Mehr als nur Verstärkerwirkungen möglich

Welche Rolle spielt die politische Information bei Wahlentscheidungen? Eine vermehrt eigenständige und zunehmend massenmedial bestimmte, sagt der Mannheimer Politikwissenschafter Rüdiger Schmitt-Beck.

Klassisch wird die aufgewordene Frage durch die Forschungsergebnisse beantwortet, welche die amerikanischen Columbia-School im Gefolge von Paul Lazarsfeld beginnend in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts erarbeitet hatte. Medien als den wichtigsten Verbreitern von Informtion kommt dabei vor allem eine Verstärkerwirkung bestehender Prädispositionen der Menschen zu.

Differenzierter fallen die Schlüsse aus, wenn man der Habilitationsschrift von Rüdiger Schmitt-Beck folgt, die sich auf Sekundäranalysen von Wahlbefragungen in den USA, Grossbritannien, Spanien sowie West- und Ostdeutschland aus den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts stützt.

Politischen Prädispositionen der WählerInnen, kollektiv auch Grundlinien einer Entscheidung genannt, mischen sich in Entscheidungen mit Informationen, welche Wahlergebnisse oszillieren lassen. Das ist auch bei Schmitt-Beck der Ausgangspunkt. Als Einfluss von Information wird dabei jener Effekt definiert, der WählerInnen Entscheidungen treffen lässt, die sie ohne diese Informationen nicht gefällt hätten.

Die empirischen Ergebnisse, die Schmitt-Beck hierzu präsentiert, sind zunächst nicht unabhängig von der untersuchten Wahl resp. von ihrem Kontext: Personenwahlen wie die amerikanischen Präsidentschaftswahlen sind stärker informationsabhängig als Parteiwahlen; das gilt auch für Parteiwahlen in jungen gegenüber etablierten Demokratien. Schliesslich findet sich das Phänomen auch dort vermehrt, wo politische Entscheidungen von gesellschaftlichen Konfliktlinien unabhängiger, sprich individualisierter, ausfallen.

Unter den Prädisposition geht die Bedeutung der Schicht zurück, während Werthaltungen bei Wahlen wichtig bleiben, meist aber von Parteibindung überlagert werden. Informationen wiederum treffen auf zwei verschiedenen Wegen auf Parteibindungen: einerseits massenmedial resp. anderseits durch interpersonale Kommunikation. Dabei kommt dem Fernsehen generell die grösste Bedeutung zu, weil es ubiquitär verbreitet ist, während sich in der Nutzung von Printmedien und damit ihrer Bedeutung als Informationsquellen kulturell bestimmte Unterschiede finden. Das gilt auch für die Verbreitung von Gesprächen zur Informationsgewinnung, die zusätzlich durch den Grad der Politisierung von Wahlen beeinflusst sind.

Je pluralistischer ein Mediensystem ist, desto geringer fallen die erwarteten Medieneinflüsse aus. Konzentrationen im Mediensystem erhöhen diese jedoch ebenso wie die Abhängigkeit der Medien von politischen Akteuren. Hinzu kommt, dass moderat einseitige Berichterstattungen beeinflusender sind, als neutrale und klar gerichtete, weil letztere zu eigentlichen Gegenreaktionen unter den RezipientInnen führen.

Das Fernsehen trifft wegen seiner zentralen Stellung per definitionem auf vermehrt diskordante Prädispositionen. Gerichtete Printmedien in einem pluralistischen Mediensystem führen dagegen dazu, dass sich die WählerInnen jenen Medien zuwenden, von denen sie eine höhere Uebereinstimmung mit den eigenen Positionen erwarten. Das gilt ganz besonders auch für Primärbeziehungen wie Ehepartner, Verwandte und FreundInnen, weniger aber für Sekundärnetze wie Arbeitskolleginnen.

Informationen aus Kanälen, die Konkordanz mit den Prädispositionen versprechen, aktivieren diese in erster Linie. Sie verstärken damit die Grundlinie. Zu Konversionen kommt es vor allem dann, wenn diskordante Informationen aufgenommen und akzeptiert werden. Hierbei ist jedoch die Glaubwürdigkeit der Absender massgeblich. Dabei ist das Vertrauen meist wichtiger als die Kompetenz. Ist das Vertrauen von Absendern gegeben, können diskordante Informationen durch Prädispositionen überlagern oder verändern, sodass die Wahlergebnisse zu oszillieren beginnen. Das ist namentlich beim Fernsehen der Fall.

