internetseiten über das Pro- und Kontra. Das Wesentliche war dann irgendwann gesagt, sodass die Kampagnen am Schluss förmlich aufliefen. Die Entscheidungen dürften vielmehr aus den Lebenswelten heraus getroffen worden sein, und sind denn auch politisch nicht eindeutig zu fassen.
Das Zentrum hat sich heute zweimal durchgesetzt. Die Linke hat einmal gewonnen, einmal verloren. Die SVP unterlag mit ihren zwei Nein-Parolen zwei Mal.

19 00
Ich sitze im Zug nach Bern. In Olten ziehen von Westen her dicke Regenwolken auf. Die Prognose lag goldrichtig.

Nachtrag Montag morgen
Unsere Hochrechnung zum Kanton Zürich ergab schnell 51,8 Prozent Ja. Jene auf der Website des Kantons zeigte dagegen 54,7. Hätten wir jene des Kantons übernommen, wären wir von Beginn weg bei rund 50,5 Prozent Ja für die eigenössische Hochrechnung gewesen. Die Trendaussage hätte aber auf einem tendenziellen Irrtum basiert. Denn der Kanton Zürich lag am Schluss effektiv bei 52,0 Prozent Ja.

Claude Longchamp

frühere Live-Blogs zu Abstimmungshochrechnungen

Wahlforschung in Theorie, Empirie und Praxis.

Ankündigung der Vorlesung von Claude Longchamp im Herbstsemester (18.9.-18.12) 2009 am Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich

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Ziele und Vorgehen
Die Vorlesung will die Teilnehmenden in drei Bereiche der Wahlforschung einführen:

. in die Theorien der Wahlforschung,
. in die Empirie der Wahlforschung und
. in die Praxis der Wahlforschung,

Hauptsächliches Anschauungsmaterial sind schweizerische Wahlen auf nationaler Ebene. Gelegentlich werden auch Wahlen auf kantonaler Ebene miteinbezogen resp. kommen auch Wahlen im Ausland, insbesondere in den USA, zur Sprache.

AbsolventInnen der Veranstaltung sollen am Schluss einen Ueberblick über die relevanten Themen in den genannten Bereichen und die Leistungen der Wahlforschung hierzu haben. Das soll nicht nur abstrakt, sondern auch konkret aus der gelebten Wahlforschung heraus vermittelt werden.

Inhalt und Aufbau der Vorlesung
Wahlen gelten als wichtigstes, wenn auch nicht einziges Kriterium von Demokratien, denn sie regeln periodisch die politische Machtverteilung. Die sozialwissenschaftliche Wahlforschung beschäftigt sich dabei mit verschiedensten Fragestellungen. Von diesen greifen wir in der Vorlesung eine heraus: Wie bildet sich der WählerInnen-Wille heraus, der die Wahlergebnisse bestimmt und in Mandate in Parlamenten (beschränkt auch Regierungen) transformiert wird.

Wahlforschung wir bei weitem nicht nur von der Politikwissenschaft alleine betrieben. Die ganzen Sozialwissenschaften beschäftigen sich damit, namentlich die (Sozial)Psychologie, die Oekonomie, die Soziologie, die Kommunikations- und Medienwissenschaft, aber auch Geschichte, Geografie Jurisprudenz und Statistik. Wahlforschung ist deshalb in hohem Masse ein interdisziplinär betriebenes Wissenschaftsfeld, was sich in der Vorlesung spiegeln soll. Wahlforschung wird darüber hinaus nicht nur von der theoretischen Seite aus betrieben; sie entsteht immer wieder von neuem aus der (sozialwissenschaftlich inspirierten) Bedarfsforschung.

Zur Sprache kommen in der Vorlesung nebst der Fachliteratur auch Projekte, welche aus universitären resp. ausseruniversitären Forschung entstanden sind resp. diese befruchten. Namentlich erwähnt seien Selects, fög-Medienanalysen, das SRG-Wahlbarometer, smartvote und die sotomo-Studien. Speziell behandelt wird auch das weltweit führende Prognoseprojekt „PollyVote“.

