Die SVP im Dilemma

Was ist los mit der SVP, fragte gestern die NZZ im Tageskommentar. Anlass bot die Kampagne zur Volkswahl des Bundesrates, die sich so offensichtlich von jenen unterscheidet, welche die SVP namentlich in Migrationsfragen zur erfolgreichsten Partei in der Schweiz gemacht hatte. Auf der Suche nach möglichen Chancen und Risiken der “neuen” SVP.

Vorbei scheinen die Zeiten, als die SVP selbst Verbündete provozierte, als die Partei mit ihren Plakaten regelmässig die Aufmerksamkeit der gesamten Öffentlichkeit auf sich zog und als man sich an den Tag, an dem ihre Abstimmungskampagnen eröffnet wurde, wegen markigen Aussagen so gut erinnern konnte. Vorbei auch die Phase, wo das alles sichere Erfolge brachte.

“Gratwanderung” bezeichnet René Zeller, NZZ-Chef im Bundeshaus, die Neuausrichtung der SVP, ohne eine verbindliche Antwort geben zu können, was sie der Partei und der Politik in der Schweiz bringt.

Die nun vorliegenden Ergebnisse der ersten (von zwei) SRG-Befragungen zu den eidgenössischen Volksabstimmungen geben einen vertieften Einblick: Bei der Revision des Asylgesetzes haben sich die BefürworterInnen einen Vorteil erarbeitet. Die Allianz aus der Parlament, angeführt vom SVP-Nationalrat Peter Brand aus Graubünden, hielt den Entscheidungen der bisherigen Entscheidungen der Parteidelegierten stand. Wackelkandidatin war die CVP, bei der sich die Frauen für ein Nein aussprachen, während die Gesamtpartei ihren Mitgliedern ein Ja empfiehlt. Die Umfrage zeigt nun, dass Mehrheiten der WählerInnen dieser Parteien die Revision unterstützten. Bei SVP und FDP sind sie in der absoluten Überzahl, bei der CVP immerhin in der relativen.

Ganz anders ist die Ausgangslage der SVP bei ihrer Volksinitiative für eine Volkswahl des Bundesrates. Schon im Parlament agierte sie weitgehend isoliert; alle anderen Fraktionen mögen sich selber nicht entmachten. Im Abstimmungskampf ist ihr, wenigstens bisher, keine einzige Partei gefolgt. Und auch die Befragung eines repräsentativen Querschnitts der Stimmberechtigten verweist auf die schwierige Position der SVP. Denn es sind nicht nur zwei Drittel der Personen, die sich in der Abstimmung äussern wollen, dagegen; es sind auch in allen grösseren Parteien ausserhalb der SVP Mehrheiten im Nein. Das gilt auch für FDP- und CVP-Wählende, in ihren konservativen Kreisen sonst für SVP-Anliegen offen.

Die Krux der neuen SVP-Strategie besteht allerdings nicht nur darin, diesmal keine Zusatzstimmen aus der desinteressierten politischen Mitte zu bringen; vielmehr zeigt die SRG-Befragung auch, dass ihr die Mobilisierung der Protestpotenziale nicht mehr gelingt, wie das beispielsweise in der letzten Legislatur noch der Fall war. Misstrauische Zeitgenossen wollen sich weder überdurchschnittlich beteiligen, noch sieht die Mehrheit, die teilnehmen will, einen zwingenden Grund, nun für die Volkswahl des Bundesrates zu votieren. Von der sonst so bekannten Mobilisierung der Unterschichten oder der RentnerInnen keine Spur.

Kurzfristig trägt die SVP eher einen Schaden davon: Ihre frühere Mobilisierungsstärke hing direkt mit der Provokation zusammen, die medial verhandelt wurde; das ist nun weg. Umgekehrt ändern sich Grundhaltungen der bürgerlichen WählerInnen nicht so schnell, dass man die Geschichten der letzten Jahre vergessen hätte und mit wehenden Fahnen der SVP folgen würde. Das mag mittelfristig anders aussehen: Dann nämlich, wenn das brüchig gewordene bürgerliche Lager wieder zusammenfinden sollte, mit einer rechtskonservativen SVP als stärkster Partei, welche die politische Richtung vorgibt und Gefolgschaft findet, dafür aber auf Populismus verzichtet.

Auszuschliessen ist eine solche Neuorientierung im rechten Spektrum heute nicht mehr, wie die ersten Ansätze über die Migrationsfragen hinaus in der Finanz- oder Gesellschaftspolitik zeigen. Nagelprobe werden allerdings die europapolitischen Abstimmungen sein, sei es die eigene Masseneinwanderungsinitiative, die quer steht zur Personenfreizügigkeit mit der EU, aber auch die Ausdehnung eben diesem Grundpfeiler der Bilateralen auf Kroatien als neues Mitgliedsland in der Europäischen Union, wo sich der Widerstand der SVP heute schon regt. Da wird sich weisen, was im Landesinteresse und was im Parteiinteresse ist, und wie das politisch vermittelt werden wird. Denn eines dürfte der SVP nicht mehr schaden als die eine oder andere Abstimmungsniederlage: Wenn sie ihre Hegemonie am rechten Pol wegen einen neuen, national agierenden Rechtspartei verlieren sollte, die von einer angepassten SVP profitieren könnte.

Claude Longchamp

Identify. Empower. Ask.

Sein Auftritt war perfekt. Souverän bewegte er sich auf der Bühne. Die Sildeshow im Hintergrund gefiel. Der Inhalt verdient ein ähnliches Prädikat. Dennoch, am Schluss staunte nicht das Publikum, sondern der Redner John Della Volpe!

John Della Volpe hat italienisch-irische Wurzeln. Doch ist er durch und durch Amerikaner. Als Polling Director am Institut of Politics der renommierten Harvard University amtet er.

Am eben zu Ende gegangenen SwissMediaForum 2012 zu den neuen sozialen Medien hat er gestern über amerikanische Wahlkämpfe im 21. Jahrhundert berichtet.

Zum Beispiel über die geschichtsträgtige email von John McCain, die im Jahr 2000 die politische Kommunikationsrevolution auslöste.
Oder über die zielgruppenspezifischen Botschaften von Karl Rove, der 2004 die Wiederwahl von Goerge W. Bush sicherten.
Und über Barack Obama, der 2008 den entscheidenden Moment der Ausmarchung innerhalb der Demokraten Hillary Clinton mit den Stimmen der Junge via Facebook für sich gewann.