Insgesamt weichen die Ergebnisse, die Schmitt-Beck präsentiert, nicht fundamental von jenen der wahlbezogenen Kommunikationsforschung der amerikanischen Columbia-School ab. Doch reduziert der deutsche Politikwissenschafter angesichts verschiedenartiger Befunde die bisher übliche Beschränkung der Medienwirkung auf die übliche Verstärkerrolle. Ës kann auch zu einer Umkehr der Verhältnisse kommen, hält er in seiner Bilanz fest. Zahlreiche Fenster der Beeinflussung von Prädispositionen durch Informationen, sei dies bei parteiungebundenen BürgerInnen oder Wahlen, in denen Personen wichtiger sind als Parteien, werden angesichts der steigenden Durchdringung von Wahlkämpfen durch Massenmedien geöffnet.

Claude Longchamp

Wahlentscheidung unter Medieneinflüssen

Beeinflussen Massenmedien die Wahlentscheidungen? Dieser zentralen Frage der Wahlforschung geht der Mainzer Publizistikwissenschafter Stefan Dahlem in seiner Dissertation nach. Die Literaturübersicht integriert medien- und wählerInnen-orientierte Ansätze zu einem neuen interdisziplinären Vorgehen für die emprische Forschung, welche die aufgeworfene Frage theoretisch beantwortbar machen soll.

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Ueberischt über zentrale Argumentationsketten zum Medieneinfluss auf die Wahlentscheidung nach Stefan Dahlem

Für die Modellbildung konstitutiv ist die Unterscheidung innerer wie äusserer Faktoren der Wahlentscheidungen. Letztere entstehen aus dem sozialen Umfeld, der allgemeinen politischen Lage, den Massenmedien und der öfffentlichen Meinung. Dabei geht der Einfluss des sozialen Umfeld kontinuierlich zurück, und es nimmt die Bedeutung massenmedialer Darstellunger der politischen Lage zu. Dabei geht es weniger um eine direkte Einflussnahme, als um eine indirekte, indem die Medienberichterstattung die Vorstellungen der Wählenden über die Entscheidungsgegenstände bestimmt.

Diese Vorstellung sind die inneren Faktoren der Wahlentscheidung. Ideologien, Werte und Parteibindungen sind die langfristigen Prädispositionen der Wahl. Insbesondere die Rückläufigen Parteibindungen können als Folge der Negativberichterstattung über PolitikerInnen und Parteien in den Massenmedien gedeutet werden, was die Bedeutung kurzfristiger Informationen für den Wahlausgang erhöht, die ihrerseits in zunehmendem Masse auf massenmedialen Berichten basieren.

Drei Entscheidungsmechanismen erscheinen dabei als empirisch hinreichend geprüft, um verallgemeinert werden zu können:

. das Image von KandidatInnen,
. die vermutete Kompetenz der Parteien in den wichtigen Themen und
. das Meinungsklima, das sich aus dem Wahlkampf ergibt.

Namentlich bei WechselwählerInnen sind sie die massgeblichen Determinanten. Deren Bedeutung im Einzelnen lässt sich aber ohne das Studium des Wahlkampfes nicht vorhersagen.

Die gut lesbare und klar strukturierte Arbeit kommt trotz zahlreichen Ungereihmtheiten in der referierten Forschung zum Schluss, Einflüsse von Medieninhalten auf die Wahlentscheidung bestünden. Ihre Stärke hängt nach Dahlem zunächst von der Bedeutung von Netzwerken ab, in denen Wählende Informationen verarbeiten. Ohne sie, ist die Bedeutung massenmedialer Darstellung zentral, mit ihnen wird sie von den Netzwerken gebrochen. Sodann geht es auch um den Einfluss der Politik auf die journalistischen Darstellungen. Offensichtlich ist das Bemühen der Parteien und PolitikerInnen, die Medieninhalte zu bestimmen; diskret ist die Macht der Medien dort, wo sie mit ihren Selektionskritierien und Bewertungsmechanismus selber bestimmen, wer, wann und wie vor- oder nachteilhaft erscheint.

