Das Tableau der Bundesratswahlen

Nun beginnt das Spekulieren zu den Bundesratswahlen. Das ist das Geschäft der Meinungsmacher. Die Analyse der Wahl setzt mit Vorteil auf das, was (un)klar, (un)wahrscheinlich und damit alles (un)möglich ist.

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Wie stimmt die Vereinigte Bundesversammlung am 16. September ab: Das hängt nicht nur von den Kandidaten, sondern auch von Taktik der Fraktionen ab, welche Favoriten es in die Schlussrunde schaffen.

Bundesratswahlen in der Schweiz kann man aufgrund der Positiv- oder Negativpräferenzen der ParlamentarierInnen analysieren. Ersteres zeigt sich normalerweise im ersten Wahlgang, wo man mit dem Herzen stimmt. Letzteres findet sich dagegen im Schlussgang, wenn sich nur noch zwei BewerberInnen gegenüber stehen und Taktik entscheidet.

Die Klarheiten
Nach der Nominationsphase steht die CVP steht klar hinter ihrem Fraktionspräsidenten, dem Freiburger Ständerat Urs Schwaller. Ziemlich klar sind die Kandidaten der FDP. Im Vordergrund stehen der Neuenburger Ständerat Didier Burkhalter und der Genfer Nationalrat Christian Lüscher. Als Aussenseiter kommen einige weitere Personen der FDP (wie Dick Marty oder Pascal Broulis) in Frage, die aber nicht offiziell nominiert sind. Die SVP ihrerseits behält sich bis zum letzten Moment vor, eigene Vorschläge zu unterbreiten; dafür hat sie den Freiburger Nationalrat Jean-Francois Rime in Stellung gebracht. Verzichtet haben die Grünen. Das klärt die Lage, gegenüber meinem ersten Versuch einer Auslegeordnung.

Die Unklarheiten
Für den entscheidenden Schlussgang gibt es vier Szenarien:

Schwaller vs. Lüscher: Das ist aus heutiger Sicht die sicherste Entscheidung. CVP, SP und Grüne stimmen geschlossen gegen Lüscher und damit für Schwaller. Der ist gewählt, weil die Allianz aus FDP und SVP, vielleicht auch einzelnen aus der BDP nicht reicht. Die klare parteipolitischen Polarisierung von Neuling Lüscher ist sein Vorteil als Kandidat für die rechtsbürgerlichen ParlamentarierInnen, gleichzeitig auch sein entscheidendes Handicap für die Bundesratswahl.

Schwaller vs. Burkhalter: Hier sind die parteipolitischen Ambivalenzen grösser, was für die FDP Chancen eröffnet, aber auch Risiken in sich birgt. Die Chance besteht darin, dass Burkhalter als perfekter Romand, der dem Konkordanz-Denken verpflichtet ist für eine Minderheit der Ratslinken wählbar ist. Die Grünen verbauen sich so die Chance nicht, 2011 selber mit einer Kandidatur antreten zu können. Die SP gibt Teile ihrer Stimmen der wählerstärkeren Partei, mit der Hoffnung, 2011 selber davon zu profitieren. Und die Romands riskieren keine Sprachendebatte wie im Fall einer Wahl Schwallers. Das Risiko der FDP besteht jedoch darin, dass Burkhalter nicht ins Kalkül der SVP passt. Die Partei könnte ihm deshalb die nötigen Stimmen versagen, um in den Schlussgang zu kommen. Das haben die SVP-Tenöre durchschaut, weshalb sie aufrufen, Burkhalter zu schreiben, auch wenn ihnen dabei die Hand anfällt.

Schwaller vs. Rime: Bei diesem Schlussgang hat Schwaller die besseren Karten. Die Ausgangslage ist ähnlich wie in der ersten Paarung, für die Rechte aber unsicherer. Denn die FDP dürfte nicht einhellig für die SVP und gegen sich stimmen. Enthaltungen sind wahrscheinlicher. Die einzige Chance von Rime wäre eine sichtbares Angebot an die linken Ratmitglieder, dass die SVP bei seiner Wahl die arithmetische Konkordanz erfüllt sieht und auf Angriffe gegen linke Bundesräte verzichtet.

Marty vs. Rime: Das ist die Paarung, wenn alles aus dem Ruder läuft. Die Linken favorisieren Marty, die SVP setzt auf Rime, die offiziellen Kandidaten fallen einer nach dem andern durch. Favorit ist in dieser Konstellation Marty, der mit den Stimmen von FDP/BDP, SP und Grünen gewählt werden kann. Rechnerisch reicht es Rime nur, wenn die CVP und die BDP für ihn votieren würde.


Die (Un)Wahrscheinlichkeiten

Natürlich sind die Szenarien nicht alle gleich wahrscheinlich.

Der wahrscheinlichste Schlussgang ist, aus der gegenwärtigen Sicht mit etwa 50 Prozent Sicherheit, die Paarung Schwaller vs. Burkhalter. Die FDP behielte dann ihren zweiten Bundesratssitz, weniger wegen ihrer gegenwärtigen performance, aber dank dem Profil von Burkhalter. Die Tendenz ist aber sinkend, weil die SVP sichtbar zögert, auf Burkhalter umzuschwenken.

Das spricht dafür, dass die Paarung Schwaller vs.Lüscher wahrscheinlicher wird. Die Probalität ist heute wohl 30 Prozent, Tendenz steigend. Die beiden anderen Szenarien erscheinen ins sich wenig durchdacht, und haben bisher keine eigentlichen Zugkraft entwickelt.

Eigentliche Prognosen sind momentan nicht möglich, weil sich bei weitem nicht alle schon festgelegt haben. Das bestätigen einem auch ParlamentarierInnen, die nichts zu kaschieren haben.

Claude Longchamp