Della Volpes These zu den neuen soziale Medien leitete sich aus deren Entwicklung in den letzten 20 Jahren ab: Sie lautet, amerikanisch einfach wie auch amerikanisch einprägsam:

Identify, Empower. Ask.
Schaffe Identifikation, lass Selbstbestimmung zu, und frage nach.

Nicht ganz so griffig war der Ausblick auf das Wahljahr 2012. Twitter hätten sich sich die Republikaner Nach der Wahlniederlage von 2008 erschlossen, bekam man zu hören. Zum Beispiel Kandidat Newt Gingrich, der 1,4 Millionen Follower habe. Indes, der Schein trüge: Zwei Drittel der Accounts seien ein Fake. Obama habe rasch viel Boden gut gemacht, wenn es um Twitter gehe. Er habe sensationalle Tageszuwachsraten. Und dennoch, John Della Volpe wollte ihn keineswegs zum Sieger für die Wahl im November 2012 erklären. Denn, so die professorale Kritik, seine Kampagne sei auffällig uninspirierend – ganz anders als 2008.

Das Publikum im Saal staunte. Da wurde es vom Harvard Pollster nach den eigenen Wahlabsichten befragt. Gegen 90% für Obama, gut 10% für Romney, war das Ergebnis der Umfrage bei der politmedialen Crème der Schweiz.

Und nun staunte der Bühnenstar John Della Volpe.
Twitterte aber bald schon das Resultat.

Claude Longchamp

Volkswahl des Bundesrates: Warum die Regierungsratswahlen keine Vergleichsbasis sind

Es ist ein innovatives Gutachten zu den Auswirkungen der Volkswahl des Bundesrates, welches das Justizdepartement vergangene Woche veröffentlichte. Zu deterministisch sollte man es allerdings nicht interpretieren. Denn Wahlen auf Kantons- und Bundesebene sind nicht vergleichbar.

Auf die Abwahl von Christoph Blocher aus dem Bundesrat reagierte die SVP mit der Initiative zur Volkswahl des Bundesrates. Diese ist zustande gekommen, wird aber, wie der Bundesrat letzte Woche entschied, dem Parlament zur Ablehnung empfohlen: Bundesräte seien keine Parteisoldaten, der permanente Bundesratswahlkampf müssten vermieden werden, es gälte Stabilität und Ausgewogenheit des Bundesregierung zu sichern, sind die amtlichen Beweggründe.

Ein gleichentags veröffentlichtes Gutachten der Politologen Adrian Vatter und Thomas Milic zu den voraussichtlichen Folgen einer Volkswahl des Bundesrates entwarnt: zerst, Bisherige würden mit hoher Wahrscheinlichkeit wiedergewählt; sodann, ein parteipolitischer Umsturz sei nicht zu befürchten. Die wahrscheinlichste Zusammensetzung wäre – nach einer Uebergangsfrist – gleich wie zwischen 1959 und 2003, nämlich je 2 FDP, CVP, SP und 1 SVP. Unsicher ist gemäss den Politikwissenschaftern der siebte Sitz: um den würden sich CVP, SVP und GPS streiten. Je nach Mobilisierung sind die die Chancen des Zentrums resp. der Pole. Eine tiefe Beteiligung nützt der CVP, bei hoher Beteiligung am ehesten die SVP.

Die Kollegen der Uni Bern betonen in ihrem Gutachten, die Bundesratswahlen durch das Volk aufgrund von Erfahrungswerten bei kantonalen Exekutivwahlen simuliert zu haben – für den Normalfall. Nun kann man die Ansicht vertreten, dass es für den Normalfall keinen Systemwechsel braucht. Volksinitiativen für eine Volkswahl des Bundesrats sind vielmehr ein Zeichen der Krise –mindestens aus der Optik einer Partei. Im aktuellen Fall ist das die SVP, allenfalls ergänzt durch die GPS.

Solange es jedoch keinen Konsens über die parteipolitische Sitzverteilung unter relevanten Akteuren gibt, ist bei Bundesratswahlen durch das Volk mit Kampfwahlen zu rechnen. Was dabei geschieht, weiss man letztlich nicht.

Meine Wette ist: Von den heutigen Mitglieder des Bundesrates hätten Simonetta Sommaruga (bundesweit sehr bekannte KonsumentInnen-Schützerin) Doris Leuthard und Ueli Maurer (national bekannte ParteipräsidentInnen) die Voraussetzung erfüllt, dass sie auch ohne grossen Wahlkampf vom Volk hätten beurteilt werden können. In Majorzwahlen wären die beiden Frauen wohl auch gewählt worden, während der polarisierende Maurer am ehesten gescheitert wäre. Eveline Widmer-Schlumpf, Didier Burkhalter, Johann Schneider-Ammann und Alain Berset hingegen wären ohne einen aufwendigen Wahlkampf kaum je Bundesrat oder Bundesrätin geworden. Denn bei einer gesamtschweizerischen Wahl hätten sie den MitbürgerInnen ausserhalb ihres Wohnkantons, insbesondere aber auch in anderen Sprachregionen einer breiten Oeffentlichkeit zuerst vorgestellt werden müssen.

Damit sind wir beim springenden Punkt, wenn Bundes- und Regierungsratswahlen miteinander verglichen werden. Kantonales Exekutivmitglied wird in der Regel, wenn man Parlamentarier im Kanton, Präsident einer wichtigen Stadt war und häufig in den lokalen Medien präsent war. Der Schritt zu höheren Weihen ist meist ein relativ klein. Der Schritt vom National-, Stände- oder Regierungrat ist auch für die meisten fähigen PolitikerInnen ein grosser. Denn keiner von ihnen wäre zuvor national gewählt worden!

Ohne eigentliche Medienpartnerschaft, ohne finanziell aufwendigen Wahlkampf geht das für die allermeisten Politikerinnen nicht! Ausser man würde auch das Wahlsystem für den Nationalrat ändern – zum Beispiel, dass die eine Hälfte vom den KantonsbürgerInnen, die andere von den SchweizerbürgerInnen gewählt würde. Solche Zwischenschritte scheut man im Bundesstaat seit seinem Bestehn, selbst für ParlamentarierInnen. Bei Bundesräten will man aber im Nu von Null auf Hundert!