Modellmässig spricht nach Dahlem einiges dafür, dass die Enscheidungen der Wählen für Parteien und KandidatInnen heute vor allem durch Vorstellungen geprägt sind, die massenmedial vermittelt, von den Wählenden wahrgenommen und emotional verarbeitet werden. Diese Erkenntnis steht der rational-choice-Modellierung der Wahlentscheidung diametral gegenüber, die prinzipiell von informierten, vernunftgeleiteten Sachentscheidungen bei Wahlen ausgeht.

Meine Bilanz ist denn auch, dass das die spannendste These, welche die Dissertation von Stefan Dahlem nach fast 500 Seite Bericht für die empirische Forschung präsentiert.

Claude Longchamp

Stefan Dahlem: Wahlentscheidung in der Mediengesellschaft, München 2001

Gemeinsame Freunde, unterschiedliche Feinde

Seit den US-amerikanischen Wahlen ist die Internetnutzung zur politischen Mobilisierung in aller Politiker Mund. Das gilt neuerdings besondere für den Einsatz von Facebook durch Schweizer ParlamentarierInnen. Jetzt sind die virtuellen Beziehungsgeflechte der BundesparlamentarierInnen auf der populären Internetplattform erstmals untersucht worden.

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Das Beziehungsgeflecht der BundesparlamenterierInnen, die Facebook nutzen, aufgrund der (Un)Aehnlichkeit ihrer “Freunde”.

Typisch für die gegenwärtig Entwicklung ist Christian Levrat, SP-Parteipräsident. Bis im November 2008 betrachtet er “Facebook” als reines Gadget. Danach merkte er, dass dieses Medium für konkrete politische Arbeit eingesetzt werden kann. Sein Positivbeispiel hat er im Zusammenhang mit den UBS-Boni erlebt. Die vom Chef der SozialdemokratIennen inizierte Gruppe hatte innert Tagesfrist 3000 Mitglieder. Sie wurde mobilisiert, dem Finanzminister Hans-Rudolf Merz einen kritischen Brief zu schreiben. Drei Minuten pro Tag setzt der Freiburger Nationalrat nach eigenen Angaben im Schnitt ein, um über seine Foren zusätzlich à jour zu sein.

Michael Hermann, der Zürcher Politgeograf, hat nun erstmals die Netzwerke der 54 Bundesparlamentarier analysiert, die Facebook nutzen. 49 davon sind Mitglieder der Volksvertretung, 5 der Kantonsvertretung. 40 Prozent gehören zur SP, 34 Prozent zur FDP. Klar ist der Zusammenhang mit dem Alter: Bei den über 60jährigen kaum ein Thema, setzt eine Mehrheit der BundespolitikerInnen unter 40 Jahren Facebook bereits heute ein.

Die von der Forschungsgruppe sotomo erstmals erarbeitete Visualisierung der Beziehungsgeflechte via Facebook liesst sich wie jedes MDS: Wer am weitesten auseinander ist, mobilisiert unterschiedliche KlientInnen, wer nahe beisammen erscheint, hat gemeinsame Freinde.

Hermann hält die nachstehenden Strukturen fest: Die Sprachregion, teilweise selbst der Kanton, entscheidet als Erstes, wo ein(e) ParlamentarierIn auf der Grafik erscheint. Die Romand(e)s sind “oben-rechts”, die TessinerInnen “unten-links”. In zweiter Linie finden sich parteipolitische Regionen. Die SP und die SVP mobilisieren zweitens auch via Facebook die gegensätzlichsten Menschen. Es trifft notabene auch für die FDP und beschränkt für die CVP zu, nicht aber bei den Grünen, die recht zentral erscheinen.

Es wird interessant sein, die Entwicklung dieses Geflechts in naher Zukunft beobachten zu können. Moment finden die Initiatoren erste Nachahmer, bald schon ist damit zu rechnen, dass der Mainstream das neuartige social networking nutzen wird.

Denn erst wenn es einzelnen Parteien gelingen sollte, die innere Homogenität ihrer e-KlientInnen zu erhöhen und zu verdichten, ist zu erwartet, dass das Aufgezeigte wirklich mehr als ein Gadget ist und die Mobilisierung in Sachfragen oder bei Wahlen beeinflusst kann. So weit sind wir noch nicht wirklich.

Claude Longchamp

Medienschaffende und PolitikerInnen: Egoisten oder Altruisten und sich?