Damit erweitert sich die übliche, akademische Betrachtungsweise von Wahlen hin zur praktischen. Das soll aufzeigen, zu was theoretisch-empirische Wahlforschung fähig ist, durch was diese aber auch beeinflusst wird, und wie weit sie Wahlen selber beeinflusst.

Inhaltlich hat die Vorlesung 6 etwas ungleiche Teile:

– Die Einführung (2 Stunden)
– Der Ueberblick über die Themen (2 Stunden)
– Die Präsentation ausgewählter Theorien der Wahlforschung (6 Stunden)
– Die Präsentation zentraler empirischer Vorgehensweisen in der Wahlforschung (6 Stunden)
– Die Besprechung von Forschungsprojekte der politikwissenschaftlichen der angewandten Wahlforschung (8 Stunden)
– Der Ausblick zum Stand der Wahlforschung und zu Forschungslücken (in der Schweiz) (2 Stunden)

Hinzu kommt die Prüfung während der letzten Sitzung.

Die Vorlesung versteht sich als Vorbereitung für PolitikwissenschafterInnen, die in die Wahlforschung einsteigen möchten, sei dies in der universitären Grundlagenforschung oder in der ausseruniversitären Anwendungsforschung. Die Vorlesung ist mehr als eine Einführung in die politikwissenschaftliche Betrachtungsweise von Wahlen. Sie ist gleichzeitig auch weniger als ein Forschungsseminar hierzu.

Auswahlbibliografie (empfohlene Lektüre)
Klöti, U. et al. (Hg.): Handbuch der Schweizer Politik, Zürich 2006. (insbesondere: “Die nationalen Wahlen in der Schweiz”, p. 427-457
Rosenberger, S., Seeber, G.: Wählen. Wien 2008.
Bürklin, W., Klein, M.: Wahlen und Wählerverhalten, Opladen 1998 (2. Auflage).
Roth, D.: Empirische Wahlforschung. Urpsrung, Theorie, Instrumente, Methoden, Wiesbaden 2008 (2. aktualisierte Auflage).
Falter, J., Schoen, H.: Handbuch Wahlforschung, Wiesbaden 2005.

Vorsicht gegenüber Titeln

Ich schätze wissenschaftliche Berichte mit einem klaren Titel. Klar heisst für mich aber nicht wunsch-, sondern sachgemäss.

Wenn WissenschafterInnen und JournalistInnen über Titel zu einem Report sprechen, ist das nicht immer unproblematisch. Die Kunst der Zuspitzung ist die Sache der Medien; nach ihren ungeschriebenen eigenen Gesetzen dürfen sie dabei auch übers Ziel hinaus schiessen. Der Titel darf suggerieren, das Erhoffte für möglich erscheinen lassen, das Erwartetbare in ein klares Bild bringen.

Viele WissenschafterInnen können damit nichts anfangen. Denn sie sind sich lange, stelzerne, wortlastige Titel gewöhnt. Aritkel in Wissenschaftspublikation tragen die merkwürdigsten Titel. Immerhin haben sie einen Vorteil: Sie sind sachorientiert, geben das Thema verkürzt, aber korrekt wieder, selbst wenn dabei nichts Memorierbares resultiert.

Ich habe da eine Zwischenposition. Fragen in Titeln zu Tatsachen-Berichten an die Oeffentlichkeit sind bei mir verpönt. Ich ziehe positiv formulierte Aussagen, die das Hauptergebnis widerspiegeln, vor. Sie sollen einfach und gut verständlich sein. Aber sie müssen den Inhalt korrekt wiedergeben, kein X für ein Y vormacht. Und: Sie dürfen nicht voreingenommen sein!

Beim letzten Bericht zur SRG-Repräsentativbefragung vor den Eidg. Volksabstimmungen vom 17. Mai 2009 einigten wir uns – nach kurzem hin und her – auf “Neue Biometrische Pässe umstritten – Breite Sympathie vor Komplementärmedizin”. Das war vorsichtig und korrekt.