Da bin ich mir ganz sicher: Der/die „erfolgreiche“ PolitikerIn würde nach Medieneignung und finanzieller Potenz gewählt, nicht nach dem Kompetenzprofil.

Das wissen letztlich alle, die sich eingehend mit PräsidentInnen-Wahlen durch das Volk beschäftigt haben. Sie akzeptieren das, denn sie wissen, dass ein Staats- oder Regierungschef mit sachkundigen MinisterInnen umgehen wird. Wenn man, wie in der Schweiz auf diesem Weg Mitglieder einer Kollektivregierung auf nationalstaatlicher Ebene sucht, hat das auf der ganzen Welt kein Vorbild.

Das Argument, in den Schweizer Kantonen habe man das auch, sticht meines Erachtens nicht. Denn Grösse macht etwas aus; und eine Bundeswahl muss sieben Mal mehr Leute involvieren als eine Regierungsratswahl im Kanton Zürich, dem noch einwohnerstärksten Kanton der Schweiz.

Mit der Grösse verändern sich Struktur und Kultur. Nicht zu unrecht, argumentiert man, die Konkordanz funktioniere auf Kantonsebene von Ausnahmen abgesehen gut, auf Bundesebene dominierte dagegen das Alternanz-Denken. Das hat mit einer anderen Medienlandschaft zu tun, mit differenter Interessenartikulation durch Verbände und mit einer Parteienlandschaft, die bundesweit klar polarisierter ist als in den Kantonen.

Genau deshalb sollte man noch so überzeugende Analysen von kantonalen Regierungsratswahlen nicht zu schematisch auf Bundesratswahlen übertragen.

Claude Longchamp

Was Ständeratswahlergebnisse bestimmt

In meiner heutigen Vorlesung zur Wahlforschung in Theorie und Praxis werde ich zwei Stunden über Wege der Forschung bei Schweizer Ständeratswahlen sprechen. Majorzwahlen in Zweierwahlkreise sind wenig verbreitet. sodass die Schweiz durchaus als Feldexperiment für die Wahlforschung angesehen werden kann.


Personen- wie Kontextmerkmale bestimmen den Wahlerfolg bei Schweizer Ständeratswahlen. Hier die sechs relevantesten und signifikanten Faktoren, welche die jüngste Studie nachweisen konnte.

„Den Ständeratswahlen wurde seitens der Forschung bisher relativ wenig Aufmerksamkeit geschenkt.” So bilanziert das Handbuch Politisches System der Schweiz den Stand der Dinge.

Zurecht geben sich die Autoren verwundert, denn Ständeratswahlen böten eine ausgezeichnete Möglichkeit, etwas über das strategische Zusammenspiel der Parteien und Wähler zu lernen. Die 20 resp. 26 Wahlkreise bei Ständeratswahlen gäben zudem fast schon ideale Vergleichmöglichkeiten ab, um Einzelbeobachtungen zu verallgemeinern.

Nimmt man den jüngsten Berichts zur grossen Selects-Wahlstudie zur Hand, wir man allerdings erneut arg enttäuscht. Die halbamtliche Wahlforschung zur Schweiz befördert keine nennenswerten neue Befund zu Tage.

Ganz anders beurteile ich eine studentische Gruppenarbeit, im Herbstsemester 2011 ihm Rahmen des Berner Masterprogramms “Schweizerische und vergleichende Politik” erstellt. Carole Gauch, Simon Hugi, Raphael Jenny und Joel Weibel heissen die vier findigen Nachwuchsforscher, welche den Bericht “Der Weg in den Ständerat” verfasst haben.

Die Stärke der Arbeit liegt darin, alle (1. Wahlgänge) der Wahlen im Herbst 2011 in die kleine Kammer untersucht zu haben. Dokumentiert wurden Wahlergebnisse einerseits, Personen- und Kontextmerkmale anderseits. Gestest wurde ein neues Modell zur Erklärung der Stimmanteile, das anschliessend, soweit bewährt, als Prognose verwendet wurde.

Erstaunlichster Befund: In 140 von 145 Fällen kann man heute korrekt voraussagen, ob eine Bewerbung (in der ersten Runde) erfolgt hat oder nicht.

Das schrittweise erarbeitete Modell berücksichtigt sowohl Personen- wie Kontextmerkmale. Signifikant miteinbezogen werden müssen mindestens 6 Variablen:

. ob der/die AmtsinhaberIn wieder kandidiert
. ob die Partei der/des AmtinhaberIn wieder antritt
. wie intensiv die Medien über eine Kandidatur bericht
. die Stärke der Partei einer Kandidatur
. die Stärke der Allianz, die eine Kandidatur unterstützt und
. das Wahlrecht, insbesondere ob die Leerstimmen in die Berechnung des absoluten Mehrs miteinbezogen werden oder nicht.

Vielleicht kommen noch zwei weitere Bestimmungsgründe hinzu: ob man ein Ratspräsidium hatte oder Regierungserfahrung mitbringt. Die Fallzahl ist hier zu gering, um verallgemeinernde Aussagen zu machen; indes die Wirkung ist positiv. Eindeutig nicht der Fall ist dies, wenn man im Nationalrat sitzt; dafür hat es zwischenzeitlich viel zu viele Alibi-Ständeratskandidaturen, deren einziger Zweck ist, die Wiederwahl in die Volksvertretung zu sichern.

Selbstredend gibt es eine gesicherte siebte Variable: ob es sich um einen Zweier- oder Einerwahlkreis handelt.

Das neue Modell ist elaborierter als alle Faustregeln aus der Praxis, aber auch als die einzige wissenschaftlichen Annahme, nach den 1995er Wahlen von Hanspeter Kriesi formuliert.

Vorentscheidend ist (und bleibt), ob der/die Bisherige erneut kandidiert. Ist dies der Fall, bestehen gut Aussichten, dass er oder sie wieder gewählt wird. (Amtsdauer könnte sich zwischenzeitlich als negative Einflussgrösse erweisen.) Ist dies nicht der Fall, hat die Partei des bisherigen Amtsinhabers einen Vorteil. Der ist allerdings nicht mehr so ausschliesslich, wie man das bisher annahm. Vielmehr wirkt sich die Medienpräsenz der (neuen) KandidatInnen bereits halb so stark auf das Wahlergebnis aus. Modelliert wird das Ganze durch die kantonal verschienenen Definitionen der Berechnung der Mehrheit, denn das hat auch Auswirkungen, ob KandidatInnen aus mittelgrossen Partei(allianz)en ein Chance haben. Das Neue an der Analyse besteht eindeutig in der Bedeutung des Medieneinflusses. Bisher ging man davon aus, dass die Absprachen unter den Parteien alleine das Wahlergebnis determinieren. Nun konnte gezeigt werden, dass die wachsende Aufmerksamkeit der Regionalzeitungen, der Lokalradios, ja selbst des Fernsehens von Belang sind.

