“Rettet sie, die Alte Tante!”

Ich lese die NZZ täglich aufmerksam. Denn sie berichtet über Vieles, das mir wichtig ist, zuverlässig. Nur über die NZZ, die mir auch wichtig ist, erfährt man in der NZZ wenig. Jetzt hilft die “Zeit” aus, die Danielle Muscionico, während 18 Jahren bei der “Neuen Zürcher Zeitung” angestellt, den Niedergang analysieren lässt. Hier ihre Thesen des Textes.

pict_nzz_03

2002 erwischte es das Unternehmen NZZ schwer. 50 Millionen Schweizer Franken Defizit fuhr man ein – und präsentierte der Redaktion drei Jahre später bei der 225 Jahr Feier des Weltblattes auf dem Bellevue Platz Suppe im Zelt. Nun hat das “Kulturgut der Willensnation Schweiz” (Eigenzitat im Geschäftsbericht) einen CEO, was die Redaktion als Bruch mit der statutarisch fixierten Vorrangstellung der Publizistik über die Oekonomie interpretiert.

Autorin Muscionico weiss, was der Grund ist: “Im Aktionariat tobt ein Kulturkampf. Denn aus den früheren altersmilden Idealisten und liberalen Philantropen sind hungrige Investoren geworden”, berichtet sie. Am kommenden Mittwoch treffen sie sich wieder zur ordentlichen Generalversammlung, sodass man sich die bange Frage stellt, was nun geschieht?

Symptom des Niedergangs der NZZ ist für Muscionico die Dezimierung des Netzes an AuslandkorrespondentInnen. Und die Vorverlegung des Redaktionsschlusses, um in günstigere Vertriebssysteme zu gelangen. Bilanz in eigener Sache: “24 Seiten dünn und ein Hybrid aus wenig Aktuellem, viel Aufgebackenem vom Vortag und Agenturmeldungen.” Das hat der NZZ Auslandausgabe wichtige Reputationspunkte gekostet, sodass die Verbesserung der Verschlechterung zwischenzeitlich Chef(redaktoren)sache ist.

Mit Gerhard Schwarz, gerne das ordnungspolitische Gewissen der NZZ genannt, verlässt auf Ende Jahr einer der profiliertesten Redaktoren das Blatt Richtung “Avenir Suisse”. Er sagt: “Mir fehlen die Perspektiven für einen beseelten Journalismus”, sodass Muscionico nachhakt: Wo sitzt die Seele des Journalismus? Im Herzen, im Hirn, oder im Geldbeutel?

Die Frage ist zwar präzise gestellt, erhält eine Antwort aber nur über einem historischen Exkurs zum Phänomen NZZ. Das Blatt sei ein Produkt der Zücher Aufklärung. Den Ruf als unabängiges Weltblatt habe es im deutsch/französischen Krieg sowie im Ersten und Zweiten Weltkrieg erarbeitet. In der Schweiz sei es sie das publizistische Organ des Freisinns gewesen, der einst visionären Kraft. Das habe der NZZ den nötigen Hintergrund gegeben – jedenfalls bis zum Swissair-Grounding.

Eric Honegger, damaliger VR-Präsident der NZZ, gelernter Historiker, gepriesener Bundesratssohn und gescholtener Mitverantwortlicher für das Debakel der nationalen Fluggesellschaft musste in der Folge gehen. Und seither positioniert Conrad Meyer, Ordinarius für Betriebswirtschaft an der Universität Zürich, die NZZ-Mediengruppe neu. Die NZZ als stand alone product hat nach ihm keine Zukunft mehr. Ohne breit verankertes Internet-Portal mit gleichem Namen sieht man entsprechend keine Zukunft für die alte gewordene Tante.

Nun muss die Zeitung sparen, sieht sich als cash-cow, die man melkt, um ihre Kälber zu füttern. Doch eigentlich ist der kritische Reporterin klar: Die Kälber werden überleben, und sich nicht um den armen Hund, der sie ernährt hat, kümmern.

Die virtuos vorgetragene Analyse in der aktuellen “Zeit” entbehrt nicht der Ironie, denn die Revolution frisst bekanntlich ihre eigenen Kinder. Und der Kapitalismus, dozierte einst Nationalökonom Joseph Schumpeter, ist nicht da, um Zeitungen, sondern Gewinn zu schaffen. Und wo dies ausbleibe komme es zur schöpferische Zerstörungen mit Neuanfang. Dies hat man gerade in der NZZ und ihrem Umfeld immer für richtig gehalten. Entweder gilt es auch hier, oder es war immer ein Irrtum.