Wechselwählen: in der Schweiz noch wenig systematisch erforscht

Analysen des Wechselwählens sind wichtig, aber nicht ohne Tücken. Es wäre Zeit, die Methodenstreitfragen bei Seite zu legen, und hierzu ein umfassendes Forschungsprojekt zu machen. Denn das Wechselwählen zeigt am differenziertesten, was sich in der Wählerschaft tut.

wechselwaehlen
4 Modelle der WechselwählerInnen-Analyse, wie sie für die Schweiz angewendet werden könnten.

Die möglichen Methoden

Repräsentative Befragungen zum Wechselwählen haben einen grossen Vorteil: die BürgerInnen geben selber Auskunft. Dafür geeignete Stichproben müssen aber gross sein und sind deshalb auch teuer. So erstaunt nicht, dass es in der Schweiz noch kaum eine systematische Uebersicht gibt über das Wechselwählen, etwa bei Nationalratswahlen, oder in bevölkerungsreichen Kantonen.

Immerhin gäbe es eine kostenügnstigere Alternative zur Analyse von Befragungsdaten. In Frage käme auch die systematische Untersuchung von offiziellen Gemeindeergebnissen, wobei die Kovarianz von Parteistärken analysiert werden müssten. Sie könnte Aufschlüsse geben, unter welchen Bedingungen eine Partei gewinnt, das heisst, wie weit Wahlbeteiligung oder Verluste anderer Parteien zur Erklärung beigezogen werden können.

Die vier Modelle der Wechselwählerströme
Eine erste Uebersicht über so gewonnene Ergebnisse legt für das Parteiensystem der Schweiz vier Modell der Wechselwählerströme nahe:

Erstens, bei hohem Konsens in Politik und Wahlkampf gibt es nur geringe Wechselbewegung; am häufigsten sind sie von den grossen Parteien zu den Nicht-WählerInnen.
Zweitens, bei (linker) Erneuerung des Parteiensystems kommt es zu Mobilisierungs von NeuwählerInnen meist für die Linke, die ihrerseits Wählende an die Rechte verliert. Diese wiederum kennt Verluste an die Nicht-(Mehr)-Wählenden.
Drittens, die Polarisierung des Parteiensystem führt dazu, dass grossen Parteien links und rechts Neuwählende an sich ziehen, im Verhältnis zu den kleinen Parteien gewinnen, wobei es kaum zu einem Tausch zwischen den Blöcken kommt.
Viertens, bei der Entstehung neuer Parteien schliesslich verlieren meist alle Nachbarn der neue Partei Wechselwählende, und die neue Partei gewinnt bisweilen auch Neuwählende hinzu, während die grossen Parteien Mühe haben, Einbussen an die Nicht-WählerInnen zu vermeiden.

Eine Anwendung davon mit Aggregatdatenanalyse habe ich bei den Berner Grossratswahlen gemacht, mit plausiblen, konsistenten Ergebnissen, die überwiegend dem vierten Modell, mit Erweiterungen für die Rechte auch dem dritten Modell entsprechen.

Eine neues Forschungsprojekt wäre sinnvoll
Die Diskussion über die Operationalisierung solcher Analyseansätze hat sich bisher weitgehend auf Methoden-Streitigkeiten konzentriert. Aus meiner Sicht hat dies nicht weiter geführt. Geschärft wurde zwar das Bewusstsein für Methodenrisiken, nicht aber für Methodenchancen. Sinnvoll wäres, inskünftig eine (Serie von Wahlen) mit beiden Methoden gleichzeitig zu untersuchen, und zwar auf der Basis explizierter Hypothesen zum erwartbaren WechselwählerInnen-Verhalten, wie es hier aufgezeigt worden ist.

Aggregatdatenanalysen hätten den unbestreitbaren Vorteil, dass sie jederzeit erstellt werden könnten, auch rückwirkend, womit die Plausibilität der Hypothesenbildung, der Analysetechniken und der Ergebnisdiskussion erhöht und wohl auch differenziert werden könnte. Individualdatenanalysen könnte dann auf einer verbesserten Grundlage gemacht werden.

In der Schweiz wäre ein solches Projekt besonders bedeutsam, denn Wechselwählen ist nur ein digitaler Entscheid, sondern ein gradueller. Meist beginnt er angesichts gelockerter Parteibindungen mit dem Panaschieren, was ja nichts anderes als parzielles Wechselwählen ist.

Mehr darüber zu wissen, heisst, die Dynamik der WählerInnen-Entscheidungen zu verstehen, die das Parteiensystem verändert.