Noch fehlt es an einem Modell für zweite Wahlgänge. Doch sind diese in der Regel besser beurteilbar. Denn da spricht die Primärerfahrung dafür, dass die Grösse und Zusammensetzung des Kandidatenfeldes – und damit die Allianzbildungen von Belang sind.

Der studentischen Forschungsarbeit habe ich entnommen, dass Befragungen wenig geeignet sind, um Ständeratswahlen zu verstehen. Denn die WählerInnen-Präferenzen sind nicht der Input ins Wahlergebnis, sie sind modulieren bloss den Output des Wahlgeschehens. Ohne eine vergleichende Analyse der Voraussetzungen, die sich aus den Eigenheiten des Kantons und der KandidatInnen ergeben, wird man auf diesem Feld nicht weiter kommen.

Die fünf Fälle, welche den vier Studierenden noch entschwappen werden helfen, den eingeschlagenen Weg der Forschung zu verfeinern. 2 bis 3 der Abweichungen erscheinen mir unerheblich, denn sie bewegen sind in einem kleinen Rahmen, wenn auch gleich rund um die Schwelle des absoluten Mehrs; mit solchen Ungenauigkeiten wird man auch in Zukunft leben müssen. Indes, die Differenzen zwischen Prognose und Ergebnis sind bei den heutigen Ständeräten Karin Keller-Sutter in St. Gallen und Pascale Bruderer im Aargau erheblich; beide Bewerbungen wurden durch das Modell unterschätzt.

Es kann durchaus sein, dass hier qualitative Ansätze nötig sind, um Kandidaturen präziser bewerten zu können. Die Bundesratsbewerbung von Frau Sutter im St. Gallischen, aber auch der SwissAward für die beste PolitikerIn des Jahres für Frau Bruderer im aargauischen gaben den beiden neuen Stars der Schweizer Politik den Status einer nationalen Heroin, deren Bewerbungen einen eigenen Zusatzwert hatten.

Claude Longchamp

Die Schweizer Parlamentswahlen – in der Brille der Selects-Wahlstudie

Vor Wochenfrist erschien der Bericht zur Selects-Wahlbefragung, dem grössten Einzelprojekt der politologischen Forschung in der Schweiz. Für meine Vorlesung zu Wahlforschung in Theorie und Praxis an der Uni Zürich habe ich eine Durchsicht der ersten Ergebnisse 2011 vorgenommen, die meines Erachtens zwischen erhellend und verstellend ausfallen.

Am spannendsten in der Selects-Studie 2011 fand ich den Nachweis, dass es auch bei Schweizer Nationalratswahlen taktisches Wählen gibt. Verglichen wurde die effektive Parteiwahl mit den Wahlabsichten kurz vor der Entscheidung. Am klarsten war die Sache für die SVP-Wählerschaft; 87 Prozent blieben bei ihrer Vorentscheidung. Das Gegenstück bildeten die grünen Parteien: 42 Prozent der vormalig GLP-Interessierten wählten schliesslich FDP, BDP oder GPS. Auch bei eben dieser GPS lösten 36 Prozent ihre Wahlabsichten anders als anfänglich geplant ein: Relevanten Stimmentausch gab es hier gegenüber der SP und der GLP. Damit ist nicht das klassischen Wechselwählen gemeint, das heisst der Wechsel von der zurückliegenden zur aktuellen Wahl. Vielmehr geht es um kurzfristige Entscheidungen, die durch allerlei situtative Umstände verursacht sein können. Demnach schwankt ein beträchtlicher Teil der WählerInnen bis am Schluss, wer ihre Stimme bekommt – und wechselt rund eine Viertel auch.

Möglich wurde dieser Test durch zwei Arten von Befragungen, der Vorbefragungen in den 6 Wochen vor der Wahl, und einer Nachbefragung der gleichen WählerInnen, in den Tagen nach der Nationalratswahl. Ueberhaupt, das Methodendesign der Selects-Studie ist umfassender geworden, was weitere spannende Vergleiche verspricht. Denn die bisher dominierende Nachbefragung der InlandschweizerInnen wurde durch eine erstmalige Online-Erhebung bei AuslandschweizerInnen erweitert worden, und die Strukturanalyse der Wählerschaft ex post ist durch eine dynamische Betrachtung der Meinungsbildung von Tag zu Tag ergänzt worden. Und jene, die vorher interviewt wurden, befragte man im Nachhinein nochmals separat. Damit hat die Schweizer Wahlforschung methodisch an die Trends angeschlossen, die in den USA schon länger bekannt sind, neuerdings aber auch in Deutschland etabliert worden sind.

Trotz dieser Verbesserungen in der Datenlage hat das Selects-Projekt gerade im Konzeptionellen auch Schwächen. Zu ihnen gehört, dass die Operationalisierung der Wahlentscheidung fraglich bleibt. Denn die Studie unterstellt, als wählten alle SchweizerInnen Parteien. Effektiv geben sie jedoch ihre Stimmenen KandidatInnen von Parteien. Wählen sie Bewerbungen mehrer Parteien, verteilen sie ihre Stimmen auf die entsprechenden Parteien. Bisherige Schätzungen zeigen, dass rund die Hälfte reine ParteiwählerInnen sind, gut 40-45 Prozent auf der Parteiliste panaschieren, also Parteifremde berücksichtigen, und 5-10 Prozent mit einer Liste ohne Parteibezeichnung KandidatInnen wählen. Genaue Zahlen dazu hat man aber kaum, und vor allem kennt man die Struktur der drei Wählertypen nicht. Schliesslich bleibt es ein Geheimnis, wer – warum – unter den Parteien Nutzniesser und Geschädigter von dieser Eigenheit des Wahlrechts ist.

