10 Gründe, warum man in der Schweiz besser in der Regierung als in der Opposition ist (Bundesratswahlen 2008/3)

Unmittelbar nach der Abwahl von Christoph Blocher aus dem Bundesrat erklärte die SVP, in die Opposition zu gehen. Sie nahm den Bisherigen Samuel Schmid und die Neue Eveline Widmer-Schlumpf nicht (mehr) in die Bundeshausfraktion auf. Es folgte die Parteispaltung in die grosse Mehrheit der SVP und die kleine Minderheit der BDP. Jetzt will die SVP wieder zurück in die Regierung. Eigentlich nicht überraschend, denn es gibt in der Schweizer Politik 10 Gebote, warum man besser in der Regierung als in der Opposition ist.


Aller Kritik zum Trotz: Die 1959er Wahl in den Bundesrat, die Geburt der Zauberformel, ist bis heute stilbildend für das sinnvolle Verhalten der grösseren politischen Parteien in der Schweiz geblieben.

Erster Grund
Das politische System und seine Kultur sind auf Machtteilung und Integration der grösseren politischen Parteien ausgerichtet. Eine Oppositionsrolle für eine politische Partei existiert nicht. Selbst die Parteien, die nicht direkt im Bundesrat vertreten sind, verstehen sich in der Regel nicht als Oppositions-, sondern als Nicht-Regierungsparteien.

Zweiter Grund
Die Volksrechte sind ein Mittel der thematischen, nicht aber der systematischen Oppostion. Volksinitiativen sind geeignet, länger andauernde gesellschaftliche Probleme, die keiner politischen Lösung zugeführt werden, aufzugreifen und zu thematisieren. Ihre Behandlung erfolgt aber weder just in time, noch ist die Mehrheit wahrscheinlich.

Dritter Grund
Referenden sind zwar besser geeignet, schnell auf parlamentarische Entscheidungen reagieren zu können als Initiativen. Doch ist ihr taktischer Gebrauch für eine politische Partei nicht unproblematisch, weil sich der Konflikt nicht zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien focussieren lässt. Je nach Interessen verlaufen die Bruchlinien eher quer zu den Parteien und Fraktionen.

Vierter Grund
Oppositionsparteien finden zwar unverändert mediale Aufmerksamkeit. Sie können aber nicht mehr darauf zählen, in Themen, welche den Mediendiskurs bestimmen, automatisch als Trendsetter angesehen zu werden. Das verändert ihre Darstellung und Bewertung, die, ohne eigene Medien kritischer wird.

Fünfter Grund
Eigene Massenmedien als politische Partei zu haben, ist illusorisch geworden. Dazu ist keine Partei mehr in der Lage. Artikulationsmedien, die via schnell und kostengünstig via Internet funktionieren, sind zwar möglich, aber nicht besonders wirkungsvoll. Sie bestimmen den Mainstream in den Massenmedien nicht.

Sechster Grund
Die periodischen kantonalen und städtische Wahlen werden vor allem für Oppositionsparteien zu Herausforderungen. Denn es wird erwartet, dass sie diese lückenlos gewinnen. Gelingt ihnen das nicht, wendet sich die Erwartungshaltung schnell gegen sie, was die Partei und ihre Wählenden rasch verunsichert.

Siebster Grund
Da auch nationale Oppositionsparteien auf kantonaler und kommunaler Ebene in der Regierung sind und verbleiben, ist die Kommunikation einer klaren Alternative zum Regierungslager problematisch, denn faktisch gehört man auch als nationale Opposition in vielen, vor allem lokal und föderalistisch bestimmten Politiken zum Regierungslager.

Achter Grund
Die parlamentarischen Entscheidungen auf nationaler Ebene eröffnen zwar reichhaltige Möglichkeiten der thematischen Opposition. Diese ist jedoch ohne faktischen Fraktionszwang nicht ohne Weiteres durchsetzbar. Das Problem erhöht sich, je unvollständiger die Oppositionrolle definiert wird, etwa bei der Besetzung von Kommissionspräsidien.

Neunter Grund
Fraktionen, die keinen formellen und informellen Zugang zum Bundesrat haben, sind von relevanten Informationen der Willensbildung abgeschnitten. Die Chance, politische Entscheidungen relevant vorweg nehmen zu können, um sie im Sinne der Opposition zu beeinflussen sind bescheiden.

Zehnter Grund
Die politischen Ambitionen der Schweizer PolitikerInnen ist nicht auf die Realisierung bestimmter Politiken ausgerichtet. Sie ist auch durch den Wunsch, politisch relevant an der Macht beteiligt zu sein, bestimmt. Das erschwert die innere Kohärenz von Fraktionen in Oppositionsparteien.

Zwar konnte man diese 10 Geründe gegen die Opposition von Parteien im politischen System der Schweiz in den letzten 10 Monaten ausgesprochen gut beobachten. Allerdings sind sie alles andere als neu.

Die unübersehbaren Spaltungen in der Konkordanzkultur der Schweiz von heute, dürfen nicht darüber hinweg täuschen, dass die Struktur der politischen Entscheidfindung in der Schweiz ausgesprochen auf Integration angelegt ist, die es nur um den Preis der politischen Mässigung gibt.

So bleibt eigentlich nur ein Fazit: Der einzige wirkliche “Erfolg” der Oppositionspolitik von Parteien ist der Sturz von Regierungsmitgliedern, die den eigenen Interessen, selber wieder in der Regierung vertreten zu sein, entgegenstehen.

Claude Longchamp