Der zweite Teile wurde bei den Publikationen in- und ausserhalb der SRG weitgehend übernommen. Klar, gerichtet, erwartbar, dürften die Gründe für den erfolgreiche transport gewesen sein. Beim ersten happerte es mir der Veröffentlichung, denn fast schon zwangshaft scheint der Druck zu sein, eine Aussage in die eine oder andere Richtung zu machen. Der “Bund”, in der Berichterstattung zu den Biometrischen Pässe dafür, etwa schrieb “Ja zu den Biometrischen Pässen”. Die Berner Zeitung, mit einer gewissen Affinität zur SVP, formulierte: “Viele Nein Stimmen zu den neuen Pässen”.

Die Liste liesse sich fast beliebig verlängern. Denn nicht nur politische Optiken beeinflussen die Titelei. Auch die sprachregionalen Kultur sind hier ein Thema.

Obwohl es immer um den gleichen Bericht geht!

Claude Longchamp

Thuner Politforum beschreitet neue Wege in der Tagungskommunikation

Fast schon üblich ist es, dass an den Thuner Politforen mit der Tagungskommunikation neue Schritte gewagt werden. Ein kurzer Einblick in Ergebnisse des jüngsten Experiments.

Vor kurzem war ich am 4. Thuner Politforum Referent. Das Thema der Tagung lautete: “Top oder Flop: Erfolgsfaktoren in der Politik”. Die meisten der 300 TeilnehmerInnen waren GemeindevertreterInnen aus dem Kanton Bern. Ich war im abschliessenden Modul eingeteilt, wo es um Polarisierung und Vermittlung in der Stadtpolitik ging.

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Gerhard Tschan, der Komiker der Tagung, überzeugte mit seinen unterhaltsamen Auftritten am Thuner Politforum am meisten! (Foto: cal)

Der Inpout an der Tagung ist gewaltig, weshalb der Wechsel in der Form wichtig ist. Gerhard Tschan, der bekannteste Komiker aus Thun, lockerte mit viel Erfolg die zwei Tage dauernde Veranstaltung regelmässig auf. Ein Videoteam der Schweizerische Gesellschaft für Verwaltungswissenschaften fragt bei den wichtigsten ReferentInnen nach der der zentralen Botschaft. Und alle RednerInnen, die nach Thun kommen, wissen, dass sie in einer Publikumsbefragung evaluiert werden.

Gefreut habe ich mich natürlich über meine Beurteilung. Sie zeigt mir, dass die freie Rede, weder durch ein Podium noch durch übermässig viele Folien behindert, unverändert attraktiv ist. Und auch, dass ein deutlicher Appell für kooperative Politik gut ankommt.

Aus der grossen Zahl von Evaluierungsergebnissen seien hier die Spitzenresultate aufgelistet.

1,10 Gerhard Tschan, Komiker
1,29 Claude Longchamp, Experte
1,32 Iwan Rickenbacher, Experte
1,45 Gunther Stephan, Experte
1,53 Hans-Ueli von Allmen, Politiker/Tagungsleiter
1,54 Reto Steiner, Experte
1,56 Eveline Widmer Schlumpf, Politikerin/Bundesrätin
1,57 Franz Fischlin, Moderator Podium
1,66 Peter Wälchli, Politiker
1,94 Andreas Ladner, Experte

(Mittelwerte bei einem Range von 1-4)

Auf den ersten Blick nicht ganz unproblematisch war für mich persönlich der Video-Auftritt, denn man war hierzu im Voraus nicht informiert worden. Zudem passten die Fragen gar nicht zu meinen Ausführungen. Immerhin, so ist man gezwungen, spontan zum Tagungsthema stellung zu nehmen; für die Vermittlung von möglichst klaren Aussagen vielleicht gar nicht die schlechteste Form. Doch urteilen Sie selber, denn hier können Sie einen Eindruck in die Tagungsresultate gewinnen.

Claude Longchamp

1. Aarauer Demokratietage zur “HarmoS”

Die Stadt Aarau beherbergt sein kurzem das Zentrum für Demokratie, das mit drei Professuren aus den Bereichen Recht, Politik und Geschichte bestückt ist. Anfangs April 2009 wird es mit den 1. Aarauer Demokratietagen offiziell der Oeffentlichkeit vorgestellt.

