Profitieren die BundesrätInnen von der Finanzkrise?

Hans-Rudolf Merz (FDP) vor Doris Leuthard (CVP) und Eveline Widmer-Schlumpf (BDP). So lautet die Reihenfolge unter den BundesrätInnen, die in Zukunft eine grössere Rolle spielen sollten. Das jedenfalls geht aus dem neuesten Politbarometer hervor, das Isopublic für die Sonntagszeitung erstellt hat. Auf den folgenden Plätzen folgen Micheline Calmy-Rey (SP), Moritz Leuenberger (SP), beide vor dem neuen SVP-Bundesrat Ueli Maurer. Schlusslicht bildet Pascal Couchepin (FDP). Im Zeitvergleich wird klar: Fast von allen Bundesrätnnen wünscht man sich, dass sie inskünftig ein wichtige Rolle spielen.

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Eine wichtige Frage bleibt in der Isopublic-Befragung offen: Wie wirkt sich die aktuelle Bonus-Debatte in der Oeffentlichkeit auf das Ansehen der BundesrätInnen bei Wählerinnen und Wählern aus?

Die drei Erstgenannten polarisieren kaum. Drei Viertel wünschen sich, dass sie in Zukunft ein wichtige Rolle in der Politik einnehmen; ein Sechstel denkt das Gegenteil. Bei den drei Folgenden verschieben sich die Verhältnisse auf ungefähr zwei zu eins. Sie werden eine Stufe kritischer beurteilt. Im Negativen ist die Bilanz von Pascal Couchepin, denn er hat unter den Stimmberechtigten mehr GegnerInnen als BefürworterInnen.

Micheline Calmy-Rey ist dabei mit 96 Prozent Antworten, welche die 1231 repräsentativ ausgewählten SchweizerInnen in den drei Wochen vor der Volksabstimmung über die Personenfreizügigkeit gegeben haben, die bekannteste PolitikerIn, Ueli Maurer, mit 90 Prozent, der unbekannteste.

Die interessanteste Beobachtung betrifft die zeitliche Entwicklung der Einschätzungen. Fast alle BundesrätInnen haben sich seit Beginn der Finanzkrise verbessern können. Im Oktober 2008 kann sie, mit Ausnahme von Doris Leuthard, die praktisch unverändert beurteilt wird, weniger gute Werte. Den grössten Sprung nach vorne machte der jetzige Bundespräsident Hans-Rudolf Merz, bis zu den Wahlen 07 meist an 5. Stelle platziert. Mit +21 Prozentpunkte innert gut drei Monaten schaffte er, nach seinem Kollaps, eine spektakuläre Rückkehr.

Die Sonntagszeitung würdigt in ihrem Kommentar das bundesrätliche Engagement zur Bewältigung der Finanz- und Konjunkturkrise. Man habe das 68 Milliarde schwere Rettungspaket für die UBS geschnürt, und in zwei Etappen die Konjunktur mit verschienen Massnahmen, die 3 Milliarden Franken Wert seien, gestützt. Schliesslich sei man im Kreise der Bundesregierung bereit, das Aktienrecht stärker zu verschärfen, als es ursprünglich vorgesehen war. Damit habe man den Volksnerv getroffen.

Die Krise, die von den Finanzmärkten ausgegangen ist, lässt die Politik ansehensmässig profitieren. Das jedenfalls suggeriert die sonntägliche Publikation des Isopublic-Umfrage.

Claude Longchamp

Weitere Ergebnisse

EU-Mitgliedschaft und Nicht-Mitgliedschaft im Experiment

Mit der EU-Mitgliedschaft kann man nicht experimentieren. Entweder ist man dabei, oder man ist nicht nicht dabei. Das ist so. Wenn man dabei ist, hat man EU-Recht zu übernehmen, wenn nicht, bleibt man auch in dieser Hinsicht unberührt. Nicht-Mitglieder wie die Schweiz sind anders als die 27 Mitglieder der EU souverän. Das glaubt man wenigstens zu wissen.


