The “state of the art” in der akademischen Wahlforschung der Schweiz.

Die 10. Zürcher Vorlesung zur Wahlforschung war dem Stand der Dinge in der Schweiz gewidmet. Ausgangspunkt bildete das grösste akademische Wahlforschungsprojekt selects, das seit 1995 betrieben wird.

alter
Wahlentscheidung und Alter 2007: Bis 50 lassen sich politischen Generationen erkennen, darüber hinaus dominieren Lebenslaufeffekte mit Rechtstendenz

Beeindruckend am selects Projekt ist vor allem die Datenlage. Die repräsentativen Nachbefragungen basieren auf einer Grosszahl Interviews, die nationale, teilweise auf kantonale Aussage erlauben. Zu den für mich wichtigsten Forschungsergebnissen zählen insbesondere Erkenntnisse zur Altersabhängigkeit von Wahlentscheidungen. Denn in ihnen reflektiert sich bis heute die jüngere Zeitgeschichte der Schweiz. Wählende zwischen

… 18 und 24, in der Jetztzeit sozialisiert, kennen einen überdurchschnittliche SVP-Anteil;
25 und 44, in der Zeit nach dem Waldsterben politisiert, unterstützen über dem Mittel die Grünen.
35 und 54, durch den Aufburch der 68er geprägt, neigen mehr als der Schnitt zur SP.

Das sind nicht nur die Parteien, die sich elekotral am stärkersten erneuert haben; es sind auch die, welche Denk ihrer Verankerung in neuen politischen Generationen WählerInnen-Gewinne verzeichnen konnten. Bei der SP ist der Zyklus offensichtlich ausgelaufen, während er bei Grünen nicht mehr erneuert, bei der SVP aber ungebrochen anhält. Bei CVP und FDP lassen sich entsprechende Phänomene nicht, allenfalls nicht nicht erkennen.

Nebst solche Stärken kennt die akademische Wahlforschung in der Schweiz auch Schwächen. Unverändert stark ist ihre Ausrichtung an den länger- und mittelfristigen Determinanten von Wahlentscheidungen. Die kurzfristigen Einflüsse, namentlich jene, die sich aus dem Wahlkampf ergeben, werden noch immer kaum untersucht. Das gilt speziell für stark medialisierte Monente des Wahlkampfes wie zentrale Fernsehsendungen im Vorfeld der Wahl. Es gilt aber auch generell für Veränderungen der Meinungsbildung in der Mediengesellschaft, die durch Personalisierung, Emotionalisierung und Skandalisierung geprägt wird, während die sich die schweizer Wahlforschung unverändert an Sachthemen als Wahlhilfen ausrichtet.

Datenmässig darf sich die Wahlforschung in der Schweiz nicht mehr ausschliesslich oder vorwiegend auf Nachanalysen und KandidatInnenbefragungen stützen. Medienanalysen und Trendbefragung müssen hinzu genommen, um die Dynamiken des jeweiligen Wahlgeschehens besser verstehen zu lernen. Wünschenswert wären zudem Panelbefragungen, welche die kurfristige Meinungsbildung bei einer Wahl untersuchen würden, aber auch die biografische Entwicklung der politischen Entscheidungen auf Dauer untersuchen würden.

Namentlich der Vergleich von Studiendesigns der Wahlforschung in der Schweiz und etwa jener in Deutschland zeigt, dass die Schweiz den Anschluss an die internationalen Trends immer noch sucht.

Claude Longchamp