Live-Bloggen zur Hochrechung am Abstimmungssonntag

Die Schweiz stimmt ab, über die befristete Erhöhung der IV-Zusatzfinanzierung und über den Verzicht der Einführung einer neuen allgemeinen Volksinitiative. Hier berichte ich aus dem Hochrechnungsstudio über meine Eindrücke zum Ausgang und zu den Gründen hierfür, die Ergebnisse selber findet man hier.

09 30
Das Hochrechnungsteam ist vollzählig vor dem Zürcher Studio Leutschenbach eingetroffen. Je sechs Personen arbeiten für die Analyse und als Telefonteam. Wichtig ist, dass die Infrastruktur klappt, und die Teams plangemäss zusammenarbeiten. Doch funktioniert alles nur, wenn uns die rund 100 Referenzgemeinden ihre kommunalen Resultate übermitteln. Hoffen wir das beste!

10 00
Das Studio 8, aus dem normalerweise die Arena gesendet wird, bevölkert sich. Marianne Gilgen, die verantwortliche Redaktorin, begrüsst alle. Sie zeigt mir die Wege intern, denn ich arbeite für SF, DRS und TSR – in verschiedenen Studios. Zum Schluss gibt es einen Fliegentest, weil ich mich heute für blau entschieden, was auf dem Bildschirm gerne flimmert. Ich habe Glück, meine bevorzugtes Accessoire besteht die kritische Prüfung.

1100
“Das ist ein Ausreisser!” Da höre ich genau hin. Doch ich würde besser hinsehen. Denn es ist kein Gemeindeergebnis, sondern ein Haar an meiner Augsbraue. In der Maske wird es gekappt. Wäre es eines der Resultate aus einer ausgewählten Gemeinde gewesen, hätte wir das nicht machen dürfen. Denn das verfälscht das Bild!

1130
Die ersten Resultate aus den Referenzgemeinden sind da. Es sind solche Orte, die um 10 oder 11 Uhr die Urnen geschlossen haben und rasch auszählen. Das ist in Kantonen wie Aargau, Graubünden und Zürich möglich. Einen ersten Eindruck habe ich so, doch das reicht nicht einmal für eine Trendaussage. Es ist bloss das interne Signal: Von nun an gilt es ernst. Meinen Einsatzplan findet man übrigens hier.

1215
Seit 10 Minuten läuft alles auf Hochtouren. Bei der allgemeinen Volksinitiative werden wir um 1230 eine Aussage haben. Das ist bei der IV-Zusatzfinanzierung an sich schwieriger. Denn es geht nicht nur um eine Zahl zum Volksmehr, sondern auch eine zum Ständemehr. Und das kann knapp werden. Da ist Vorsicht angesagt, wenn man zwischen 50 und 55 Prozent Zustimmung ist.

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1315
In der Zwischenzeit ist viel gegangen. Ein klares Ergebnis zeichnet sich bei der Volksinitiative auf. Der Verzicht auf ihre Einführung wird gemäss Hochrechnung mit 68 Prozent Ja und Zustimmung in allen Kantonen eindeutig angenommen. Bei der IV-Zusatzfinanzierung wird es eine positive Zustimmungsmehrheit beim Volksmehr geben. Bei Ständemehr ist aber alles offen. Hier liegen Ja und Nein vorerst gleich auf.

1415
Die Unsicherheit bei der IV-Zusatzfinanzierung verkleinert sich. Das Volksmehr ist im Ja und beim Ständemehr ist es momentan 11 zu 10 Standesstimmen. Es fehlen noch zwei Kantone: Bern und Aargau. Wenn einer dafür ist, ist es mit dem kinappest möglichen Ergebnis Ja beim Ständemehr, sonst nicht. – Gerade in solchen Momenten war die Unterstützung durch das Team, das im Hintergrund recherchiert, komplementiert und avisiert, was Sache ist, von höchster Bedeutung.

