Schweigen, Spekulieren und Staunen (Bundesratswahlen 2008/13)

Täglich, ja stündlich werden wir über die Stimmungslage im Bundeshaus informiert. Die Meinungsmacher um und in den Medien geben den Tenor vor. Doch was soll man davon halten?


blau: Maurer, schwarz: andere, rot: Blocher, grün: Recordon

Interessanterweise schweigen ausgerechnet die Medienwissenschafter zum gegenwärtig interessantesten Phänomen, das sie betrifft. Wie konstruieren Medien Stimmungslagen zu Bundesratswahlen. Suchen sie Aufmerksamkeit? Dramatisieren sie? Oder sind sie Partei? Keine Antwort erhält man dazu von den Analysten des Fach, sonst jedes Medienphänomen deuten können.

Politikwissenschafter sind da schon etwas freier, aber nicht ohne Widerspruch. Für Michael Hermann ist alles klar. Maurers Wahlchancen liegen seiner Meinung nach bei 70 zu 30. Auch Hans Hirter sieht Maurer vorn, wenn auch nur ganz knapp. Gleiches verkündet Iwan Rickenbacher, sogar mit Nüancen: Lange sagte er auf NZZ Votum: “Es wird knapp.” Jetzt fügt er bei “knapp zugunsten von Maurer.” Georg Lutz, der jüngste im Kreise, mag nicht mehr mithalten beim Rätselraten. Den Journis empfiehlt er Mike Shiva zu befragen. Alles andere sei zu riskant geworden.

Da scheint mir die Wahlbörse von SF am interessantesten zu sein. Unabhängig von persönlichen Präferenzen bestimmt sie jeden Tag den Marktwert der Kandidaten. Maurer war fast immer der Favorit der Spekulierer. Seine Aktie lag lang bei 80 bis 70 Handelseinheiten. Am Sonntag gabs dann einen Taucher, runter auf unter 50. Plötzlich lagen “andere” vorne, mit 70 Einheiten. Schon am Montag überrundete Maurer die Namenlosen wieder. Die Werte im Moment des Schreibens sind 50 für Maurer, 38 für andere, je 0,0 für Blocher und Recordon.

Nicht einmal Ueli Maurer mag die frohe Botschaft hören. Er sieht seine Chancen auf unter 50 Prozent. Doch das passt zum understatement, das der Kommunikationsprofi den ganzen Wahlkampf hindurch gepflegt hatte.

Fazit: Wir wissen zwar nicht, wer morgen gewählt wird. Wir haben aber keine, spekulative und quantifizierte Erwartungen, die uns verdinglichen, was uns die Massenmedien täglich vorführen.

Was nur, wenn sie sich die Medien wie vor Jahresfrist täuschen? “Nichts geschieht”, hiess es selbst am Morgen des 12. Dezembers 2008. Eine Instant-Analyse von Kurt Imhof über die Befindlichkeit der Medien vor Wahlen wäre doch wichtig gewesen.

Claude Longchamp