Über Normal- und Spezialfälle der Meinungsbildung bei Behördenvorlagen

Die Ausgangslagen

74 Ja zu 21 Nein bei der erleichterten Einbürgerung, 60 zu 32 beim Strassenfonds und 50 zu 35 bei der Unternehmenssteuerreform. So lauten die nackten Zahlen für bestimmt und eher dafür resp. bestimmt und eher dagegen, wie sie die SRG-Umfrage des Forschungsinstituts in der ersten Befragungswelle zu den Volksabstimmungen vom 12. Februar 2017 ermittelt hat.

Punktgenaue Prognosen sind das alles mit gutem Grund nicht: Die Unentschiedenen verschwinden bis zum Abstimmungstag. Denkbar ist sogar, dass BefürworterInnen, die eher dafür sind, schliesslich dagegen stimmen, und umgekehrt. Schliesslich kann auch eine asymmetrische Mobilisierung das Ergebnis entscheidend beeinflussen.

Deshalb sind diese Zahlen genauso wichtig: Nur 35 Prozent haben bei der Unternehmenssteuerreform eine eindeutige Stimmabsicht. Beim Strassen-Fonds sind es 48 Prozent und bei der erleichterten Einbürgerung liegt der Wert bei 60 Prozent. Die Resultate basieren auf den Antworten jener 42 Prozent, die sich bestimmt an der Abstimmung beteiligen wollen.

Was bis zum 12. Februar 2017 geschieht, weiss niemand. Man kann es zwar nicht eindeutig, aber als Szenario abschätzen.

Der Normalfall der Meinungsbildung bei Behördenvorlagen

Alle drei Abstimmungsgegenstände vom 12. Februar entsprechen zum jetzigen Zeitpunkt dem Normalfall von Meinungsbildung bei einer Behördenvorlage: Unentschiedene verteilen sich in einem variablen Verhältnis auf beide Seiten. Das bedeutet, sowohl der Ja- wie auch der Nein-Anteil nehmen zu.

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Bezogen auf die aktuellen Messwerte liegen am 12. Februar 2017 drei Annahmen in der Luft. Bundesrat und Parlament setzen sich in diesem Szenario flächendeckend durch, wie sie das notabene auch bei allen 13 Volksabstimmungen seit den letzten Parlamentswahlen getan haben. Die genauen Ergebnisse für den 12. Februar kennt man zwar noch nicht, letztlich zählt aber, wer sich durchsetzt. Dafür spricht auch, dass FDP und BDP welche 2016 eine lückenlose Gefolgschaft der Stimmenden für ihre Parolen fanden, alle drei Vorlage zur Annahme empfehlen.

Der Spezialfall – und wie man ihn erkennt

Doch gibt es auch Spezialfälle der Meinungsbildung. Das heisst bei Behördenvorlagen, dass die Zustimmungsbereitschaft nach den ersten Umfragen abnimmt. Dies muss nicht einmal die Folge eines individuellen Meinungswandels sein, etwa, dass aus anfänglichen BefürworterInnen schliesslich GegnerInnen werden. Es kann auch eine Folge veränderter Beteiligungsstrukturen sein.

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Dies ist durchaus wahrscheinlich, wenn die Mobilisierung durch den Abstimmungskampf ungleich ausfällt. Zum Beispiel dann, wenn die Zusatzbeteiligung misstrauischer Menschen schneller zunimmt als vertrauender. Dann sinken grundsätzlich die Annahmechancen von Behördenvorlagen.

Im Moment sind beide relevanten Gruppen, vertrauende und misstrauische BürgerInnen, mit je 43 Prozent gleich stark beteiligungsbereit. Sollte es aber zu einer ausserordentlichen Zusatzmobilisierung von über 5 Prozentpunkten kommen, ist nicht gesichert, dass sich das auf beide Gruppen gleich stark auswirkt. Relevant wird die Entwicklung dann, wenn die Beteiligung der vertrauenden BürgerInnen konstant bliebe oder nur wenig zu zunähme. Und wenn sich die misstrauischen BürgerInnen um 10 oder 15 Prozentpunkte verstärken würden.

Erkennen kann man das am besten an Skandalen, welche die Behörden oder ihre Information negativ betreffen. Denn das demotiviert Menschen mit Vertrauen in den Bundesrat, sich an Abstimmungen zu äussern, es motiviert aber auch solche mit Misstrauen in die Bundesregierung. Aber auch eine Kampagne, die sich aus einer Proteststimmung heraus aufbaut kann das bewirken. Etwa durch die SVP, die erst in der Schlussphase, dann aber massiv gegen die erleichterte Einbürgerung mobilisiert und dabei über die eigene Wählerschaft hinaus all jene anspricht, die erneut gegen die Ausländerpolitik ein Zeichen setzen wollen.

Denkbare Folgen von Spezialfällen für den Abstimmungsausgang

Wir schätzen, dass die Wahrscheinlichkeit eines Spezialfalls beim Strassen-Fonds am geringsten ist. Die Stimmabsichten sind viel zu stark auf der Dimension Nutzen/Schaden angelegt. Der Normalfall der Meinungsbildung ist hier am wahrscheinlichsten.

Selbstredend ist der Spezialfall bei der Einbürgerungsvorlage am wahrscheinlichsten, wenn die SVP dagegen ansetzt. Zu erwarten ist, dass dann die Zustimmungsbereitschaft sinkt. Ob es für einen Mehrheitswechsel ausreicht, hängt von den Reaktionen der CVP- und FDP-WählerInnen ab. Da noch viel geschehen müsste, um einen solchen zu bewirken, gehen wir derzeit nicht von einem Mehrheitswechsel aus.

Schliesslich die Unternehmenssteuerreform. Hier können sich sowohl eine neuartige Meinungsbildung als auch eine unübliche Mobilisierung sofort auf die Mehrheitsverhältnisse auswirken. Ersteres wäre dann der Fall, wenn der Rekurs auf die gerügte Informationspraxis der Behörden bei der Unternehmenssteuerreform zum grossen Thema würde, oder aber wenn die rechtspopulistische Mobilisierung via Einbürgerungsvorlage massiv werden sollte.