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Das Zentrum für Demokratie (ZDA) veranstaltet vom 1. bis 4. April 2009 die 1. Aarauer Demokratietage, ein Anlass mit reichhaltigem Programm, der sich an dem sich Wissenschaft und Politik, Kultur und Bevölkerung, Medien und Verbände zur gemeinsamen Erörterung von Grundfragen der Demokratie wendet. Im Zentrum steht eine wissenschaftliche Konferenz mit zum aktuellen Thema „Herausforderung HarmoS“.

Im Rahmen der 1. Aarauer Demokratietage findet sodann die offizielle und öffentliche Eröffnungsfeier des Zentrums für Demokratie Aarau statt. Gleichzeitig wird mit der Gründung des Vereins „Freunde des ZDA“ die notwendige Verankerung des ZDA in der Bevölkerung, Politik und Wirtschaft der Region eingeleitet.

Claude Longchamp

Wie soll man ein allfälliges Nein zur Personenfreizügigkeit interpretieren?

Den Volkswillen bei Abstimmungen zu interpretieren, ist heikel. Politisch wie wissenschaftlich. Denn Entscheidung ist Entscheidung. Doch es ist sinnvoll, diese zu analysieren. Im Normalfall, wie auch im möglichen Spezialfall. Deshalb ist es Zeit, sich ein paar zusätzliche Gedanken zu machen, wie ein allfälliges Nein zur Personenfreizügigkeit untersucht werden müsste.


Wie kann man interessenbasierte Interpretationen eines allfälligen Neins zum 8. Fabruar 2009 verhindern?- Eine Herausforderung für die angewandte Politikwissenschaft, halte ich fest, mit der Absicht, sich ihr zu stellen

Die aktuelle Situation
Man erinnert sich: Kaum im Amt als Bundesrat, erklärte Christoph Blocher, es sei nicht die Aufgabe des Bundesrates, den Volkswillen zu interpretieren. Er solle sich an die Entscheidungen des Souveräns halten, und er solle danach handeln. Heute ist alles ganz anders: Schon vor der Volksabstimmung über die Personenfreizügigkeit ist ein Interpretationsstreit entbrannt, wie man ein allfälliges Nein interpretieren solle. Speziell die SVP-Exponnenten sind bemüht, ihre Sicht der Dinge durchzubringen, wonach ein Nein am 8. Februar 2009 nur ein Nein zur Erweiterung der Personenfreizügigkeit sei, nicht aber zu dieser als solcher und damit auch kein Verstoss gegen die Bilaterale I.

Zu den Positionen der Gegnerschaft
Die gestrige “Arena“-Sendung zur Volksabstimmung 2009 zeigte, dass die Sache komplizierter ist, denn auf Seiten der Opponenten wurden alle Positionen vertreten: “Nein” heisse Nein zur Erweiterung, meinte etwa Lukas Reimann von der SVP; “Nein” heisse Nein zur Personenfreizügigkeit an sich, konterte Ruedi Spiess von den Schweizer Demokraten. Ein “Nein” am 8. Februar 2008 wäre ein Nein zur gesamten Vorlage, über die abgestimmt würde, erwiderte Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf, was der Bundesrat bis Ende Mai 2009 der EU mitteilen müsste, womit die Bilaterale Verträge, die seit 2002 in Kraft seien, nach 6 Monaten automatisch auslaufen würden.

Politisch kann diese Diskussion nur entschieden werden, wenn alle Akteure, die an der Entscheidung beteiligt sind, mitsprechen können: der Bundesrat und das Parlament, die Stimmberechtigten und die Europäische Union.

Die Möglichkeiten der angewandten Politikwissenschaft
Die angewandte Politikwissenschaft kann der Politik in einem Punkt Hilfen anbieten: Sie kann die stark interessen-geleiteten Interpretationen der Akteure auf schweizerischer und europäischer Ebene, die sich auch in der Deutung des Volkswillens äussern, mit vertiefenden Untersuchungen spiegeln, kritisieren und einer vernünftigen Interpretation zuführen.

Statt normative Abstimmungsanalysen zu machen, empfiehlt es sich solche empirisch zu leisten. Ganz einfach gesagt: Die Stimmenden selber sollen sagen können, was sie mit ihren Entscheidungen beabsichtigten.

