Viel spekuliert wurde dieser Tage über das Ergebnis zur Minarett-Initiative – und über die Zusammensetzung der beiden Lager. Peter Moser, Politanalyst des Statistischen Amtes des Kantons Zürich, hat nachgerechnet und bringt seine Ergebnisse auf den Punkt..
Der Kanton Zürich stimmte bei der Minarett-Initiative ähnlich wie die Schweiz: 52 Prozent Ja zur Minarett-Initiative bei einer überdurchschnittlichen Beteiligung von 55 Prozent. Vier bemerkenswerte Ergebnisse fördert die heute veröffentlichte Studie auf Gemeindebasis zu Tage:
Erstens “Anteil Muslime”: Der Zusammenhang zwischen dem Anteil Muslime in einer Gemeinde und der Zustimmung zur Minarett-Initiative ist minimal.
Zweitens: “Weltanschauungen”: Die Zustimmung mit nationalkonservativer Grundhaltung war weit überdurchschnittlich; verworfen wurde sie in Kommunen mit progressiven Werthaltungen, seien sie sozial oder liberal ausgerichtet.
Drittens “Schicht”: In Gemeinden mit hohem Status war man gegen die Initiative, bei tiefem Status, kombiniert mit traditioneller Lebensweise, jedoch dafür. Abgelehnt wurde sie aber beim tiefen Status und individualisierte Lebensweise, wie es in den grossen Städte vorkommt.
Und viertens “Mobilisierung”: Die Mobilisierung war besonders in Gemeinden mit einem hohen Ja-Anteil zur Minarett-Initiative überdurchschnittlich.
Was heisst das zusammenhängend? Mobilisiert wurden vor allem die BefürworterInnen der Minarett-Initiative. Entscheidend hierfür war die weltanschauliche Ausrichtung der Wählerschaft in einer Gemeinde. Verstärkt wurde sie durch die Schicht. Der Nationalkonservatismus kennzeichnet das Ja, zudem ist es bei unterdurchschnittlichem sozialen Status verbreitet. Ob es in der Gemeinde Muslime hat oder nicht, erklärt das Stimmverhalten der Zellen der Zürcher Lokaldemokratien dagegen kaum.
Das ist keinesfalls als Relativierung des Volksentscheides zu werten. Es zeigt aber auch, wie der Mechanismus lief: Da Ja ist ein Protestvotum, das sich aus der Diskussion im Wahlkampf ergab. Es zeigt die andere Seite des Volksempfindes in der heutigen Situation. Das zeigte auch der Wahlkampf in den Zürcher Regierungsrat. Am Anfang brachte Daniel Jositsch mit seiner klaren Position gegen die Manarett-Initiative seinen zögerlichen Widersacher arg in die Bedrouille. Am Ende aber wurde Ernst Stocker, der Kandidat der SVP, von 55 Prozent der Teilnehmenden ZürcherInnen in die Kantonsregierung gewählt – mit nur unwesentlich mehr Ja-Stimmen als die Minarett-Initiative erreicht hat.
Ich dachte, zur moslemischen Bevölkerung in den einzelnen Gemeinden gäbe es gar keine aktuellen Zahlen?
Als Zürcher habe ich keine Relevanz der Minarett-Initiative im Regierungsratswahlkampf wahrgenommen (ebenso wenig wie der jüdische Hintergrund von Jositsch – Religion war diesbezüglich schlicht kein relevantes Thema).
Jositsch brachte Stocker in die Bedrouille, weil er den Auftritt in den Medien wesentlich besser versteht und darüber hinaus auf die Unterstützung der parteipolitisch üblicherweise links positionierten Journalisten zählen konnte. Im Lauf des Wahlkampfes konnte sich dann aber die langjährige Politerfahrung von Stocker gegen die Schaumschlägerei des Politnovizen Jositsch durchsetzen.
Jositsch kommt sehr eloquent daher, muss aber erst noch beweisen, dass er politisch etwas bewirken kann – falls ja, habe ich grosse Erwartungen an ihn.
@ mds
Die vom Kanton Zürich verwendeten Daten stammen aus der Volkszählung 2000. Neuere Uebersichten gibt es nicht.
Die Schätzungen sind ja, dass es heute statt gut 300000 rund 400000 sind. In der Regel kann man davon ausgehen, dass die Verteilung aber nicht einfach ganz anders ist, weil Menschen aus fremden Kulturen meist dorthin gehen, wo sie Menschen mit ihrer Kultur finden.
Damit bleibt die Aussage ziemlich sicher die gleiche.
@mds
Natürlich hat die Minarettinitiative keine Relevanz für den Zürcher Regierungsrat. Es geht ja bei solchen Gesprächen darum, die Ansichten und Standpunkte von den Kandidaten offenzulegen, und wenn dann einer aus der Diskussion rfausläuft, ist mehr über den Kandidaten gesagt, als viele Worte.
Als Präsi von Wädenswil hat Stocker ja auch nicht alles nur gut gemacht, und als Regierungsrat ist Politerfahrung gut, wichtiger ist aber, Probleme lösen zu können.
Mindestens kann von Stocker nicht behauptet werden, dass er in Sachen Provokation ein typischer SVP-ler ist.
