Vom Spekulieren vor Wahlen (Bundesratswahlen 2008/9)

Hochrechnungen im Abstimmungsstudio wie die gestrige finden mitten in einem politischen Biotop statt. Das lässt auch atmosphärische Rückschlüsse zum Stand der politischen Debatten zu. Anders als in den Medien, die sich auf das Sensationelle und damit auch auf das Unwesentliche stürzen, eröffnet dieser Zugang zur Politik eine Sichtweise auf die Taktiken der politischen Parteien, die sich in einem System rational verhalten müssen.

Die Spekulationen vom Sonntag bestimmen die Debatten seit Montag; hier das Cover der aktuellen Weltwoche
Die Spekulationen vom Sonntag bestimmen die Debatten seit Montag; hier das Cover der aktuellen Weltwoche

Beobachtungen 1
Die Sonntagspresse hatte die Idee der bisher unbekannten “Gruppe 13” lanciert, die den republikanischen Geist, der die Abwahl Christophs Blocher aus dem Bundesrat erlaubt hatte, aufrecht erhalten will. PolitikerInnen aus dem rot-grünen, aber auch bürgerlichen Lager, die gegen eine vom Blocher&Co. dominierte SVP im Bundesrat sind, versuchen, die Regeln der Konkordanz resp. der Beteiligung von Parteien an der Bundesregierung neu zu formulieren. Die rein arithmetische Zulassung soll durch eine inhaltlich erweitert werden. Faktisch läuft das in der gegenwärtigen Leseweise auf die kleine Konkordanz-Regierung mit SP, FDP, CVP und Grünen hinaus.

Beobachtungen 2

Unter den anwesenden FDP-PolitikerInnen im Abstimmungsstudio fand dieser Vorschlag kaum Gefallen. Die Interessenlage der Partei spricht dagegen. Bei einer Rückkehr der SVP in die Regierung kann sie ihre Vormachtstellung auf der rechten Seite behalten. Unter Vermittlung von rechten Projekten zwischen SVP und BDP bleibt die FDP nicht auf die CVP und SP angewiesen, will sie politsiche Vorgaben machen. Ein zweiter CVP Bundesrat würde das Machtzentrum in der Landesregierung verlagern, mit finanz-, wirtschafts- und gesellschaftspolitischen konsequenzen. Konkret begründet wird dies etwas weniger eindeutig: Man traue dem Parlament nicht zu, dass es angesichts der zahlreichen persönlichen, regionalen und politischen Interessen einen Richtungsentscheid zugunsten von Mitte-Links wolle. Deshalb werde Maurer gewählt werden.

Beobachtungen 3

Die CVP wiederum verfolgt das Ziel, den Regeln der Konkordanz unter Einschluss der SVP Nachachtung zu verschaffen. Thematische Zusagen der SVP braucht es dafür nicht mehr, wie das anfänglich gefordert wurde. Verlangt wird aber ein klares Bekenntnis zum Konkordanzverhalten. Halbe Beteiligung und halbe Opposition stösst auf Ablehnung. Druck ausgeübt werden soll bei den Hearings vor allem auf den Kandidaten Maurer, denn Blocher stehe ausserhalb der Diskussion. Wenn dieser sich klar von der Oppositionspolitik aus Prinzip distanziert, hat er die Unterstützung der CVP, wenn nicht, riskiert er, dass der Fächer der wählbaren Kandidaten im letzten Moment geöffnet wird, auch ausserhalb der SVP. Die CVP weiss darum, dass sich Maurer und Widmer-Schlumpf nicht vertragen werden. Das ist ihre Chancen, das Machtzentrum in der Regierung zu bilden.

Verarbeitungen

Klar ist, dass das alles nur Eindrücke sind. Sicher ist aber, dass sie von repräsentativen Vertretern der Parteien stammen. Anders als Medienverlautbarungen, die stets auch geschliffen sind, haben sie indessen den Charakter des authentischen. Politikwissenschaftlich sind sie nicht von hoher Bedeutung. Für die Strategieanalyse des kollektiven Verhaltens vor entscheidenden Wahlen sind sie aber instruktiv. Sie zeigen vor allem, dass Medien auf news, denen leicht geheimnishaft anmuten, aufspringen, PolitikerInnen darauf jedoch reserviert reagieren. Diese versuchen, den Preis, den Konkurrenten oder Partner bei Wahlen zahlen müssen, so hoch zu treiben, dass für einem ein Optimum abfällt.

Vorläufiger Schluss

Denn erfahrene Parteivertreter wissen eines: Bei der nächsten Ersatzwahl, die einen Bundesrat auf ihren Reihen betrifft, läuft das Ganze mit umgekehrten Vorzeichen vergleichbar ab. Deshalb gilt es, heute den Preis zu lösen, den man morgen selber bezahlen will.

Claude Longchamp