Gegenwärtig wird unter den Analytikern, die so oder so die Volksabstimmung zur Personenfreizügigkeit untersuchen werden, überlegt, wie angesichts der üblichen, aber unübersehbaren Diskussion zur Interpretation eines Neins am 8. Februar 2009 die VOX-Nachbefragung erweitert werden könnte. Klar herausgearbeitet werden müsste in der Nachanalyse der Volksentscheidung, die diesmal das Institut für Politikwissenschaft an der Universität Bern leistet, …

… wie man im Lager den Nein-Stimmenden seine Ablehnung verstanden hat
… wie man zu einer weiteren Volksabstimmung in der Sache steht,
… wie man bei einer Trennung der Entscheidungen über Fortsetzung und Erweiterung(en) stimmen würde.

Das Ganze macht nur dann Sinn, wenn die Konsequenzen unterschiedlicher Entscheidungen nicht gleich wären, wie ein allfälliges Nein am 8. Februar 2009. Um keinen schweizerischen Bias zu haben, müsste auch erörtert werden, ob man zu Konzessionen in anderen Dossiers wie der Banken-, Steuer-, Landwirtschafts- oder Forschungspolitik bereit wäre, um Verhandlungen zu einer modifizierten Personenfreizügigkeit zu erreichen. Und: Ob bei einem Nein die Bilateralen zu Ende sind, und was danach kommen soll, – Alleingang oder EU-Beitritt?

Besser wissensbasierte Interpretionen als interessenbasierte Annahmen
Ich denke, es ist sinnvoll, diese Fragen zu klären. Das ist keine Aussage zum Ausgang der Volksabstimmung vom 8. Februar. Aber es ist eine rechtzeitige Auslegeordnung für den Fall B, denn die Nachanalyse startet so oder so am Montag nach der Volksabstimmung. Und sie soll, wie immer, zu einer wissens-, interessenbasierten Interpretation des Volkswillens führen.

Claude Longchamp

«Jede Partei fährt immer mehr ihre eigene Schiene»

Der Artikel auf www.zoonpoliticon.ch brachte es in Rollen: Die beklagte Kampagnevielfalt bei der Volksabstimmung zur Personenfreizügigkeit verstärkt zwar die Imagewerbung für Akteure, aber nicht die Sachwerbung für das Anliegen. Die SDA hat das Sujet am Donnerstag aufgenommen, und folgendes Interview daraus gemacht.


SDA: 49 Prozent der Bevölkerung haben bei der letzten Umfrage Ja zur Personenfreizügigkeit gesagt, nur 40 Prozent waren dagegen. Sie gehen zudem davon aus, dass die Einstellungen relativ stabil sind. Ist das Rennen gelaufen?
Claude Longchamp: Im Normalfall: ja. Doch wir haben spezielle Zeiten. Wer hätte einen Tag vor dem 60-Milliarden-Rettungspaket an die UBS so etwas für möglich gehalten? Wegen der angespannten Wirtschaftslage bin ich vorsichtig in der Interpretation. Ein aussergewöhnliches Ereignis könnte das Resultat durchaus noch kippen.

Zum Beispiel?
Wenn etwa eine Grossfirma Ende Monat Tausende von Mitarbeitern entlässt.

Aber würde dies automatisch das Nein-Lager stärken? Die Befürworter argumentieren ja, dass angesichts der Krise die Beziehungen zur EU umso wichtiger und darum ein Ja so wichtig sei.

Unsere Analyse zeigt tatsächlich, dass wirtschaftliche Argumente für beide Lager wichtig sind. Trotzdem scheint mir bei einem grösseren Einbruch die Angst vor der Arbeitslosigkeit grösser zu sein als vor möglichen Schwierigkeiten mit der EU.

Hat die Wirtschaftsseite also ein Glaubwürdigkeitsproblem?
Ja, denn die milliardenschwere Hilfe an die UBS gepaart mit hohen Boni hat das Volk nicht goutiert. Es ist denn auch kein Zufall, dass in der aktuellen Kampagne nicht Top-Manager wie Marcel Ospel oder Daniel Vasella die Ja-Kampagne führen, sondern Patrons wie Johann Schneider-Ammann oder Otto Ineichen. Bei der Abstimmung zur Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf Osteuropa im Jahr 2005 war das noch anders.