Im Rahmen einer europaweiten Studie untersucht ein Forschungsteam des IPMZ der Uni Zürich erstmals die politische Kommunikationskultur der politisch-medialen Eliten in der Schweiz. Es liegt der Zwischenbericht der Professoren Otfried Jarren und Patrick Donges vor, der jetzt in die vergleichende Betrachtungsweise eingebracht werden soll. Eine kleine Uebersicht.

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Wechselseitige Brüche im Rollenverständnis von Politik und Medien ortet die Studie des IPMZ zur politischen Kommunikationskultur in der Schweiz

In Anlehnung an die politische Kulturforschung wird die politischen Kommunikationskultur in dieser Studie in 4 Dimensionen zerlegt:

. System: Interaktionsstruktur von Eliten aus Politik und Medien
. Input: Bedeutung der öffentlichen Meinung in der Politikvermittlung
. Output: Einstellungen zur politischen Oeffentlichkeitsarbeit und
. Selbstbild: Rollendefinitionen in der Interaktion der politisch-medialen Eliten

Zur Operationalisierung wurde eine Elitenbefragung konzipiert, realisiert bei 332 prominenten VertreterInnen aus Politik und Medien.

Die Kernergebnisse

Selbstbilder: In ihren wechselseitigen Rollenbildern unterscheiden sich politische und mediale Eliten massiv. Die PolitikerInnen nehmen Medien als marktkonforme Vermittler wahr, deren Hauptaufgabe es ist, möglichst viele NutzerInnen zu haben. Die Medienschaffenden definieren sich dagegen als Informanten der BürgerInnen, damit sich diese eine begründete Meinung bilden können. Das gilt notabene auch umgekehrt: Medienschaffende sehen im medialen Engagement der PolitikerInnen den Wunsch, die eigene Bekanntheit zu erhöhen, während PolitikerInnen das als Beitrag zur öffentlichen Information sehen.

System: Der Einfluss des öffentlichen Fernsehens, der Qualitätszeitung und der Boulevardpresse eingestuft. Geringer ist der Einfluss von Privatenfensehen und Online-Medien. Generell nehmen die politischen Auskunftsgeber mehr Einfluss wahr als die Medienschaffenden. Insgesamt fällt das Urteil beider Gruppen zum Einfluss der Medien auf die Funktionsweise der Demokratie positiv aus.

Input: Die Beurteilung von Umfragen fällt gemischt aus. Regelmässige Berichte werden recht positiv beurteilt. Der Journalismus, der sich auf Umfragen bezieht, gilt aber nicht als glaubwürdiger. Vor allem Medienschaffende bleiben hier skeptisch. Von beiden Gruppen werden Meinungsumfragen übrigens nicht als Hindernisse angesehen, um politische Vorhaben selbst bei einer kritische Bevölkerungsmeinung realisieren zu können.

Output: Fernseh-Talkshows gelten schliesslich als wirkungsvollste Vorgehensweise, um Botschaften in der Oeffentlichkeit zu platzieren. Praktisch gleichwertig beurteilt werden gezielte Informationsarbeit der politischen Akteure gegenüber JournalistInnen. Generell gelten medienorientierte Strategien als geeigneter denn politikbezogene wie die Parlamentsrede.

Mein Kommentar

Das sicherlich spannendste Ergebnis betrifft die Selbst- und Fremdbilder der Eliten untereinander. Sie zeigen erhebliche Brüche. Dabei unterstellt man dem Parnter egoistische Motive, während man die eigenen altruistisch interpretiert. Es wird interessant sein, diesen kulturellen Wandel bald einmal im Vergleich mit anderen politischen Kommunikationskulturen vergleichen zu können.

Claude Longchamp

Die 25 grossen Kommunikationsereignisse 2008 in der Schweiz

Die Finanzmarktkrise war das wichtigste Thema in den Schweizer Medien 2008. Das geht aus der Kommunikationsereignis-Analyse der “Arena Schweiz” hervor, wie die Forschungsstelle für Oeffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich festhält. Auf den weiteren Plätzen folgen die Präsidentschaftswahlen in den USA und die Euro 08.