Trendextrapolationen bringen mehr als reine Messungen – Die SRG-Trendumfragen statistisch verlängert

Dem Bewerbungsschreiben für die Durchführung der SRG-Trendbefragungen zu den eidgenössischen Volksabstimmungen 2016-2019 musste man einen Schätzer beilegen, der aufzeigte, wie oft man in der Vergangenheit mittels Umfrageserien die richtige Mehrheit ermittelt hatte. Hier unsere Darstellung in Kurzform, mit einem Ausblick auf den 5. Juni 2016.

Stellt man alleine auf die zweite von zwei SRG-Umfragen ab, kamen wir für die beiden letzten Legislaturen bei linken Volksinitiativen auf 100 Prozent Richtige. Bei rechten Volksinitiativen betrug der Wert 89 Prozent. Geringer war er bei Behördenvorlagen, bei denen 64 Prozent korrekt vermessen wurden. Das Problem lag da weniger bei falschen Mehrheiten. Vielmehr machte uns recht häufig zu schaffen, dass keine Seite eine ausgewiesene Mehrheit hatte.
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Genau das brachte uns auf den Plan! Mit einer Extrapolation der Ergebnisse aus der ersten zur zweiten Befragung kann man eine dritte erdachte Umfrage simulieren. Projiziert auf den Abstimmungstag, sollte diese dem Endergebnis entsprechen.

Knifflig war hier die Wahl des richtigen Projektionsmodells. Denn es sind verschiedene möglich, alleine aufgrund der Ja- oder der Nein-Anteile, Kombinationen davon oder Differenzierungen nach Vorlagen. Schliesslich entschieden wir uns für fünf Varianten, die wir gleichwertig nebeneinander stellten. Entscheiden soll der mainstream der Extrapolationen.

Die so erzielten Verbesserungen waren erheblich. Bei linken Initiativen stimmte die Mehrheit unverändert zu 100 Prozent. Bei rechten steigerten wir den Wert auf 94 Prozent. Der Schnitt der Initiativen wird zu 97 Prozent korrekt eingeschätzt. Bei Behördenvorlagen wurde die Mehrheit in 96 Prozent der Fälle richtig vorhergesehen.

Damit liegt man innerhalb des Sicherheitsintervalls, das in den Sozialwissenschaften üblicherweise angewandt wird.

Überträgt man dieses Verfahren auf die aktuellen Vorlagen, kann man von einem Ja bei der Asylgesetzrevision ausgehen. (Erinnert sei, dass wir das Fortpflanzungsmedizingesetz nicht untersuchten, da man nach dem klaren Ja vor Jahresfrist zum Verfassungsartikel von einem ähnlichen Ergebnisse beim Gesetz ausging.) Derweil macht es Sinn, mit einer Ablehnung der drei Volksinitiativen zu rechnen.

Die sicherste der vier Aussagen ist die zum bedingungslosen Grundeinkommen. Die unsicherste bleibt die zur Service-Public-Initiative.

Greift man alleine auf die zweite Umfrage zurück, könnte man gerade bei der Service-Public-Initiative auch von einem denkbaren Ja sprechen. Berücksichtigt man den nachgewiesenen Trend, ist das jedoch wenig plausibel. Dank des neuen Verfahrens kann man das noch etwas genauer haben – wenn auch immer noch nicht ganz sicher!

Claude Longchamp

Trendumfragen zu Volksabstimmungen sind mehr als Momentaufnahmen, aber weniger als Prognosen

Dass Umfragen per se keine Prognosen sind, habe ich schon häufig genug betont. Immer klarer wird jedoch auch, dass sie nicht blosse Momentaufnahmen bleiben müssen. Mit der Zahl vergleichbar gemachter Umfragen steigen die Möglichkeiten präzisierter Einschätzungen.

Von Momentaufnahmen spricht man bei einer einmaligen Messung von Einstellungen, Entscheidungsabsichten und Verhaltensweisen. Das ist insbesondere dann sinnvoll, wenn, wie bei der öffentlichen Meinung, Konstanz über die Zeit nicht gesichert angenommen werden kann.

Von Trends sprechen wir, wenn mindestens zwei, besser drei identisch hergestellte Momentaufnahmen vorliegen. Denn das gibt den Zwischenstandsmeldungen eine Perspektive über die Momentaufnahme hinaus. Trends kann man sogar extrapolieren, womit man an sich zu Prognosen gelangt.

Wir haben Ende 2015 als Bilanz unserer Arbeiten für die SRG alle Abstimmungsfragen seit 2008 reanalysiert, neu extrapoliert und hinsichtlich der Trefferquoten bewertet. Mit Trefferquote meinen wir den Anteil zutreffender Mehrheiten.

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Stellt man einzig auf die erste Welle ab, die in der Regel 45 Tage vor der Volksabstimmung erhoben wird, bleibt die Trefferquote klar zurück. Bei Behördenvorlagen bleibt die Mehrheit bis zum Schluss in 56 Prozent der Fälle gleich, bei Volksinitiativen in 71.4 Prozent der Fälle. Die zweite Welle verbessert die Einschätzungen namentlich von Volksinitiativen erheblich. Die Trefferquote liegt jetzt bei 94.3 Prozent, während sie bei Behördenvorlagen nur auf 64 Prozent gesteigert werden kann.

Extrapoliert man die Entwicklungen im Ja- und Nein-Anteil aufgrund von Erfahrungen mit der Schweizer Politik, Abstimmungskämpfen und Trendumfragen auf den Abstimmungstag,  verändert sich das Bild nochmals. Volksinitiativen kennen  jetzt eine Trefferquote von 97.1 Prozent, Behördenvorlagen von 96 Prozent. Der Hauptgrund für die Steigerung bei Behördenvorlagen liegt darin, dass der Anteil Unentschiedener häufig recht gross ist, sodass Aussagen recht vage bleiben. Bei Volksinitiativen kann man mit einer Differenzierung zwischen linken und rechten Vorlagen ebenfalls noch einiges verbessern. So ist es möglich, mittels Extrapolation die Genauigkeit bei der Bestimmung der Mehrheit bei linken Initiativen auf 100 Prozent zu steigern, während sie bei rechten Initiativen einen Sicherheitsgrad von 94.1 Prozent erreicht.