Weit im Voraus sind solche Differenzierung nicht auszumachen. Denn das Ausfüllen der Wahlzettel (und damit die Personenentscheidungen) geschieht im Wesentlichen in den 3 Wochen vor der Wahl. Indes, die neue Umfragetechnik unmittelbar vor der Entscheidung wurde nicht dazu eingesetzt, dem zentralen schwarzen Loch in der hiesigen Wahlforschung auf die Spur zu kommen. Nicht ausgeschlossen werden kann deshalb, dass ein Teil des beträchtlichen Taktierens, das der Bericht von Georg Lutz nachweist, auf eben solche Effekte zurückgeht: Man wählte effektiv mit der CVP-Liste, schrieb aber zahlreiche KandidatInnen von FDP, ja auch von SVP und SP auf die eigenhändig veränderte Liste.

Damit bin ich bei einem zweiten Mangel der vorgelegten Wahlanalyse. Die Personeneffekte beim Wählen werden in der Studie unterschäzt. Der Ansatz der Selects-Studie bewegt sich ganz auf der Linie der Theorien der rationalen Wahl, wonach Parteien aufgrund von individuellen Präferenzen hinsichtlich ihres Engagements und ihrer Kompetenz in Sachfragen gewählt werden. Das gibt denn auch Hinweise auf die Bedeutung von Migrations- resp. oder Umwelt- oder Energiefragen für einen Entscheid zugunsten der SVP oder einer grünen Partei. Entscheidungen für Parteien, die näher dem Zentrum sind, können in der Regel auf diese Art und Weise weniger gut erklärt werden. (Das gilt besonders für die aktuelle Erhebung, welche die Kompetenz der Parteien in Wirtschaftsfragen gar nicht ausweist). Denn in der Mitte sind Ideologien weniger wichtig, auch eignen sich die Streitthemen weniger für die Parteiprofilierung. Dafür spielen Traditionen eine grössere Rolle, ist der Stil wichtiger, und vor allem kommt es auf die Personenprofile an, die sich bewerben. Dabei geht es nicht einmal um die ganz grossen Alphatiere, die meist nur rechts für die Mobilisierung massgeblich sind; es interessiert mehr die KandidatInnenauswahl der Partei(en), die einen überzeugen soll, für eine Partei zu stimmen. Gerade hier, wo es um eine dem speziellen Wahlsystem der Schweiz angemessene Erklärungen gehen würde, stockt das Selects-Projekt seit längerem.

Dies wird immer problematischer, weil das Wahlgeschehen, wie überall in modernen Wahlkämpfen, auch in der Schweiz stark medialisiert worden ist. Von postmodernen Kampagnen sagt man, dass sie durch medienspezifische Zielgruppenansprache wirken. Das legt auch die KandidatInnen-Befragungen im Rahmen der Selects-Studie nahe, nicht zuletzt durch die eindrücklichen Auflistung, das nur rund 20 Prozent der Wahlkampf-Ausgaben unserer gewählter ParlamentarierInnen von ihren Parteien stammen, während je zirka 40 Prozent aus dem eigenen Sack resp. aus Spenden Dritter kommen – und das gesamte Geld vor allem für persönliche Give-Aways, Plakate und Inserate eingesetzt wird. Eine Uebersetzung dieses löblich dokumentierten Kommunikations-Trends in die Befragungen, welche die Partei- und Personenwahl bei schweizerischen Nationalratswahlen analysieren, blieb indessen 2012 weitgehend aus.

So kann man schliessen: Mit der Selects-Studie 2011 erfahren wir einiges über den Zusammenhang von Themen und Parteienwahl, auch etwas über Kampagnen, Parteientscheidungen und Mobilisierung. Jedoch, die Personalisierung und Medialisierung in und von Wahlkämpfen bleiben in ihren Wirkungen weitgehend unerklärt.

Claude Longchamp

Zur Transformation der Parteiidentifikationen in der Schweiz.

Die siebte Vorlesung zur Wahlforschung in Theorie und Praxis an der Uni Zürich beschäftige sich mit der Transformation der Parteiidentifikation in der Schweiz. Hier einige thesenartige Aussagen von der gestrigen Veranstaltung.

Die Wahlnachbefragung 2007 zeigte, dass zwei Drittel der heutigen CVP-Wählenden Väter haben, die Gleiches tun. Bei der FDP beträgt derAnteil die Hälfte, bei SP, und SVP noch einen Drittel, und bei den Grünen ist das gerade bei jedem 20. der Fall.

Die klassischen Theorien der politischen Sozialisation in der Familie zur Entstehung von Parteiidentifikation bilden damit in der Schweiz eher den Spezial-, weniger den Normalfall ab. Zudem, Parteien, bei denen in der überwiegenden Zahl der Fälle gilt, dass die Familie die Zelle der Parteibindungen ist, gehören meist zu den Verlierer-Parteien. Denn sie stützen sich auf die immer gleichen Gesellschaftsgruppen, bei denen sie einen abnehmenden Erfolg haben.


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Parteien, denen die Erneuerung am besten gelingt, haben heute Wählende, die nicht mehr das Gleiche wählen wie ihre Eltern. Vielmehr haben sie gelernt, neue Gesellschaftsgruppen, anzusprechen, die eine Generation zuvor noch kaum Entsprechendes gemacht hätte. Zudem gelingt es ihnen Individuen als Wählende anzusprechen, die sich, abgekoppelt von ihrem sozialen Hintergrund für sie entscheiden. Weltweit analyisiert man das unter dem Aspekt von Dealigment, der Erosion von Parteibindungên, was in der Schweiz aber wenig Sinn macht.

Thomas Milic, der Zürcher Parteienforscher, hat in seiner Dissertation eine der interessantesten Ansätze vorgeschlagen, um solche Phänomen zu untersuchen. Er unterscheidet zwischen unparteilichen, parteilichen und überparteilichen BürgerInnen. Erstere kommen vor allem in den Unterschichten vor, bei Jüngerem, insgesamt bei Unpolitischen, die sich in der Parteienlandschaft nicht wirklich orientieren können, vielleicht hie und da abstimmen gehen, an Wahlen aber kaum teilnehmen. Die Stammwählerschaft der Parteien rekrutiert sich im Wesentlichen aus den parteilichen BürgerInnen. Sie haben eine gefestigte Parteiidentifikation, wie auch immer die entstanden ist. Im Normalfall wählen sie so und stimmen sie auch entsprechend der Parteiparole ab. Die Ueberparteilichen sind das eigentlich neue Phänomen: Anders als die Unparteilichen sind sie absolut befähigt, sich politisch zu orientieren. Sie verarbeiten am meisten Informationen, definieren sich aber nicht mehr eindeutig über Parteien, vor allem über Werthaltungen. Sie sind Feministinnen, Wertkonservative oder Wirtschaftsliberale. Ihre Parteienwahl ist noch gerichtet, aber kaum mehr eindeutig an einer Partei festzumachen, die man auf dauer unterstützen würde. Vielleicht haben sie noch eine Parteibindung, zum Beispiel die aus früheren Zeiten, aber sie entscheiden sich bei Abstimmungen immer häufiger selbständig, und sie wählen mit Vorliebe Personen aus verschiedenen Parteien.

