Liechtensteiner Fürsteninitiative: Was zum Ergebnis führte, was daran verallgemeinerbar ist und was typisch liechtensteinisch bleibt.

Zur Jahrhundert-Abstimmung Liechtensteins liegt zwischenzeitlich in eine umfassende Analyse vor, die erhellt, was geschah und zeigt, was man daraus lernen kann – für die politischen Kommunikation generell, aber auch für die Liechtensteins.

2003 stimmte Liechtenstein über eine grundlegende Verfassungsreform zum Fürstenhaus ab. Dabei setzte sich der Fürst mit seiner Initiative durch. Bei einer Stimmbeteiligung von 84 Prozent wurde die Fürsteninitiative mit 65 Prozent angenommen. Der Gegenvorschlag scheiterte mit 83 Prozent Nein-Stimmen. Im Vorfeld der Entscheidung hatte der Fürst gedroht, bei Ablehnung seines Vorschlages des Wohnsitz ausser Landes zu verlegen und bei Annahme des Gegenvorschlages diesem seine Zustimmung zu verweigern.

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Quelle: Politische Kommunikation und Volksentscheid 2011

8 Jahre danach legen die Medien- und Politikwissenschafter Frank Macinkowski und Winfried Marxer unter dem Titel “Politische Kommunikation und Volksentscheid” eine umfassende Fallstudie zu Volksentscheidungen in Liechtenstein vor. Sie kommen zum Schluss, dass der Beschluss in hohem Masse prädisponiert war. “Politische Einstellungen wie insbesondere das stark ausgeprägte Vertrauen in die “Institution Monarchie” bei gleichzeitig auffälligen Vorbehalten gegenüber “der Politik” (vor allem Parteien und Landtag) im Zusammenwirken mit Wertorientierungen wie Patriotismus, Konservatismus, und Autoritarismus waren für das individuelle Stimmverhalten und das Ergebnis der Abstimmung massgeblich.2

Die Studie arbeitet mit einem Modell der Haupteinflüsse auf die Meinungsbildung und das Stimmverhalten, das dem sozialpsychologischen Trichter der Kriterien verwandt ist, diese aber mit medienwissenschaftlichen Ueberlegungen ergänzt. Unterschieden werden politische Kognitionen, öffentliche Kommunikation, Parteiidentifikation, politische Prädispositionen, Wertorientierungen und sozialstrukturelle Merkmale. Die finale Regressionsanalyse kann hohe 78 Prozent der individuellen Entscheidungen erklären. Hoch ist die Betrachtung der politischen Prädispositionen ausserhalb der Parteiidentifikation. Dabei sticht das Vertrauen in den Fürst als Indikator heraus. Verstärkt wird dies durch Werthaltungen, insbesondere durch den Autoritarismus, und die saldierte Wirkung der Argumente resp. das Framing der Entscheidung.

Die Bedeutung der rund 300 Seiten strake, vorbildlich strukturierte Analyse sehen die beiden Autoren namentlich im medienwissenschaftlichen Konzept des Framings. Demnach stimmen Menschen “nicht einfach über eine Voralge ab, sie stimmen über das ab, was sie für das Wesen des Problems halten.” In der Schweiz sind dafür die Begriffe “Signifikanz” oder “Enjeu” gebräuchlicher. Verwiesen wird damit auf etwas Gemeinsames: dass in der Mediengesellschaft öffentlich vermittelte Vorstellungsbilder in die direktdemokratischen Entscheidungen einfliessen, die “bestenfalls lose an die tatsächliche “Papierform” einer Volksabstimmung gekoppelt, im Detail aber durchaus kontingent sind.” Sie urteilen, das sei auch mit intensiver Informationskampagnen und Aufklärungsarbeit nicht aus der Welt zu schaffen. Denn das Gefühl, sich informieren zu müssen, hänge mit der Vertrauensheuristik zusammen, die bestimme, ob man sich überhaupt weitergehend informieren wolle. “Das öffentliche Erscheinungsbild der Sachfragen und seine Konstruktion in der öffentlichen Kommunikation werden damit zum kritischen Punkt der direkten Demokratie.”

Die Studienergebnisse reihen sich durchaus in die Einsichten ein, die wir in der Schweiz unter dem Stichwort “Dispositionsansatz” zu den Dynamiken der Meinungsbildung vor Sachabstimmungen entwickelt haben. Denn auch da geht man bei Grundsatzfragen von prinzipiellen Ueberlegung aus, die nur beschränkt mit dem Inhalt einer Vorlage zu tun haben, sondern durch die Signifikanz der Entscheidung beeinflusst werden.

Der Vergleich mit der Vielzahl von untersuchten Beispielen in der Schweiz rät allerdings zu Vorsicht, was die verallgemeinernden Schlüsse zur Funktionsweise der direkten Demokratie betrifft. Denn die Fürstenentscheidung in Liechtenstein entspricht in einem hohen Masse dem Typ Volksabstimmung, den wir als “vorbestimmt” taxieren. Die zahlreichen VOX-Analysen und Trenduntersuchungen zu schweizerischen Abstimmungen (die leider ausser Acht gelassen werden) zeigen, dass bei weitem nicht alle Volksentscheidungen hierzu zählen. Die Problematik der Sachentscheidung, aber auch ihre Problematisierung in Kampagnen entscheiden darüber, ob es zur beobachteten Reduktion kommt. Namentlich dann, wenn die angesprochenen Prädispositionen komplex sind, werden Argumente und Botschaften zum Inhalt wie auch zu den Konsequenzen der Entscheidung wichtiger, es steigt der Einfluss der Kommunikation oder die Parteibindungen determinieren das Ja resp. das Nein mehr. Das verweist auf eine erhöhte Offenheit der Entscheidungen, kurzfristiger und medialer induziert gefällt werden.