@ mds und rehcolb
Das die Minarettinitiative keinen Einfluss auf das Resultat von Stocker (bzw. Jositsch) hatte, kann man, empirisch belegt, auch auch in meiner Analyse nachlesen….
[…] Erstanalyse zur Minarett-Abstimmung im Kanton Zürich legt, mit anderen Methoden den Finger auf die gleichen […]
@ Claude
Zu gerne würde ich wissen wie die Fragen vom gfs.bern zur Minarett-Initiative gelautet haben.
“Wie würden Sie stimmen, wenn am nächsten Sonntag Abstimmung wäre?” fragt ihr nicht mehr, falls ich richtig gelesen habe. Aber stellt ihr mehr Fragen zum Thema oder verlasst ihr euch auf ein JA oder NEIN der Angerufenen?
Warum ich das frage? Im Vorfeld der Abstimmung hiess es von vielen Bürgern sie würden NEIN stimmen, weil sie keine Minarette in der Schweiz wollen.
Habt ihr eure Umfrage auf die “nur” JA/NEIN-Antwort aufgebaut, so könnte da drin der Hund begraben sein.
Hallo Ate!
Den Forschungsbericht findest Du hier.
http://www.gfsbern.ch/pub/SRGTrend_19_11_09.pdf
Ich finde ihn immer noch lesenswert.
In den Grafiken findest Du auch den Wortlaut der Fragen.
Es hat zwei Fragen zu den Verhaltensabsichten (Teilnahme- Stimmabsicht, wovon Du eine hier indirekt zitierst) und 6 Fragen zu Aussagen, die in der Kampagnen gemacht wurde.
Ich verlasse mich primär auf die, die etwas stimmen und auch teilnehmen wollen. Doch kontrolliere ich das mit den Aussagen zu den Argumenten aus der Ja- und der Nein-Perspektive.
Zu deiner konkreten Frage: Wir kontrollieren das immer. Es hat immer solche darunter, aaaaaber: auf beiden Seite. Zu Deinem Beispiel: Es gibt auch solche die Ja zu Minaretten sagen wollten, und Ja stimmten.
In der Regel sind beide Phänomene selten und es hebt sich auf.
Wie es diesmal ist, wissen wir, wenn die VOX-Analyse vorliegt.
empirisch belegt …hahaha., du meinst wohl empirisch ermittelt ….
Egal, es wäre auch eine Ausnahme gewesen, wenn trotz erfolgloser lovely Rita ein Ersatz aus einer anderen Partei gewählt worden wäre.
So ist das halt in der Schweiz, die Wahlen sind meist ohne Überraschungen.
Vielen Dank Claude. Ich werde mir den Lesestoff morgen in aller Ruhe zu Gemüte führen und wie es scheint, dürfte er sehr aufschlussreich und interessant werden. Auch bin ich auf die VOX-Analyse gespannt.
Ich vertrat anfänglich auch die Meinung, dass sich die verqueren Ja- oder Nein-Stimmen aufheben, die Waage halten würden. Das Verwirrende lag scheinbar beim “Anti”.
Wer wie und warum gestimmt hat, sieht man ja meist nach der Abstimmung daran, wenn die Befürworter und Gegener ihr Argumente resp. mit vor der Abstimmung unbekannten Informationen rausrücken.
Meine Meinung ist immer noch die, dass die Mehrheit der
– Ja-Stimmer nicht die Minarette prioritär verbieten wollen, sondern genug haben von den Folgen der immensen Einwanderung, vorab natürlich der negativen Folgen und
– Nein-Stimmer gegen das Minarettverbot stimmten, sondern gegen allfällige Folgen wie wirtschaftliche, usw.
Der Initiant war sich dessen natürlich bewusst. Und hat vor der Abstimmung ja kaum die Bausünde Minarett als Argument gebracht, sondern Zwangsehen usw.
Abstrus ist natürlich, dass ausgerechnet die Regierungen derjenigen Staaten, die nichts mit Menschenrechten am Hut haben, jetzt auf diese verweisen und Sanktionen fordern.
@cal
Müsste man sich nicht auch die Frage stellen, wie man einen Initiativtitel gestalten muss, um besser zur Mehrheit resp. zum Ziel zu gelangen.
Ja zum Minarettverbot oder
Nein zu mehr Minaretten
Nochmals danke für den Link. Nun hab ich mich durchgeackert und prompt wäre ich bei der Grafik 8 fast gestolpert. Auf die Schnelle und ohne Betonung auf “Initiative” hätte ich doch prompt “bestimmt dagegen” gesagt. Bestimmt dagegen, gegen den Bau.
Die Grafiken 14 und 15 sind %-mässig auch noch recht interessant. Gestuzt hab ich bei der Aussage: In der italienischen Schweiz bewegt sich die Meinungsbildung aber eher Richtung NEIN.
Schade, musstest Du am Abstimmungstag mit 14-Tage-alten Zahlen jonglieren.
hej
danke für die ganz genaue Lektüre.
Das mit der italienischen Schweiz ist so eine Sache. Die Fallzahl bleibt zu gering, um hier wirklich von Trends zu sprechen. Im Tessin leben keine 5 Prozent der SchweizerInnen.
Deshalb würde ich dieses Einzelbeispiel auch nicht überbetonen. Man könnte es auch weglassen, wegen der Fallzahl.
Das würde aber am guteidgenössischen Föderalismus rühren.