Nicht-Miglied ist die Schweiz in der EU; doch wirken sich die Bilateralen anders aus als eine Mitgliedschaft?, fragt der Genfer Politikwissenschafter Ali Arbia

Die gerade auch in der Schweiz populäre Annahme hat der Genfer Politikwissenschafter und Blogger (“zoonpolitikon”, mit k, nicht mit c wie bei mir) einer interessanten Prüfung unterzogen. Er wollte wissen, wie viel von der nationalen Gesetzgebung durch die EU beeinflusst wird, – bei Mitgliedern wie Nicht-Mitgliedern.

Untersucht hat er die Gesetzgebung in der Schweiz und in Oesterreich. Beide Länder haben eine ähnliche geografische Lage, und sie sind vergleichbar gross. Doch Oesterreich ist EU-Mitglied, die Schweiz nicht. Analysiert wurde, was in den 10 Jahren 1995 bis 2006 durch beide Parlamente ging resp. 200 zufällig ausgewählte Gesetze davon. Eingeteilt wurden die Enscheidungen in der Gruppen:

. direkt durch Anstoss der EU Gesetzgebung geschaffene Gesetze (‘High’),
. Gesetze, die nicht von der EU ausgelöst wurden, deren Inhalte aber von ihr beeinflusst wurde (‘Medium’) und
. Gesetze die keinen direkten Zusammenhang mit EU Recht aufweisen (‘Low’).

Das Ergebnis verblüfft: Die Verteilung für beide Länder ist ausgesprochen ähnlich. Etwa die Hälfte der nationalen Gesetze ist vom EU-Recht sowohl in Oesterreich wie auch in der Schweiz nicht betroffen. Die andere Hälfte wird angesprochen, wobei die Verteilung leicht divergiert: Österreich übernimmt etwas mehr Gesetze direkt von der EU als die Schweiz. Deren Gesetzgebung darüber hinaus wiederum wird indirekt stärker beeinlfusst als das in Oesterreich der Fall ist.

Der Autor der Studie vermutet vor allem politische Gründe hinter dem beobachteten Phänomen. In der Schweiz sei es oft besser, eine Gesetzesvorlage nicht als von der EU her kommend darzustellen. In Österreich hingegen können Politiker mit genau diesem Argument unter Umständen einfacher vorgeben, dass ihnen die Hände gebunden seien.

Viel wesentlicher ist aus meiner Sicht, dass die Mitgliedschaft/Nicht-Mitgliedschaft, mit der hier ein Quasi-Experiment durchgeführt wurde, quantitativ nicht viel zur Erklärung der effektiven nationalen Gesetzgebung beiträgt. Der Anteil autonomer Gesetzgebungen ist vergleichbar, jener der beeinflussten ebenfalls. Im einen Fall mag man Vollzugsdefizite vorschieben, im andern aber die indirekte Wirkung der Bilateralen sehen. Im Endeffekt unterscheidet sich beides beschränkt im Grad der Uebernahme, und, was hier nicht untersucht worden ist, allenfalls in der Qualität des Gesetzestransfers.

Ali Arbia selber hält eine weitere Schlussfolgerung für noch wichtiger: “Der Hauptunterschied ist (…), dass wir Helveter auf ein Mitentscheidungsrecht verzichten.” Die Schweiz ist nicht Mitglied, vollzieht aber auch keinen Alleingang. Sie kooperiert im Rahmen der Bilateralen mit der EU in einen leicht tieferen Masse als ein Mitglied, füge ich bei.

Claude Longchamp

LobbyistInnen in der Lobby massgeblich?

Die Ringier-Presse hat es übers Wochenende aufgebracht: Es gibt einen Missstand mit dem Lobbying in der Lobby des eidgenössischen Parlamentes. Die Analyse, die präsentiert wird, greift allerdings viel zu kurz, um dem Phänomen Lobbying gegenüber dem eidgenössischen Parlament gerecht zu werden.