Denn zwei Sachen dürfen an der Liechtensteiner Entscheidung zur Fürstenfrage nicht übersehen werden. Die Vorlaufzeit der Meinungsbildung war angesichts des 10 Jahre dauernden Konfliktes enorm, betraf die Existenz des Landes und wühlte die Gesellschaft in einem Masse auf, die man sonst kaum je erlebt hat. Das drückte sich in der unüblich hohen Stimmbeteiligung aus. Zudem wurde bei dieser speziellen Ausgangslage eine Gesellschaft in Aufruhr gebracht, die noch kleiner ist als die schweizerische, was die Bedeutung informeller Entscheidungsdeterminanten wie das politische Gespräch gegenüber Medieneinflüssen erfahrungsgemäss stark ansteigen lässt.

Am Ende der Studie hätte man es deshalb gerne gehabt, nicht nur verallgemeinernde, sondern auch relativierende Schlüsse zu lesen. Denn das Fallbeispiel eignet sich sehr wohl zur Theoriebildung, jedoch nur, wenn man sich der Besonderheiten innerhalb der reichhaltigen Praxis der politischen Kommunikation zu Volksentscheidungen bewusst bleibt.

Claude Longchamp

Internationaler VOX-Beirat tagt in Bern.

Den SchweizerInnen sind die VOX-Analysen eidg. Volksabstimmungen zum festen Begriff geworden. Im Ausland ist das noch wenig der Fall. Das soll sich jetzt schrittweise ändern.

Referenten
Medienkonferenz zur Präsentation der VOX-Forschungsergebnisse zu Ausschaffungsinitiaitive und Gegenvorschlag durch IPW der Uni Bern und gfs.bern

2007 wurden die VOX-Analysen 30 Jahre alt. Am Rande der damaligen VOX-Fachtagung in Bern wurde die Idee geboren, einen Beirat mit ausländischer Besetzung zu schaffen. Ziele des Beirates sind es, einmal die Arbeiten der VOX-Partnerschaft, bestehend aus den politikwissenschaftlichen Instituten der Universitäten Bern, Zürich und Genf kontinuierlich durch eine Aussensicht zu begleiten, sodann Potenziale zu orten, wie die VOX-Analysen als Instrument der Abstimmungsnachanalyse auch im Ausland bekannter gemacht werden könnten.

2010 wurde ein VOX-Beirat mit den folgenden FachspezialistInnen gegründet:

Prof. Bruno Cautrès, CEVIPOF, Paris
Prof. Bettina Westle, Univ. Marburg
Prof. Markus Freitag, Univ. Konstanz
Prof. Gilg Seeber, Univ. Innsbruck
Dr. Winfried Marxer, Liechtenstein-Institut

Am kommenden Freitag und Samstag trifft sich der VOX-Beirat zu einem ausgiebigen Workshop in Bern. VertreterInnen des Instituts für Politikwissenschaft an der Univ. Bern und des Forschungsinstitut gfs.bern stellen in verschiedenen Beiträgen Geschichte und Aktualität der VOX-Analysen vor, demonstrieren die Anwendung der Projektdaten und -ergebnisse in Wissenschaft und Praxis, und diskutieren, was die VOX-Analysen für das wachsende Interesse an Volksentscheidungen in Europa bieten können. Konkret:

Prof. Adrian Vatter hält ein Grundsatzreferat zu Möglichkeiten und Grenzen der Nutzung von VOX-Daten für die Analyse der Aktualität, aber auch für die wissenschaftliche Grundlagenforschung.
Thomas Milic zeigt, welche Elitesignale wie Bundesratsempfehlungen oder Parteiparolen als heuristische Entscheidungsgrundlage unter welchen Bedingungen Anwendung finden.
Martina Imfeld erläutert, wie sich Männer und Frauen bei Abstimmungen themenspezifisch entscheiden, und wer sich wann mit seiner Position durchsetzt.
Claude Longchamp bilanziert die Erfahrungen mit Nachbefragungen im Inland und lotet Potenziale für das Ausland aus.

Die BeirätInnen werden aktive Diskussionsbeiträge leisten und im abschliessen Podium aufzeigen, wie sie zu unseren Leistungen stehen, und was davon bei Abstimmungen in ihrem Land angewendet werden könnte.

Unterstützt wird die Veranstaltung von der Uni Bern, welche den Teilnehmende das Haus der Universität zur Verfügung stellt.

Ich werde aufmerksam Notizen machen und hier auch eine Bilanz ziehen.

Claude Longchamp

I had a dream

Vor 20 Jahren träumte ich davon, parallel zu den etablierten Nachanalyse von Wahlen und Abstimmungen in der Schweiz auch Voruntersuchungen machen zu können. An den 3. Demokratietagen in Aarau zog ich vor einigen Tagen Bilanz zu diesem Unterfangen. Hier meine drei wichtigsten Schlüsse.

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“Erstens, Wahlprognosen sind prinzipiell möglich; Parteiwahlen können sicherer vorweggenommen werden als Personenwahlen. Alles hängt aber vom Zeitpunkt der Vorhersage ab.
Das hat mit der deutlicheren Vorbestimmtheit von Entscheidungen zum Nationalrat zu tun, denn unsere Meinungen zu Parteien bilden wir uns fast täglich. Das ist schon bei Ständeräten nicht der Fall und die Unterscheidung kann auch bei Kantons- und Regierungsratswahlen gemacht werden. Deshalb sind kurzfristige Entscheidungen, ja taktische Erwägungen bei Personenwahlen generell höher, was die Vorwegnahme der Ergebnisse erschwert.