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1438
Der Kanton Bern ist gemäss Hochrechnung im Ja. Das ist zwischenzeitlich klar. Das heisst die Hochrechnung zeigt ein Ja zur IV-Zusatzfinanzierung. Das Volksmehr liegt bei 54,6, und das Ständemehr ist bei 12:11.
Die Ergebnisse stehen fest. Unser Telefonteam ist mit der Arbeit fertig. Gut gemacht!

1515
Zwischenzeitlich ist es definitiv: 54,5 Prozent haben der IV-Vorlage zugestimmt, und bei den Kantonen sind es 12 zu 11 Standesstimmen. Das ist nun offiziell. Letztmals aufgetreten ist ein so knapper Ausgang beim UNO-Beitritt. Bis auf vier Kantone finden wir in beiden Abstimmung das gleiche Resultat. Vom Nein in Ja ewechselt haben Tessin und Graubünden, vom der Zustimmung zur Ablehnung übergegangen sind die Kantone Solothurn und Zug. Sonst ist alle gleich.

1535
Die Stimmbeteiligung liegt bei rund 40 Prozent. Das ist weniger als im Schnitt der letzten Jahre. Bei der IV stimmten etwas mehr, bei der Volksinitiative etwas weniger. Die Ereignisse während des Abstimmungskampfes waren ganz durch die Bundesratswahlen bestimmt, und durch die Libyen-Affäre. Kampagnen gab es zur allgemeinen Volksinitiative gar nicht, zur IV schon. Doch letztlich mobilisierten sie nicht so, wie man das in der Konstellation kannte. Ein einziger Kanton kannte heute eine überdurchschnittliche Beteiligung: Uri. Die lokale Auseinandersetzung rund um die HarmoS-Schulreform gab da den Ausschlag!

1615
Die Erstanalyse der IV-Zusatzfinanzierung gibt drei Hinweise: Zunächst den Unterschied zwischen den Sprachregionen, vor allem zwischen den Sprachregionen. Dann die Wirkung der SVP-Opposition, die im eigenen Umfeld sehr gut funktioniert hat, darüberhinaus aber nur beschränkt wirkte. Und schliesslich der Faktor Betroffenheit: Je höher der Anteil IV-BezügerInnen insbesondere in der deutschsprachigen Schweiz ist, desto stärker fiel die Zustimmung zur Zusatzfinanzierung aus. Das heisst: Die politische Oppositon gegen die Vorlage hatte vor allem dort seine Grenze, wo man selber oder im Umfeld negative Konsequenzen für IV-BezügerInnen befürchtete. – Die Erstanalyse der zweiten Vorlage ist einfacher: Dort, wo man gewöhnlich mit den Behörden stimmt, war die Zustimmung hoch; wo das auch sonst nicht der Fall ist, gab es mehr Nein-Stimmen. Oder anders: Am Schluss votierte man nicht wegen der Sache, sondern wegen der Konstellation dafür.

1645
Mein Analyseteam packt zusammen. Was man heute sagen konnte, ist berechnet, interpretiert und kommuniziert. Die Diskussionen hier im Studio Leutschenbach verlagern sich. Die Schweizer Abstimmungen verlieren an Aufmerksamkeit, dafür steigt die Sensibilität für alles, was in Deutschland bei den Wahlen geschieht. Ich werde mich schnell kundig machen müssen.

1820
Die Schweiz hat abgestimmt: Sie hat Ja gesagt zur IV-Zusatzfinanzierung. Damit wird die Mehrwertsteuer für 7 Jahre leicht angehoben. Das bedingte eine Verfassungsänderung, weshalb Volk und Stände zustimmen mussten. Das Volk hat das mit einer recht klaren Mehrheit gemacht; die Kantone waren de justesse dafür. Die zweite Vorlage war dagegen unbestritten. Mit zwei Drittel der Stimmen und allen Kantonen hat die Schweiz beschlossen, auf die Einführung eines Volksrechtes zu verzichten. Ich nehme den Zug nach Bern und schaue mir via Internet den Service der Kollegen in Deutschland an.

Claude Longchamp

Das vorläufig amtliches Endergebnis national, kantonal und nach Bezirken gibt es hier.