Für die schleichende Islamisierung gibt es genügend Hinweise, selbst wenn die Beschaffung von Fakten erschwert werde, schreibt die Weltwoche. Und sie untermauert ihre These mit einem umfangreichen Dossier zur Abstimmung über die Minarett-Initiative.
Die Provokation war perfekt, als die Weltwoche vor zwei Wochen das offizielle, höchst umstrittene Plakat der Initianten des Volksbegehren für ein Bauverbot von Minaretten in der ganzen Schweiz ohne einbettenden Kommentar auf die Frontseite setzte. Man habe viele zustimmende Leserbriefe bekommen, begründet man das Vorgehen, und verschwieg, dass selbst Mitarbeiter aus Ueberdruss über den Kampagnenjournalismus kündigten.
Eine Woche später kam man zur eigentlichen Sache, denn die führenden Rechtsintellektuellen in der Schweiz stellten ihre Kernfrage: Wie tolerant darf die Schweiz gegenüber dem Islam sein? Das versteht man durchaus als Schützenhilfe für die Minarett-Initiative. Bei ihrer Forderung, auf Symbole der Moscheen zu verzichten, mag man nicht sehen bleiben.
Denn man will wissen, was man nicht wissen darf: Wie viele Muslime leben hier? Wie radikal sind sie? Und, ist der Islam mit Demokratie und Rechtsstaat überhaupt vereinbar?
Für die Weltwoche ist die Islamisierung ein Fakt, das nicht weiter begründet werden muss. Das man aber mit einem umfangreichen Dossier gerne propagiert.
Claude Longchamp
Mir ist nur der Fall eines freien Mitarbeiters bekannt. Gibt es noch weitere Fälle?
Bei diesem freien Mitarbeiter, der bis Anfang Jahr noch als fester Mitarbeiter tätig war, erstaunte mich seine Arbeit für die «Weltwoche» schon länger. Wer bei der «Weltwoche» arbeitet, sollte ideologisch sehr offen sein und die Provokation durch Meinungen jenseits des allgemeinen Konsenses offen sein.
Ich habe das Dossier noch nicht gelesen. Wird die Islamisierung der Schweiz im Dossier darin nicht begründet?
Ich halte die Islamisierung der Schweiz aber für ein Faktum, belegt durch die zunehmende Zahl von Einwohnern, die sich zum Islam bekennen. Diese Feststellung allein ist wertneutral. Sind Sie anderer Meinung?
Seit 9 Jahren gibt es keine aktuellen Zahlen mehr. Daher kann man nicht von einer zunhmenden Zahl sprechen. Zudem praktizieren etwa gleichviele Muslime in der Schweiz ihre Religion wie Christen. Daher ist der Begriff der Islamisierung stark überbeladen.
Wahrscheinlich sind wir hier wirklich Mitten im Problem.
Der Thesen-Journalismus, wie er von der Weltwoche betrieben wird, ist zwar ein “gesunkenes Kulturgut” aus der Wissenschaftstheorie des liberalen Philosophen Karl R. Popper, doch funktioniert er nach anderen, eigenen Spielregeln.
Thesen im wissenschaftstheoretischen Sinne sind das Ergebnis von Forschung, und sie halten die gesicherten Erkenntnisse im Lichte der Annahmen fest. Diese basieren auf explizit definierten Begriffen, auf Hypothesen, auf ihrer Ueberprüfung und auf ihrer kritischen Diskussion.
“Islamisierung” als (sozial)wissenschaftliche These macht so durchaus Sinn, muss aber als solches forscherische bewiesen werden, bevor man der Terminus verwenden darf. Da sind wird wieder bei der gleichen Diskussion wie bei der Konsensfabrik, die ich als Vermutung durchaus akzeptiere und der ich für die Schweiz prima vista sogar Plausibilität attestieren würde. Aber, es fehlt auch hier die wissenschaftlichen Sicherung.
“Islamisierung” im Sinne des Thesenjournalismus muss nicht bewiesen werden. Der Begriff muss nicht einmal definiert werden. Die damit verbundenen Vorstellung muss nicht untersucht werden. Es braucht keine Beweise, denn, und das war mein Einwande, “Islamisierung” kann einfach postuliert werden.
Genau das macht die Weltwoche, beispielsweise im Editorial zur Dossier-Ankündigung. Sie hält sogar ausdrücklich fest, dass es dazu kaum Daten, kaum Untersuchungen gibt. Wissenschaftlichen müsste man da den Schluss ziehen, dass der Begriff nicht verwendet werden sollte. Journalistisch findet das den für die WeWo typischen Dreh, das Thema werde verdrängt.
Ich will hier weder sagen, dass es Islamisierung nicht gibt. Noch will ich will ich widerlegen, Islamisierung werde hinreichen untersucht. Ich warne aber davor, wie das der Thesen-Journalismus tut, scheinbar wissenschaftlich geischerte Trendbegriffe zu verwenden, wenn sich nicht belegt sind.
Ich finde es umso fragwürdiger, solches als Ausgangsfakt zu unterstellen, wenn es, wie in einer Kampagnen üblich, als politischer Kampfbegriff von Initianten eingeführt wurde.
Die kritische Distanz zu den Annahmen von politischen Akteuren ist auf jeden Fall angebracht.
Uebrigens: “Islamisierung der Schweiz” ohne weitere mit “wachsender Zahl von Menschen isamischen Glauben” zu übersetzen, halte ich für überzeichnend: Erstens, kennen wir die Zahl der Menschen Islamischen Glaubens nicht wirklich, die letzte gesicherte datiert aus der Volkszählung 2000. Alles andere sind Schätzungen. Zweitens dürfen lange nicht alle Menschen, die “islamischen Glaubens” sind, als gläubige bezeichnet werden. Das gilt ja auch bei getauften Christen so nicht; die Sonntagszeitung kommt nach ersten Schätzungen auf 40’000 gläubige Muslime in der Schweiz. Und drittens, sind wäre es verfehlt, alle gläubigen Muslime mit Islamisten gleichzusetzen, wie das gerade in der politischen Propaganda ganz gerne gemacht wird.
Felix, Cal: Vielen Dank für die lesenswerten Rückmeldungen!