Uebersicht über die identifizierten Lobbyisten unter den MitarbeiterInnen des eidgenössischen Parlaments vor und nach 2007 gemäss Sonntagsblick

Jede(r) ParlamentarierIn in der Schweiz hat die Möglichkeit, zwei Vertrauten direkten Zugang zum Parlament zu verschaffen. Vorgesehen war dies ursprünglich, engen MitarbeiterInnen einen reibungslosen Kontakt mit ihren National- oder StänderätInnen zu gewähren. Nun hat nur eine Minderheit der ParlamentarierInnen direkte Mitarbeitende zur Seite. Andere ziehen hierfür Familienmitglieder zu Rate, und Dritte schliesslich bevorzugen es, sich drekt mit InteressenverteterInnen kurz zu schliessen. Entsprechend bunt zusammengesetzt ist die Liste der Personen mit einem privilegierten Zugang zum Parlament.
Die Liste erscheint übrigens nicht zu ersten Mal, wenn auch jetzt aufdatiert mit den Mutationen seit der letzten Parlamentswahl. Das macht sie als Dokument nützlich.

Der Stand des Lobbyings, der damit präsentiert wird, ist allerdings wenig nützlich. Er reduziert das Phänomen “Lobbying” in der journalistisch üblichen Weise auf die Interaktion von ParlamentarierInnen und Interessengruppen in der Lobby des Parlaments. Das Motto dahinter ist: “Je näher die Lobbyisten am Ort der Entscheidung sind, desto einflussreicher sind sie.”

Untersuchungen des Lobbyings legen nahe, dass das höchstens in Ausnahmefällen zutrifft. Nämlich dann, wenn die Mehrheiten im Parlament nicht klar sind, sich erst während Beratungen oder Schlussabstimmungen ergeben. Zwar hatten wir in jüngster Zeit einige solche Entscheidungen, doch ist das kein Indiz für den Einfluss des Lobbyings.

Erfolgreiche Einflussnahme auf parlamentarische Entscheidungen setzt nämlich nicht auf den Moment der Abstimmung unter der Bundeskuppel beschränken. Wirksames Lobbying ist permanent und prozessbegleitend. Entsprechend unterscheidet man alleine schon auf der Ebene des Parlaments mindestens zwischen Lobbying als

. aufbauende Beziehungspflege
. Gedankenaustausch mit VertrerInnen Politik
. Begleitung der Kommissionarbeit mit Entscheidungshilfen und
. Begleitung der Kammernarbeit bei Entscheidungen.

Auch die präsentierten Zahlen zur Zunahme der Lobbyisten sind nicht sehr aussagekräftig. Relevant ist letzlich vor allem das Statement von Freddy Müller, dem Präsidenten der Lobbyisten-Vereinigung in der Schweiz, das er dem Sonntagsblick gab. Er spricht von rund 250 professionellen Lobbyisten, die sowohl gegenüber dem exekutiven und legislativen Entscheidungssystem Einfluss nehmen, wobei sich aktuell eine Verlagerung weg von Regierung und Verwaltung hin zu Stände- und Nationalrat abzeichnet. Dort ist der strategische Wert der ParlamentarierInnen am grössten, die in einem Politikbereich mehrheitsbildend sein können. Sie finden sich häufig im Zentrum, am stärksten in der CVP-Fraktion. Das haben die Interessengruppen schon längst bemerkt, weshalb die Zahl der Lobbyisten im Vorfeld dieser Fraktion seit Herbst 2007 auch stark gestiegen ist.

Claude Longchamp

weiterführende Literatur:
Othmar Baeriswyl: Lobbying in der Schweiz, Villards-sur-Glane 2005
Robert Purtschert: Marketing für Verbände und weitere Non-Profitorganisationen, Haupt-Verlag 2005, 2. Auflage

Gekonnte Analyse aus der Distanz (Bundesratswahlen 2008/10)

Gestern hielt Adrian Vatter an der Uni Zürich seine Antrittsvorlesung als ordentlicher Professor für schweizerische Politik. Sie trug den Titel “Die schweizerische Konsensdemokratie im Umbruch – Auf dem Weg zur Mehrheitsdemokratie?” und nahm indirekt zum den anstehenden Bundesratswahlen Stellung.

