Unpräzise Diagnose – ungeeignetes Rezept

Das Schweizerische Parteiensystem änderte sich seit 2007 nur beschränkt. Dem Ruf nach eine 5 Prozent Klausel fehlt es an sachlicher Begründung.

Der Abgang von Bundesrat Pascal Couchepin erfolgt nicht ohne Getöse. Dazu gehörte seine Warnung vor einer «Israelisierung der Schweizer Politik», die sich aufgrund des wachsendenen Einflusses von Kleinparteien wie GLP, BDP, EDU und EVP abzeichne und eine Fünfprozent-Hürde für den Einzug ins Parlament nötig mache.

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Die Fragmentierung des Parteiensystems misst sich an der “Zahl der Parteien” im Parlament, wobei in der Lehre zu Parteiensystemen die reele Zahl der Parteien mit deren Grösse verrechnet wird. Der Wert für die Wahlen 2007 beträgt 5,6.

Präzisierung des Problems

Richtig ist, dass sich das Parteienspektrum der Schweiz in den letzten 40 Jahren erweitert hat: Verändert hat sich die Integrationsfähigkeit der vier Regierungspartner von 1959. FDP und CVP gingen in der WählerInnen-Gunst längefristig zurück, die SP schwankte in ihrer Bindungsfähigkeit, während das bei der SVP lange in wachsendem Masse der Fall war. Umgekehrt sind ganz links, ganz rechts und in der Mitte neue Parteien entstanden, von denen die Grünen die stabilsten sind, die an der Schwelle der Regierungsbeteiligung reichen.

Die Zahl der Parlamentsparteien hat in der Schweiz seit den 70er Jahren zugenommen. Höhepunkt der Fragmentierung des Parteiensystems der Schweiz war das Jahr 1991. Seither entwickelt sich die Zahl der relevanten Parlamentsparteien wieder zurück. Im Nationalrat verschwunden sind die Freiheitspartei, die Schweizer Demokraten, der Landesring der Unabhängigen und die POCH.

2007 änderte sich das mit der erfolgreichen GLP erstmals wieder etwas, und die Spaltung der SVP hat die BDP hervorgebracht, ohne dass die Verhältnisse von 1991 wieder erreicht worden wären.

Die Analyse von Pascal Couchepin wirkt damit überzeichnet, von der machtpolitischen Situation geprägt, die durch seine Nachfolge im Bundesrat entstanden ist. Sie ist sowohl mit dem Vergleich zu Israel übertrieben, als auch unpräzise, wenn man sich auf die jüngste Parteiengeschichte der Schweiz bezieht.

Problematisierung der Lösung
Entsprechend quer in der Landschaft steht das empfohlene Rezept. Kauseln wie die 5-Prozent-Hürde gibt es zwar in verschiedenen Ländern mit Verhältniswahlrecht für das Parlament. Zu den prominentesten gehört Deutschland. Hintergrund der Einführung waren die schlechten Erfahrungen mit dem Parlamentarismus während der Weimarer Republik.

Gegen eine 5-Prozent-Klausel in der Schweiz kann man zahlreiche Argumente vorbringen. Zunächst widerstrebt sie dem Gleichheitsgebot bei der Ermittlung von Sitzen aus Stimmen. Es kommt hinzu, dass sie mit der breit zugelassenen Möglichkeiten der Listenverbindungen trickreich umgangen werden können.

Das Hauptargument gegen eine 5-Prozent-Klausel in der Schweiz betrifft aber die Repräsentation der politischen Kräfte in der direkten Demokratie. Wenn es zutreffen mag, dass die Stärke von Nicht-Regierungsparteien im Nationalrat auf diese Weise etwas reduziert werden könnte, würde doch in einem vergleichbaren Masse die ausserparlamentarische Opposition gestärkt. Zu erwarten wäre, dass die Referendumshäufigkeit zunehmen und damit die Chance der Vermittlung zwischen politischen Polen durch das Parlament eher reduziert würde.

Die alternative Deutung
Das führt einen fast zwangsläufig zur Kritik an Diagnose und Rezeptur, die der zurücktretende Bundesrat Pascal Couchepin äusserte. Die Bedeutung neuer Parteien ist durch die Veränderung des Fraktionsverhaltens im Nationalrat entstanden, das immer weniger durch die Bildung von grossen Koalitionen, sondern durch minimal nötige Allianzen geprägt wird.

Bei der erfolgsgewohnten SVP hat das mit ihrer gewachsenen elektoralen Stärke zu tun. Bei der FDP ist es aber eine Folge der Wechsels vom politischen Zentrum auf die rechte Seite. Das hat zur vermehrten Segmentierung von Fraktionen im Nationalrat geführt, die letztlich der sachbezogenen Konkordanz fremd ist.

Oder anders gesagt: Couchepins Analyse und Lösungsvorschlag kommt einem vor, als rufe mitunter der Repräsentant der Brandstifter nach der Feuerwehr, statt dass man Brände verhindert.

Claude Longchamp