Zweitens, Abstimmungsprognosen sind deutlich schwieriger. Generell ist Vorsicht angebracht.
Ermitteln kann man Trends der Meinungsbildung; mittels Szenarien lassen sich diese auch extrapolieren. Im schlechtesten Fall bleibt der Ausgang offen; im Normalfall kann er qualitativ im Sinne eines Nein- oder Ja-Entscheides vorweg benannt werden, während punktgenaue Prognose vorerst nicht möglich sind. Hauptgrund ist, dass die Dynamik der Meinungsbildung bei Behördenvorlagen grösser ist als bei Parteiwahlen und bei Entscheidungen über Volksinitiativen noch erheblicher ausfallen kann als bei Behördenvorlagen. Das erschwert die Aufgabe.

Drittens, etabliert hat sich, bei Wahlen eine Serie von Vorwahlbefragungen auf der Basis von jeweils 2000 auskunftswilligen Wahlberechtigten zu erstellen. Bei Abstimmungen gibt es zwei Erhebungen bei je 1200 Bürger und Bürgerinnen – die eine zu Beginn der Kampagne, die andere etwa in der Mitte. Im Vergleich zu Wahlen ist beides in der Regel nur recht nahe zum Abstimmungstag möglich. Einmalige Bestandesaufnahmen genügen aus unserer Warte nicht.”

Mehr dazu im Referat an der Fachtagung hier.

Claude Longchamp

Analyse von Ständeratswahlen

Heute war Auftakt zu meiner Lehrveranstaltung an der Universität St. Gallen. Der Kurs ist einer der neun Praxisprojekte im Rahmen des MIA-Masterlehrgangs an der HSG. Hier meine Zielsetzung.

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Obwohl der Ständerat im bi-kameralistischen Parlament der Schweiz gleich wichtig ist wie der Nationalrat, ist seine Wah bisher praktisch nicht untersucht worden.

Ich habe mich entschieden, mit meine Studierenden Ständeratswahlen zu analysieren. Ausgelöst wurde dieses Interesse durch das jüngste Spezialheft der Schweizerischen Zeitschrift für Politikwissenschaft. Es beansprucht, den Stand der Dinge zur Schweiz darzustellen, behandelt die Wahlen in die kleine Kammer aber mit keinem Artikel.

Ich habe zwei übergeordnete Fragestellungen an den Anfang der Veranstaltung gestellt:

Erstens: Kann man aus den Potenzialen von KandidatInnen sinnvolle Prognosen machen für das Wahlergebnis? – Ich hoffen auf ein Ja.
Zweitens: Wie weit können Aktualisierungen solcher Potenziale in Wahlkämpfen des Wahlergebnisses beeinflussen? – In denke, dass es auch hier positive Hinweise gibt.

In beiden Fällen interessieren die Wahlergebnisse als abhängige Variable. Dabei stehen Stimmenzahlen, Stimmenanteile, Beteiligungsanteile zur Verfügung. Ueber die Wahlmotive weiss so nichts, und es gibt praktisch keine Befragungen als Nachanalysen von Ständeratswahlen, die einem helfen würden, strategisches und taktisches Wählen zu analysieren. Untersuchbar sind aber Wahlergebnisse beispielsweise auf kommunaler Ebene, so im Stadt/Land- oder Sprachenvergleich.

Was die unabhängigen Variablen betrifft, schlage ich ein Raster vor, das bei den Potenzialen die institutionellen Rahmenbedingen, die KandidatInnen-Profile (im Vergleich) und die Allianzbildungen unterscheidet. Bei den Aktualisierungen differenziere ich nach dem Wahlkampf als solchem, nach den Kampagnen der KandidatInnen und nach den Medienstrategien.

Typische Indikatoren der Rahmenbedingungen sind das Wahlrecht, die Sitzzahl, die Zahl der freien Sitze sowie die Gesetzmässigkeiten erster und zweiter Wahlgänge. Bei den KandidatInnen-Profilen interessieren die Rollen der Bewerbung vom Amtsinhaber, über die Herausforderung bis zur Aufbau-Kandidatur. Es geht auch um die bisherige politische Karriere, den Leistungsausweise, die Erfahrugnen in Kampagnen, das Parteiimage und die Mitgliedschaften in politisch relevanten Gruppen. Schliesslich sollte man etwas über die Hausmacht der Bewerbungen wissen, die Allianzbildungen über Parteien hinweg und über Absprachen unter Parteien, welche den Wettbewerb bei einer Wahl einschränken.

Bei den Aktualisierungen geht es zunächst um das Unfeld einer Wahl, sei es, dass gleichzeitig weitere Wahlen oder Abstimmungen stattfinden. Es interessiert hier aber auch die Dauer des Wahlkampfes, und die Gepflogenheiten in einem Kanton bei solchen Wahlen. Wenn von Kampagnen die Rede ist, sollten die Stäbe der KandidatInnen verglichen werden, ihre Budgets, die beanspruchte professionelle Hilfe, die Werbe- und Kommunikationsstrategien sowie die direkte Wähleransprache und die Mobilisierungsaktionen. Schliesslich sollte man mehr wissen, über die Medienstrategien bei Ständeratswahlen, wie wichtig ihnen diese sind, welche Nähe und Distanz relevante Medien zu den Bewerbungen haben, wie ihre Redaktionskonzepte sind, wie sie mit Wahlwerbung umgehen, und wie das alles zusammenspielt.