Sehen sie andere Unterschiede der Befürworter-Kampagne?

Nur wenige. Das Plakatsujet des Apfelbaums ist dasselbe, auch die Argumente sind ähnlich.

Der Apfelbaum stösst nicht überall auf Gegenliebe. Ineichen und Schneider-Ammann kritisierten das Plakat als zu emotionslos und abstrakt. Sie werben nun mit dem SVP-Raben, um deren Argumente zu kontern.
Diese Kritik verstehe ich nicht. Das Sujet des Apfelbaums hat eine klare Aussage und einen grossen Wiedererkennungseffekt. Die Kampagne war 2005 erfolgreich. Zudem ist es grundsätzlich falsch, den Gegner zu kopieren. Wer Erfolg will, muss sich vom Gegner abgrenzen. Für eine Erweiterung der Kampagne mag das gehen, doch grundsätzlich gilt: Es muss eine eigene Symbolik her.

Wie schätzen Sie die Raben-Kampagne der SVP ein?
Die Aussage ist missverständlich. SVP-Präsident Toni Brunner redete von einer diebischen Elster, doch wo ist der weisse Bereich auf dem Bauch? Die Verbindung zwischen Kriminalität und dem Tier funktioniert nicht. Die Junge SVP zeigt kommunikativ klarer, was sie sagen will. Sie zeigt einen ausländischen Einbrecher, der mit seiner Beute aus dem Haus steigt. Hier ist die Botschaft klar.

Die Raben-Kampagne hat immerhin für Wirbel gesorgt. Reicht dies nicht? Nein, bei dieser Vorlage nicht. Für noch unbekannte Themen ist Aufmerksamkeit das A und das O. Als man zum Beispiel vor 15 Jahren auf AIDS aufmerksam machen wollte, war es erst mal wichtig, dass man darüber redet. Alles andere war sekundär. Bei der Personenfreizügigkeit ist das anders: Das Thema ist bekannt. Hier müssen sachliche Argumente ins Zentrum, wenn man die Abstimmung gewinnen will.

Wieso wirbt die SVP trotzdem mit dem Raben und dem Kriminalitätsargument?

Einerseits aus argumentativer Not, andererseits weil sie Imagewerbung betreibt. Sie will sich für rechte Kreise empfehlen. Mit der Imagewerbung ist sie nicht alleine. Werbung im Sinne der Partei anstatt zum Wohle der Vorlage nimmt in der Schweiz generell zu. Schauen sie sich zum Beispiel die FDP-Plakate an!

Die FDP wirbt mit einem Güterzug auf dem Weg in die EU, dessen Schiene allerdings von Christoph Blocher und Toni Brunner sabotiert wird.
Ein absolutes Novum in der Schweiz! Das erste Mal macht eine Partei in der Schweiz in einer offiziellen Kampagne Werbung mit einer anderen Partei. Es geht der FDP dabei weniger darum, der Vorlage zum Durchbruch zu verhelfen, sondern ihr Image zu verbessern. Sie will damit sagen: Die Politik der SVP ist nicht gut für die Schweiz. Die inhaltliche Aussage dieses Plakats ist schwach.

Auffällig ist im gegenwärtigen Abstimmungskampf die Vielzahl der Komitees und Plakate. Hängt dies ebenfalls mit der Eigenprofilierung zusammen?
Absolut. Jede Partei fährt immer mehr ihre eigene Schiene. Dies muss nicht zwingend schlecht sein. Sie hilft bei der Mobilisierung gegen innen. CVP-Sympathisanten lassen sich logischerweise am besten mit einer CVP-Kampagne ansprechen. Die Gefahr besteht allerdings darin, dass man sich verzettelt und die Hauptkampagne in den Hintergrund rückt. Bei der aktuellen Vorlage ist man am Rand dazu. Früher hiess es: Getrennt marschieren, vereint schlagen. Heute dagegen zunehmend: Getrennt marschieren und getrennt schlagen.