Bilder: Blick online

Das Datenmaterial
Für de Zürcher Medienwissenschafter “wird Gesellschaft erst durch Netzwerke öffentlicher Kommunikation sichtbar”, weil so “gesellschaftliche Wirklichkeit konstruiert wird.” Für diese sind, so die Forscher, Kommunikationsereignisse entscheidend. Verstanden werden sie als diskursive Auseinandersetzungen, die “in ihrem Vergleich die gesellschaftlich bedeutsamen Aufmerksamkeitsstrukturen” reflektieren.

Diese Kommunikationsereignisse zu analysieren, ist das Ziel des Projektes. Berichtet wird darüber periodisch mit einem Newsletter auf der Website des fög. Regelmässig ausgewertet werden 10 Leitmedien (NZZ, «Tages-Anzeiger», «Blick», «Echo der Zeit», «Rendez-vous», «10 vor 10», «Tagesschau», «NZZ am Sonntag», «Sonntags-Zeitung» und «Sonntags-Blick»). Dabei wird in einem ersten Schritt für jedes Medium eine Rangierung vorgenommen, in einem zweiten Schritt werden diese gewichtet. Somit hat der Umfang der Berichterstattung in einem Medium keinen Einfluss auf das Ergebnis, wenn er in anderen Medien nicht vergleichbar ausfällt.

Die wichtigsten Medienthemen Januar bis November 2008

1 Finanzmarktkrise
2 Präsidentschaftswahlen USA
3 Fussball-Euro 2008
4 Geschäftsgang UBS
5 Parteiprogramm SVP
6 Olympische Spiele 2008
7 Affäre Korpskommandant Nef
8 Energiepolitik Schweiz
9 Konjunkturverlauf Schweiz
10 Streik SBB Cargo
11 Personenfreizügigkeit
12 Bundesratswahl 2008
13 KVG-Revision
14 Kaukasus-Konflikt
15 Steueraffäre Deutschland – Liechtenstein
16 Erdölpreisentwicklung
17 Umsetzung Armee XXI
18 Stabilitätspakt Kosovo
19 Nahost-Konflikt
20 Geschäftsgang SBB
21 Bürgerkrieg Kolumbien
22 Rücktrittsforderungen an Bundesrat Schmid
23 UBS – Fall Birkenfeld
24 Tibet-Frage
25 Kaderlohndebatte

Ueberblickt man die Zeit seit der Jahrtausendwende, war der Beginn des Irak-Kriegs (2003) das ressonanzstärkste Kommunikationsereignis in der Schweiz. Es folgen die Eidg. Wahlen von 2007, der Libanonkrieg (2006) und die bereits erwähnte Finanzmarktkrise (2008), die noch vor “9/11” (2001) rangiert.

Mein Kommentar
Die Zusammenstellung des fög würde es verdienen, in der Bestimmung von Medienöffentlichkeit mehr berücksichtigt zu werden. Denn die Fakten könnten manch falsche Einschätzung von Medienereignissen verhindern, die aus Betroffenheiten oder Interesse verzerrt wahrgenommen wird. Sinnvoll wäre es allerdings auch, sich mit dem Wirklichkeitsbegriff der Zürchen Medienwissenschafter kritisch auseinander zu setzen. Und redlich wäre es, wenn sie selber klarer kommunizieren würden, dass sie nur die deutschschweizerische Medienarena untersuchen, nicht die gesamtschweizerische.

Claude Longchamp

Guerilla Marketing als Instrument im Abstimmungskampf

Guerilla Marketing als Begriff ist nicht neu, als Erscheinung in schweizerischen Abstimmungskämpfen wurde er bisher jedoch wenig verwendet. Aktivitäten der Jungen SVP gegen die Personenfreizügigkeit können unter diesem Label analysiert werden. Eine kleine Auslegeordnung.



Begriffsdefinitionen

Guerilla-Marketing ist die Kunst, den von Werbung übersättigten Konsumenten, grösstmögliche Aufmerksamkeit durch unkonventionelles bzw. originelles Marketing zu entlocken. Das gibt der deutsche Werbeprofi Thorsten Schulte (“Guerilla Marketing Portal”) als Definition des Phänomens. Er hält aber auch fest: Eine abschliessende Umschreibung eines sich rasch entwickelnden Trends gibt das nicht. “Anregungen, Ideen, kritische Kommentare und zukunftsweisende Optimierungen sind ausdrücklich erwünscht.”

