Einwände zur Volkswahl des Bundesrates

Die Volkswahl des Bundesrats wird in der Schweiz wieder zum Politikum. Vorgetragen wird sie gegenwärtig erneut durch die SVP, die ein entsprechendes Initiativprojekt diskutiert, obwohl ein analoger Vorschlag erst 2009 durch den kommunistischen Abgeordenten eingebracht, im Nationalrat klar abgelehnt worden ist.

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Quelle: Tages-Anzeiger, 30. Juni 2009

Seit 1848 sind alle Bestrebungen dazu gescheitert

Seit 1848 die Volkswahl des Bundesrats in der Diskussion der ersten Verfassung der Schweiz abgelehnt worden ist, wird das Thema regelmässig wieder diskutiert; alle Vorschläge hierzu sind bisher verworfen worden.

Sicher, die Voraussetzung seit damals haben sich geändert; die Kantone sind nicht mehr ausschliessliche und nach Innen gerichtete Teilstaaten. Dennoch gibt es kaum nationale Medien, eher ein sprachregional geprägtes Mediensystem, das die Möglichkeiten gesamtschweizerische Diskussion und Wahlen mindestens einschränkt.

Drei Einwände gegen die Volkswahl des Bundesrats werden immer wieder vorgebracht:

1. Der permanente Wahlkampf

Die Volkswahl des Bundesrates würde die Anbindung der Regierung an die Oeffentlichkeit stärken. Bei allen Vorteilen, die das auch hat, bleibt ein Problem: Die Gewählte würden sich dem ständigen medialen Dauerdruck der Abwahl ausgesetzt sehen. Diese wären letzlich auch in der Lage, die Abwahl in eigener Regie zu inszenieren. Ganz sicher wären die Medien auch eine zentrale publizistische und werberische Wahlvoraussetzung. Denn nur wenige PolitikerInnen erreichen die Bekanntheit, die nötig wäre, um national gewählt werden zu können. Faktisch sind das heute die Bundesräte nach der Wahl und Spitzenvertreter der Opposition wie das bei James Schwarzenbach, Jean Ziegler und Christoph Blocher der Fall war. Letztere sind geeignet, neue Themen aufzubringen und der politischen Diskussion zuzuführen, haben sich aber letztlich als zu wenig geeignet erwiesen, auch lösungsorientierte Sachpolitik zu betreiben.

2. Die Schwächung des Parlaments

Der Parlamentarismus ist die Norm der Demokratie. Darüber hinaus sind die direkte Demorkatie und das Präsidialsystem als Erweiterungen bekannt. Eine Kombination der drei System gibt es nationalstaatlich gesehen letztlich nirgends. Auf der Ebene der Gliestaaaten kommt Kalifornien dem am nächsten, – und zeigt mit hoher Regelmässigkeit die Schwäche: Da der Gouverneur, das Parlament und Volksabstimmung, alle ähnlich legitimiert, sehr unterschiedliche Politiken befürworten können, mangelt es schnell an Kohärenz, womit die politischen Satbilität, wie auch die jüngste Krise gezeigt hat, schnell leidet. Die Schweiz hat sich für den starken Ausbau der direkten Demokratie entschieden. Sie ist nach 1874 in verschiedenen Schritten stark ausgebaut worden, sodass sie die Bedeutung des Parlaments strukturell und in Policy-Fragen relativiert hat. Mit der Volkswahl des Bundesrates würde man dem Parlament nun auch die Wahlfunktion nehmen, womit nicht auszuschliessen wäre, dass das Parlament ganz zwischen Stuhl und Bank fallen würde, demokratiepolitisch eindeutig verantwortungslos.

3. Der erschwerte Minderheitenschutz

Volkswahlen der Regierung finden nach dem Mehrheitswahlrecht statt. Denn nur dieses legitimiert, im Namen der Mehrheit sprechen zu können. Entsprechend werden in aller Regel nicht Regierungen direkt gewählt, sondern das Präsidium. Die konsequente Anwendung des Mehrheitswahlrechtes auf nationaler Ebene für jedes einzelne Regierungsmitglied hebt konsequenterweise den Minderheitenschutz auf, oder aber schränkt über diesen das Mehrheitswahlrecht ein. Der Kanton Graubünden, als einziger Gliedstaat der Schweiz mit drei Regionalsprachen, hat ganz bewusst darauf verzichtet, den Sprachenproproz in die Volkswahl des Regierung einzuführen. Ohne das ist aber davon auszugehen, dass die deutschsprachige Schweiz – und mit ihr die Zürcher Optik – Volkswahlen der Bundesregierung dominieren müsste. Umgekehrt müsste man bei einem geregelten Minderheitenschutz müsste man klar sagen, wer in den Genuss kommen würde: nur die französischsprachige Schweiz? auch die italienischsprachige Schweiz? Und in welcher Zahl: je einen? zusammen zwei? Die Siebner-Zahl ist da nicht die einfachste.

Fazit
In der Tat kennt die Schweiz in den Kantonen die Volkswahl der Regierungen, kombiniert mit einem Parlament und direkter Demorkatie. Könnte man das nicht einfach auf die Schweiz übertragen? Meine Einschätzung lautet: eher Nein. Denn die Stabilität des Systems ist auch in den Kantonen nur gewährleistet, solange sich die grösseren Parteien untereinander an einen freiwilligen Proporz halten, der dem gleich, was wir im Bundesparlament haben. In den grösseren Kantonen werden in die Grenzen immer wieder sichtbar: Zürich, Bern, Waadt, Genf und Aargau kennen faktisch keine festen Schlüssel mehr für die Regierungszusammensetzung. Blöcke bilden sich, die bei Regierungswahlen gegeneinander antreten. Gesamtschweizerisch muss man klar Farbe bekennen: Wer die Volkswahl einführen will, will genau diese Polarisierung und verabschiedet sich von der politischen Konkordanz.

Claude Longchamp