Am 10. Dezember wählt die Bundesversammlung den Nachfolger von Samuel Schmid als Bundesrat. Ueli Maurer ist in der Pole-Position; und mit ihm würde die SVP nach kürzerer Zeit wieder in den Bundesrat eintreten. Die Episode der Opposition zum Bundesrat wäre damit vorbei.


Charakteristik der schweizerischen Demokratie nach Vatter: Machtteilung durch ausgebauten Föderalismus, entwickelte direkte Demokratie und Bi-Kameralismus lassen insgesamt eine Mehrparteienregierung als sinnvoll erscheinen.

Die neue Analyse der schweizerischen Demokratie
Würde die Schweiz damit zum Muster für Konsensdemokratie zurückkehren? “Nein”, sagt Adi Vatter, denn sie hat sich von diesem Demokratie-Typ schon länger wegentwickelt. Auch ohne das Jahr 2008 verweisen die Indikatoren zur Bestimmung von Einheits- und Mehrheitsdemokratien auf eine Normalisierung des früheren Spezialfalles hin.

Nach diesem Einspruch wurde gestern eine neue vergleichende und schweizspezifische Analyse, die darauf ausgrichtet ist, eine neues Verständnis von Demokratie-Typen zu finden. Arend Lijpharts Klassierung bildet dabei den Ausgangspunkt, ohne bei ihr stehen zu bleiben, denn nach Vatter gilt es diese weiterzuführen und zu erweitern. Es müssen heute drei Fragen gleichzeitig geklärt werden:

. Erstens, wie viel Konsens bestimmt die Entscheidfindung?
. Zweitens, wie stark ist der Regionalismus im politischen System verankert?
. Drittens, wie stark ist die direkte Demokratie im Gefüge der Institutionen berücksichtigt?

Vatters Antworten für die Schweiz lauten: Die Entscheidfindung wird zunehmend durch Parteienpolitik gekennzeichnet. Das spricht gegen Konsens. Das föderalistische und direktdemokratische Fundament der Schweiz legt indessen unverändert nahe, nach dem Konkordanz-Mustern zu kooperieren.

Die naheliegenden Folgerungen
Vatter sieht die Schweiz von heute als Verhandlungsdemokratie auf Konkordanzbasis. Bis zum Uebergang zur Mehrheitsdemokratie nach britischen Muster fehlt jedoch noch viel. Ohne Reduktion der kantonalen Mitsprache und der ausgebauten Volksrechte wird das auch kaum gehen. Mehrparteienregierungen erscheinen deshalb als treffende Antwort auf die heutigen Voraussetzungen zu sein. Das lässt sich nach der Antrittsvorlesung klar, wenn auch nicht genauer festhalten.

Mit Blick auf den übernächsten Mittwoch ergibt dies die nachstehende Empfehlung: Die grossen Parteien sollen im Bundesrat vertreten sein. Es ist jedoch nicht mehr mit Konsens-Politik zu rechnen, sondern mit ausgehandelten und wechselnden Mehrheiten zwischen den Parteiinteressen, die sich von Fall zu Fall ergeben.

Wer an diesem Abend dabei war, bekam eine gekonnte Analyse der schweizerischen Gegenwart geliefert, theoretisch innovativ, empirisch gut unterlegt und nicht ohne Folgerungen für die Praxis. Anregend war sie, weil sie mit kühler Distanz erfolgte. Doch auch wer gestern nicht dabei war, kann dieser Tage mitverfolgen, ob sich die Politik in ihrer gegenwärtigen Aufgeregtheit an Schlüsse eines führenden Politikwissenschafters an den Schweizer Universitäten hält. Bald wissen wir mehr!

Claude Longchamp

Das (amerikanische) Fadenkreuz für die Analyse von Ideologien

Eine interessante Variante zum “Politischen Kompass” stellt der Radar “Moral Politics” dar. Vordergründig ist alles ganz anders, hintergründig ergeben sich vergleichbare, aber differenziertere Bewertungen politischer Ideologien.

Moral Politics baut nicht auf Stellungnahme in Streifragen, sondern auf moralischen Urteilen auf. Unterschieden werden auch hier zwei Dimensionen:

Erstens, die moralische Ordnung, zwischen Abhängigkeit und Unabhängigkeit sowie
zweitens, die moralischen Regeln, unterteilt in Konformismus und Non-Konformismus.