Quantitative Prognosen bleiben schwieriger, insbesondere bei rechten Volksinitiativen. Punktgenaue Prognosen sind bis heute nicht möglich. Denn das Wechselspiel aus Effekten der Mobilisierung und Meinungsbildung bleibt letztlich ein Geheimnis. Hauptgrund hierfür ist, dass man in den letzten Tagen vor der Volksabstimmung in der Schweiz keine Umfragen mehr machen darf. Nur mit solchen käme man diesem Wechselspiel empirisch hinreichend genau auf die Spur.

Umfragen per se haben in der Tat eine nur beschränkte Prognosekraft. Trendumfragen können aber dazu verwendet werden, mittels Extrapolationen auf den Abstimmungstag die Sicherheit qualitativer Aussagen auf jenes Mass zu erhöhen, dass man sich in den Sozialwissenschaften wünscht.

Vom Vertrauen und Misstrauen in Institutionen und Stimmabsichten für den 14. Juni 2015

Die Ergebnisse der ersten SRG-Befragung sind seit kurzem bekannt. Hier interessieren nicht die konkreten Zahlen, sondern ihre Begründungen, wie sie aus einer Umfrage abgeleitet werden können. Diesmal ist der Faktor “Vertrauen/Misstrauen in Institutionen” von besonderer Bedeutung.

Unsere Erhebung legt nahe, dass 58 Prozent der Stimmberechtigten dem Bundesrat vertrauen, 30 Prozent nicht. Die Misstrauischen sind aber deutlich besser motiviert, an der kommenden Volksabstimmung teilzunehmen. Aktuell würden sich 52 Prozent von ihnen beteiligen, derweil das nur bei 38 Prozent der Vertrauenden der Fall wäre. Das führt dazu, dass sich die Verhältnisse unter den Teilnahmewilligen angleichen. Klar unterschiedlich sind die Stimmabsichten beider Gruppen: Die misstrauischen Bürger und Bürgerinnen würden die Erbschaftssteuerinitiative heute klar ablehnen, aber auch eindeutig Nein zum Radio- und Fernsehgesetz respektive zur Präimplantationsdiagnostik sagen. Gespalten wären sie bei der “Stipendieninitiative”. Ziemlich anders sind die Positionen der Personen mit Institutionenvertrauen. Beim Radio- und Fernsehgesetz wären sie mehrheitlich dafür, ebenso bei der Stipendieninitiative. Relative Mehrheiten im Ja ergäben sich auch bei den beiden anderen Vorlagen, bei der Erbschaftssteuer allerdings nur knapp.

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Analysiert man den Einflussfaktor “Vertrauen/Misstrauen” auf die Stimmabsichten, bleibt er bei der “Stipendieninitiative” gering. Erheblich ist er aber bei den drei anderen Vorlagen. Am deutlichsten wird er bei der Beurteilung des neuen RTVG. Hier fällt vor allem auf, dass diese Grösse die Stimmabsichten miterklärt, selbst wenn man die getesteten Argumente mitberücksichtig. Mit anderen Worten: Unabhängig davon, wie man die Botschaften der Ja- und Nein-Seite bewertet, es bleibt, dass das Vertrauen resp. Misstrauen in die Arbeit des Bundesrates die Vorentscheidungen beeinflusst.

Zwei Szenarien drängen sich auf: Das erste geht davon aus, dass sich die Beteiligungswerte der zwei Gruppen, die hier interessierten, angleichen. Das würde die Annahmechancen der beiden Behördenvorlagen erhöhen. Das zweite nimmt an, dass es zu einer weiteren spezifischen Mobilisierung der misstrauischen BürgerInnen kommt. Die Buchpreisbindung und die Autobahnvignette, die beide ein ähnliches Konfliktmuster zeigten, sind hier die Referenzen. Oder anders ausgedrückt: Die Chance, dass alle vier Vorlagen scheitern, steigt in diesem Fall.
Für das erste Szenario spricht, dass der Abstimmungskampf bisher von der Erbschaftssteuervorlage dominiert war, und bei den beiden Behördenvorlagen die Gegnerschaft aktiv wurde. Das hat die Mobilisierung von rechts, aus Kreisen der TraditionalistInnen und Anti-EtatistInnen befördert. Hierzu könnte es in der zweiten Kampagnenphase ein Gegengewicht beim Kern der normalen Bürgerschaft, die abstimmen geht. Zugunsten des zweiten Szenarios kann vorgebracht werden, dass die mediale Stimmungslage auf bewusste Skandalisierung von Sachverhalten, verbunden mit der Personalisierung von Verantwortlichkeiten und Emotionalisierung des politischen Klima ausgerichtet ist. Das mobilisiert in der Regel die politischen Skeptiker, vor allem in der Schussphase eines Abstimmungskampfes, denn sie wollen ihr Protestvotum gezielt abgeben. Eine verbindliche Einschätzung gerade der beiden Behördenvorlagen halten wir deshalb für verfrüht. Vielmehr interessiert in den kommenden fünf Wochen, wie sich die Kampagnen entwickeln, wie die sozialen Medien darauf reagieren und wie das Ganze die massenmediale Berichterstattung beeinflusst.

