Lehren aus kantonalen Abstimmungen für die Minarett-Initiative.

In der NZZ vom Samstag veröffentlichte Adrian Vatter einen Artikel zur Analyse kantonaler Abstimmungen über Minderheitsrechte, die Schlüsse für die Volksabstimmung über die Minarett-Initiative zulässt. Hier eine Kurzfassung der Hypothese aus dem laufenden NF-Projekt.

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Was überwiegt: Die “kulturelle Distanz zu bedrohlichen Muslimen” (Vordergrund) oder “Schutz vor Rechtsabbau, der den Religionsfrieden stört” (Hintergrund)?

Adrian Vatter, seit wenigen Wochen Professor für Politikwissenschaft und Inhaber des Lehrstuhls für Schweizer Politik an der Universtität Bern, untersucht in einem Nationalfonds-Projekt die Volksabstimmungen der Gegenwart, die sich mit Gleichstellung von religiösen Minderheiten beschäftigen. Da das auf eidgenössischer Ebene kaum mehr ein Thema war, konzentriert er sich auf die kantonalen Volksentscheidungen. 15 hat er im letzten halben Jahrhundert identifiziert.

12 davon wurde angenommen. Sie betreffen alle die Gleichstellung christlicher oder jüdischer Glaubensgemeinschaften. Abgelehnt wurden aber die drei Vorlagen, die entweder die AusländerInnen mit den SchweizerInnen im Kirchenrecht eines Kantons gleichstellen oder aber explizit die Stellung der muslimische Minderheit in den Kantonen Zürich oder Bern verbessern wollten.

Aus der Analyse der kantonalen Abstimmungsergebnisse zur 200 Vorlagen, die Minderheiten jedweder Art beinhalteten, leitet Vatter zwei Folgerungen ab, die auch auf Entscheidungen mit religiösem Inhalt angewendet werden können: Vorlagen scheitern, wenn “erstens ein Ausbau von Minderheitsrechten angestrebt wird, und zweitens dieser Ausbau gemäss der öffentlichen Meinungschlecht integrierte Gruppen betrifft.”

Was folgt daraus für die Volksabstimmung über die Minarett-Initiative? Vatter lässt das Verdikt gelten, Muslime seinen in der Schweiz eine kulturelle Fremdgruppe. Doch gehe es nicht um einen Ausbau von Rechten für sie, vielmehr um einen Abbau bisheriger Rechtsstandards.

Das Ausgang der Abstimmung hängt seiner Meinung nach stark davon ab, was mehr gewichtet wird: die mangelnde Integration oder die Verringerung von Rechten der Minderheit. Die VOX-Analyse, die erstmals unter der Leitung des neuen Berner Professors entsteht, wird Anhaltspunkte geben, ob hier eine neue und hinreichende Hypothese vorliegt, die uns hilft, den Umgang der Stimmenden mit Minderheiten zu erklären – und inskünftig auch vorherzusehen.

Claude Longchamp