Beide Dimensionen werden mit insgesamt 16 Einstellungen gemessen.

Wie beim politischen Kompass kann man das selber ausfüllen, und man findet sich dann im Fadenkreuz von “Moral Politics” wieder.

Man kann den Radar aber verwenden, um selber etwas über Ideologien sowie über ländertypische Verteilungen zu lernen. Das Raster der Ideologien ist in der obigen Grafik abgebildet. Es ist baut bei den Regeln auf der amerikanischen Unterscheidung zwischen Republikanismus und Demokratismus auf, während bei der Ordnung die gängigen Adjektiv “social” resp. “capital” verwendet werden. Der Vorteil dieser Klassierung ist, dass extremere Formen dieser vier Grundvarianten explizit in das Schema eingearbeitet worden sind.

Die Positionierung der amerikanischen Präsidenten aus der jüngsten Zeit macht klar, dass sich die republikanischen und demokratischen Vertreter erwartungsgemäss unterscheiden. Ronald Reagan und Georges W. Bush erscheinen demnach als die typischsten Vertreter des konservativen Neo-Liberalismus, während Georges H. Bush, Richard Nixon und insbesondere Gerald Ford gemässiger erscheinen und für den kapitalistischen Republikanismus stehen.
Das Gegenstück ist Jimmy Carter, der als Vertreter des sozialen Demokratismus erscheint, während insbesondere Bill Clinton deutlich kapitalistischer positioniert wird. Dazwischen befinden sich John F. Kennedy und sein Nachfolger Lyndon B. Johnson.
Da es sich hier um retrosepktive Beurteilungen der Politiken amerikanischer Präsidenten handelt, fehlt Barack Obama zurecht.
Eines ist klar: Das Fadenkreuz zur Analyse von Ideologien liefert für den amerikanischen Kontext sinnvolle Ergebnisse. Die Uebertragung in andere politische Kulturen fällt aber nicht so einfach, denn die Begrifflichkeiten, die Problemstellungen und ihre Bewertungen sind nicht zwingend gleich konotiert.

Vorsicht ist angebracht, wenn man die prozentualen Verteilungen in den Quadranten nach Länder anschaut. Das das Mitmachen ungeregelt ist, handelt es sich, trotz teilweise beeindruckender Zahlen, um nicht-repräsentative Werte.

Claude Longchamp

Der grosse politische Kompass

Wo stehe ich politisch? – Die Antworten auf diese Frage sind meist durch nationale Selbstverständnisse verzerrt. Denn was in den USA normal ist, braucht es in Europa nicht zu sein, und was für Südostasien gilt, lässt sich nicht unbedingt auf Afrika übertragen.
Der political compass auf dem www lädt ein, sich global zu positionieren. Dazu wurde ein Fragebogen mit 62 Fragen zu Themen entwickelt, die weltweit diskutiert werden. Wer ihn ausfüllt, bekommt seine Antwort auf dem politischen Kompass.

Dieser ist nicht nur auf die links/rechts-Achse angelegt, die seit der französischen Revolution gebräuchlich ist, um das generelle Verhältnis von Markt und Staat zu bestimmen. Er enthält auch die Achse, die zwischen autoritäten und libertären Vorstellung einer Gesellschaft aufgespannt wird.
Das ergibt ein Fadenkreuz politischer Positionen, aber auch politischer Kulturen.
Sozialwissenschaftlich von Belang ist, dass auch einige typische Intellektuelle eingeordent werden. So steht Noam Chomsky (“Rogue Stuates”) für die linkslibertäre Position, Samir Amin (“The Liberal Virus”) wird als linksautoritär eingestuft, rechtsautoritär ist Irving Kristol (“Neo-Conservatism”) und Milton Friedman (“Capitalism and Freedom”) steht für rechtslibertäres Denken.

So fällt auf, dass die angelsächsischen PolitikerInnen im rechten, autoritären Quadranten erscheinen. Bei John McCain war das evident, während das bei Barack Obama in deutlich gemässigterem Masse der Fall ist.