Claude Longchamp

1:12-Initiative ist keine zweite Minder-Initiative

Die Analyse am Tag der Minder-Abstimmung war bisweilen rasch gemacht: Wirtschaftspolitische Initiativen seien nun mehrheitsfähig; die Lohnthematik habe den Umschwung gebracht. Flugs wurde die 1:12-Initiative zur zweiten Abzocker – Initiative emporstilisiert. Sprich: Auch sie würde in der Volksabstimmung angenommen werden.
Die erste SRG-Umfrage zu den Volksabstimmungen vom 24. November 2013 zeigt nun, dass man, wie so oft, differenzieren muss. Denn die 1:12-Initiative startet mit 44 Prozent Zustimmungsbereitschaft und 44 Prozent Ablehnungspotenzial. 12 Prozent der Teilnahmewilligen wissen nicht, wie sie stimmen wollen. Bei der Minder-Initiative lautete der Startwert 65 zu 25; 10 Prozent waren damit unschlüssig.
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Wie kann man sich den Unterschied zwischen beiden Initiativen erklären?
Zuerst durch den Inhalt: Die Minder-Initiative verlangte mehr Aktionärsdemokratie. Das war letztlich eine liberale Forderung, wenn auch mit einer Kritik an Auswüchsen des liberalen Systems verbunden. Die 1:12-Initiative setzt ganz anders an: Sie will staatliche Regelungen des Lohnsystems in den Unternehmungen.
Dann durch den Absender: Thomas Minder war und ist Gewerbetreibender. Er geht als Patron eines mittelständischen Betriebes durch, der wegen seinen Forderungen Applaus von Rechts-Konservativen und Linken bekam. Getragen wird die 1:12-Initiative von der JUSO. Unterstützung gibt es bei den Gewerkschaften und von den linken Parteien. Der Support aus dem konservativen Lager ist gering; auch das Gewerbe lässt sich kaum dafür mobilisieren.
Man tut gut daran, nebst den Gemeinsamkeiten der Initiativen auch die Unterschiede zu analysieren. Auch mit Blick auf die Mindestlohn – Initiative, getragen von den Gewerkschaften, fokussiert auf die tiefsten, nicht die höchsten Löhne.

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Die aktuelle Erhebung legt Unterschiede in den Zustimmungswerten zu Kampagnenbeginn offen. Wer damals gegen die Minder-Initiative war, ist es in sehr hohem Masse auch jetzt. Anders sieht es bei den damaligen BefürworterInnen aus: 4 von 10 der damaligen Ja-SagerInnen wollen gegen die 1:12-Initiative stimmen oder sind unschlüssig.
Hauptgrund: Die Zustimmungswerte zu 1:12 sind im bürgerlichen Lager durchwegs geringer, was die Kennzeichnung des aktuellen Konfliktmusters durch die Links-/Rechts-Achse zulässt. Ihre Position geändert haben die RentnerInnen; bei Minder auf der Ja-Seite; bei 1:12 kaum. Geblieben ist die Zustimmung aus der Unterschicht. Sowohl bei der Minder-Initiative wie auch bei der 1:12-Vorlage will, in der Ausgangslage, eine Mehrheit zustimmen.
Das alles hat auch mit einer veränderten Kampagnensituation zu tun: Die Nein-Kampagne zur Minder-Initiative startete mit viel Kritik, wegen der Überheblichkeit der Akteure und der Unprofessionalität der Militanten. Auch das hat sich geändert. Im Vordergrund steht diesmal kaum die Metadiskussion über die Kampagne. Vielmehr sind zwei Botschaften platziert worden: die Ordnungsfrage einerseits, die Folgen für die Finanzen des Staates und der Sozialwerke anderseits. Beides zeigt Wirkung, mehr als die Nein-Kampagnen gegen das Minder-Vorhaben.
Entschieden ist die Sache dennoch nicht schon jetzt: Die 1:12-Initiative hat gegenwärtig gleich viele BürgerInnen hinter wie gegen sich. Die aufgeworfene Frage nach der Gerechtigkeit im Lohnsystem ist das zentrale Element. Auseinanderdriftende Pole oben und unten sind der zentrale Ansatzpunkt der Ja-Kampagne.
Doch liess sich die Gegnerschaft, wenigstens bis jetzt, nicht in der Ecke der Stellvertretenden des Grosskapitals festnageln. Deshalb haben wir heute keine mehrheitlich ausgerichtete Situation gegen die Abzocker, sondern eine Kontroverse über das Lohnsystem vor allem in den internationalen Organisationen bei denen das Pro und das Kontra abgewogen werden.
Claude Longchamp

Symptomatischer Zeitenwandel

Anders als gewohnt, ist der Verlauf der Meinungsbildung zur Volkswahl des Bundesrats. Denn bei Volksinitiativen ist es üblich, dass sich mit dem Abstimmungskampf das Nein aufbaut, während das Ja abnimmt. Nun zeigt der Vergleich der beiden Trendbefragungen hierzu, welche das Forschungsinstitut gfs.bern realisiert hat, faktisch eine Konstanz. Was sind die Gründe?

Erstens gilt es zu betonen, dass die Zustimmung zur Volksinitiative schon mit der ersten Befragung tief war. Man könnte argumentieren, der bekannte Meinungsumschwung, der sonst im Abstimmungskampf geschieht, habe schon vorher stattgefunden. In der Tat war die Meinungsbildung schon zu einem frühen Zeitpunkt in weiten Kreisen der interessierten Bürgerschaft fortgeschritten.
Zweitens, reduziert auf die Kernwählerschaft, zeigt die Kampagne der SVP durchaus Wirkungen: Die Geschlossenheit ihrer WählerInnen ist in der zweiten Erhebung höher als in der ersten. Gestiegen ist die Zustimmung auch bei Parteiungebundenen. Zugenommen hat die Ja-Absicht weiter bei regierungsmisstrauischen BürgerInnen, genau so wie bei den untersten Einkommensklassen. Doch sind die Veränderungen geringer als sonst.
Drittens, die Polarisierung hat nicht zwischen der Rechten und der Linken stattgefunden. Faktisch stehen sich die Wählenden des SVP und die Basen aller anderen Parteien gegenüber. Es fehlt das Interesse namentlich der WählerInnen von FDP und CVP, sich der SVP in dieser Sache anzuschliessen. Die Nein-Parolen sitzen, und sie werden auch grossräumig befolgt.

