Der Machtpoker ist eröffnet

Kaum sind die jüngsten Bundesratswahlen in der Schweiz vorbei, beginnen die Planspiele für den kommenden Machtpoker. Spätestens für das Wahljahr 2011 zeichnen sich verschiedene Angriffe auf die jetzige parteipolitische Zusammensetzung der Bundesregierung ab, denn es gibt 10 Ansprüche, aber nur 7 Sitze.

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Selbstredend fühlt sich die SVP als wählerstärkste politische Partei in der Schweiz untervertreten. Doch steht im Raum, dass sie daran nicht unverschuldet ist, hat sie doch Evelyne Widmer-Schlumpf aus der Partei ausgeschlossen. Mit einer Aufstockung auf zwei Sitze ist deshalb nur zu rechnen, falls sich die beiden zerstrittenen Parteien untereinander arrangieren oder die Bündnerin nicht mehr im Bundesrat ist. Das kann durch Rücktritt oder Abwahl erfolgen. Genau dieses Ziel verfolgt die SVP, braucht dafür aber nicht nur die FDP, sondern eine Mehrheit der Bundesverammlung. Ohne eine Avance zugunsten einer weiteren Partei geht das wohl nicht. Mit einem Angriff der SVP auf die BDP resp. auf Widmer-Schlumpf ist deshalb erst nach den nächsten Parlamentswahlen zu rechnen.

Spätestens mit der Vorbereitungen der jüngsten Bundesratswahlen wurde offensichtlich, dass die BDP ihre Position zwischen FDP und CVP hat und es sich mit beiden Parteien nicht verderben will. Schafft sie es 2011 nicht, elektoral vor den Grünen zu liegen, dürfte ihr Sitz in der Bundesregierung erheblich wackeln. Aus der ungemütlichen Situation könnte sich die Partei befreien, wenn sie sich an eine der beiden anderen bürgerlichen Regierungsparteien anlehnt. Momentan hat die CVP das grössere Interesse an einer solchen Allianz, könnte diese auf diese Weise das Zentrum verstärken und bei einem späteren Rücktritt Widmer-Schlumpf den frei werdenden Sitz für sich reklamieren. Ganz auszuschliessen sind solche Ueberlegungen aber auch bei der FDP nicht, jedenfalls dann nicht, sollte es zu einem vorzeitigen Rücktritt von Hans-Rudolf Merz kommen und es der FDP misslingen, den Sitz selber zu behalten. Denn dann könnte es auch für die FDP interessant werden, mit der BDP zu koalieren, um sich bei der Nachfolge der Bündner Bundesrätin selber zu empfehlen. Wie auch immer, dieses Planspiel dürfte bis zu den Wahlen 2011 aktuell bleiben. Fast sicher steht es danach zur Debatte.

Sollte Hans-Rudolf Merz als Folge der anstehenden Aufarbeitung der Libyen-Krise zurücktreten, ist mit dem Angriff der Grünen zu rechnen. Ihre 2+1-Strategie lautet, mit der SP die ökologisch-soziale Linke im Siebnergremium zu stärken. Begründet werden kann es mit dem eigenen WählerInnen-Anteil, sind die Grünen nach Nationalratsproporz näher an einem Sitz als die FDP an zwei Sitzen. Die Schwäche der Strategie besteht indessen darin, dass letztlich keine dritte Partei an einem solche Vorgehen Interesse haben dürfte: die FDP sicher nicht, die SVP nicht und die CVP kaum. Bleibt ein grüner Angriff auf die rote SP; das könnte die rechte Seite durchaus freuen, würde links aber kaum verstanden.

Damit eröffnen sich vier Szenarien für die kommenden zweieinhalb Jahre:

Erstens, bis Ende 2011 kommt es angesichts des multiplen Drucks auf die Bundesratszusammensetzung zu keinem Rücktritt und damit auch zu keiner weiteren Bundesratswahl vor den nächsten Parlamentswahlen. Alles bleibt, so wie es ist, selbst wenn viel geredet und geschrieben wird.
Zweitens, bei den kommenden Parlamentswahlen gibt es klare Gewinner und Verlierer, sodass es starke Hinweise gibt, wer im Bundesrat vermehrt oder abgeschwächt vertreten sein sollte. Davon könnten die SVP und die Grünen profitieren, die BDP und die SP jedoch die Zeche bezahlen.
Drittens, die Bundesratswahlen von 2011 verlaufen nicht vorhersehbar; sie bringen das Ende der Konkordanz unter den politisch divergenten Lagern. Das politische System entwickelt sich in Richtung Regierung/Opposition, wobei voraussichtlich die Linke als Erstes in den sauren Apfel beisst.
Viertens, die Zahl der Sitze im Bundesrat wird mit der Regierungs- und Departementsreform erhöht, sodass Platz für eine neue Konkordanzformel entsteht – zum Beispiel so: die drei grösseren Parteien je zwei, die drei kleineren je einen Sitz erhalten.

Und noch etwas: Die zurückliegende Bundesratswahl hat gelehrt, dass es nicht nur um parteipolitischen Ueberlegungen geht, sondern auch um solche der Sprachregionen. Eine Partei kann ihre Chancen, bei einer Wahl zu gewinnen, erhöhen, wenn sie von Beginn weg nicht nur an Sitze, sondern auch an Personen denkt, die dem entsprechen.

Claude Longchamp