Leider weiss die Wahlstatistik darüber nicht allzu viel, und die empirische Wahlforschung hat erst wenig hierzu zu Tage gefördert. Immerhin, man hat Anhaltspunkte: So wählen, je nach Wahl, 5-10 Prozent der Teilnehmenden mit der leeren Liste, ohne übergeordnete Parteibezeichnung, KandidatInnen, meist querbeet aus den Wahllisten aus. Rund 50 Prozent der Wählenden nutzen die Möglichkeiten des hiesigen Wahlrechts aus und panaschieren. Man könnte es auch so sagen: Sie kennen eine Parteibindung, aber keine exklusive Orientierung mehr. Dabei zeigt, sich, dass diese Phänomene bei CVP und FDP am häufigsten vorkommt, ausgerechnet bei den Parteien also, bei denen die familiale Sozialisation noch am verbreitetsten ist. Mit anderen Worten: Die Parteientscheidung ist ein Ritual, das bei der Personenentscheidung stark ausgehöhlt wird.

Die stärkste exklusive Neueinbindung hat heute die SVP, das wichtigste Gegenprojekt zu den bestehenden Parteien. Ich schätze, dass sie knapp 20 Prozent Wähleranteil bei BürgerInnen macht, die nur sie Partei wählen; hinzu kommen 5-10 Prozent Stimmen, die sie via KandidatInnen auf Listen mit Bewerbungen mehrerer Parteien macht. Bei der CVP liegen die Vergleichswerte bei rund 5 Prozent Exklusiver Parteiwählerschaft, und 5-10 Prozent weitere Stimmen kommen von Panaschierlisten.

Auf der linken Seite ist nur beschränkt eine neue Ausschliesslichkeit in den Parteibindungen entstanden. Etabliert hat sich eine neue Art der Ueberparteilichkeit. Die reicht zwar nicht bis rechts. Man fühlt sich schon noch als Wählerin, als Wähler, die, der rotgrün wählt, mal mehr rot, mal mehr grün, aber auch offen für KandidatInnen anderer Parteien, seien es solche der GLP, der FDP, der CVP, aber auch der EVP, ja selbst der BDP.

In den Termini der Wahlforschung könnte man sagen: Einzig der SVP ist es in den letzten 20 Jahren gelungen, einen neue affektive Parteibindung aufzubauen, die ihren Kern nicht in der Herkunftsfamilie hat. Vielmehr nährt sie sich aus dem täglichen Frust mit der Politik und dem System. Die Neuerung reicht aber nicht aus, um dauerhaft sehr hohe Wähleranteile garantiert zu haben. Speziell mit der Abspaltung der BDP ist eine, via Personenbildungen, relevante Alternative entstanden. Auf linker Seite gibt es eher Strömungen in der Wählerschaft, die mehr sozialistisch, liberal oder konservativ sind, über die sich die Parteien und ExponentInnen links der Mitte mehr oder minder konstant profilieren, um von den Wählenden in einem Mix aus kognitiv-emotionalen Entscheidungen honoriert zu werden. Von alle dem merkt man jedoch noch fast nicht, wenn man sich mit der Wählerschaft der FDP oder CVP beschäftigt.

Claude Longchamp

Der cleverste Papagei der Wahlprognosen

Vorteil Obama, sagt Polly der Papagei, der 2004 und 2008 äusserst erfolgreich die amerikanischen Präsidentschaftswahlen vorausgesagt hat. Mat Romney würde mit 48:52 dem amtierenden Präsidenten unterliegen, ist sein Urteil.

Polly ist nicht einfach irgend ein Papagei. Er ist so etwas wie der Star unter den Vögeln, die über Wahlen zwitschern.

Genau genommen, ist er nur ein symbolischer Papagei, den er spricht nur nach, was ihm die besten Wahlprognostiker, die ich kenne, vorhersagen.


Quelle: PollyVote

Andreas Graefe aus Bayern, Scott Armstrong aus Pennsylvania, Randall Jones aus Oklahoma und Alfred Cuzan aus Florida haben letztes Jahr am Kongress der amerikanischen Politikwissenschafter ein Paper vorgelegt, das ihre Forecasting-Methode detailliert beschreibt.

Keine Theorie ist präzise genug, um zu sagen, wie man Wahlen vorhersagen kann, sind die Spezialisten überzeugt. Und kein Instrument kann für sich beanspruchen, fehlerfrei zu sein, fügen sie bei. Entsprechend ist ihr Vorgehen pragmatisch: Für gute Wahlprognosen verwende man, was plausibel ist und sich bewährt hat. Nach Auffassung des Spezialisten-Teams sind das

• Wahlumfragen
• Wahlbörsen
• Makro-ökonomische Modelle
• Index-Methoden und
• Expertenurteile

Die systematisch umgerechneten amerikanischen Wahlumfragen ergeben (reduziert auf die Zwei-Kandidaten-Wahl) 52,4 Prozent für Obama. Die Iowa Wahlbörse steht bei 52,9 Prozent. Besser noch steht es für den Amtsinhaber bei der Index-Methode, selber ein Mix aus Merkmalen der Kandidaten, der grossen Themen der zugeschriebenen Kompetenz der Bewerber, damit umzugehen, und der Konstellationen der Wahl. Das alles spricht zu 54,6 Prozent für Obama. Schlechter sieht es für ihn aus, wenn man auf die bewährten makro-ökonomischen und makro-politischen Merkmale abstellt, denn da kommt der jetzige Präsident nur auf 49.9 Prozent Wahrscheinlichkeit, wiedergewählt zu werden.

Zu diesen vier berechneten Werte für den Wahlausgang kommen Expertenurteile hinzu. 16 Fachleute geben hierzu monatlich einmal ihre Einschätzung ab, die dann zu einem gemittelten Wert führt. Aktuell liegt der bei 51,6 Prozent für den Demokraten.

