Am 12. September 1848 wurde die erste Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft in Kraft gesetzt. Das ist unser eigentlicher Geburtstag. Doch: In welcher Verfassung ist die Schweiz? Die “Schweizer Monatshefte” haben bei 13 AutorInnen des Landes nachgefragt. Hier ihre Thesen zur Lage der Nation – quasi als Diskussionsgrundlage zum 161. Geburtstag!
Peter Ruch: “Standfestigkeit ist von gestern. Gefallenwollen liegt im Trend. Das Gesicht wahren. sich rechtfertigen. So nimmt der Etatismus zu. Und eigenverantwortliches Handeln ab. Einspruch!”
Andreas Rieger: “Die Schweiz hat sich als Land der Rosinenpicker und Profitjäger profiliert. Schade. Denn wir hätten viel mehr zu bieten. Es braucht eine Rückbesinnung auf die bürgerliche Mission von einst aus gewerkschaftlicher Sicht.”
Martin von Orelli: “Die strategische Wende von 1989/90 hat die schweizerische Sicherheitspolitik durcheinandergebracht. Seither wird reformiert. Und debattiert. Was fehlt, ist eine nationaler Konsens über den Auftrag der Schweizer Armee.”
Karin Keller-Sutter: “Die Schweiz konnte sich dank der guten Sicherheitslage lange viele Freiheiten leisten. Doch bröckelt das gesellschaftliche Fundament. Der Staat kann nichts tun. Das können allein die Individuen. Doch wollen sie auch?”
Max Frenkel: “Die Medien sehen sich als Garanten der Demokratie. Angesichts ihres Wandels zur Unterhaltungsindustrie ist dieser Anspruch bloss noch eine Anmassung. Die angeblichen Hüter sind politische Neutren mit etwas Linksdrall und ohne Massstäbe.”
Cédric Wehrmuth: “Die Politik hat in der Schweiz nicht mehr viel zu sagen. Die Wirtschaft triumphiert – auch in der Krise, die sie selber verschuldet hat. Das kann nicht sein. Das darf nicht sein!”
Lukas Reimann: “Wir haben den Staat ausgebaut. Die Bürokratie. Die Gesetze. Die Regulierungen. Dabei wäre weniger mehr. Es ist Zeit für eine Politik, die wieder den Menschen in den Mittelpunkt stellt.”
Matthias Jenny: “Der Staat ist auch in der Schweiz auf dem Vormarsch. Das ist nicht nur der Erfolg der Linken. Auch die Bürgerlichen haben wacker mitgewirkt. Eine Kritik bürgerlicher Politik aus liberaler Sicht tut Not.”
Lena Schneller: “Reagieren geht über studieren: so oder ähnliche könnte das Motto unserer Landesregierung lauten. Die oberste Exekutivbehörde ist sich bloss darin einig, dass sie nicht einig ist. Wir brauchen eine Regierungsreform. Je früher, desto besser.”
Martin Janssen: “UBS; Bankgeheimnis, schwarze Listen: die Landesregierung war nicht vorbereitet. Sie ist es noch immer nicht. Dabei hätte die Schweiz Verhandlungsspielraum. Sie müsste ihn bloss nutzen.”
Katja Gentinetta: “Die Schweizer Wirtschaft handelt global. Die Politik jedoch denkt lokal. Es braucht Führungskräfte, die diese Spannung aushalten. Gibt es sie auch?”
Peter Gross: “Wir leben in einer freiheitlichen Marktgesellschaft. Das ist gut so. Aber die Freiheit hat ihren Preis. Wir brauchen nicht mehr Führungsstärke. Wir brauchen mehr Herzenschwäche.”
Na denn, happy birthday Switzerland!
Claude Longchamp
Warum eigentlich erinnert sich niemand an diesen “Geburtstag”? –
Die Frage ist gut. Wir haben ja die 1848-Symbolik weitgehend verdrängt, gehört sie durch zu den Ausflüssen des Bürgerkrieges zwischen den reformiert und katholischen Orten während des Sonderbundkrieges 1847. Dazu gehört, dass man den Tag des Friedenschlusses vergisst, den Tag der Verfassungsgebung übrsieht, und den ersten Bundespräsidenten kaum mehr kennt.
Die Wiedergutmachung der revolutionären Taten von 1848 war 1891, dem grossen Festjahr der Schweiz der freisinngen wie konservativen Bürger. Im diesem Jahr sind die bis heute gültigen Symbole wie der Rütlischwur, Wilhelm Tell und der 1. August entstanden. Sie alle sind der Lebenswelt der konservativen Innerschweiz entlehnt.
Logisch kann man das wohl nicht begründen, historisch-politisch schon.