Regierungsvertrauen
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Institutionelle Neuerungen haben es deutlich schwieriger als Politikwechsel. Das zeigt nur schon der Vergleich mit der anderen Abstimmungsvorlage, über die am 9. Juni entschieden wird. Denn eine Verschärfung der Asylpolitik geht weitgehend problemlos durch das Parlament. Die bürgerlichen Allianzen funktionieren hier gut, und die Wählerschaften von rechts bis in die Mitte ziehen nach.
Zahlreiche Volksabstimmungen der letzten 15 Jahren legen nahe, wie schwer es in der Schweiz ist, via Volksabstimmungen einen Wandel der Institutionen durchzusetzen. Drei grosse Projekte, die von rechts lanciert wurden, scheiterten deutlich: Die Beschleunigungsinitiative, welche kürzere Fristen verlangt, während denen über eine Volksinitiativen entschieden werden müssen, wurde im Jahre 2000 mit 70 zu 30 abgelehnt. Gar drei Viertel der Stimmenden votierten gegen die sog. Maulkorb-Initiative, mit der die Opponenten versuchten, den Aktionsspielraum des Bundesrates in Abstimmungskämpfen einzuengen. Genau gleich viele stimmten vor Jahresfrist gegen die Erweiterung des geltenden Staatsvertragsreferendum auf alle Staatsverträge.

Zwar hat die SVP mit dem Extrablatt versucht, nach bekannter, populistischer Manier ihre Kampagne in Gang zu bringen: Der Untergang der Schweiz wurde prognostiziert, und die Volkswahl des Bundesrats wurde als das Mittel zur Lösung zahlreicher Sachfragen propagiert. Nur blieb die erwartete Reaktion weitgehend aus. Man kann sich durchaus die Frage stellen, ob die Zeit für (Rechts-)Populismus vorbei ist?
Das gegenwärtige Klima wird durch das Missfallen an den Managerboni in international tätigen Firmen definitiert. Die angenommenen Minder-Initiative leistete ihre Beitrag dazu; die anhaltende Aufmerksamkeit für die 1:12 Initiative zeigt, wie nachhaltig die so eingeleitete Veränderung wirkt.
Das verblasst selber die Kritik an der classe politique, ausgelöst durch den UNO-Beitritt im Jahre 2002. Vorbei sind auch die Ängste, die Schweiz werde unter den den Folgen der globalen Finanzmarktkrise leiden. Die Wirtschaftszahlen sprechen eine Sprache für sich, und die Politik hat sich als flexibel genug erwiesen, um auf die Probleme wie den hohen Frankenkurs rechtzeitig zu reagieren. Sie hat damit einen Teil des Vertrauens zurückerobert, das durch verdrängte Themen resp. blockierte Entscheidungen durch Schwarz-Weiss-MalerInnen entstanden ist.
Die neuen Herausforderungen finden sich beim internationalem Druck auf die Schweiz, die vernünftige Positionen der Interessenvertretung in einem gewandelten Umfeld einnehmen sollte. Wiederholte Abstimmungen zu gleichen oder verwandten Fragen lösen da keine grossen Diskussionen mehr aus. Ihnen fehlt das Momentum, das sie noch vor kurzer Zeit zum allgemeinen Reisser werden liess. Denn die Polarisierung aus parteitaktischen Gründen ist heute weniger denn je angesagt.

Claude Longchamp

Was uns Medienanalysen in Abstimmungskämpfen bringen – und was nicht.

Erstmals haben wir im Rahmen der Berichterstattung zu den SRG-Trendfragen auch den Abstimmungsmonitor des Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) verwendet. Zeit eine erste Zwischenbilanz zu ziehen.

Die Kernaussagen der aufdatierten fög-Medieninhaltsuntersuchung lauten: Die drei Vorlagen kennen einen unterschiedliche Resonanz, die Abzocker-Initiative führt, über den Familienartikel findet die geringste Berichterstattung fest. Bei der Raumplanung überwiegen die positiven Artikel (in den Leadmedien der deutsch- und französischsprachigen Schweiz), bei den beiden andern Vorlagen ist, übers Ganze gesehen, keine Tendenz erkennbar. Das wird anders, teilt man den Abstimmungskampf in Phasen auf.


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Die zentrale Erwartung solcher Untersuchungen ist, dass sich der Medientenor auf die Meinungsbildung namentlich unschlüssiger BürgerInnen auswirkt. Die Erfahrungen, die wir sammeln konnten, zeigen, dass das nicht falsch, aber auch nicht ganz richtig ist. Die Chance, dass die Medienberichterstattung die Meinungsbildung der Bevölkerung beeinflusst, hängt nicht nur von der Richtung der Berichterstattung ab, vielmehr ist auch die Intensität wichtig.

Beim Raumplanungsgesetz ist beides gegeben: gerichtete Berichterstattung und mittlere Intensität. In der Tat zeigt die Analyse der Meinungsbildung der teilnahmewilligen BürgerInnen einen vergleichbaren Trend. Die verbreitete Unschlüssigkeit hat sich verringert, und zwar in beide Richtungen, zum Ja eher mehr als zum Nein. Das hat die vorteilhafte Ausgangslage für das Ja insgesamt nicht verändert.

Bei den beiden anderen Vorlagen sind die Effekte weniger eindeutig – mit Grund meine ich: Die Intensität der Medienberichterstattung ist das schlicht zu gering, um Wirkung zu entfalten. Vielmehr liegt der Schluss nahe, dass die auf Politmarketing aufbauende Kampagnen der Nein-Seite von Belang ist, denn die anfänglich klar positiven Stimmabsichten sind in erheblichem Masse getrübt worden. Das “Extrablatt” der SVP zeigt Wirkung im rechtsbürgerlichen Umfeld, aber auch bei parteiungebundenen BürgerInnen und älteren Menschen. Darüber hinaus sind kaum Einflüsse nachweisbar, sodass eine im politischen Spektrum eingrenzbarer Meinungswandel eingesetzt hat, der das Nein markant ansteigen liess, wobei das Ja in der Mehrheit bleibt. Was weiter geschieht, muss offen gelassen werden. Würde sich der Trend fortsetzen, wäre ein Scheitern der Vorlage denkbar. Dafür bräuchte es wohl aber mehr als eine einmalige Aktion zur Lancierung einer Abstimmungskampagne. Letztlich wissen wir aber erst am 3. März 2013 mehr.