Lange fackelt PollyVote nicht mehr, wenn die fünf Werte beisammen sind, denn dann bildet das Team, das für die Gesamtprognose zuständig ist, ganz einfach einen Mittelwert.

Bei den Präsidentschaftswahlen 2004 und 2008 ist man mit diesem Verfahren, das noch weniger elaboriert war, sehr gut gefahren. Die Vorhersagen zum Wahlausgang waren nicht nur richtig; sie waren auch sehr präzise.

Das hat PollyVote Selbstvertrauen gestärkt. Denn ihre Prognosen finden, ziemlich transparent und frei zugänglich, fast täglich auf ihrer Website statt. Ein wenig mehr davon in der bisweilen aufgeregten Wahlberichterstattung der Medien über Primaries der Republikaner und die Politik des demokratischen Präsidenten wäre sichernlich angeziegt!

Vor einem muss ich allerdings warnen. Ganz stabil sind die vorhergesagten Werte nicht. Am 7. Mai 2011, unmittelbar nachdem Osama bin Laden niedergestreckt wurde, war Obama rund 54,1 Prozent auf dem bisherigen Höhepunkt seiner Wahlchancen. Tiefpunkt war der 4. November, als Polly, der cleverste Papagei unter den Wahlprognostikern, ihm noch 50,4 Prozent der Voten vorhersagte.

Immerhin, Mehrheit ist Mehrheit!

Claude Longchamp

Twittprognosis ?????????????

Am Sonntag schon bin ich auf Twittprognosis gestossen; darüber zu bloggen getraute ich mich am 1. April nicht, weshalb ich das heute nachhole. Mit der Frage an die Weisheit der Viele: Wer und was steckt hinter dieser Weise der …

Die neueste Grafik ist spektakulär: Eine Prognose für die Piratenpartei in jedem deutschen Bundesland. Mit 13 Prozent ist Berlin Rekordhalter, während in der neueste Spross in der deutschen Parteienlandschaft in Baden-Württemberg auf 2,5 Prozent kommt.

Vertrieben wird die Darstellung von “twittprognosis”. Genauso wie viele andere, höchst interessante Vorhersagen.
Nur, was twittprognosis ist erfährt man kaum; die kürzeste Selbstdarstellung lautet: “Scientificly ascertained prognoses for elections worldwide based on CATI, Online-Panel, Prognosis, Online-Polls, Face-To-Face-Interviews and Election Results.”
Eine Homepage ausserhalb von Twitter gibt es nicht; selbst google findet hierzu nicht. Auf wikipedia eine grosse Leere, einzig irgendwo versteckt ein Kommentar, der twitter-Dienst suche sich einzunisten, ohne dass man erfahre, was gemacht werden; Fazit, gut geraten sei auch geraten.

An sich finde ich die Weisheit der Viele etwas höchst Interessantes. Hier bleibt die Frage, ist es die Weisheit einiger weniger? Vielleicht hilft mir die Weisheit der Vielen, die mir folgen, weiter, um zu klären, wer und was Twittprognosis ist?

Claude Longchamp

Allianzbildung im neuen Nationalrat: Das Zentrum gibt den Takt vor, braucht aber einen Verbündeten

Die Fraktionen im Nationalrat haben ihre Positionen bezogen und stimmten bisher genau so wahlverwandt wie ihre Wählerschaften. Das zeigt eine Analyse von Christian Bolliger und Samuel Kullmann von Berner Büro Vatter AG, die der heutige Sonntagsblick präsentiert.

Nach einigem Schwanken war kurz vor- und nach den Wahlen alles klar: Das letzte Wahlbarometer, aber auch die Wahltagsbefragung legten auf der Rechts/Links-Achse die Reihung SVP, FDP, BDP, CVP, EVP, GLP nahe, während SP und GPS praktisch identisch positioniert waren. Dabei bildete die linke Wählerschaft, jene von SP und GPS, einen recht homogenen Block, während die Mitte-WählerInnen, jene GLP, EVP, CVP und BDP, das neue Zentrum umfassten. Klar rechts davon stand die SVP-Wählerschaft, am ehesten Mitte/Rechts das Elektorat der FDP.


Verwandtschaften zwischen den Fraktionen: Anteil identischer Stellungnahmen im Paarvergleich

Das Büro Vatter in Bern wertete nun die ersten 507 Namensabstimmung im neu gewählten Nationalrat aus. Zuerst ging es darum, ob die Fraktionen mehrheitlich dafür oder dagegen gestimmt hatte; dann ermittelte man die Verwandtschaften der Fraktionen. Und siehe da: Die Ergebnisse sind praktisch deckungsgleich.

Hier die Lager:

Wiederum haben SP und GPS die höchste Uebereinstimmung untereinander. In 95 Prozent der Abstimmungen standen sie bei den Namensabstimmungen auf der gleichen Seite.
Zu 84 Prozent identisch waren die Mehrheiten von CVP/EVP und BDP. Sie bildeten, weitgehend gemeinsam, den Kern der neuen Mitte. Dazu zählt auch die GLP, die mit der CVP/EVP zu 81, mit der BDP zu 80 Prozent übereinstimmt.
Die SVP steht auch im Nationalrat weitgehend für sich; am ehesten noch gibt es eine Konkgruenz mit der FDP, doch bleibt diese bei 65 Prozent stehen.
Auch hier fällt die Einordnung der FDP am schwierigsten aus. Am ehesten zählt sie im Nationalrat aber zum Zentrum, mit dem sie sich in mehr als drei Viertel der Fälle gleich entscheidet. Das ist einiges mehr als vis-à-vis der SVP.


Allianzbildung im neuen Nationalrat: Häufigkeiten der Formationen

Die häufigste Allianz im Nationalrat ist denn auch die Polarisierung “Alle gegen die SVP” (24%), gefolgt von Mitte/Rechts gegen die SP und GPS (19%). Dann kommen die einstimmigen Entscheidungen (13%), die noch etwas häufiger vorkommen als Allianzen von Mitte/Links gegen die vereinigten SVP und FDP (8%). In 5 Prozent gesellt sich die BDP zum rechten Pol resp. in weiteren 6 Prozent tun diese BDP und GLP. Das macht es danm schwer vorherzusehen, wie der Ausgang der Abstimmungen ausfällt.

