Die zweite Vorlesung an der Uni Zürich zur Wahlforschung bot am Freitag vor der Entscheidung Gelegenheit eine Uebersicht zu den Prognosen zu den deutschen Bundestagswahlen zu geben. Jetzt kann man sie die eher theoretischen Ueberlegungen aufgrund des Praxistests überprüfen.
Zur Sprache kamen (unter anderem) Stärken und Schwächen der drei Tools, die bei den Bundestagswahlen 2009 angewandt wurden: politökonomische Schätzgleichungen, Wählerbefragungen und Wahlbörsen.
Weitere Ergebnisse finden sich hier aufgearbeitet.
Zwischenzeitlich kann man nicht nur eine konzeptionelle Beurteilung vornehmen, vielmehr ist es auch möglich, die Instrumente zu bewerten.
. Die Befragungen lagen grösstenteils richtig. Generell wurden die grösseren Parteien leicht überschützt, während die kleineren minimal zu schwach ausgewiesen wurden. Damit lag die Ueberzahl der Institute bei den Koalitionsaussagen richtig.
. Die Wahlbörsen überschätzten die SPD recht klar, und sie lagen auf der bürgerlichen Seite leicht zurück. Die Koalitionsaussage war bis eine Woche vor der Wahl falsch, suggerierte sie doch eine Fortsetzung der grossen Koalition.
. Die Schätzgleichung zu deutschen Wahlen, die Thomas Gschwend entwickelt hat, lag für die siegreiche Koalition von CDU/CSU und FDP richtig, wenn sie auch den Wähleranteil überschätzte.
Aus diesen Beobachtungen heraus kann man zwei Folgerungen ziehen: Umfragen, die kurz vor Schluss gemacht werden, sind das präziseste Prognosetool. Der Ausreisser von 2005 hat sich nicht wiederholt; bedingt war er durch die Unsicherheit, die durch die neu auftretende Linke entstanden war. Politökonomische Schätgleichungen haben sich etabliert, auch wenn man noch zu wenig Erfahrungen mit ihrer Robustheit hat. Schliesslich können auch Wahlbörsen eingeschränkt verwendet werden.
Es ist nicht auszuschliessen, dass sich die drei Tools gegenseitig beeinflussen: Schätzgleichungen liefern als Erstes Prognosen. Die können Umfrageergebnisse beeinflussen, namentlich die Gewichtung von Rohdaten. Schliesslich bestimmt beides Erwartungshaltungen, auch die der Börsianer.
Claude Longchamp
… sofern ohne Geldeinsatz gespielt wird. Mit Geldeinsatz haben sich Wahlbörsen, zumindest anderswo, als vergleichsweise zuverlässiges Prognosemittel bewährt.
at mds
Viola Ehrenheim von der Uni Oldenburg, die Wahlbörsen theoretisch und empirisch untersucht hat, kommt zu einem differenzierteren Schluss.
Sie wies nach, dass es unerwünschte Gründe für Instabilitäten in der Aussagekraft gibt. Namentlich arbeitet sie die Intensität des Handels als beeinflussen heraus. Ist dies hoch, ist auch die Vorhersagequalität gegeben. Wenn die Intensität dagegen tief ist, versagen Instrumente wie Wahlstreet, weil sie durch einzelne Transaktionen, die situative Ursachen haben können, beeinlflusst werden.
Ein gutes Beispiel für diese These lieferte jüngst http://www.wahlfieber.ch. Die Wahlbörse zu den Bundesratswahlen kam nie so richtig auf Touren, und prognostiziert (frei zitiert) einen Wahlausgang zu Gunsten von Urs Schwaller mit etwa 90 Prozent der Stimmen …
http://www.ecce-terram.de/uploads/media/DA_01.pdf
Hier noch der Kommentar von Gschwend zur aufgetretenen Abweichung:
“Diesmal haben die Mannheimer Forscher nicht recht behalten: 52,9 Prozent für Schwarz-Gelb hatte der Politologe Thomas Gschwend im August prognostiziert. Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis kamen CDU/CSU und FDP im Bund zusammen jedoch nur auf 48,4 Prozent der Zweitstimmen. In den vergangenen Jahren hatten Gschwend vom Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES) und sein New Yorker Kollege Helmut Norpoth – im Unterschied zu anderen Wahlforschern – mit ihren Berechnungen stets richtig gelegen. Dadurch wurde ihre Methode als “Zauberformel” bekannt. Entzaubert sieht Gschwend seine Berechnung auch jetzt nicht. “Wir haben den richtigen Sieger”, sagte er am Montag und zeigte sich zufrieden mit dem Modell. “Es hat sich bewährt.” Bei den Berechnungen des deutsch-amerikanischen Duos sei immer “glasklar” gewesen, dass Schwarz-Gelb die Mehrheit schafft – unabhängig von Überhangmandaten. Anders als die Meinungsforschungsinstitute stützt sich das deutsch-amerikanische Duo nicht auf Umfrage-Momentaufnahmen der politischen Stimmung. Nach Überzeugung der Forscher ist das Wahlverhalten von drei Faktoren abhängig: von der langfristigen Grundüberzeugung für eine bestimmte Partei oder politische Richtung, von der Abnutzung einer Regierung an der Macht sowie von kurzzeitigen Faktoren, die sich in der Popularität des Kanzlers niederschlagen.” (dpa)