Der Zorn der Zeit

Zwei Emotionen prägen die politische Kultur der Schweiz, seit diese durch Folgen der französischen Revolution in Veränderung ist: die Hoffnung und die Angst. Periodisch kommt eine dritte hinzu: der Zorn. So wie heute.

angry-furious-zornig-furieux

Hoffnungen und Aengste richten sich auf die Zukunft. Sie beflügeln sie mental resp. sie blockieren sie gefühlsmässig. Der Zorn ist der Angst nähr, mit ihr aber nicht identisch. Er ist affektiver, aggressiver, und er zielt auf die Gegenwart.

Der Zorn richtet sich direkt gegen etwas: unbeliebte Personen, Akteure, die einem zuwider sind, Institutionen, die versagen, oder Werte, die einem in die Quere kommen.

Am Anfang zorniger Momente stehen Brüche. Sie setzen die neuen Energien frei. Der Bruch mit dem Bankgeheimnis war ein solches Momentum. Die grenzenlose Steigerung der Boni für das oberste Management der Banken gehört wohl auch dazu. Denn sie sprengte bisherige moralische Schranken. Nicht unerwähnt bleiben darf der Auftritt der Aussenminsterin Calmy-Rey im Iran, als sie sich Kopftuch-tragend Achmedinejad anbiederte. Oder der Kniefall des Bundespräsidenten Merz vor Muamar Ghadafi.

2009 begann die Volksseele zu kochen. Scheibe um Scheibe erhitzte sie sich durch solche Ereignisse. Der Online-Boulevard trug dazu bei, diese auf dem Grill der Oeffentlichkeit schmoren zu lassen.

So verschlechterte sich die Stimmung Stück für Stück. Die Ueberführung der Personenfreizügigkeit in ein erweitertes Definitivum bildete den Anfang. Die Einführung biometrischer Pässe machte die Fortsetzung, genauso wie die Erhöhung der Mehrwertsteuer für die IV.

Förmlich ausgebrochen ist der Vulkan voller Wut und Hass mit der Minarett-Initiative, die der Rechten nützte, aber auch mit der verworfenen BVG-Revision, welcher der Linken in die Hände arbeitete.

Die unendliche Debatte über die Abzocker-Initiative im Parlament zeigt, wie schwer es ist, im Angesicht des Zorns Sachpolitik zu betreiben. Den der Protest, der sich daraus nährt, kann jederzeit aufkommen, an vielen Stellen, und politische Gruppe unterschiedlichste Provenienz treffen.

Ueber den Zorn in uns, in unserer Gesellschaft sollten wir mehr wissen. Zwar nehmen wir an, dass er zyklischer Natur ist, das heisst, so, wie er aufkommt, er auch wieder verschwindet. Doch ist das umso besser, je schneller es geht. Dafür müsste man Ursachen, Formen, Wirkungen und Rahmenbedingungen besser kennen. Denn es reicht, dass wir konstant mit unseren Schwankungen zwischen Zukunftsängsten und –hoffnung umgehen müssen.