Anlehnungen mache ich hiermit vor allem an das amerikanische Prognoseprojekt von pollyvote und an eine Untersuchung von Mark Balsiger zur Schweiz, der sich grundsätzlich mit Personeneffekten bei Nationalratswahlen beschäftigt hat.

Ich bin gespannt, was dabei herauskommt. Die ersten Diskussionen waren schon mal aufschlussreich. Sie zeigten mir, dass man sich zur weltanschaulichen Polarisierung von Personenwahlen Gedanken macht, dass man mehr über Emotionalisierung in Medienstrategien wissen möchte, und dass beispielsweise das Stadt/Land-Profil der Wahlkreise als Determinanten von linken und rechten Kandidaturen besonders interessiert.

Mehr später!

Claude Longchamp

Waffen-Initiative: Die Trennlinie ging durch die Agglomerationsgürtel der grossen Zentren

Nun liegt sie vor: die Detailanalyse des Bundesamtes für Statistik zu den raumbezogenen Ergebnissen der Abstimmung über die Waffen-Initiative. Sie legt nahe, das Stadt/Land-Kontinuum aufzuteilen, in Kernstädte, Agglomerationen und Landgemeinden.

Die grösste Differenz im Abstimmungsverhalten der Gemeinden gibt es nach BfS zwischen grossen Kernstädten und (semi)agrarischen Landgemeinden. Diese votierten zu 72 Prozent gegen die Initiative, jene zu 65 Prozent dafür. Das hatte man schon am Sonntag.

Im ruralen Raum ist die Ablehnung weitgehend typen-unabhängig. Auch die Landgemeinden mit industrieller oder touristischer Erwerbsstruktur waren dagegen, genauso wie die Pendlergemeinden auf dem Land. Das kommt in der nebenstenden Karte gut zum Ausdruck.

Differenzieren muss man den urbanen Raum. Zunächst hängt der Ja-Anteil von der Grösse der Zentrumgemeinden ab. Die Stimmenden der Grosszentren votierten wie gesagt zu zwei Dritteln dafür, jene der Mittelzentren zu 53 Prozent. In den Kleinzentren (ohne Agglomeration) resultierte ein Ergebnis fast wie gesamtschweizerisch – 58 Prozent dagegen.

Unterscheiden muss man auch zwischen Kernstädten und Agglomerationsgemeinden. Diese waren in ihrer Gesamtheit auf der Nein-Seite, wenn auch teilweise knapp. So erreichte die Initiative in den einkommensstarken Agglomerationsgemeinden im Schnitt eine Zustimmung von 49 Prozent. In den Agglomerationen der fünf Grosszentren resultierte ein mittlerer Ja-Anteil von 47 Prozent. Wer im urbanen Raum eines Mittelzentrums stimmte, war dann aber zu 61 Prozent dagegen.

Das spricht für eine Dreistufung der Abstimmungsergebnisse zur Waffen-Initiative im Raum: Ja-Pol in den Kernstädten, abhängig von der Grösse, mittlere Position mit Ja- und Nein-Gemeinden in den Agglomerationen, abhängig vom Zentrum, und ein flächendeckender Nein-Pol auf dem Land.

Das Interessante ist, dass es eine Bewegung vom Land in die Kleinstädte und Agglos der Mittelzentren gibt, beschränkt auch der Grosszentren. Das jedenfalls kann man schliessen, wenn man die Haupttrends in der Meinunungsbildung mitberücksichtigt. Denn die bewusste Ablehnung baute sich erst mit der Nein-Kampagne auf, war aber so stark, dass sie auch die Zustimmungsbereitschaft reduzierte.

Im grossen Ganzen entspricht dies dem Bild bei der Minaretts-, Ausschaffungs- und Steuergerechtigkeitsinitiative. In allen drei Fällen wurde die Position des ruralen Pols zur Mehrheit. Die Grenzlinie bei der Zustimmungs-/Ablehnungsmehrheit ist allerdings nicht immer identisch. Marginalisiert wurden die Grosszentren insbesondere bei der Minarettsfrage. Ansonsten geht die wirkliche Trennlinie wohl durch die Agglos der grossen Zentren.

Claude Longchamp

Die 10 grössten Stadt/Land-Unterschiede

Gestern noch war es ein intuitive Aussage. Heute ist sie zahlenmässig untermauert: In der laufenden Legislatur war der Stadt/Land-Graben nie so gross wie bei der Abstimmung über die Waffen-Initiative. Und historisch gesehen ist der Gegensatz ein Phänomen, das erst in den letzten 25 Jahren aufgetreten.

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Die Erstanalyse des historischen Momentes

Sicher, der Index des BfS zum Stadt/Land-Gegensatz ist stark vereinfachend. Er misst im wesentlichen wie die ruralen und urbanen Gebiete gestimmt haben. Ueber die Differenzierungen im agglomerierten Raum sagt er (vorerst) nichts.

Dennoch ist die Sprache deutlich, die aus den BfS-Unterlagen hervorgeht. Der Indexwert bei der jüngsten Abstimmung liegt bei knapp 17 Punkten. In der auslaufenden Legislatur war er mit 12 Punkten bei der Minarett-Frage am grössten. Nur 3 Mal in den 24 Abstimmungen seit den letzten Wahlen kletterte er über den Wert von 10.

Damit ist die Aussage berechtigt: Der Stdt/Land-Graben war diesmal exemplarisch hoch. Seit den Wahlen 2007 hat man nie eine Polarisierung in diesem Masse erlebt.