Entstanden ist das Guerilla Marketing aus aus der Werbemüdigkeit heraus, die man seit einiger Zeit immer wieder beklagt. Das hat teilweise zu kleineren Budgets geführt und zu einem verschärften Kampf um Aufmerksamkeit. Thorsten Schulte versteht Guerilla Marketing denn auch als “übergreifende Philosophie, als Kunst, als das Ergebnis eines kreativen psychischen Prozesses, als die Strategie der Kriegsführung um die Aufmerksamkeit der Kunden, für die Marke und gegen die Wettbewerber. (…) Die Aktion und das “Handeln” erfolgt durch den physischen Einsatz unterschiedlicher Instrumente wie Ambient Medien, Ambush-Marketing, Viral-Marketing oder Guerilla Sensation / Ambient Stunts.”

Beispiel der Jungen SVP gegen die Personenfreizügigkeit
Nimmt man diese Grundhaltung auf, kann man die Aktionen von Lukas Reimann, SVP-Nationalrat aus St. Gallen, als Guerilla Marketing verstehen. Wenn die drei federführenden BundesrätInnen zur Medienkonferenz aufrufen, mischte er sich auf dem Weg dorthin persönlich unter die Regierungsmitglieder, um die Botschaften der Gegnerschaft zu plazieren. Selbstredend ist eine Gratiszeitung dabei, auch ein Videoteam, das die Aktion in die Massenmedien bringt und im Internet festhält.

Die neueste Aktion, der Fake der Website der Jungparteien für die Personenfreizügigkeit, hat einen lockeren Bezug zum Guerilla Marketing. Doch auch hier geht es nur darum, den Kampf mit allen Möglichen Mitteln um Aufmerksamkeit zu gewinnen. Die Aktion ist die Botschaft selber. Die Verhöhnung der Gegner ist das Ziel, nicht die Diskussion mit ihm.

Je klarer und prominenter der Regelverstoss dabei ist, desto grösser sind die Chancen, dass die Aktion selber in die Kampagnendiskussion aufgenommen wird. Deshalb ist sie nicht einfach eine Jahresendidee einer Werbebude. Vielmehr steht ein Nationalrat gerade. Denn genau das zieht den Medienfocus an.

Eine Eigenheit von SVP-Kampagnen sei noch angefügt. Wer als Reaktion auf die Guerilla Aktion mit Klagen droht, wird gleich als Zensor verschrien. Obwohl es um Argumente gehe, meint Reimann. Zynismus pur, sage ich da!

Claude Longchamp

Der Beitrag von 10vor10 zum Guerilla Marketing der SVP

Die zweitbeste politische Plakatkampagne der Gegenwart

Eines ist klar: Die “Schäfchen-Plakate” der SVP im Wahlherbst 07 waren die erfolgreichste politische Plakatkampagne der Gegenwart. In meiner Bewertung an zweiter Stelle steht die Serie von Affichen zugunsten der Bilateralen, die aktuell wieder anläuft, um für die Personenfreizügigkeit zu werben. Die Einfachheit, die Wiederholung und die Persiflage durch die Gegner spricht für deren Wirkung.


Befürworter und Gegner der Bilateralen beziehen sich seit längerem auf das gleiche Motiv, wenn sie für ihren Standpunkt werben (Bilder anklicken, um das ganze Plakat zu sehen).

Eingängige Formen
Aestheten der politischen Kommunikation mögen sie nicht. Denn ihr fehlt es an Subtilität. Ihr mangelt es auch an Kreativität. Und bisher gab es kaum ein Ueberraschungsmoment, wenn die Wirtschaftsseite mit ihrem Baum, grünen Blättern und roten Aepfeln die Bilateralen propagierte.

Doch genau das macht die Stärke der Plakatreihe aus: Ihr Stil ist einfach. Das Motiv ist eingängig. Die Formen sind einfach, und die Farben sind einhellig bekannt. Das macht den Auftritt robust, die Erinnerung nachhaltig.

Die intellektuellen Schichten, die mehrheitlich für die Bilateralen, die Personenfreizügigkeit und die Abkommen von Schengen und Dublin waren, sind die nicht die Zielgruppe. Vielmehr geht es darum, die normalen Erwerbstätigen in der Schweiz anzusprechen.

