Landsgemeinde Ja oder Nein: das Beispiel Appenzell-Ausserrhoden

Der Kanton Appenzell Ausserrhoden erwägt, die abgeschaffte Landsgemeinde wieder einzuführen. Am 13. Juni fällt der Grundsatzentscheid an der Urne. Eine Auslegeordnung als Meinungsforscher und Politikwissenschafter.

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Heute präsentierte ich im Café Zäch in Herisau die Ergebnisse einer repräsentativen Befragung bei 1005 StimmbürgerInnen. Ziel der Studie war es nicht, eine Abstimmung zur Wiedereinführung der Landsgemeinde zu simulieren. Vielmehr ging es darum, den Stand der Meinungsbildung hierzu zu klären.

Auftraggeber war das Komitee, das die Landsgemeinde wieder einführen will. Gewichtige PolitikerInnen sind hier Mitglied. Vertreten war es an der Präsentation durch Hanspeter Spörri, dem Ex-Chefredaktor des „Bund“.

Für die stimmberechtigte Bevölkerung schmerzhaft ist bis heute der Verlust der eigenen Kantonalbank. Die Wirren um die UBS, an die das Unternehmen damals verkauft wurde, hat das alles noch verstärkt. Am besten verkraftet hat man die Aenderung bei der Appenzeller Zeitung, die vom St. Galler Tagblatt übernommen wurde. Bezüglich der Landsgemeinde erscheinen die Verluste als mittel stark. Selbstredend sind die Verlustgefühle in den älteren Generationen grösser als in den jüngeren.

51 Prozent vermissen die Landsgemeinde nicht. Bei 43 Prozent ist das anders. Nebst dem Alter schlägt hier auch die Parteirichtung durch. Freisinnige trauern der Landsgemeinde verstärkt nach; bei den SympathisantInnen der SVP und der SP ist der Anteil unterdurchschnittlich.

Wie aufmerksam Medien und Bevölkerung das Thema “Landsgemeinde” verfolgen, zeigt der Wissenstand. Fast drei Viertel wissen, dass bei einem Ja zur Initiative die Landsgemeinde nicht automatisch wieder eingeführt wird, sondern zuerst über die Form diskutiert wird.

Wissen und Gefühle sind der Entscheidung gegenüber da, besagt die Auslegeordnung also. Das spricht für eine hohe Sensibilität, ohne klare Mehrheiten. Wer wie stimmt, mehr noch, wer an der Volksentscheidung teilnimmt, weiss man nicht. Das entscheidet sich im Lokalen häufig erst aufgrund des Abstimmungskampfes in den letzten drei Wochen. Deshalb kann heute keine verbindliche Aussage über Mobilisierung, Entscheidungen und den Ausgang der Volksabstimmung gemacht werden.

Als Meinungsforscher hätte ich meine Präsentation heute hier aufgehören können. Als Politikwissenschafter musste ich indessen einige Gedanken hinzufügen. Gerade die politische Theorie argumentiert stark damit, dass Identitätsvorstellungen in den Demokratievorstellungen der Schweiz verbreitet vorhanden sind.

So werden Regierende und Regierte vielfach kaum differenziert. Das ist in Kantonen mit Landsgemeinden ganz besonders der Fall. Denn diese gilt als Ereignis, das die Teilnehmenden sozialisiert und unmittelbare Entscheidungen erleichtert. Der gewichtigste Einwand ergibt sich aus der repräsentativen Demokratietheorie. Demnach überdeckt das gemeinschaftliche Denken die Konfliktaustragung. Der Pluralismus in der Meinungsbildung ist unterentwickelt, und die diesbezüglichen Vorteile politischer Entscheidungen in Parlamenten werden gerne übersehen.

Dem Komitee ist zu raten, nicht aus Nostalgie zum Ritual der diskussionslosen Wahlen und Abstimmungen zurückkehren zu wollen. Jüngeren Menschen ziehen die Debatte vor. Auch SVP und SP wollen, dass man klarer Pro Kontra erörtert. Beides gehört heute zur Streitkultur in der Politik – sei es in Parlamenten oder in Landsgemeinden.