Das ökosoziale Manifest

Roger de Weck kennt den Kapitalismus – und kritisiert ihn. Zum Beispiel in seinem jüngsten Buch “Nach der Krise”, das sich wie ein ökosoziales Manifest liest.

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Roger de Weck, designierter Generaldirektor der SRG

Der St. Galler Oekonom, Sohn des ehemaligen Präsidenten der SBG (heute Teil der UBS) schreibt als Journalist mit Vorliebe über die Rolle der Banken im Kapitalismus – meist auch kritisch. Denn mit der jüngsten Finanzkrise ortet er gerade unter den führenden Geldwirtschafter einen dreifachen Wandel: Nicht mehr weniger Regulierungen, weniger Staat und weniger Rücksichtnahme auf die Verlierer seien angesagt, seit die Banken selber ins Wanken geraten sind. Gefragt sei der Staat Tag und Nacht und Regulierungen sind keine Strangulierungen mehr, sondern Stützen im Konkurrenzkampf. Und wer die Banken nicht stützen wollen, wolle den Untergang der ganzen Wirtschaft.

„Kapitalismus als Religion“ ist eines sieben Kurzessays, die der Freiburger Kulturkatholik in Anlehnung an Walter Benjamin 2009 verfasst und zu einem 100seitigen Band zusammengefasst hat. Darin begründet er, wie die Reformation des Kapitalismus aussehen müsse. Angestrebt wird ein ausgewogener Kapitalismus, der sich vom real existierenden absetzt. Vielmehr skizziert de Weck, wie der Kapitalismus demokratisch, nachhaltig und stabil werden könnte. Auf dieser Basis fragt er sich, was nach der jüngsten Krise ein liberaler Kapitalismus sei, der im globalen Rahmen funktionieren könne.

In seinem Manifest geisselt der vormalige Chefredaktor des Zürcher „Tages-Anzeiger“ resp der Hamburger „Die Zeit“ die Gier der Manager, die sich aus dem Ungleichgewicht von Kapital und Arbeit entwickelt habe, das Marktdenken verabsolutiert und die Funktionen des Staates verniedlicht habe. Die Umkehr, die er fordert, begreift genau das als Macht der Oekonomie, der eine Gegenmacht gegenüber zu stellen sei, damit sich auch nicht-ökonomische Werte behaupten könnten.

Demokratie, schreibt der langjährige Kolumnist der Sonntagszeitung, müsse Vorrang vor der Oekonomie bewahren, und die Politik brauche Unabhängigkeit vor Wirtschaftsinteressen. Eine kompetente und leistungsfähige Verwaltung sei unabdingbar, und dürfe als stabilisierender Garant des Staates nicht einfach verhöhnt werden. Auch die Wirtschaft wird in die Pflicht genommen, wenn es um mehr Stabilität geht. Geldhäuser müssten viel mehr Eigenkapital hinterlegen, um für die Risiken, die sie eingehen, mitzuhaften, Spekulation sei zu verbieten, genauso wie Gehalts- und Bonusexzesse. Nicht die Bereicherung müsse belohnt werden, sondern die Investitionen in Volkswirtschaften und Unternehmen. Staat Eigennutz seien soziale und ökologische Ziele angesagt, die auf Eigentum basierten, das verpflichte.

„Liberal“, sagt der führende Intellektuelle in der Schweiz, sei eine Grundhaltung, die es vermeide, staatlicherseits in den Markt zu intervenieren, sich aber nicht scheue, ihn zu regulieren. Oder noch klarer: Wer Staatshilfe beanspruche, müsse mit der Enteignung leben. Denn das was wir heute hätten sei faktischer Staatskapitalismus, verkleidet in neoliberale Ideologie, wenn die Sonne scheine, und Staatsinterventionismus, wenn es regne. Das zu überwinden, werde auf nationalstaatlicher Ebene misslingen, weshalb es eine Weltwirtschafts- verbunden mit einer Weltwährungspolitik brauche, die davon ausgehe, dass alle lebensnotwenigen Ressourcen einen Preis bekämen.

Insbesondere in der Schweiz gilt Roger de Weck als „Linker“. Das rührt daher, dass er einen EU-Beitritt der Schweiz befürwortet. Weltanschaulich trifft das Etikett nicht zu, wie die Lektüre seines Buches „Nach der Krise“ zeigt. Denn der designierte Generaldirektor der SRG sucht nicht die Ueberwindung des Kapitalismus. Vielmehr strebt er einen reformierten Kapitalismus an, der von der Kurzfristigkeit der Bonuskultur und ihrer Implikationen befreit, langfristig ausgerichtet, ökologischen Zielen, sozialen Zwecken und der menschlichen Entwicklung dienlich ist.

Das bringt er in präzisen Worten zu Papier und zwischen zwei Buchdeckel, wie man es sich in der rasch wachsenden Literatur zur jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise wünschen würde. Beim besprochenen Buch hätte man sich gewünscht, dass nicht nur der Ueberbau skizziert worden wäre, sondern auch die Träger der Veränderungen benannt und die Kräfte, die sie stützen, analysiert worden wären.

Immerhin: 1848 verfassten mit den Deutschen Karl Marx und Friedrich Engels ein Philosoph und ein Unternehmer das Kommunistische Manifest. 2009 schrieb mit dem Schweiz Roger de Weck ein Intellektueller das Manifest der ökosozialen Marktwirtschaft.