Nochmals anders liegt der Fall der Abzocker-Initiative. Hier wäre die Medienresonanz für Einflüsse sehr wohl gegeben, letztlich ist die mediale Bewertung der Initiative neutral. Richtungsmässige Einflüsse sind deshalb nicht zwingend zu erwarten. Letztlich ist die unüblich lange Phase, mit der über das Problem und seine Lösungen diskutiert wird entscheidend: Die jahrelange Thematisierung hat eine kritische Grundstimmung aufgebaut, die durch die schleppende Behandlung im Parlament noch befördert worden ist. Daraus entstanden ist die aktuelle Konstellation mit einer Verfassungsabstimmung über eine Initiative, gekoppelt mit einem Gegenvorschlag auf Gesetzebene, über den nicht direkt das Volk entscheidet.

Normalerweise würde man sagen, wirkt sich die Verlagerung der Perspektive vom Problem auf die Lösung des Problems gegen die Volksinitiative aus. Wenn dies, wie unsere Befragung nahe legt, nicht der Fall ist, liegt der Hauptgrund darin, dass der Optikwechsel nicht gelang. Das Problem, die Abzockerei, ist bevölkerungsseitig gross und ungelöst, so dass man ein Zeichen setzen muss. Die Nein-Kampagne hatte nicht einfach handwerkliche Fehler, sie fällt in ein Umfeld, das für sie ungünstig ist, und läuft gegen vorgefasste Meinung auf, die durch die aktuellen Ereignisse sicher nicht widerlegt, viel eher bestätigt werden. Das bleibt auch die letzte Waffe, die Drohung mit Nachteilen bei einem Ja meistens stumpf.

Fazit: Medieninhaltsanalysen helfen sehr wohl zu verstehen, was in den Massenmedien geschieht. Hierarchisierung von Abstimmungsvorlagen ist eine ihrer Wirkungen, die sie mittels Aufmerksamkeit steuern. Sie sind auch nützlich, weil sie aufzeigen, wie Medien ereignisorientiert Bewertungen vornehmen. Diese müssen sich aber bei weitem nicht eins-zu-eins auf die Bevölkerung übertragen. Kampagnen auf der einen Seite, Prädispositionen auf der andern kompensieren Medienwirkungen. Sei es, weil die Kampagnen intensiver sind als die Medienberichterstattung, oder weil die vorgefassten Meinungen wichtiger sind als Medienhypes.

Mir jedenfalls hat die Kombination geholfen, klarer zu sehen, was geschieht, und ich würde mir wünschen, man könnte dieses erstmalige Experiment fortsetzen, um an differenzierten Arbeitshypothesen zu Medien- und Kampagnewirkungen arbeiten zu können.

Claude Longchamp

Was von einem kombinierten Medientenor mit Trendbefragungen vor Volksabstimmungen zu erwarten wäre

Es gilt unverändert: Die Abzocker-Initiative findet von den drei Vorlagen der eidg. Volksabstimmungen vom 3. März 2013 die grösste Aufmerksamkeit. Der Nein-Trend in der Medienberichterstattung scheint seit neuestem aber gebrochen zu sein. Was das für die kommenden Stimmabsichten heisst, sei hier als Instant-Hypothese formuliert.

Die erste Kampagnenphase gehörte den BefürworterInnen der Abzocker-Initiative. Die Medienaufmerksamkeit war hoch, der Medientenor positiv. Höhepunkt in diesem Spannungsbogens war die Parolenfassung der SVP, dramatisiert durch den Zweikampf zwischen Christoph Blocher und Initiant Thomas Minder.

Die Nein-Parole der SVP wirkte wie ein doppelter Wendepunkt in der Medienberichterstattung zur Abzocker-Initiative. Die Aufmerksamkeit liess nach, und der Tenor wurde zunehmend kritischer. Die Nein-Kampagne zeigte Wirkung. Das galt bis vor rund zwei Wochen.

Das zweite Grossereignis, das massenmedial vermittelt wurde, war die Bilanz-Medienkonferenz der UBS, mit der die Boni-Frage angesichts eines defizitären Abschlusses neu aufs Tapet gebracht wurde. Unfreiwillig vorbereitet wurde dieses Medien-Event durch den Abgang mit Daniel Vasella bei Novartis, verbunden mit der umstrittenen Abgangsentschädigung. Das mediale Interesse hatte damit wieder zugenommen, und der negative Trend in der Berichterstattung zur Initiative wich einer insgesamt neutralen Beurteilung.

Der Abstimmungsmonitor der Forschungsstelle für Oeffentlichkeit und Gesellschaft (fög), ein der Uni Zürich angegliederter Forschungsbereich, zeichnet diese Trends aufgrund der Berichte in Massenmedien wie Blick, Le Matin, Le Temps, Neue Zürcher Zeitung, Tages-Anzeiger und 20 Minuten im Wochenrhythmus nach. Erstmals erfolgt dies als Begleitprojekt zum Abstimmungskampf, denn früheren Analysen dieser Art wurden erst im Nachhinein erstellt. Damit erhöht sich der Wert des Abstimmungsmonitors als Instrument der Analyse von kampagnenbezogenen Medieneinflüssen.

Medientenor und Stimmabsichten müssen nicht direkt übereinstimmen. Denn die Meinungsbildung zu Sachvorlagen beginnt bei Beginn des Abstimmungskampfes nicht bei Null. Gut belegt ist, dass in einem variablen Mass Prädispositionen bestehen, die sich aus der Alltagserfahrung mit dem Thema nähren; hinzu kommt die vorbereitende Behandlung des Problems in den Medien. Beides bildet zusammen die Basis der Meinungsbildung unter Kampagneneinflüssen.

Die erste der beiden Befragungen, welche das Forschungsinstitut gfs.bern zu Stimmabsichten und Meinungsbildung leistet, legte nahe, dass die Meinungsbildung bei der Abzocker-Initiative am weitesten gediehen war. Mitte Januar 2012 bekundeten 52 Prozent der beteiligungsbereiten Befragten, eine feste Stimmabsicht zu haben. Beim Familienartikel waren es 44 Prozent, beim Raumplanungsgesetz gar nur 37 Prozent.

Verglichen mit dem Stand der Meinungsbildung bei Wahlen ist das insgesamt viel weniger. Stellt man es zu anderen Abstimmungsvorlagen in der Schweiz in Bezug, kann man bei der Abzocker-Initiative von einer mittleren bis hohe Prädisponierung ausgehen, beim Familienartikel von einer mittleren und beim Raumplanungsgesetz von einer mittleren bis tiefen. Das legt erste Vermutungen nahe zu den Kampagneneinflüssen, denn je geringer die frühe Prädisponierung von Stimmabsichten ist, umso mehr muss es der Abstimmungskampf richten.