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Quelle: Microgis

Das Phänomen kann zudem sprachregional differenziert werden. Den geringsten Unterschied gab es in der italienischsprachigen Schweiz, grösser war er in der französischsprachigen Region und eindeutig am grössten war in der deutschsprachigen.

Hier die Uebersicht der nationalen Indexwerte::
Index Abstimmung (Jahr)
Wert
16,6 Waffen-Initiative (2011), Land mehr dagegen, keine unterschiedlichen Mehrheiten
14,2 UNO-Beitritt (2002), Stadt mehr dafür, Stadt setzt sich durch
13,8 Schwangerschaftsabbruch (2002), Stadt mehr dafür, keine unterschiedlichen Mehrheiten
13,4 EWR (1992), Stadt mehr dafür, Land setzt sich durch
12,9 Abkommen von Schengen/Dublin (2005), Stadt mehr dafür, Stadt setzt sich durch
12,3 Revision Arbeitsgesetz (2006), Stadt mehr dafür, Stadt setzt durch
12,2 Einbürgerung 2. Generation (2004), Stadt mehr dafür, keine unterschiedlichen Mehrheiten
11,8 Partnerschaftsgesetz (2005), Stadt mehr dafür, Stadt setzt sich durch
11,7 Minarett-Initiative (2009), Land mehr dafür, keine unterschiedlichen Mehrheiten
11,5 Mutterschaftsversicherung (2004), Stadt mehr dafür, Stadt setzt sich durch

Neuralgisch sind Themen der Oeffnung der Schweiz. Wir finden den EWR-, den UNO-Beitritt und die Schengen/Dublin-Abkommen auf der Liste. Es geht aber auch um unterschiedliche Lebensweisen, wie das beim Schwangerschaftsabbruch, beim Partnerschaftsgesetz und bei der Mutterschaftsversicherung zum Ausdruck kommt. Die Waffenfrage kann durchaus hierzu gezählt werde. Schliesslich geht es um Entfremdungsthemen, wie die Einbürgerungs- und Minarettsfrage zeigt. All diese Themen korrelieren mit der Achse zwischen Tradition und Moderne, während in einem einzigen Fall, dem Arbeitsgesetz, ein sozialpolitisches Thema auftaucht. Das hat folgen: Nicht die klassische Links/Rechts-Polarität ist entscheidend, sondern die Frage nach der Identität, dem Selbstverständnis, ja dem Wunschbild, das man von sich hat.

In 4 der 10 Fälle gab es trotz grosser Differenz keinen Gegensatz in den Mehrheiten. In übrigen 6 Fällen setzte sich fünf Mal die Stadt durch, einmal das Land.

Die Waffen-Abstimmung zeigte übrigens keinen Gegensatz der Mehrheiten. Das hat viel mit der BfS-Definition zu tun, die auf dem Unterschied von Land und Agglomeration aufbaut. Faktisch werden Unterschiede zwischen Ballungsräumen und Landgegenden gemessen. Erst seit Neuestem unterscheidet das BfS innerhalb der Agglomerationen nach Grösse und Zentralität. Bei der Waffen-Initiative war das Land zu 68 Prozent dagegen, die Agglo zu 52. Die Werte innerhalb der Agglomerationen werden demnächst aufgeschaltet.

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Christian Bolliger, der Berner Polithistoriker, hat solche Befunde zur Aktualität in die Schweizer Abstimmungsgeschichte eingebettet. Dies legt nahe, dass der Stadt/Land-Unterschied in der beschriebenen Form und Intensität ein Phänomen ist, dass erst Ende der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts entstanden ist. Der Konflikt wurde grösser, weil sich die urbane Lebensweise in den 90er Jahren vermehrte, das Pendel jetzt aber in die andere Richtung zu kippen beginnt.

Die aktuelle Abstimmung ist damit die Spitze der Spitze der Entwicklung.

Claude Longchamp

Hochrechnungen am 13. Februar 2011

Heute werden zwei Vorlagen hochgerechnet: Die eidgenössische Volksabstimmung zur Initiative “Schutz vor Waffengewalt” und die Volksabstimmung über Kanton Bern zur Fortführung des Kernkraftwerkes Mühleberg.

1200
Die Urnen sind gesamtschweizerisch geschlossen. Es beginnt die Auszählung der heute eingegangen Bulletins. Die Hochrechnung der eidgenössischen Volksabstimmung wird vorgezogen; sie soll spätestens um 14 Uhr vorliegen. Die kantonalbernische folgt danach. Hier kann es 15 Uhr werden, bis man Genaues weiss.
Um 12 Uhr haben wir die Zusammenfassung einer Studie publiziert, welche die Verläufe der Meinungsbildung bei Volksinitiativen im Vergleich untersucht. Sie zeigt, dass der Rückgang der Zustimmung der wahrscheinlichste Verlauf ist, wenn auch nicht der einzige. Tritt er ein, erreicht er im Schnitt 11 Prozent. Die Variabilität ist aber gross. Punktgenaue Prognosen sind also nicht möglich, qualitative Aussagen aber schon. In Abstimmungskämpfen zu Inititive überwiegt der Nein-Trend.
Die Wahrscheinlichkeit einer Ablehnung der Initiative “Schutz vor Waffengewalt” ist demnach gegen. Mehr dazu um 1230.

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Gleiche Botschaft, ungleiche Wirkung: Die Bewahrung der Tradition kommt im konservativen Klima gut an, aber unterschiedlich stark in den Sprachregionen.