Spärliche, aber zentrale Botschaften
“Wer sät, wird Ernten”, hiess es, als es vor 2 Jahren um die Osterweiterung ging. Das wirkt zwar ein wenig vulgärökonomisch, prägt sich aber gut ein. Denn es entspricht einer einfachen Lebensweisheit, nach der man ausserhalb der grossen Städte lebt.

Diesmal ist Botschaft ebenso knapp: “Nötig und bewährt”, titelt man, wenn es darum geht, die Fortsetzung der Personenfreizügigkeit mit der EU zu begründen. Wer es etwas patriotischer mag, wie etwas die FDP, variiert den Slogan. “Der richtige Weg für die Schweiz”, heisst es da schon mal, und es schwingt mit, dass ein EU-Beitritt als Alternative falsch wäre.

Das Plakat als Trend-Mittel der Kommunikation
Plakate werden in Abstimmungskämpfen zwischen einem Drittel und der Hälfte der Teilnehmenden als Element der Meinungsbildung memoriert. Eine eigentliche Entwicklung gibt es nicht, denn es die Nutzung hängt von den Kampagnen selber ab. Dennoch kann man feststellen, dass das Plakat, wie auch das Internet und die Gratiszeitungen in der jüngeren Bevölkerung eine überdurchschnittliche Beachtung findet und damit zu den Trend-Mittel der politischen Kommunikation gewordenist.

Das scheinen auch die jungen GegnerInnen der Vorlage zur Fortsetzung und Erweiterung der Personenfreizügigkeit zu spüren. Denn auch sie setzen auf das Plakat in ihren Intenet auftritten. Und sie kreiieren dabei nicht einmal ein neues Sujet, sondern variieren nur das der Befürworter. Der Vorher/Nachher-Vergleich fällt da allerdings nicht positiv aus, sondern negativ.

Man betreibe bloss eine subkulturelle Differenzierung des Leitmotivs, das die Gegnerschaft dominant gesetzt hatte, warf man während des Wahlkampfes 2007 den SVP-Gegnern vor, als sie die Schäfchen-Plakat zu variieren begannen. Genau das kann man heute auch an die Adresse der Gegner der Bilateralen sagen, wenn sie die Ja-Kampagne der Wirtschaft persiflieren.

Claude Longchamp

mehr dazu hier

Für die Bilateralen bloggen

Gleich drei Bundesrätinnen läuteten gestern den Abstimmungskampf zur einzigen gesamtschweizerischen Volksabstimmung vom 8. Februar 2008 ein. Die Parteipräsidenten aller grösseren Parteien ausserhalb der SVP sind ihnen vorausgegangen. Jetzt erhalten sie Unterstützung in der Blogosphäre.


Parteipräsidenten für die Bilateralen werden jetzt vom Bloggern für die Bilateralen unterstützt

Die Anfänge
Seit einigen Tagen hat es auf der Website zu den “erfolgreichen Bilateralen” ein Kampagne-Blog zur Fortführung und Erweiterung der Personenfreizügigkeit gegenüber der EU. Es soll die Besuche auf der Plattform steigern helfen, und es soll den eingeläuteten Abstimmungkampf befruchten.

Die ersten Beiträge sind von den Campaignern selber geschrieben, die seit vielen Jahren in vielen Abstimmungskämpfen, nicht zu letzt in allen Europa-Abstimmungen der Schweiz aktiv waren. Ihnen geht es um Mobilisierung. Um Werbung für die Oeffnung der Schweiz. Um die Beruhigung aufkommender Aengste. Um die eigenen Positiv- und Negativ-Botschaften. Und um Lesehilfen zu aktuellen Ereignissen.

So wie es bisher daher kommt ist es ein Sprachrohr des Komitees, das der Wirtschaftsverband economiesuisse betreut. Es will die Möglichkeiten nutzen, sich im Internet zu äussern, um die rund 4 Millionen SchweizerInnen anzusprechen, die heute einen Bildschirm mit Internetanschluss an ihrem Arbeitsplatz oder zu Hause haben. Dies ist die wohl grösstmögliche Zielgruppe, die sch auf 3-400000 Menschen verringert, welche das Internet während Abstimmungskämpfen zur Information und zur Meinungsbildung nutzen.

Die Perspektiven
Ich kenne zwei Entwicklungswege von Kampagne-Blogs: den direkten, der auf Verbreitung in der Gratispresse als verbreitetster Zeitung unter Stimmenden zielt, und den indirekten, de sich an MultiplikatorInnen in politischen Meinungsbildungsprozessen richtet.