Auch zwischen den EU-Staaten gibt es einige Unterschiede. Die neuen Migliedstaaten aus dem Osten neigen durchwegs zu autoritäreren Positionen, als dies vor allem in den nordischen Ländern der Fall ist. Ihnen allen entgegen stehen Freiheitskämpfer wie Nelson Mandela oder der Dalai Lama, die deutlich linker, aber auch libertärer positioniert sind.
Und wenn Sie jetzt wissen wollen, wo Sie stehen, dann versuchen Sie es hier selber. In 10 Minuten wissen Sie mehr Vergleichbares darüber!

Claude Longchamp

Die letzte funktionierende Börse …

54 Prozent der Stimmen erhält Barack Obama, 47 Prozent gehen an John McCain. Das ist Prognose, welche die Wahlbörse der Iowa University am Vortag des election day ermittelt hat. 90 Prozent der Händler gehen zudem davon aus, dass der demokratische Bewerber gewinnt, 10 Prozent glauben noch an den Sieg des Republikaners.


Das Experiment

1988 begann das Tippie College of Business der Iowa University zu wissenschaftlichen Zwecken mit elektronischen Wahlbörsen zu experimentieren. Seit 1996 wird dieses Instrument regelmässig bei nationalen Wahlen in den USA, aber auch verschiedenen anderen Ländern eingesetzt.

Wahlbörsen funkitionieren wie richtige Börsen, doch geht es nicht um die Bewertung von Firmen, sondern die Wahlergebnisse von Parteien oder Kandidaten. Es gibt Wahlbörsen, bei denen echtes Geld eingesetzt wird; sie funktionieren aber auch mit Spielgeld. Abzocken ist nicht das Ziel der Wahlbörsen, die mit wissenschaftlicher Absicht geführt werden. So setzt man beim Experiment der Iowa University echtes Geld ein, doch sind die Beiträge limiert.

Anders als bei Repräsentativ-Befragungen, die individuell geäusserte Wählerwillen aggregieren, funktionieren Wahlbörsen nach dem Prinzip, dass die Masse recht hat. Wenn sich genügend Händler einfinden, die selber Wetten wollen, aber auch andere Wetten bewertenl, stellt sich ein bewerteter Marktwert von Parteien oder Kandidaten ein.

Die amerikanischen Präsidentschaftwahlen
Die aktuellen Quotierungen der amerikanischen Präsidentschaftsbewerber im Iowa Electronic Market haben sich über die Zeit mit wenigen Ausnahmen nur beschränkt verändert.

Eigentlich ging man von Anfang an davon aus, dass Barack Obama gewinnen würde. Die jetzigen Verhältnisse pendelten sich schon bald ein, und sie blieben trotz regem Handel insgesamt weitgehend unverändert.

Stark erhöht hat sich aber in den letzten Wochen die geschätzte Wahrscheinlichkeit eines demokratischen Wahlsieges bei den Präsiedentschaftwahlen.

Mein Kommentar
Wenn Wahlbörsen bei einfacher Ausgangslage recht schnell plausible Schätzungen von Wahlausgängen liefern, sind sie doch kein Ersatz für Wahlbefragungen. Denn sie geben “nur” die Grössenordnungen, allenfalls auch die Wahrscheinlichkeiten von Wahlergebnissen an. Sie lassen keine Rückschlüsse zu, wer wie und warum so stimmen wird, nur, dass so gestimmt wird. Zudem ist bis jetzt kein namhaftes Experiment bekannt, bei dem es Wahlbörsen, aber keine Wahlbefragungen gegeben hat.

Immerhin, Wahlbörsen sind ein Element der Bestimmung öffentlicher Meinung nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Politik geworden. Ich würde fast eine Wette eingehen, dass sie besser funktionierende Börsen sind als jene an der Wahlstreet. Solange jedenfalls man sie zu Erkenntniszwecken für die Realpolitik betreibt, und sich um spekulative Gewinne in der Fiktivwirtschaft zu erzielen …

Claude Longchamp

Vor dem Finale

Die amerikanischen Präsidentschaftswahlen stehen vor der Entscheidung. Am nächsten Dienstag wird bestimmt, wer der 44. Präsident der USA ist. Alle Zeichen deuten auf eine recht klaren Sieg von Barak Obama hin.