Alles in allem ist die CVP/EVP mit 90 Prozent am häufigsten bei der Mehrheit, gefolgt von der BDP mit 87 Prozent und der FDP mit 84 Prozent, die noch vor die GLP (80%) zu liegen kommt. SP und GPS stimmen je zu 63 Prozent wie der Nationalrat, während dieser Wert bei der SVP bei 56 Prozent liegt.


Positionierung mit der Mehrheit/entscheidend für die Mehrheit

Hier ist die Studie von Christian Bolliger und Samuel Kullmann innovativ. Denn sie bestimmt zu den bekannten Mehrheitszugehörigkeiten auch die Abstimmungen, bei denen der ein umgekehrter Fraktionsentscheid eine andere Mehrheit bewirkt hätte. Da schwingt dann die SP oben aus, die in 40 Prozent der Entscheidungen die Mehrheiten beschafft, gefolgt von der SVP mit 38 Prozent und der CVP/EVP mit 30 Prozent. Das sind, genau genommen, auch die grössten Abordnungen im Nationalrat.

Das Dossier im Sobli ist vielleicht etwas zahlenlastig. Immerhin, es synthetisiert die ersten Positionsbezüge der Fraktionen nach einem halben Jahr Arbeit. Die Ergebnisse zeichnen aber ein gesichert-differenziertes Bild der Lage im Nationalrat: Ein durchgängiges bürgerliches Lager gibt es nicht mehr, nicht zuletzt weil sich die SVP isoliert hat, mehr auf Eigenprofilierung setzt als auf Zusammenarbeit. Mitte/Links bestimmt die Entscheidungen der grossen Kammer aber ebenso wenig regelmässig; dafür sind SP und GPS zu weit weg vom Zentrum. Am ehesten setzt sich im Nationalrat das Zentrum rund um CVP/BDP, gefolgt von GLP, durch, mit dem die FDP noch etwas Mühe bekundet, faktisch aber dazu gehört.

Numerisch reicht das in der Regel nicht für eine sichere Mehrheit, sodass das Powerplay der Polparteien beginnen kann, wenn nicht einer der beiden Parlamentsflügel frühzeitig eingebunden wird. Da haben sich SP und GPS bisher etwas geschickter verhalten als die SVP und ihre Stimmkraft im entscheidenden Moment in die politische Waagschale geworfen.

Claude Longchamp

Neue Parteistärken – in Wahlbefragungen und Wahlen

Gestern veröffentlichte die Sonntagszeitung erstmals seit den Nationalratswahlen 2011 Umfrage-Ergebnisse zu Parteistärken. Zudem wählte mit St. Gallen jüngst ein Kanton, der gross genug ist, um nationale Trends reflektieren zu können. Ein Kommentar zu den aktuellsten Veränderungen in der Parteienlandschaft.

ps
Quelle: Sonntagszeitung

Man erinnert sich sicherlich: BDP und GLP gewannen die Wahlen in die Volksvertretung im letzten Oktober. Alle anderen mussten, bei leicht steigender Wahlbeteiligung, Wählerverluste in kleinerer oder grösseren Zahl hinnehmen.

Teilweise ähnliches wiederholte sich im Kanton St. Gallen, dem grössten Kanton, der seither gewählt hat. Die Wahlbeteiligung stieg, und die grössten Gewinne gingen an GLP und BDP. Anders als auf nationaler Ebene konnten auch SP und GP zulegen, und es hielt sich die FDP. Verluste setzte es bei der CVP und namentlich der SVP ab.

Nun veröffentlichte die Sonntagszeitung erstmals auch ihre Parteienbarometer. Erstellt wird es quartalsweise, aufgrund von Isopublic Erhebungen. Akutell basiert die Auswertung auf 1009 Befragten, interviewt um die Monatswende vom Februar zum März.

Erneut gehören die GLP und die BDP zu den klaren Gewinnerinnen. Etwas zugelegt haben SP und FDP, während die CVP stabil ist. Minimale Verluste ergeben sich für die GP, deutliche für die SVP. Angaben zur Wahlbeteiligung, wäre denn auch gewählt worden, macht die Sonntgszeitung nicht.

Was heisst das alles? – Bestätigung findet der Haupttrend von 2011. Die neuen Parteien im Zentrum, die mässigend auf die Polparteien, sind (unverändert) im Schwang. Schaden genommen hat vor allem die SVP, ohne dass die Partei ihre Position als wählerstärkste Kraft in der schweizerischen Parteienlandschaft eingebüsst hätte. Der Rest ist etwas uneinheitlich. Am ehesten noch gilt, dass die SP von den Monaten seit den Nationalratswahlen etwas profitiert hätte. Stabilisiert hätte sich die FDP. Etwas unsicherer ist diese Aussage in Bezug auf CVP und GPS.

Oder anders gesagt: Die Polarisierung der Parteienlandschaft scheint überwunden. Dafür sprechen alle Werte für die neuen Parteien im Zentrum. Bezahlt wird dieser Wandel in erster Linie von der SVP, die am klarsten und längsten von der Polarisierung der Parteienlandschaft profitiert hatte. Der Rest hat sich lagermässig stabilisiert. Bei den Parteien gilt, das für die SP, wohl auch für die FDP. Unsicher ist das namentlich bei der CVP.

Am auffälligsten ist der Wandel zwischen steigender Wahlbeteiligung und Gewinnen für die SVP. Was jahrelang galt, ist seit 2011 ausser Kraft gesetzt. Vieles spricht dafür dass die rechtspopulistische Mobilisierungskraft der SVP nachgelassen hat, nicht zuletzt seit sie fast durchwegs eine negative Presse hat. Denn genau die Focusierung der Medienaufmerksamkeit auf die SVP hatte ihr immer wieder geholfen, selbst wenn die Kommentierung schwanken war.

Die neue BürgerInnen, die sich einbringen (wollen) gehen zu den neuen Parteien, die von Vorschusslorbeeren profitieren können. Vermehrte Kritik an ihrer Kampagnenfähigkeit (GLP im Zusammenhang mit der Zweitwohnungsinitiative) und Politik der SpitzenrepräsentantInnen (BDP mit Bundesrätin Widmer-Schlumpf) dürfen ihnen nicht egal sein. Mindestens in St. Gallen haben die Trends in der Beteiligung auch der in der Minderheit stehenden Linken geholfen, die durch ihren unerwarteten Wahlerfolg bei den Ständeratswahlen beflügelt ist.

Claude Longchamp