Volksabstimmungen sind kaum käuflich, sagt Forscher Hanspeter Kriesi

Es ist schon viel geschrieben worden zur Frage, ob der Ausgang von Volksabstimmungen in der Schweiz käuflich sei oder nicht. Jetzt gibt der Zürcher Politologe Hanspeter Kriesi eine neuartige Antwort und kommt zu differenzierten Schlüssen..

Die Kritik
“Ja” sagte Hans-Peter Hertig 1982, als er die Frage nach der Käuflichkeit von Abstimmungsergebnissen beantwortete. 1994 pflichtete ihm der Oekonom Silvio Borner bei. “Kaum” erwiderte ihnen Wolf Linder, als er die Studienbelege sah. Hanspeter Kriesi, der führende Zürcher Politologe, stellte sich bisher dazwischen. Generell sagte er nein zur Käuflichkeit von Abstimmungergebnissen, einen Einfluss des Geldes gegen die Regierungsposition hielt er aber für erwiesen.

Nun kritisiert Kriesi in der Festschrift zur Emeritierung von Wolf Linder alle bisherigen schweizerischen Untersuchungen hierzu. Seine eigenen nimmt er nicht aus. Denn die Ausgaben in Abstimmungskämpfen seien keine unabhängige, sondern eine selber abhängige Grösse. Das Mass, in dem in einen Abstimmungskampf investiert wird, hänge nämlich vom erwarteten Ausgang ab. Und dieser sei, vereinfacht gesagt, umso geringer, je gespaltener das Regierungslager ist. Das gelte besonders bei bei fakultativen Referenden, während es bei obligatorischen und Volksinitiativen weniger klar zu Tage tritt.

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Die Grafik zeigt erstmals die Ausgaben der Regierungs- und Oppositionsseite bei eidg. Volksabstimmungen in Funktion des erwartbaren Ergebnisses (Quelle: Kriesi)

Die Befunde
Mit dieser Erwartunghaltung kann Kriesi in einem ersten Schritt die Ausgaben in Abstimmungskämpfen untersuchen. Dabei zeigt sich, dass das Regierungslager meist etwas mehr ausgibt. Absolut am meisten investiert es, wenn Ausgänge zwischen 50 und 70 Prozent erwartet werden können. Das Oppositionslager steckt dann viel Geld in eine Kampagne, wenn es aus seiner Sicht mit einer Zustimmung von mindestens 40 Prozent rechnen kann.

Berücksichtigt man dieses unterschiedliche Investitionsverhalten, gilt nach Kriesi: Die Ausgaben der Gegnerschaft sind (unverändert) der beste, aber bei weitem nicht einzige Prädiktor für eine hohe Ablehnung der Regierungsposition. Jene der Befürworter sind der beste für eine hohe Zustimmung. Führt die Regierungsseite jedoch klar, nutzt sich der Effekt für das Regierungslagers ab. Das gilt auch, wenn die Ausgaben des Regierungslagers jene des Gegnerlagers deutlich übertreffen.

Diese geldbezogenen Einflussgrössen auf den Abstimmungsausgang müssen in einen erweiterten Kontext gestellt werden. Die Abstimmungskonstellation ist eine eigenständige Erklärungsgrösse. Der Stand des Regierungsvertrauens modelliert die Zustimmungswerte zusätzlich, während undurchsichtige Konsequenzen einer Vorlage ihre Befürwortung verringern.

Kommentare
Das “sparsame Modell”, wie es Kriesi nennt, erklärt nicht weniger als die Hälfte der Varianz in den 218 Abstimmungsergebnissen zwischen 1981 und 2006. Das hat ihn bewogen, sich ganz Wolf Linders Einschätzung zur Käuflichkeitsthese anzuschliessen. Zu behaupten, die eine oder andere Seite könne Abstimmungsresultate kaufen, erscheint ihm “ziemlich übertrieben”. Nicht ausschliessen will er aber, dass bei einem ganz knappen Resultat auch ein geringer Effekt letztlich ausschlaggebend sein kann.

Ohne Zweifel präsentiert Kriesi das differenziertes Untersuchungsdesign, das die Schweiz hierzu bisher gesehen hat. Der spieltheoretische Einwand, wonach die Chancen des Abstimmungssieges das Investitionsverhalten mitbestimmten und Auswirkungen auf das Verhalten der anderen Seite haben, trifft die Beobachtungen in der Praxis gut. Das gilt auch für jede Einbettung finanzieller Kennwerte in einen grösseren, politischen Zusammenhang.

Es bleibt aber die Frage, ob die Ermittlung des erwarteten Ausganges nicht zu theoretisch ausgefallen ist. Gut denkbar, dass das neue Modell noch verbessert werden kann, wenn man diese anhand von Umfragenwerten und Aktionsfähigkeiten der campaigner bestimmen würde.

Claude Longchamp

Hanspeter Kriesi: Sind Abstimmungsergebnisse käuflich?, in: Adrian Vatter, Frédéric Varone, Fritz Sager (Hg.): Demokratie als Leidenschaft. Festschrift für Wolf Linder zum 65. Geburtstag, Bern 2009, pp. 83-106.