“Die allgemeine Volksinitiative bietet zu wenig Demokratie”

Es ist eine typisch binnenschweizerische Diskussion. Aber eine, die Grundsätzliches zum Verhältnis von Demokratie und Herrschaft berührt. Denn kurz vor der Volksabstimmung über die Allgemeine Volksinitiative meldet sich Andreas Gross, Politikwissenschafter mit Spezialgebiet direkte Demokratie, mit einem kritischen Votum in der NZZ zu Wort und plädiert für die Abschaffung der Fehlkonstruktion unter den Volksrechten.

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Andreas Gross, der wohl beste Kenner der Philosophie der direkten Demorkatie spricht sich gegen die Allgemeine Volksinitiative aus.

Am 27. September 2009 stimmen die Schweizer Stimmberechtigten über die Nicht-Einführung der Allgemeinen Volksinitiative ab. Das bestehende Initiativrecht soll bleiben, die Verfeinerung, die 2003 bewilligt, bisher aber nicht umgesetzt wurde, soll jedoch wieder verschwinden.

Einen Abstimmungskampf hierzu gibt es kaum. Im Parlament war nur einer dagegen, doch der weibelt in allen Medien. Nun kontert Andreas Gross, vormals Präsident der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates. Dies ist umso glaubwürdiger, als Gross schon im Abstimmungskampf bei der Einführung 2003 gegen das Instrument war.

Ein Drittel aller Volksinitiative, die zur Abstimmung gelangen, verlangen Aenderungen der Bundesverfassung; zwei Drittel zielen auf Korrekturen im Gesetzeswerk der Schweiz ab. Diesem Umstand wollte Bundesrat Arnold Koller Rechnung tragen, als er die allgemeinen Volksinitiative vorschlug. Gemäss der könnte das Parlament entscheiden, ob eine angenommene Anregung aus einer Volksabstimmung in der Verfassung oder im Gesetz verankert werden solle.

Andreas Gross hält die Erweiterung des bestehenden Initiativrechtes durch eine Gesetzesinitiative für die richtige Schlussfolgerung. Die Allgemeinen Initiative bekämpft er mit dem Hinweis, wer Unterschriften für eine Volksinitiative sammle, sei mit dem Status Quo in der Regel nicht einverstanden. Diese Verägerung entstehe nicht selten, weil das Parlament falsche Entscheidungen getroffen habe. Deshalb hält Gross es für im Ansatz verfehlt, dass der mittels Volksinitiative vorgetragene Volkswille im Fall einer Annahme durch die Stimmenden vom Parlament interpretiert werden dürfe.

Oder pointiert gesagt: “Um neue Fehlkonstruktionen und Irrtümer zu vermeiden, muss die direkte Demorkatie aus der Sicht der Bürgerinnen und Bürger verstanden und verfeinert werden und darf nicht aus herrschaftlicher Sicht zurückgebunden werden wollen.”

Claude Longchamp