Alles in allem wird erwartet, dass die Sicherheit der Entscheidung mit Dauer des Abstimmungskampfes zunimmt. Bei der zweiten SRG-Befragung dürften die zitierten Anteile durchwegs höher ausfallen. Erwartet werden kann auch, dass sich der Medientenor, seinerseits bestimmt durch die Ereignisse, sich auf die Veränderungen der Stimmabsichten zwischen beiden Befragungen auswirkt. Mit anderen Worten: Die Kombination das Abstimmungsmonitors von fög und der Trend-Befragungen für die SRG ist vor allem hinsichtlich der Veränderungen von Entscheidungen von Belang. Beim Familienartikel kann, angesichts der eher positiven Presse, mit einer Zunahmen der (mehrheitlich) positiven Stimmabsichten gerechnet werden, beim Raumplanungsgesetz ist das angesichts der eher kritischen Berichte und der geringen Prädisponierung nicht sicher, während die neutrale Position der Medien insgesamt zur Abzocker-Initiative der Nein-Seite nicht helfen dürfte, ihren Rückstand wett zu machen.

Klar muss sein, dass damit nicht alle Einflussfaktoren genannt sind. Mit Sicherheit müsste man auch die Werbeintensität mitberücksichtigen, aber auch die Meinungsbildung in den Parteien. Mehr dazu später.

Claude Longchamp

Das neue Abstimmungsmonitoring der fög


Darauf hat man eigentlich schon lange gewartet: dass jemand mit Verstand die Trends in der Medienberichterstattung zu Volksabstimmungen eingeht. Die forschungsstelle für Oeffentlichkeit und Gesellschaft der Uni Zürich leistet mit ihrem Abstimmungsmonitor genau das zu den Entscheidungen vom 3. März 2013.

Umfrage vor Volksabstimmungen kennt man. Werbeanalysen von Inseraten oder Plakaten werden zwar meist nicht veröffentlicht, sind aber immer häufiger zu haben.

Das Einfachste, um Entwicklungen der Meinungsbildung verfolgen zu können, sind jedoch Medienberichte. Und ausgerechnet das fehlt(e) in der Schweiz, wenigstens vor den Abstimmung, fast gänzlich.

Im Wochenrhythmus analysiert nun die fög zwei Trends der Meinungsbildung zum Verfasssungsartikel zur Familienpolitik, die Entscheidung über die Abzocker-Initiative und diejenige zum Raumplanungsgesetz:

erstens, die Ressonanz der Vorlagen, und
zweitens, die Richtung der Berichterstattung.

Hauptergebnis 1: Die Medienaufmerksamkeit folgt der Gewichtung durch Behörden nicht. Diese erwähnen Verfassungsänderungen stets vor solchen bei Gesetzen. Und sie rangieren die Projekte der Behörden vor denen des Volkes. Die Medien verfolgen ihre eigene Logik: Entscheidend ist die Brisanz der anstehenden Entscheidungen. Und die liegt eindeutig bei der Abzocker-Initiative, derweil der Familienartikel, bei den Behörden die Nummer 1, in den Medien die Nummer 3 sind.

Hauptergebnis 2: Das Raumplanungsgesetz wird, wenn es bewertet wird, mehrheitlich positiv beurteilt; beim Familienartikel, so über ihn berichtet wird, ist das in der überwiegenden Zahl negativ. Die Bewertung der Abzocker-Initiative ist, übers Ganze gesehen, neutral.

Das Trend-Barometer erhellt mehr als das, denn mit etwas Glück hätte man es auch erraten können. Es zeigt im Wochenrhythmus auf, was sich ändert, und es benennt die relevanten Ereignisse. Das zeigt zweierlei auf:

. die frühe Hierarchisierung von Vorlagen durch Medien, die einer eigenen Logik folgt, und
. die Bevorzugung von Dramatisierungsstrategien, die auf personelle Zweikämpfe angelegt sind.

Nur so ist der phänomenale Frühstart der Initianten in Sachen Abzocke zu erklären, der eine Intensität der Medienberichterstattung auslöste, welche höher ist als bei bisher exemplarisch untersuchten Konfliktthemen. Im Trend erkennt man aber auch, dass die Vorteile von Initianten schnell schwinden, wenn sich die Hoffnung auf den medialen showdown nicht mehr halten lassen. Dann setzt der lange vermutete und hier belegte Mechanismus ein, wonach die Einwände gegen eine Initiative mit dem Fortschreiten einer Kampagne an Gewicht gewinnen.

Sicher kann man diskutieren, ob das hier gezeichnete Medienbild vollständig ist. Denn es fehlt die Ebene der Leserbriefe in der zitierten Auswertung. Gerade bei latent populistischen Kampagnen ist das eine Lücke, deren Behebung dazu führen würde, dass man Ansätze der doppelten Meinungsbildung zwischen medialen und populären Diskursen erkennen könnte.

Das Beschriebene hat trotz des Einwandes Vorteile. Es kontrolliert subjektive Eindrücke, die nicht immer falsch, aber immer selektiv sind, und bei denen man nie weiss, wie weit Hoffnungen und Aengste zum Ausgang das Entscheidende sind. Die Objektivierung der Information ist deshalb auf jeden Fall von Vorteil.

Zu hoffen ist, dass das neue Vorhaben von fög nicht nur aus aktuellem Anlass erfolgte, sondern auch mit einer kontinuierlichen Absicht. Wünschenswert wäre es auch, wenn die Trends, die aus den Beiträge im Blick, in Le Matin, Le Temps, der Neue Zürcher Zeitung, des Tages-Anzeigers und 20 Minuten ermittelt werden medienspezifisch aufgeschlüsselt zu erhalten, sodass man auch Eigenheiten nach Redaktionen und Regionen ersichtlich würden.