Optimistisches Szenario: Verteilung aller Elektorenstimmen

www.electoral-vote.com, eine der relevanten Hochrechungen von Umfragen auf Stimmen, rechnet aktuell mit einem konfortable Sieg Obamas, der sich im April des Wahljahres abzuzeichnen begann. Ernsthaft in Bedrängnis geriet der demokratische Bewerber danach kaum.


Pessimistisches Szenario: Verteilung der nur sicheren Elektorenstimmen

Einzig nach dem Konvent der Republikaner drehte McCain, jetzt um seine Vize-Kandidatin Sarah Palin verstärkt auf. Der Effekt war jedoch nicht von Dauer, nicht zuletzt wegen dem Börsencrash an der Wallstreet, denn seither sind die Republikaner, John McCain und Sarah Palin klar in Rücklage geraten und konnten die Demokraten mit ihrem Duo Obama/Biden voll aufdrehen.

Wie genau sich die optimistische resp. pessimistische Vorhersage von “electoral-vote” bewahrheiten, wissen wir in 5 Tagen.

Claude Longchamp

Wahlen und Werbung

(zoon politicon) Die Wahlanalyse der Forschungsgruppe “selects”, der heute erschienen ist, wirft die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Wahlergebnis und Werbeaufwand erneut auf.

Schon die Wahlbeobachter, die sich 2007 in der Schweiz aufhielten, problematisierten den Zusammenhang, indem sie auf die Abhängigkeit der Massenmedien von Wahlwerbung verwiesen, und bei ungleichen Aufwendungen der Parteien eine Asymmetrie zwischen Parteien und Zeitungen festhielten.

Nun doppelt das universitäre Wahlforschungteam “selects” nach. Die Wahlwerbung der KandidatInnen seien ungleich verteilt gewesen:

. SVP-KandidatInnen Total: 6,1 Millionen Franken
. FDP-KandidatInnen Total: 5,9 Millionen Franken
. CVP-KandidatInnen Total: 4,9 Millionen Franken
. SP-KandidatInnen Total: 2,5 Millionen Frnaken
. Grüne-KandidatInnen Total: 1,2 Millionen Franken

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Schon im November veröffentlichte die Werbebeobachtungsagentur Mediafocus ein ähnliches Rating. Demnach war sich der sichtbare Werbeaufwand der Parteien, nicht der KandidatInnen in den Medien in den nachstehenden Grössenordnungen:

. SVP: 12,2 Million Franken
. FDP: 6,1 Millionen Franken
. SP: 2,5 Millionen Franken
. CVP: 2,2 Millionen Franken
. Grüne: 0,7 Millionen Franken

Die Datailauswertung der Verteilung der Ausgaben, die wir selber vorgenommen haben, zeigt hier Zusätzliches.

Erstens, alle Parteien konzentrieren sich beim Mitteleinsatz auf die Schlussphase des Wahlkampfes. Die Intensität war im Oktober höher als im September, und sie war im September stärker als im August.
Zweitens, die Dauer der intensiveren Ausgaben hängt von der Gesamthöhe des Budgets ab. Bei Grünen, SP und CVP, welche die kleinsten Aufwendungen betrieben, setzte der werberische Auftakt im wesentlichen im September ein. Bei der FDP gilt ähnliches, allerdings in schon ganz anderen Dimensionen.
Drittens, die SVP-Kampagne hatte dagegen ihren take-off im August 2007. Sie Schäfchen-Kampagne war es denn auch, welche das Klima, indem der Wahlkampf stattfand, einsetzte.

Das wirft die Frage auf, wie Wahlwerbung wirkt: Ich werfe die nachstehende Hypothese in die Debatte: Wahlwerbung verspricht nicht einfach Wahlerfolge. Wahlerfolge ergeben sich dann, wenn man in der Werbung die Top-Position einnimmt. Das garantiert am intensivsten und am längsten zu werben. Und das kann das Klima prägen, indem der Wahlkampf stattfindet, was für den Wahlerfolg nicht unerheblich ist.

