Wählen – aus der Sicht der Sozialwissenschaften

In meiner Zürcher Vorlesung zur Wahlforschung geht es gegenwärtig um die Theorie des Wählens. Vier verschiedene Annäherungen kommen zur Sprache: soziologische, psychologische, ökonomische und kommunikative Ansätze beleucht den individuellen Wahlakt aus verschiedenen Blickwinkeln. Eine kurze Uebersicht.

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Die Soziologie hält die Familie für den wichtigsten Ort der politischen Sozialisation. So wie die Eltern wählen, so sind auch die Vorgaben für die Jugendlichen. Denn man fühlt sich im Milieu, in das man hineingeboren wurde, in der Regl wohl. Man weiss darum, beispielsweise aus eine katholischen Haus zu kommen oder aus der Arbeiterschaft, dem Bürgertum resp. ist bei den Bauersleuten gut aufgehoben und drückt das mit einer über Generationen unveränderten Parteiwahl aus. Mobilität wiederum ist der wichtigste Grund für Aenderungen in der Wahltendenz aufgrund der Herkunft. Das beginnt mit der Schule, setzt sich eventuell in einem Studium fort, für das man in eine entfernte Stadt geht, neue Lebensweise kennen lernt und sich, vor allem wenn man sich als neue Generation versteht, politische ausrichtet.

Die Psychologie hat uns das Konzept der Parteiidentifikation nahegebracht. Beträchtliche Anteile der Wählenden gehen eine länger anhaltende, bisweilen lebenslange Bindung mit einer Partei ein. Sie wird als psychologische Parteimitgliedschaft verstanden. Diese Bindung ist primär emotionaler Natur. Greift die eigene Partei an, geht man mit; wird sie angegriffen, steht man schützend vor sie. Dies vereinfacht auch den Wahlentscheid, denn der wird nicht von Mal zu Mal gefällt, sondern aufgrund der Parteibindung. Themen, welche die bevorzugte Partei im Wahlkampf vorbringt, aber auch KandidatInnen, die sie zur Auswahl stellt, können die vor vorgeformte Wahlbereitschaft in einer konkreten Situation aktualisieren.

Die Oekonomie interessiert sich vor allem dafür, wie Wahlentscheidungen zwischen zwei gegensätzlichen KanidatInnen oder Parteien zustande kommen. Sie gehen davon aus, dass die WählerInnen ihre Mittel bei der Wahl optimal einsetzen wollen. Sie entscheiden sich, wie sie die Regierungsbildung mit ihrer Stimme am besten einsetzen können. Dabei gehen sie von thematischen Präferenz aus, aufgrund derer sie sich über die Parteienstandpunkte informieren, um sich dann für die Partei resp. die KandidatIn zu entscheiden, die ihnen positionsmässig am nächsten steht. Wirtschaftsthemen wie Arbeitslosigkeit, Inflation, Wachstum sind dabei die entscheidenden Kriterien der Parteiauswahl.

Die Kommunikationswissenschaft interpretiert die Wahlentscheidung als Prozess, während dem die Wählenden vorwiegend medial verfügbare Informationen über Parteien und KandidatInnen verarbeiten. Sie machen das aber nicht als unbeschriebene Blätter, sondern auf der Basis einer Grundlinie, die ihre Herkunft, ihre Werte und ihre Interessen reflektiert. Parteien und KandidatInnen, die in einer bestimmten Situation zur Auswahl stehen, lassen diese Grundlinie oszillieren, verleihen ihr Gestalt, geben ihre Farbe und Inhalt. In der Regel sind bei diesem Meinungsbildungsprozess die Netzwerke im eigenen Umfeld entscheidend. Je weniger über Politik aber geredet wird, umso wahrscheinlicher ist es, dass die Medienpräsentationen selber die Wahlentscheidungen prägen.

Soweit die vier Zugänge, jedenfalls auf der Ebene der Individuen! Ueber die Konsequenzen für die Parteien bald mehr.

Claude Longchamp

Klassiker der Wahlforschung:
Paul Lazarsfeld et. al. (1944): The People’s Choice. New York.
Angus Campbell et. al. (1960): The American Voter. New York.
Downs, Antony (1957): A Economic Theory of Democracy. (deutsch.: Oekonomische Theorie der Demokratie, 1968).
Schmitt-Beck, Rüdiger (2000). Politische Kommunikation und Wählerverhalten, Ein internationaler Vergleich. Wiesbaden.

Als Einführung:
Bürklin, Wilhlem, Klein, Markus (1998): Wahlen und Wählerverhalten. Eine Einführung. 2. Auflage.