Claude Longchamp

1. Vorabstimmungsanalyse zur eidgenössischen Abstimmung vom 3. März 2013

Die erste von zwei Befragungen zu den Volksabstimmungen vom 3. März 2013, durchgeführt vom Forschungsinstitut gfs.bern für die Medien der SRG, gibt für alle drei Vorlagen eine Ja-Mehrheit. Das alles ist jedoch keine Prognose, sondern eine Bestandesaufnahme zu Beginn des Abstimmungskampfes. Worauf es ankommt, sei hier in geraffter Form zusammengefasst.

Am einfachsten ist die Lage beim Bundesbeschluss über die Familienpolitik, bei dem es sich um ein obligatorisches Referendum handelt. Der Konflikt unter den Parteien und Interessenorganisationen ist beschränkt. Das merken auch die BürgerInnen. Der Stand der Meinungsbildung ist vergleichsweise mittelstark oder mittelschwach. 44 Prozent unserer repräsentativ ausgewählten Befragten haben eine feste Stimmabsicht dafür oder dagegen; nur 11 Prozent sind noch gar nicht vorentschieden. Theoretisch sind die entscheidend, die eher dafür sind. Da sie mit 31 Prozent zahlreich sind, ist dieses Segment praktisch nicht zu unterschätzen. Indes, der Vorsprung ist der BefürworterInnen ist gross. Unsere Erfahrung mit solchen Ausgangslagen spricht dafür, dass hier wenig geschieht, denn die zu erwartenden Polarisierung von rechts gegen die Vorlage dürfte vor allem Unschlüssige ansprechen, womit sich der Nein-Anteil erhöht, nicht aber der Ja-Anteil verringert.
Grafik Familienpolitik
Etwas anspruchsvoller ist die Interpretation der Befragungsergebnisse zum teilrevidierte Raumplanungsgesetz, gegen das der Schweizerische Gewerbeverband erfolgreich das Referendum ergriffen hat, weshalb wir darüber abstimmen. Zwar blieb auch hier der Konflikt vergleichsweise gering, doch stösst die Debatte bevölkerungsseitig auf einen anderen Hintergrund als bei der Familienpolitik. Denn die Raumplanung ist für viele alltagsferner, und so bestehen weniger ausgeprägte Prädispositionen. In unserer Befragung manifestiert sich dies, dass nur 37 Prozent eine bestimmte Stimmabsicht haben, sei dies dafür oder dagegen. Dafür machen die, die gar keine Stimmabsicht haben, sich aber beteiligen wollen, 28 Prozent aus. Anders als beim Familienartikel sind sie nicht nur theoretisch die massgeblichen StimmbürgerInnen. Namentlich dann, wenn unter dem Eindruck des Referendums die parlamentarische Allianz im Abstimmungskampf zerfällt, ist eine Meinungswandel in der stimmberechtigten Bevölkerung nicht auszuschliessen. Die Augen sind dabei nicht nur auf die opponierende SVP gerichtet, vielmehr auf die CVP. Mit ihrer Ja-Parole hat die Partei einiges der denkbaren Brisanz gekappt; immerhin ist es nicht auszuschliessen, dass sich ausgehend vom Wallis eine Opposition gegen die Raumplanung in konservativen Mitte-Kreise ausdehnt, was die heutige Zustimmungsbereitschaft verringern könnte.
Grafik Raumplanung
Vordergründung am überraschendsten ist meine Analyse der Ausgangslage zur Abzocker-Initiative. Doch ist sie empirisch gut begründet. Denn es ist fast schon eine Binsenwahrheit, dass die anfängliche Zustimmungsbereitschaft zu Initiativen mit der Dauer des Abstimmungskampfes sinkt. Das hat mein der Logik der Meinungsbildung zu tun. Anders als bei Referenden, nehmen Initiativen fast immer mehr oder weniger breit getragene Themen aus der Bevölkerung, die von der Politik vernachlässigt werden. Das ist denn auch ihre Stärke. Ihre Schwäche ist, dass sie meist radikale Lösungen vorschlagen, denen in der Volksabstimmung Opposition erwächst. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn eine Initiative klar der linken oder rechten Seite zugeordnet werden kann. Praktisch sicher ist, dass der jetzige Nein-Wert zur Initiative noch steigt; wahrscheinlich ist auch, dass sich der aktuelle Ja-Wert verringert. So gut das aus der Erfahrung heraus belegt ist, so wenig Gesichertes wissen wir aus der Vergangenheit über das Ausmass der Veränderung. Denn die folgt nicht einer fixen Mechanik, sondern ergibt sich aus der Interaktion der Kampagnen Pro und Kontra, die im Voraus schwer abschätzbar ist. Bekannt sind Bespiele, wo der Meinungswandel gerade mal 5 Prozentpunkte umfasste und damit nur eine Minderheit der BefürworterInnen, die anfänglich eher dafür waren. Es lassen sich aber auch Fälle zitieren, wo der Meinungswandel 25 Prozentpunkte ausmacht, und damit weitgehend alle, die zu Beginn der Meinungsbildung eher für die Initiative stimmen wollten. Bei der Abzocker-Initiative ergibt unsere Umfrage 26 Prozent, die zur fraglichen Kategorie zählen. Mit anderen Worten: Das Potenzial für einen erheblichen Meinungsumschwung ist gegeben. Jetzt kommt es auf die Wirkungen der beiden Kampagnen an!
Grafik Abzocker
Die grösste Unsicherheit in diesen Überlegungen betrifft übrigens die Beteiligung. Aktuell wollen sich 39 Prozent äussern – ein mittlerer Wert. Er steigt erfahrungsgemäss mit dem Abstimmungskampf an; 5 Prozentpunkte sind die Regel. Das alleine ändert die politische Zusammensetzung des Elektorates nicht entscheidend. Bei populistischen Themen und Kampagnen ist indessen nicht auszuschliessen, dass der Wert einiges höher ausfallen kann. Von den 3 Vorlagen, über die wir am 3. März entscheiden, eröffnet die Abstimmung über die Abzocker-Initiative die grössten Chancen, dass es dazu kommen könnte: mit dem Effekt, dass das Protestpotenzial unter den Stimmenden steigt, was wohl die Nein-Anteile rundum ansteigen lassen würde.