Bundesratwahlen und die Politikwissenschaft

Bundesratswahlen sind auch eine Leistungsschau für die Politikwissenschaft. Nötig wäre es, bald einmal ein politologisches Handbuch der Bundesratswahlen zu haben, dass den Wissensstand repräsentieren, die Forschung anregen, und die Politberetatung befruchten würde.

Bundesratswahlen kommen zwischenzeitlich häufiger vor als Parlamentswahlen. Und sie sind für die Politikwissenschaft eine gute Gelegenheit, die eigene Sache zu profilieren.

Iwan Rickenbacher in der deutschsprachigen Schweiz, Pascal Sciarini in der Romandie und Oscar Mazzoleni im italienischsprachigen Landesteil sind die Favoriten der Medien. Hinter ihnen sind Andreas Ladner, Michael Hermann, Regula Stämpfli, Georg Lutz, Hans Hirter und Silvano Möckli in Position.

Den Takt der öffentlichen Diskussion geben die Journalisten vor. Sie treiben die Parteien und KandidatInnen. Sie formulieren auch die Thesen, was ist, und lassen diese durch ExpertInnen deuten, manchmal bewerten – und lassen gelegentlich auch Spekulationen meist zu mehr oder minder aussichtsreichen Personen zu.

Eigentliche sollte es gerade umgekehrt sein: Es wäre die Aufgabe der Wissenschaft(en), die Thesen zu den Herausforderungen der Politik, Leistungen (und Misserfolge) des Regierungssystems zu formulieren resp. die Möglichkeiten und Grenzen der Wahlverfahren aufzuzeigen. Das gäbe dann die Basis, auf der einer wissenschaftlich angeleitete Berichterstattung über Wahlen, Kampagnen, Parteien und KandidatInnen erfolgen könnten.

Der Durchbruch zu einer inspirierteren und faktenreichereen Kommentierung von Bundesratswahlen durch PolitologInnen will indessen nicht. Das hat wohl auch selbstverursachte Gründe, denn die politologische Grundlagenforschung zu Bundesratswahlen hinkt der Realität hinten nach, statt sie zu befruchten!

Was der Wahlforschung bei Legislativwahlen in den letzten 20 Jahren teilweise gelang, und sie in eine gute Position vor, während und nach Nationalratswahlen brachte, blieb bei Exekutivewahlen bisher weitgehend aus,

Konkret: Wir sollten ein verbessertes Rating der politischen Parteien haben, das aufzeigen würde, wie die verschiedenen BewerberInnen organisatorisch, programmatisch und personell unterwegs sind, welche politischen Einflüsse zu erwarten sind, wenn sich Partei A oder B, KandidatIn X oder Y in einer Wahl durchsetzt.

Wir sollten auch vermehrt Wissen, welche Kriterien nebst der Parteizugehörigkeit bei einer Wahl effektiv Ausschlag gebend sind, und ob es Zusammenhänge gibt zwischen diesen und den Erfolgen während der nachfolgenden Regierungsarbeit. Ohne das spekulieren wir nur über die Bedeutung von Exekutiverfahrungen, Kenntnissen des Bundes(rats)mechaniken, erworbenen Kommunikationskompetenzen oder mitgebrachten Netzwerkverbindungen.

In den US beispielsweise hat sich die politologische und historische Präsidentschaftsforschung soweit spezialisiert, dass man Einflussfaktoren der Wahlchancen einzeln recht zuverlässig kennt und dass Heerscharen von ExpertInnen das Wirken der Präsidenten in Vergangenheit und Gegenwart nach explizit begründeten Kriterien beurteilen. Das hilft, objektivierte Bewertungen aufzugeben, gerade auch durch WissenschafterInnen und PolitbeoachterInnen.

In der Schweiz greift man bei solchen Gelegenheiten maximal auf das Standardwerk von Urs Altermatt zurück, dass Wahlen und Leistungen unserer Bundesräte in historischer Zeit zusammengestellt hat. Das Handbuch des politischen Systems der Schweiz bietet für die Gegenwart nichts vergleichbares an, sodass der eben emeritierte Freiburger Historiker angekündigt hat, in den nächsten zwei bis drei Jahren eine vollständig überarbeitete Neufassung herauszugeben.

Wann, frage ich, wagen sich die Politologien an eine Lexikon zu Schweizer Bundesratswahlen aus ihrer Perspektive, das den Forschungsstand abbilden und die mediatisierte Politbeobachtung anleiten würde?