1230
Die Waffen-Initiative wird effektiv abgelehnt. Das sagt die Trendrechung unseres Instituts für die SRG SSR Medien. Sie scheitert am Volks- und Ständemehr. So viel ist jetzt schon klar.
Das Bild der Schweiz ist allerdings sehr uneinheitlich. Die italienischsprachige Schweiz lehnt die Initiative klar ab, in der deutschsprachigen gibt es einen massiven Stadt/Land-Gegensatz, während in der Romandie ein knappe Ja wahrscheinlich ist.

1300
Die Hochrechung zur Waffen-Initiative liegt vor. Demnach stimmen rund 57 Prozent gegen die Vorlage, zirka 43 dafür. Bei diesem Volksmehr ist das Ständemehr unerheblich.
Der Trend, der sich im Verlauf der Kampagne abzuzeichnen begann, bestätigt sich damit. Innert gut 6 Wochen verringerte sich der Anteil von 52 über 47 auf vorläufig 43 Prozent Ja. Das wären 9 Prozentpunkte Meinungswandel, verbunden mit einem Umschwung in der Mehrheit. Gleichzeitig baute sich das Nein vor allem während des Abstimmungskampfes auf.
Ueber die allgemeinen Ursachen hinaus kann man auch die aktuellen Kampagnen miteinbeziehen: die Gegnerschaft hielt bis zum Schluss die Intensität durch, die BefürworterInnen waren gegen Ende weniger präsent.

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1330
Die Hochrechnung zur Waffeninitiative stabilisiert sich. In der Romandie wird bestätigt, dass die gemischtsprachigen Kantone Wallis und Freiburg ablehnen, die rein französischsprachigen voraussichtlich geschlossen zustimmen. Im Tessin wiederholt sich das massive Nein, und die deutschsprachige Schweiz wird zwischen Stadt und Land zerrissen. In Baselstadt sagt man zu fast 60 Prozent Ja, in Uri zu über 70 Prozent Nein.
Wir erwarten die Erstanalyse um 1400. Es geht alles viel schneller als erwartet.

1400
Die Erstanalyse der Waffen-Initiative auf Kantonsbasis liegt bereits vor. Demnach wir das Abstimmungsergebnis zunächst durch eine klaren Links/Rechts-Gegensatz gekennzeichnet. Die Linke sammelte in der Romandie und in den deutschsprachigen Städte über ihre WählerInnen-Stärke hinaus auch Zentrum- und rechte Stimmen. Es ist davon auszugehen, dass die Wähler von SVP, FDP, wohl aber auch der CVP mehrheitlich ablehnten.
Die Erstanalyse bestätigt, dass ein massiver Wertekonflikt vorliegt. Die Vorlage polarisiert zwischen Regionen mit traditionellen und modernen Werten, aber auch entlang der Grundhaltung von Regionen zur Armee.
Keine verbindlichen Aussagen kann man zum Stimmverhalten der Geschlechter machen. Die dafür nötigen Grundlagen müssen mit der VOX-Analyse erst noch erhoben werden.

1415
Die Hochrechnung zur kantonalen Konsultativabstimmung liegt vor. Sie gibt 52 Prozent Zustimmung zur Fortführung aus kantonalbernischer Sicht. Der Fehlerbereich beträgt aber +/-3 Prozentpunkte, sodass Vorsicht angezeigt bleibt.
Der Unsicherheitsbereich besteht, weil uns jede Information über die Stadt Bern fehlt. Aufgrund von Referenzgemeinden für die Hauptstadt geht unsere Hochrechnung aber von einer Ablehnung der Fortführung in der Hauptstadt im Verhältnis von 3:2 aus. Das ist stellvertretend für Bern in die Hochrechnung eingeflossen.

1435
Nun liegt die Stadt Bern definitiv vor. Das Ja beträgt hier nur 35 Prozent. Damit verändert sich unsere Hochrechnung etwas, aber nicht entscheidend. Sie kommt akuell auf 51,5 Prozent Ja, und 48,5 Prozent Nein. Es bleibt knapp, aber unverändert mit Vorteilen für die BefürworterInnen.

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1500
Die Erstanalyse zur Abstimmung im Kanton Bern liegt vor. Zunächst kann man festhalten, dass die urbanen Gebiete in Bern und Biel anders als die Mehrheit entschieden haben. In diesen Regionen liegt der kritische Stimmenanteil zur Fortführung der Kernenerigepolitik über dem Potenzial der linken Parteien. Das spricht dafür, dass im städtischen und teilweise auch im agglomerierten Umfeld auch ein erheblicher Teil des Zentrums, der GLP, der EVP und vielleicht auch der CVP gegen die Fortsetzung von Mühleberg gestimmt hat.
In den stärker ländlichen Gebieten entspricht die Zustimmung zu Mühleberg II weitgehend dem bürgerlichen Potenzial.
Das kann auch mit der Sozialstruktur in den befürwortendenen und ablehndenen Bezirken illustriert werden. Wo es einen hohen Anteil an Landwirten und Baugewerbe hat, ist die Befürwortung der Kernenergie signifikant höher als im Schnitt, während ihre Ablehnung vermehrt vorkommt, wo es viele Beschäftigte im Unterrichts- Gesundheits- und Sozialbereich hat.
Die Vermutung, dass es sich bei der Entscheidung um einen typischen postmarialistischen Konflikt handelt, der sich entlang verschiedener Zukunftsvorstellungen zur Energiesicherheit äussert, bestätigt sich. Es zeigt sich, dass das in Bern zwischen den Siedlungsräumen polarisiert, und durch den Parteienkonflikt abgebildet wird. Der mehrheitlich bürgerliche Kanton folgte damit dem Parlament, während die rotgrüne Regierung mit ihrer Opposition knapp in die Minderheit versetzt wurde.

