Bei der Krisenbewältigung keine Option ausgeschlossen – und bei der Regierungsreform?

Seit alle in Libyen festgehaltenen Schweizer in der Schweiz in Sicherheit sind, erfährt man Tag für Tag mehr über Abläufe und Hintergründe ihrer Arrestierung. Spektakulärster Höhepunkt bisher sind die gestern publik gemachten Planspiele für militärische Befreiungsaktionen.

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Chapatte zum Thema, warum es zur Befreiung von Göldi/Hamdani zu keiner militärischen Intervention der Schweiz in Libyen gekommen sei.

Bundesrätin Micheline Calmy-Rey beschreibt in einem Interview mit dem Tages-Anzeiger die Eskalation des Prozesses, der mit der Verhaftung von Hannibal Ghadafi 2008 in Genf begann. Unmittelbar danach sei ein Krisenstab aus Justizvertretern der Schweiz und Libyens eingesetzt, dann anfangs 2009 die Regierungsebene eingeschaltet worden. Mitte Jahr habe der Bundesrat dann entschieden, eine Lösung auf höchster Staatssufe zu suchen. Obwohl sich die Schweiz entschuldigt, einen Vertrag geschlossen und einem Schiedsgericht zugestimmt habe, kam es wegen der libyschen Seite zu keiner Lösung.

In der Folge habe man schweizerischerseits aus der Druck erhöht. Die Visa-Restriktionen hätten sich dank dem Schengen-Abkommen als wirksamste Methode erwiesen. Geprüft worden seien auch andere Vorgehensweisen, denn, so Calmy-Rey, in einer Krise dürfe man a priori keine Möglichkeit ausschliessen. Zu konkreten Plänen für eine Militärinvention wollte sich die Aussenministerin aber nicht äussern, ausser, dass solche Aktionen in der Schweizer Oeffentlichkeit mehrfach diskutiert worden seien und das nicht auf taube Ohren gestossen sei. Konkret heisst das, es gab sie.

Gemäss der Schweizer Aussenministerin waren drei Momente besonders schwierig: als Rachid Hamdani freigelassen, Max Göldi gleichzeitig ins Gefängnis geführt worden sei; als die Visa-Restriktion gelockert werden mussten, ohne dass Libyen Gegenleistung erbracht habe; und als man letzten Sonntag in Tripolis die konkreten Modalitäten der Freilassung geregelt habe.

Befreiungsaktionen der Arretierten, hält der Tages-Anzeiger aufgrund eigener Recherchen fest, seien für den Schweizer Geheimdienst zweimal zur Disposition gestanden: Ende 2008 und Mitte 2009. Im ersten Fall wollte man sie nach Algerien bringen, was dieses akzeptiert habe, doch forderte es die Freilassung politischer Gefangener in der Schweiz. Das zweite Mail sei eine Ueberführung nach Niger geplant gewesen, doch sei es nicht zustande gekommen, weil vermutlich Algerien Libyen informiert habe.

Bundesrat Merz soll sich gestern im Bundesrat schriftlich beklagt haben, pber mögliche Befreiungsaktionen nicht informiert gewesen zu sein, als er in Libyen weilte. Offizielle Informationen gab es dazu nicht, inoffiziellen zu Folge sei der Gesamtbundesrat in die Vorbereitungen, bei denen es schliesslich geblieben sei, nicht involviert gewesen, der Sicherheitsausschuss indessen schon.

Das Ganze erinnert in hohem Masse an die Befunde der GPK zur Funktionsweise des Bundesrates als Kollegium in Sachen UBS. Auch da dominierte die departementale Logik und wurde der Gesamtbundesrat nur schrittweise und erst bei der Entscheidung vollständig miteinbezogen. Gerade dieser Prozess erscheint untergeregelt zu sein, und in der Praxis stark von der Kooperationsbereitschaft der Departementschefs abzuhängen. Das kritisierte vorgestern auch Franz Steinegger, der ehamalige FDP-Präsident und “starke Mann” im Parlament.

Der aktuelle Fall ist noch etwas komplizierter, weil auch der Bundespräsident eingeschaltet wurde. Doch das erwies sich als eigentlicher Bumerang. Gegenüber Libyen brachte zeigte es nicht die erhoffte Wirkung, in der Schweiz problematisierte es aber symbolträchtig die Leistungs(un)fähgikeit der Bundesrates.

So bleibt mir nur eine Bilanz: Bei der Krisenbewältigung schloss der Bundesrat keine Option aus – bei der Regierungsreform müssen die Optionen aber erst noch auf den Tisch gelegt werden.