Vom starren Konsens zum beweglichen Diskurs

In seiner Gegenwartsdiagnose dem (Zu)Stand der Schweiz kommt der Zürcher Politphilosoph Georg Kohler zu einem Schluss, der meinem von gestern zum Zusammenhang von polit-kulturellem Wandel und Mediengesellschaft gleicht.

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Ausgangspunkt der kürzlich erschienen Gegenwartsanalyse ist die spürbar härter gewordene Auseinandersetzung in der helvetischen Politik, die zu einem Bruch mit dem Grundsatz geführt hat, gemeinsam nach Lösungen zu suchen.

Kohler sieht das nicht nur, aber auch als Resultat der “Mediendemokratie” mit der Verlagerung der massgeblichen Auseinandersetzungen von den klassischen Arenen wie Parlament, Meinungspresse und Debattierclubs hin in Räume der Medienindustrie. Diese funktionieren konsequent nach dem Schema der Simplifizierung des Geschehens in Form von Skandalen, was zu einer hysterischen Themenbehandlung führt, um Aufmerksamkeit zu generieren.

Sein Befund: “Den herkömmlichen Regularitäten der schweizerischen politischen Kultur widerspricht dieses System diametral; es bevorzugt die Propagandamächtigen der Entweder/Oder-Programme, die mit Popularisierungen operieren und verdrängt so die vermittelnde Problemlösungsdebatte.”

Doch würde man Kohlers Diagnose nicht gerecht, sähe man die Mediendemokratie nur negativ. Denn er erwähnt auch die positiven Seiten: “Politik, die spannend genug erscheint, um die Leute emotional herauszufordern, ist nicht einfach schlechte Politik; und im Land der (halb-)direkten Demokratie ist die Beteiligung breiter Schichte an den Prozessen der staatlich-politischen Entscheidfindung ohnehin so wesentlich wie bejahenswert.”

Kohler interessiert die Wirkungen auf dem Gemeinsinn, das heisst, die Bereitschaft, die Perspektive des Andern mitzubedenken – die Sicht des politischen Gegners also – mit dem man sich irgendwann einigen muss.

Der Philosoph zieht folgenden Schluss: Nach wie vor braucht es bei allen Beteiligten eine überwölbende Idee und Praxis des vernünftigen common sense, den er in Anlehnung an ein grosses Wort von Jean-Jacques Rousseau den esprit général tauft. Der sei aber nicht mehr im starren Konsens herstellbar, nur noch im beweglichen Diskurs. Und der wiederum müsse verbindlicher bleiben als der reine politische Streit, der nur wegen einem Systemwechsel betrieben werde.

Ob das gelingt oder scheitert, weiss auch Georg Kohler nicht. Fast schon ein wenig zeittypisch bietet er seinen LeserInnen eine Wette an. Der liberale Optimist in ihm neigt dazu, auf Ersteres zu setzen.