Im ersten Fall gilt es rasch Ereignisse rund um das Blog aufzubauen. Die Gegner der EU, der Bilateralen und der Personenfreizügigkeit sollen gezielt aus der Reserve gelockt werden. Vornehme Zurückhaltung im Auftritt ist das nicht angesagt. Virtuell Krachen soll es, sodass man hinschaut. Zwar hat es gegenwärtig kein eigenes Blog der Nein-Kampagne, doch werden deren Standpunkte auf SVP-nahen Blogs wie die von Snoop oder Smythe Style gut vertreten resp. werden sie von SideEffects schnell vervielfältigt. Das lässt ein Pingpong der Protagonisten hüben und drüben erwarten, die sich im “Blick am Abend” oder im “punkt.ch” spieglen könnte.

Im zweiten Fall zielt vielmehr darauf ab, eine erweiterte Plattform der opinion leader auf der befürwortenden Seite zu werden. Die AktivistInnen in der Kampagne sollen mit kommunikativen Mittel geführt werden. Prominente Unternehmer müssen sich dann äussern, Wissenschafterinnen zu interkulturellen Erfahrungen solten sich outen, und AbstimmungskämpferInnen aus den Kantonen könnten über ihre Erfahrungen mit Argumenten berichtet. Eingeladen werden sollten kritischen BeobachterInnen der Ja-Kampagne, die das Geschehen analyisieren, kommentieren und ihm so ihren Dreh verpassen. Die direkte Verwendung zählt nicht, jedoch der Einfluss durch Multiplikation.

Mein Empfehlung
Im vorliegenden Fall scheint mir der zweite Entwicklungspfad angezeigter. Doch lasse ich mich gerne überraschen. Ich bin jedenfalls gespannt, was aus der Blogosphäre wird, und ob es die Stimmen der drei Bundesrätinnen, die sich engagieren werden, verstärken kann. Ich jedenfalls werde das Experiment des Bloggens für die Bilateralen bis am morgen des 8. Februars 2009 aufmerksam verfolgen.

Claude Longchamp

siehe auch:
Gegen die Personenfreizügigkeit bloggen

FROM LOCAL TO TRANSNATIONAL

Kampagnen verändern sich überall: Obama setzte die Massstäbe in Wahlkämpfen. Irland stimmt regelmässig über die EU-Mitgliedschaft ab. Und weltweit lauft eine öffentliche Kontroverse über den Klimawandel. Was die vielen lokalen Erfahrungen mit politischen Kampagnen für die transnationale Politik bedeutet, soll an einer hochkarätig bestückten Tagung in Zürich diskutiert werden.

Die Europäische Vereingung politischer Berater (EAPC) nimmt sich den Veränderungen in Partei-, Personen-, Sach- und Themenkampagnen an ihrer nächstjährigen Zusammenkunft in Zürich an. Vom 7. bis 9. Mai 2009 diskutieren WissenschafterInnen, ForscherInnen und PraktikerInnen über die Phänomene des Wandels, über die Folge für die Kommunikation und über die Chancen und Risiken für die Demokratie. “From local to transnational” ist die Devise der Tagung, die unter dem Titel “The Challenge of Campaigning in tomorrow’s Europe”. Das Motto nehmen die Organisatoren wörtlich, denn es soll mitunter von den Erfahrungen in der Schweiz mit der weltweit ausgebautesten direkten Demokratie ausgegangen werden, um zu fragen, was das für die grenzdurchschreitenden Politik bedeuten kann.

Ich werde die Session “Demokratie im Praxistest” gemeinsam mit Rudolf Ramsauer, Direktor CC Nestlé, und Hanspeter Kriesi, Professor für vergleichende Politikwissenschaft, an der Universität Zürich, bestreiten. Mein Referat wird zum Thema “Neue Aspekte in Schweizer Wahl- und Abstimmungskämpfen” sein, wobei ich auf die zentralen Veränderungen in kampagnenbezogenen politischen Kommunikation von 1992 bis 2007 eingehen und anhand der learnings einen Ausblick für politische Entscheidungen in Europa machen werde.

Interessenten finden hier mehr Informationen. Das Programm wird in den kommenden Tagen aufgeschaltet werden.

Claude Longchamp