Andreas Ladner, Politologie-Professor am IDHEAP, ist einer der besten Kenner der Parteien in der Schweiz. Im Tages-Anzeiger von heute diagnostiziert er einen möglichen Stimmverlust der SP in der grössten Schweizer Stadt.
Andreas Ladner, Parteienspezialist unter den Schweizer Politikwissenschaftern
Ladner sieht die Wählerschaft der SP in Veränderungen. Die Arbeiterschaft hat die linke Partei schon länger an die SVP verloren. Neu verliert sie auch in den Mittelschichten, die ihr 10 Jahre lange Gewinne gebracht haben.
Das Durchschnittseinkommen der SP-Wählerschaft gleicht dem der FDP. Die urbane SP repräsentiert heute die Bildungsschichten, die sich mit der FDP nicht identifizieren können. Es sind Professoren, Gymnasiallehrer, Kader in Staatsstellen und Freiberufler, welche das neue Bild der SP prägen.
Die Wahl erfolgt nicht aus eigenen materiellen Interessen, sondern aus postmateriellen: Man will einen aktiven Staat, eine nachhaltige Wirtschaft, eine international ausgerichtete Schweiz und eine ökologische dazu. Zu tiefst zu wider ist den neuen Genossen das Schweizbild der SVP.
Unter dem Eindruck der parteipolitischen Polarisierung ist die SP allerdings zu weit nach links gerutscht. Für sozialistisches Gedankengut besteht aber kein hinreichendes Potenzial in der Schweiz. Das hat zu einem Umdenken geführt. SP-WählerInnen tendieren zu den Grünen, SP-Wähler eher zu den Grünliberalen.
Ladner rät der SP vertieft an sich zu arbeiten. Er vertritt den dritten Weg, den Anthony Giddens propagiert hatte. „Die SP muss demnach den Wettbewerb im Grundsatz akzeptieren, aber festlegen, welche Leistungen der Staat für Schwächere erbringen sollt. Alte Forderungen nach dem Giesskannenprinzip sind definitiv vorbei.“
Man kann das auch anders sehen: Gerade weil die SP Schweiz das Gerede vom “Dritten Weg” nicht mitgemacht hat, ist es nicht zu einer tiefen Spaltung der Linken gekommen. In Deutschland verlor die SPD ihre halbe Wählerschaft an Die Linke, und in Grossbritannien etablierten sich die Liberalen. Die SP in diesen Ländern verfolgte den “Dritten Weg” am klarsten, ohne dass sich Erfolge einstellten.
“SP-WählerInnen tendieren zu den Grünen, SP-Wähler eher zu den Grünliberalen.”
Kann ich mir nicht so recht vorstellen, gibt es dazu empirische Daten? Auf mich machen die Grünliberalen eher den Eindruck einer vom FDP-Karren gefallenen urban-hippen Jungunternehmerpartei mit grünem Anstrich.
Ach, die Politologen! Sie empfehlen immer, ab in die Mitte!
Das galt zwar lange als Erfolgsrezept. Doch ist es dem Vielparteiensystem der Schweiz nicht angemessen. Die Mehrsprechigkeit, die kulturelle Vielfalt in den Kantonen und die direkte Demokratie erschweren die Blockbildung im Parteiensystem der Schweiz.
So muss jede Partei an ihren Rändern schauen, nicht in die Mitte schielen. Die einzigen Parteien, die sich in den letzten 15 Jahren nachhaltig verstärken konnten, sind die SVP und die Grünen. Und die sind alles andere als in der Mitte. Der dritte Weg ist deshalb auch für die SP Schweiz eine Sackgasse.
Sind sie sicher, dass das Gespräch mit Ladner nicht bereits vor vier Jahren geführt wurde? Bild und Inhalt lassen auf ein “Remake” schliessen 😉 Es wäre ja vermessen zu behaupten, Politiologen hätten die letzten zwei, drei Jahre einfach “verschlafen” 😉
Ich habe mit Andreas Ladner wegen den WechselwählerInnen konferiert. Er bezieht sich auf eine Auswertung der smartvote-Teilnehmenden bei den Wahlen 2007. Das kann zwar keine Repräsentativität für die Wählenden beanspruchen, gibt aber Hinweise.
Und die sind recht klar.
Bei den Frauen, die 2003 Wählten gingen von den Wechslerinnen am meisten zu den Grünen.
Bei den Männern wechselte man am häufigsten zur GLP.
Die Anteile sind jeweil doppelt so hoch wie diejenigen der zweithäufigst gewählten Partei.
Für diese Ergebnisse spricht auch die Erfahrungen aus Umfragen, wonach am häufigsten innerhalb des politischen Lagers gewechselt wird. Lagerübergreifende Wechsel sind dagegen deutlich weniger häufig.