1530
Die nationale Stimmbeteiligung liegt gemäss Hochrechnung bei 49 Prozent. Sie ist aber noch nicht definitiv, weil der Kanton Bern Verzug hat. Die Struktur der Zusatzbeteiilgung über das Normale hinaus, das gegenwärtig 43 Prozent zeigt, spricht für eine massive Politisierung der Bevölkerung in der deutschsprachigen Schweiz. Dabei ist die Zusatzmobilisierung im ruralen wie urbanen Bereich ähnlich stark.
In der Romandie findet sich kaum etwas davon, das gilt auch für die italienischsprachige Schweiz.

1700
Es war ein heftiger Abstimmungstag. Selber war ich ein wenig reduziert. Das medizinische Fieber überlagerte heute mein Abstimmungsfieber.
Die Hochrechungen waren schnell und präzis. Beide waren auf Anhieb auf 1 Prozent genau. Beim Kanton Bern haben wir dabei Neuland beschritten.
Die Umfrage zeigte den für Volksinitiativen typischen Verlauf. Wie 80 Prozent aller Initiativen begann auch die Waffen-Initiative besser als sie entdet. Das hat nicht mit Umfragefehlern zu wie gelegentlich behauptet wird, sondern mit der Dynamik der Meinungsbildung. Bei der wissen wir, dass sie bei Volksinitiativen Meinungswandel, ja Meinungsumschwünge zulässt.
Die Ursachen müssten noch genauer untersucht werden. Heute haben wir mal drei Vermutungen geäussert: Erstens, der Informationsstand nimmt zu, und damit die Kenntnis der Details und Folgen der Initiative. Das wäre für die Demokratie das Beste. Das Schlechteste wäre es, es würde genau einem unterschiedlichen Mitteleinsatz in Kampagnen entsprechen. Gut denkbar ist aber, dass sich die Problemdeutung ändert. Zu Beginn der Meinungsbildung hatte man vor allem die Unfälle in Zug, im Wallis und Zürich in Erinnerung. Das dominierte das problematische Problembild. Am Ende überwog die Zustimmung zur Tradition im Milizsystem, zur Bürger/Soldat-Symbiose. Dies passt ganz gut in den konservativen Grundtrend der Schweizer Politik, der seit der Enttäuschungen über die Finanzmarktkrise und ihre Auswirkungen auch die Schweiz erfasst hat.

Claude Longchamp

Wahrscheinliche Trends in der Meinungsbildung bei Volksinitiativen

Seit 1998 führt das Forschungsinstitut gfs.bern für die SRG Abstimmungsumfragen durch. 2002 wurde das Vorgehen standardisiert, um die Ergebnisse zu den Meinungsverläufen im Vorlagenvergleich beurteilen zu können. Die Befragung zum “Schutz vor Waffengewalt” ist die 15., die nach diesem Muster untersucht worden ist. Das wahrscheinlichste, wenn auch nicht einzige Szenario ist der Aufbau der Ablehnung bei gleichzeitigem Rückgang der Zustimmung.

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Die Anwendung dieser Erkenntnis auf die Meinungsbildung zur Waffen-Initiative

Die Politikwissenschaft weiss über die Funktionen von Volksinitiative einiges. Ueber die Prozesse der Meinungsbildung bestehen dagegen Lücken. Die Untersuchungsreihe unseres Instituts für die SRG SSR Medien bietet deshalb eine willkommene Gelegenheit, einiges davon zu schliessen.

Eine erste Uebersicht über die 15 in den letzten 8 Jahren einheitlich untersuchten Volksinitiativen zeigt:

Erstens, die Meinungsbildung bei Volksinitiative ist häufig schon vor der Hauptphase fortgeschritten. Im Schnitt können 86 Prozent der Teilnahmewilligen BürgerInnen rund 50 Tage vor der Abstimmung eine vorläufige Stimmabsicht äussern. 14 Prozent sind im Schnitt ganz unschlüssig. Dieser Wert ist geringer als bei Behördenvorlagen.

Zweitens, die Stimmabsichten sind jedoch bei weitem nicht überall gefestigt. Das gilt namentlich für die Zustimmungsbereitschaft. Diese nimmt in der Regel während eines Abstimmungskampfes ab, während die Ablehnungstendenz in allen Tests zunahm.

Bei den meisten untersuchten Fällen kommt es also zu einem Meinungswandel. Eigentliche Meinungsumschwünge mit umgekehrten Mehrheiten zwischen erster Umfrage und Abstimmungstag kommen in etwa der Hälfte der Fälle vor.

Bekannt ist das Ausmass des Meinungswandels. Setzt er im beschriebenen Masse ein sind 11 Prozentpunkte Verringerung des Ja-Anteil in 40-50tägigen Kampagnen das Mittel, während sich das Nein im Schnitt um 25 Prozentpunkte erhöht. Die Maximalwerte wurden wurden 2003 bei der SP-Gesundheitsinitiative gemessen, wo sich das Ja um 22 Prozentpunkte reudzierte, und das Nein um 43 Prozent aufbaute.

Das eigentliche Gegenteil resultierte beim Gentech-Moratorium, wo es während der Kampagnen zu einem der seltenen Meinungsumschwünge zum Ja kam. Das Abstimmungsresultat lag im Ja 9 Prozentpunkte höher als in der ersten Umfragen.

