Bundesrat: Wohin des Weges?

Vor gut 30 Jahren formulierte Raimund Germann, erster Leiter des IDHEAP in Lausanne, ein ambitiöses Programm für einen zukunftstauglichen Bundesrat. Heute kann man sagen: Die Politik funktioniert weitgehend anders als damals vorgeschlagen; nicht so jedoch ihre Wissenschaft, die zahlreiche Modelle diskutiert und dabei eine gewissen Konsens entwickelt hat.

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Raimund E. Germann, Professor in Lausanne, formulierte 1975 das Programm für eine Regierungsreform, die heute in der Wissenschaft auf Zustimmung stösst, von der Politik aber negiert wird.

Nach den Nationalratswahlen 1975 trat der zwischenzeitlich verstorbene Raimund Germann prominent hervor. Die anstehende Verfassungsrevision wollte er mit drei Forderung zur Reform des Regierungssystems inspirieren:

Erstens, mit einem gestärkten Präsidium für den Bundesrat;
zweitens, mit einer erweiterten Zahl von Mitglieder in der Bundesregierung;
und drittens, mit einem Wahlverfahren, das sich an den Gegebenheiten des Parlamentarismus orientiert.

Man weiss es: Die Totalrevision der Bundesverfassung wurde zur Jahrtausendwende in Kraft gesetzt; die Staatsleitungsreform scheiterte dagegen kläglich.

Wenigstens in der Politik. Denn in der Politikwissenschaft ist seither eine breite Debatte entstanden, welche die NZZ jüngsten auf einer Sonderseite mit Beiträgen des Staatsrechtlers Daniel Thürer, des Politikwissenschafters Peter Knöpfel und des Demokratieforschers Daniel Kübler zusammengefasst hat.

Einig ist man sich unter den Experten, dass das Bundespräsidium gestärkt werden muss. Mehr Koordination ist das Thema von Knöpfel. Mehr Leadership im Sinne der Steuerung empfiehlt Thürer. Mehr strategische Führung verlangt Kübler.

Diskutiert werden ein rotierendes Präsidium mit 2 bis 3 Mitgliedern und ein auf zwei Jahre gewählter Bundespräsident ohne Fachministerium, aber mit Weisungsbefugnis. Thürer und Knöpfel verwerfen frühere Vorstellungen, den Bundesrat in zwei Ebenen mit weniger Bundesräten und mehr Staatssekretären aufzuteilen. Kübler gibt sich hier offen, denn die vertikale Erweiterung laufe bereits jetzt, derweil der horizontale Ausbau rechtliche Klippen kenne.

Ziemlich gross ist die Einigkeit der befragten Politikwissenschafter, wenn es um die Erweiterung der Bundesregierung geht. Kübler nennt zwar keine Zahl der Bundesrät, bejaht aber eine Vermehrung. Thürer optiert für 9 oder 11 Mitglieder. Knöpfel wiederum ist für 13.

Vor allem das UVEK, aber auch das EDI werden als Departemente mit zu vielen Aufgaben angesehen. Am wenigsten wichtig ist das Thürer, dem eine Staatsleitung à la IKRK mit einem breit austarierten Beraterstab vorschwebt. Knöpfel schlägt 12 FachministerInnen und ein Bundespräsident oder eine Bundespräsidentin vor. Da erhält er vor allem von Kübler Unterstützung, für den der Kanton Baselstadt mit seinem fest gewählten Regierungspräsidenten auf vier Jahre Vorbildfunktion hat.

Die beiden Politologen reflektieren, wie man das erstarkte Parlament mit den fragmentierten Parteienlandschaft in die Regierung einbinden soll. Am konkretesten ist dabei Peter Knöpfel. Als Begründung für seinen 13er Bundesrat bringt er vor, dass nur diese Zahl eine genügend feine Aufteilung der Sitze auf die Parteien erlaube. Aktuell hätten nach seiner Rechnung die SVP (inkl. BDP) 4, die SP 3, die FDP, die CVP und die Grünen je zwei Mitglieder im Bundesrat.

Am wenigstens klar sind die Vorstellungen der Experten bei der Wahl des Bundesrates. Thürer interessiert sich kaum dafür; Knöpfel und Kübler sind für eine Blockwahl auf Zeit. Bei Knöpfel schwingen konkordante Verteilungsregeln mit. Kübler favoriert das freie Ringen nach Mehrheiten, die sich anschliessend auf ein Programm festlegen.

Vergleicht man das mit dem Aufruf von Germann aus dem Jahre 1975 kann man sagen: Gewichtige Stimmen der Wissenschaft sind heute klar weiter als die Politik. Bei der Stärkung des Präsidiums herrscht weitgehend Einigkeit, bei der Erweiterung der Bundesratsmitlieder auch. Danach franzen die Vorstellungen aber aus.

Die Zustimmung zum Konkordanzsystem begründet Peter Knöpfel so: Bei der Problemlösungsfähigkeit kann die Schweiz mit Konkurrenzsystemen nicht kurz-, aber mittelfristig durchaus mithalten.

Das ist es denn auch, was die PolitikerInnen bei der Staatsleitungsreform zögern lässt. Aktuell ist Eveline Widmer-Schlumpf am ehesten dafür, doch reicht auch bei ihr der Reformwille nicht über die strategische Stärkung der Führung des Bundesrates hinaus.

Claude Longchamp