“Protestkampagne” ja, “soziale Bewegung” nein!

Pause. Zwischen zwei Vorlesungen eine Viertelstunde Unterbrechung. Zeit für einen kleinen Schwatz mit StudentInnen in den Gängen der Universität Zürich, wo die Securitas an uns vorbei patroulliert. Unweigerlich setzt das Gespräch bei den StudentInnen-Protesten der letzten Tage an. Einige Notizen zum Thema.

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Es gäbe Missstände mit der Umsetzung von Bologna – etwa für Studierende, die arbeiteten, sagt mein Gegenüber. Der Zwang zur Prüfung beschleunige das Studium, sei aber unter StudentInnen unbeliebt, fügt er hinzu. Diese Unzufriedenheit werde nun von linken Gruppen instrumentalisiert; bürgerliche Studentengruppen würden da nicht mitziehen.

Nach meinem Besuch vor einer Woche bei den Demonstrierenden sei ich erstaunt gewesen, entgegne ich, wie harmlos das Ganze sei. Der Diskurs sei sachbezogen, anders als es die Konfrontation mit dem Rektor war. Von einer tiefgreifenden Revolte, wie ich sie selber in den 70ern noch erlebt habe, würde man nicht viel merken. In der Stadt spreche man kaum über das, was in der Uni passiere.

Schlug da mein romantisierender Blick auf meine eigene Studentenzeit durch, frage ich mich, als ich im Zug sitze? – Und schlage die herumliegende “Zeit” auf. Dieter Rucht, 63, bekannter Soziologe in Berlin, analysiert das Geschehen an den deutschen Universitäten wie folgt: Von Sozialer Bewegung mag er nicht mehr sprechen. Die Arbeiterbewegung oder die Bürgerrechtsbewegung hätte eine andere Gesellschaft gewollt. Die Studierenden von heute forderten bessere Studienbedingungen. Protestkampagnen seien das, wie man sie seit einige Jahren an den Unis kenne.

Es protestierten heute nicht weniger als früher. Was aber fehle, sei der provokative Gestus. Früher hätten die Studenten schnell mal alle gegen sich gehabt, die Polizei, die Wasserwerfen, die Springerpresse. Das habe sie radikalisiert, charismatische Persönlichkeiten an der Spitze der Proteste hervorgebracht und sie zu einer Bewegung mit politischen Ziele geformt.

Rucht schätzt, die Studentenproteste hätten seit den späten 80er Jahren eine neue Qualität erhalten. Sie seien pfiffig, seien ein wenig, aber nicht zu frech, denn sie stellten die Frage nach der besten Bildung, was durchaus im Einklang mit bürgerlichen Werten stehe. Trotz abstrakter Kritik am Neoliberalismus, interessierten konkrete Sachen wie andere Lehrverhältnisse, bessere Ausstattungen und mehr ProfessorInnen. Das sichere ihnen die Unterstützung eines Teiles der UniversitätslehrerInnen und BildungspolitikerInnen zu.

Die Stellungnahme von Kurt Imhof, dem Zürcher Soziologie-Professor, passt gut dazu. “Reinfuttern, rauskotzen, und vergessen” ist wohl etwas zugespitzt, trifft aber die Stimmung, welche die Studierenden in der Uni mobilisierte. “Raustreten, umkrempeln, und hoffen” hält auch der Sympathisant der Studentenproteste nicht für die Schlagworte der Zeit.

Claude Longchamp