Struktur – Kultur

Beide Begriffe habe ich in dieser Opposition während meines Soziologiestudiums an der Universität Zürich bei Peter Heintz kennen gelernt. Mein Professor von damals formulierte die Inhalte wie immer gekonnt. Geblieben sind sie mir aber, weil sie zwei unterschiedliche Zugangsweisen zu Erscheinungen bilden: Die Kultur ist für mich das Fleisch; die Strukturen sind die Knochen. Das Eine beschreibt das Konkrete, das andere das Abstrakte.

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Der Soziologe Peter Heintz, der die Polarität von Sturktur/Kultur zur Grundlage seiner Theorie sozietaler Systeme machten

In meiner Ausbildung als Politologe war vor allem von Strukturen die Rede. Sie waren – und sind – für die Analyse unverzichtbar. Ohne die Strukturen eines Staates zu kennen, kann man keine Zusammenhänge zwischen Regierung und Parlament, Behörden und Gesellschaft untersuchen. Von Kulturen war dagegen während meiner Politikstudien wenig die Rede. Dieser Art von Fragestellungen bin ich erst danach begegnet, sei es als Empiriker oder auch als Reisender.

Demokratie zum Beispiel kann man abstrakt definieren; sie hat dann mit Freiheit, mit Grundwerten, aber auch mit Marktwirtschaft und Partizipation zu tun. Konkret wird es aber erst, wenn man es sich historisch von der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung über die französische Revolution bis hin zum Marshall-Plan und der Bürgerbewegungen nach dem Fall der Berliner Mauer vorstellt. Und es wird einem auch nur dann deutlich, wenn man die verschiedenen Demokratieverständnisse in den USA, in Europa, in Asien oder wo auch immer auf der Welt miteinander vergleicht.

Morgen ist es soweit. Ich unterrichte erstmals über politische Kulturen an der HSG. Ich weiss, dass ist nicht unproblematisch. Der vorherrschende Rational-Choice-Ansatz prägt gerade an dieser Universität das Wissenschaftsverständnis. Beobachtung von Verhalten ist anerkannt, um die Gesetzaussagen zu kommen, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügen. Doch damit kann die politische Kulturforschung meist nicht dienen. Denn sie hinterfragt mit unter genau die Voraussetzungen, die zu diesem Wissenschaftsverständnis führen. Dazu fährten zu legen, ist mitunter die Absicht meiner morgigen Ausführungen. Selbst wenn ich weiss, das man sich damit aufs Glatteis bewegt!

Claude Longchamp

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