Die Gründe hierfür sind noch nicht erforscht; sie müssten mittels Arbeitshypothesen geprüft werden; zu diesen zählen:

. Der Meinungswandel tritt als Folge einer intensivierten Beschäftigung mit der Vorlage ein.
. Der Meinungswandel reflektiert die unterschiedliche Intensität der Kampagnen Pro und Kontra.
. Der Meinungswandel ist eine Folge veränderter Problemdeutungen, die sich im Abstimmungskampf von jenen der Pro zu jene der Kontra-Seite verlagert.
. Initiativen scheitern an ihrer materiellen Schwachstelle.
. Ein klares parteipolitischen Profil erschwert es, eine breite Zustimmung zu halten.

Man kann vorläufig festhalten: Punktgenaue Prognosen lassen sich damit nicht machen. Jedoch ist es möglich, Trends in der Meinungsbildung nach Wahrscheinlichkeiten zu bewerten, und damit Szenarien der Zustimmungs- und Ablehnungsbereitschaften zu formulieren, welche die Unsicherheiten nicht beseitigen, aber einschränken.

Claude Longchamp

Börsianer schätzen Chancen der Waffen-Initiative skeptisch ein.

Die Börsianer auf Wahlfieber rechnen mit einen doppelten Nein bei Volks- und Ständemehr zu Waffen-Initiative.

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Kurswerte der Aktien für das Ja und Nein zur Waffen-Initiative. Quelle: Wahlfieber

Bis neun Tage vor der Abstimmung überwog in der Wettbörse “Wahlfieber” die Erwartung, die Initiative “Schutz vor Waffengewalt” werde das Volksmehr schaffen, wohl aber am Ständemehr scheitern.

Nun ist alles anders. Aktuell ist Aktie für die Zustimmung noch gerundete 48 Einheiten wert, jene für die Ablehnung gerundete 53 Prozent.

Am positivsten war die Wette für das Ja am 23. Januar 2011. Seither überwiegt im Trend die negative Erwartung. Nach der letzten publizierten Repräsentativ-Befragung überholte die Nein-Aktie jene für das Ja im Kurswert. Seit dem 4. Februar liegt diese ungebrochen vorne. Noch zwei Tage früher kippte die Ewartung beim Ständemehr definitiv auf die Nein-Seite.

Aus meiner Sicht füge ich bei: Der negative Trend reflektiert nicht zu unrecht die Aktivitäten der beiden Lager in der Oeffentlichkeit. Die Nein-Seite ist (gefühlsmässig) präsenter, vor allem bei den Plakaten, und in den Leserbriefspalten. Nach einem Furioso zu Beginn, gelang es dagegen den InitiantInnen kaum einen sichtbaren Schlusspunkt zu setzen, um die finale Mobilisierung zu beeinflussen.

Genaueres weiss man morgen.

Claude Longchamp

Waffen-Initiative: Wahlfieber rechnet mit Volks-Ja und Stände Nein

Wahlfieber ist ein interessantes Prognose-Tool, das auch bei Schweizer Politentscheidungen zur Anwendung kommen. Denn es kann mit wenig Aufwand betrieben werden; es ist aber nicht unabhängig von Umfragen.

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Mitmachen kann jede(r). Einbringen muss man vor allem die eigene politische Sensibilität – und ein spielerisches Flair. Gewettet wird zum Beispiel auf Abstimmungsausgänge.

Bei der Initiative “Schutz vor Waffengewalt” hat sich die Erwartungshaltung der Polit-Börsianer zwischenzeitlich eingependelt. Gerechnet wird mit einem knappen Volks-Ja und einem ähnlich engen Stände-Nein.

Die genauen Werte variieren von Tag zu Tag. Aktuell sind sie bei 51 Prozent dafür, und 14 Ständen dagegen. Insgesamt wäre das dann Nein.

Die Vor- und Nachteile von solchen Prognosemärkten sind bekannt: Es kann mit wenig Aufwand betrieben werden. Es vermisst Erwartungshaltungen. Und es bewertet diese nach dem Marktmechanismus: Wo keine Handel stattfindet, handelt es sich auch nicht um eine brauchbare Information.

Wahlfieber ist nicht frei von Problemen. Denn Prognosefähigkeit ist nicht einfach gegeben, sie hängt von der Menge der HändlerInnen und von der Intensität des Handels ab. Je grösser beides ist, umso besser funktioniert die Wettbörse. Und: Die Prognosen sind nicht stabil; sie folgen im wesentlichen den Trends in Medien, beschränkt auch in den Umfragen.

Die letzte Repräsentativ-Befragung ergab 47 Prozent bestimmte oder tendenzielle BefürworterInnen, und 45 Prozent bestimmte oder tendenzielle GegnerInnen. Direkte Aussagen zum Ständemehr sind angesichts der Stichprobengrösse nicht möglich, weshalb der Ausgang offen erscheint. Der zeitliche Trend ist allerdings negativ. Es legt das Nein zu, und es verringert sich das Ja. Entscheidend sind, ob sich der Trend fortsetzt, und wie die Schlussmobilisierungen funktionieren.

Ueberigens: Die repräsentativ vermessene Erwartungshaltung in der stimmberechtigten Bevölkerung verweist, wie Wahlfieber, ins Nein: 45 Prozent der Befragten rechnen mit einer Ablehnung am 13. Februar; 35 Prozent gehen von einer Zustimmung aus.

Abstimmungsumfragen dürfen in der Schweiz in den letzten 10 Tagen nicht mehr publiziert werden. Wettbörsen halten sich an diese Selbsteinschränkung der Befragungsbranche nicht. Deshalb wird bis am Vortag der Entscheidung spekuliert.

Claude Longchamp