Ich nenne das climate-setting in der Wahlwerbungskommunikation. Notabene nicht erst seit 2007, sondern seit 1995, dem Zeitpunkt, seit dem ich den Zusammenhang von Wahlen und Werbung in der Schweiz beobachte. Mehr dazu finden Sie hier.

Claude Longchamp

Kurzer Rückblick auf heute (V)

(zoon politicon) Ziel des heutigen Vorlesungsblocks war es, einen Ueberblick über den Forschungsprozess zu geben. Die Uebersicht soll es den TeilnehmerInnen erleichtern, ihr eigenes kleines Projekt zu realisieren.

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Die Zyklen des Forschungsprozesses
Wir haben gesehen, dass es drei Zyklen gibt, die je einem anderen Ziel dienen:

. die Ausarbeitung einer Fragestellung
. die Behandlung einer (oder mehrerer) Hypothesen und
. die Beschaffung von Fällen und Daten, die zur Prüfung der Hypothese geeignet sind.

Meist werden die drei Zyklen als drei Phasen beschrieben, die einander folgen. Im Idealfall ist das auch so. Im Realfall greifen sie aber nicht sequenziell, sondern meist zyklisch ineinander: Die Prüfung von Hypothese soll diese bestätigen oder widerlegen, damit man weiss, mit welchen Erklärungen man weiter arbeiten soll resp. auf welche man verzichten kann. Allenfalls kann es auch sein, das in dieseer Phase, neue, modifizierte Hypothesen entstehen, geeignetere Aussagen ergeben, als die anfänglichen. Das kann zu Präzisierung der Fragestellungen führen, es kann auch eine erneute Erhebung von Daten bedeuten.

Ziel des Ganzen ist es, geprüfte Aussagen zu machen, die einem helfen, Antworten auf die anfängliche Fragestellung(en) zu geben. Diese sollen im wissenschaftlichen Sinne nicht spekulativ erfolgen, sondern logisch und intersubjektiv nachvollziehbar sein. Sie sollen jedoch nicht nur rational hergeleitet werden, sondern sich auch an der Realität bewähren, also empirisch geprüft sein. Hat man das, hat man auch die Antwort auf die Ursprungsfrage, die gilt, bis man allenfalls eine bessere, das heisst widerspruchsfreiere und gehaltvollere findet.

Ergebnisse aus Forschungsprozessen der angewandten Sozialwissenschaften dienen praktischen Folgerungen. Resultate in der Grundlagenwissenschaft dienen der Konstruktion resp. Sicherung von Theorien. Die theoretischen Folgerungen werden in der wissenschaftlichen Literatur publiziert, sodass sie auch durch dritte nachvollzogen und kritisiert werden können. Die praxisrelevanten Folgerungen finden sich eher selten in der wissenschaftlichen Literatur; ihr Adresse ist der Kunde der Forschung, der den Anstoss zu ihr gegeben hat, weil er in der Regel ein Verwertungsinteresse hat.

Das Arbeitspapier

Im Forschungsprozess selber dominieren Arbeitspapiere. Sie werden für Workshops oder Seminare mit ForschungskollegInnen geschrieben. Sie sind meist technisch abgefasst, gelten als als graue Literatur, die ausserhalb von Forschungsteams nicht verwendet wird. In der Grundlagenforschung es ist wichtig, am Ende eines Forschungsprozesses ein Thesenpapier zu haben, das die gesicherten Ergebnisse in einem grösseren Ganzen verbindet. Und in der Anwendungsforschung braucht es am Ende ein Ergebnispapier, das unabhängig vom Forschungsprozess selber, die gesicherten Befunde und Folgerungen daraus aus Sicht der Forschung für die Praxis festhält.

So nun hoffe ich, sie alle, die Forschen worden, haben das minimale Rüstzeug mitbekommen, um sozialwissenschaftliche korrekt zu arbeiten!

Claude Longchamp