Vor kurzem führte der Kanton Aargau das neue Zählverfahren für Proporzwahlen ein, das kleine Parteien begünstigt. Jetzt will der Grosse Rat im Gegenzug eine 5 Prozent-Hürde, was den Einzug kleiner Parteien ins Kantonsparlament gänzlich verunmöglicht.
Aktuelle Parteistärken im Grossen Rat des Kantons Aargau (Sitzverteilung)
Stadt und Kanton Zürich gingen voraus. Als Erste führten sie für die Parlamentswahlen die neue Verteilung der Sitze nach dem Proporzmechanismus ein. Anders als das gesamtschweizerisch gültige Verfahren begünstigt dieses bei den Restmandaten nicht die grossen, sondern die kleinen Parteien. Mit eher bescheidenen Auswirkungen.
In der Folge schlossen sich die Kantone Schaffhausen und Aargau dem Zürcher Vorgehen an. Ihre jetzigen Parlamente sind auf der Basis des “doppelten Pukelsheimers“, wie man das neue Vorgehen in Fachkreisen nennt, gewählt worden.
Der Aargauischen Grosse Rat entschied heute jedoch, die Notbremse einzubauen. Sie soll es für kleine Parteien viel schwerer machen, überhaupt ins Parlament einzuziehen. Mit knappem Mehr (68:61) überwies er eine Motion der FDP zur Einführung einer 5 Prozent-Hürde für den Einzug in den Grossen Rat.
Damit schliesst sich der Aargau den Ueberlegungen an, die man in Zürich von Beginn weg gemacht hatte. In Schaffhausen, aber auch Wasserschloss-Kanton wollte man davon anfänglich nichts wissen. Doch nach nur zwei Jahren und nur einer Wahl mit dem neuen Wahlrecht macht man nun mit den Stimmen der bürgerlichen ParlamentarierInnen rechts umkehrt.
Der rasche Sinneswandel lässt durchblicken, dass es hier um mehr als nur staatspolitischen Grundsätze ging, wie sie heute im Parlamentshalbrund unter dem Sichwort “Effizienz” und “Verwesentlichung” vorgebracht wurden. Vielmehr erscheint die Aktion eher als Beitrag, die Auflösung traditioneller Parteien, die sich gesellschaftlich nicht erneuert haben, mit den Mitteln des Wahlrechts stoppen zu wollen. Denn treffen würde es im Moment die Grünliberalen, die BDP, die EDU und die Schweizer Demokraten. Zwei davon sind konstante Kleinparteien, zwei aufstrebende Parteien, die für den aktuellen politischen Wandel stehen. In drei Jahren könnte sie allen “aussen vor” bleiben.
Ein gewichtiges Argument hat man im Aargau übersehen. In Deutschland sichert man sich mit 5-Prozent-Hürden die Geschlossenheit der Parlamentsparteien. In der Schweiz wirkt das für mich jedenfalls künstlich. Denn auch die ausserparlamentarischen Parteien haben mit den Volksrechten Instrumente, den Gang der Dinge in den Behörden zu beeinflussen. Anders als in Deutschland.
Ein 5%-Schwelle über den ganzen Kanton ist in der Tat recht streng, wenn wir im Kanton Bern auch einige Wahlkreise haben, wo die Hürde noch höher liegt. Dass man die 5% zumindest in einem Wahlkreis überschreitet muss, finde ich aber zumutbar. Mit einer Aufsplitterung des Parlamentes in unzählige Miniparteien wird die Arbeit im Kantonsparlament nicht verbessert. Grosse Fraktionen erlauben eine gewisse Arbeitsteilung innerhalb der Fraktion und die Geschäfte werden trotdem genügend angeschaut. Miniparteien sind zeitlich schlicht überfordert. Man müsste sie wohl sogar als Trittbrettfahrer bezeichnen, da sie die meiste Arbeit den grösseren Fraktionen überlassen.
Ich bin der Meinung, dass es kleine Parteien gut verträgt.
Man kann ja auch die kleinen in geschäfte und Komissionen einbinden.
Das Problem ist, dass viele kleien unberechenbar sind, und das passt den grossen nicht.
Das wichtigste Argument fehlt. Die 5 Prozent Hürde ist eine willentliche Ungleichbehandlung der Stimmen. Das verstösst gegen eine elementaren Grundsatz des Wahlrechts.
Das Zauberwort Effizienz musste im Aargau schon vor einigen Jahren herhalten. Damals ging es um die Reduktion des Grossen Rates von 200 auf 140 Sitzen. Ist der Ratsbetrieb shlanker, lies: effizienter geworden? Wurden die Vielschwätzer und Überforderten abgewählt, wie einige vor der Umstellung hofften?
Nur gerade zwei Jahre nach einer Volksabstimmung bereits wieder am Gesetz zu “schräubeln”, ist unsensibel. Der erfolgreiche Vorstoss zeugt von Schwäche und Angst um die eigene Position. Die Klein- und Kleinstparteien dürften damit punkten können, Ernst brachte es in diesem Thread auf den Punkt.
Die BDP des Kantons Aargau hat keine Angst vor dem Quorum. Bei den letzten Grossratswahlen hat sie es in 4 von 5 Bezirken übertroffen. Dies nur gerade 3 Monate nach der Gründung.
Aus meiner Sicht ist es nicht opportun, nach jeden Wahlen das Wahlgesetz zu ändern. Das Aargauer Volk hat das jetzige System ohne Quorum im Jahr 2008 mit 88’678 zu 27’743 angenommen. Das war doch ein deutlicher Entscheid. Nun will die FDP diesen Volksentscheid umstossen, damit sie eventuell einen Sitz gewinnen können. Damit werden sie nicht durchkommen.
Offizieller Grund der Motion sei die Effizienz im Grossen Rat. Dann müssten doch eher die Anzahl persönlicher Vorstösse und die Redezeiten beschränkt werden. Und diese Leute gibt es nicht nur in den Kleinstparteien.
Wahlquorum für den Grossen Rat des Kantons Aargau: Politische Innovationen sind nicht gefragt!
Als Auftrag der bürgerlichen Mehrheit des Grossen Rats hat der Regierungsrat eine Botschaft zur Änderung des Wahlgesetzes für den Grossen Rat vorgelegt, der nicht nur die jetzt im Grossen Rat vertretenen Kleinparteien SD und EDU, sondern auch den Auftritt von neuen Parteien oder Gruppierungen und eigenständigen Jungparteien benachteiligt. Damit sichern sich die traditionellen Parteien ihre Pfründe.
Um nach aussen Geschlossenheit zu demonstrieren, sind die Partei- und Fraktionsleitungen bestrebt, alle Fraktionsmitglieder auf ihre politische Linie zu verpflichten. Diese Disziplinierung der Fraktionsmitglieder ist heute im Grossen Rat am Beispiel der SVP gut zu beobachten. Die SVP-Grossräte stimmen sehr oft geschlossen für oder gegen eine Vorlage. Damit können wenige Personen – eben die Partei- und Fraktionsleitungen – sehr viel Macht ausüben. Wenn mittels Quoren das Überleben oder die Bildung von Kleinparteien oder Splittergruppen erschwert würde, hiesse das gleichzeitig, dass die Führungskräfte der wenigen Grossparteien ihre Durchsetzungsmacht sichern könnten. Eine lebendige Demokratie lebt aber von der Vielfalt der Meinungen. Die Änderung des Grossratswahlgesetzes (Einführung einer Wahlsperrklausel) muss abgelehnt werden, damit die Meinungsvielfalt im Grossen Rat weiterhin zum Ausdruck gebracht werden kann. Alex Schneider, Küttigen