In der Schweiz ist Bundesrat Pascal Couchepin, der Vertreter der französischsprachigen FDP, zurückgetreten. Ueber die Nachfolge entscheidet nicht seine Partei alleine, sondern die Vereinigte Bundesversammlung. Da hat die CVP die besten Karten in der Hand, mit einer Mitte-links getragenen Kandidatur die FDP-Vertretung im Bundesrat zu ändern.
Pascal Couchepin, FDP, wegen seines Verhaltens der umstrittenste aller gegenwärtiger Bundesräte, ist heute zurückgetreten. Ueber die Nachfolge in der Bundesregierung entscheidet letztlich die CVP.
Im Nationalrat herrscht zwischen Mitte-Rechts (SVP, FDP, BDP, EDU, Lega) und Mitte-Links (SP, CVP, Grüne, GLP, EVP, CSP und PdA) ein Patt. Beide Blöcke bringen es in der Volksvertretung auf je 100 Stimmen. Im Ständerat hat dagegen die Allianz aus CVP, SP, Grünen und Grünliberale die Ueberhand: 27 zu 19 lautet das Kräfteverhältnis in der Kantonsvertretung.
In der Vereinigten Bundesversammlung hat Mitte-Links damit eine knappe Mehrheit. Entscheidend ist aber, was die CVP macht. Stimmt sie bürgerlich, überwiegt diese Seite eindeutig. Stimmt sie geschlossen mit der Ratslinken, hat dieser Teil des Parlamentes das Sagen. Stimmt sie in alle Richtungen, vergibt die CVP ihre eigene politische Kraft.
Bei den anstehenden Bundesratswahlen ist das von Bedeutung. Die FDP kann ihre eigene Stärke im Bundesrat nur behaupten, wenn sie die Unterstützung der SVP, der BDP und der rechten Kleinparteien einerseits hat, den Zuspruch eine relevanten Minderheiten aus der CVP findet. Bei blockweisen Entscheidungen braucht es mindestens 5 Abweichler in der CVP, damit Mitte-Rechts mehrheitsfähig wird. Sollte die BDP nicht stramm rechts stimmen, erhöht sich der Anteil in der CVP, der die Seite wechseln müsste, entsprechend. Das wären dann im schlechtesten Fall 10 Mitglieder aus der Zentrumsfraktion.
Die Begründung jenseits dieser theoretischen Ueberlegungen sind kontrovers. Die Zentrumsfraktion zählt 36 Sitze im Nationalrat, jene der FDP-Die Liberalen kommt auf 35 Mandate. Im Ständerat liegt die CVP mit 15 zu 12 Sitzen der FDP ebenfalls vorne. Fraktionsmässig ist die Zentrumsfraktion durch den Zusammenschluss von CVP, EVP und glp die Nummer zwei unter der Bundeskuppel geworden.
Einen Einwand gibt es allerdings: Stimmenmässig ist die FDP seit dem Zusammenschluss mit den Liberalen eindeutig stärker als die CVP, deren Fraktionspartner parteipolitisch ganz bewusst eigenständig bleiben wollen. Das spricht gegen einen parteipolitischen Wechsel bei der Nachfolge von Pascal Couchepin.
Oder für einen rotierenden Sitz zwischen FDP und CVP solange es zwischen diesen beiden Parteien nicht klar ist, wer im bürgerlichen Lager den eigentlichen Lead inne hat.
Claude Longchamp
Die Analyse ist etwas kurzsichtig. Sie stimmt wohl nur, wenn man Wahlen einzeln betrachtet.
Doch denken die Parlamentarier nicht daran, ihren momentanen Nutzen zu optimieren, sondern auch den, bei der nächsten Wahl zu wahren.
Das ist in einem Konkordanzsystem auch richtig so. Sonst kann man gleich zur Blockbildung übergehen mit einer Regierungsmehrheit und einer Minderheit in der Opposition.
Generell ist der Einwand richtig. In diesem Beitrag habe ich mich auf genau eine Dimension und eine Situation konzentriert.
Vernachlässig habe ich aber auch noch anderes: Zum Beispiel, dass die Parteien in der Schweiz sprachregional segementiert sind und weniger einheitlich handeln als anderswo, dassKantonalparteien gerade auch eigene Interessen mit eigenen KandidatInnen verfolgen, deren Wahlchancen wegen der (indirekten Wirkung der) unbeliebten Mehrfachvertretung von Kantonen durch die aktuelle Entscheidung mitbeeinflusst werden können.
Gegen die von Bernd geäusserte Auffassung spricht aber, dass die zentrale Führung schweizerischer Parteien recht gering ist, insbesondere in den bürgerlichen Zentrumsparteien, was aber für eine mittelfristige strategische Planung von Entscheidungen oder Abmachungen eine wichtige Voraussetzung wäre.
Das Substanz-Blog hat eine interessante Zusammenstellung denkbarer Modelle gemacht, wie die Bundesratswahlen durchgeführt werden können; da erscheint der hier skizzierte Weg als genau eines von vielen Szenarien.
Hier die Uebersicht:
“Wähleranteil der Parteien (2-2-2-1-System): Die drei wählerstärksten Parteien sollen mit je zwei, die viertstärkste mit einem Bundesrat vertreten sein. Resultat: 2 Sitze für die SVP (29 %), die SP (20 %) und die FDP (die sich mit der Fusion mit den Liberalen diesbezüglich in eine bessere Position gebracht hat: 17 %) und einen für die CVP (15 %).
Wähleranteil der Parteien (proportional): Die Parteien sollen proportional gemäss ihrem Wähleranteil im Bundesrat vertreten sein. Resultat: 2 Sitze für die SVP (29 %) und die SP (20 %) und je einen für die FDP (17 %), die CVP (15 %) und die Grünen (10 %).
Parteistärke im Parlament: Die Anzahl Parteisitze im Parlament widerspiegelt nicht genau den Wähleranteil, da der Ständerat im Majorzsystem gewählt wird (Personenwahl). Berücksichtigt man dies, ergibt sich folgendes Resultat: 2 Bundesratssitze für SVP (64 Parlamentssitze), SP (51) und FDP (47) und einen für die CVP (46). Die Grünen haben nur 22 Parlamentssitze und haben nach dieser Logik weder mit dem 2-2-2-1-System noch proportional einen Anspruch.
Fraktionsstärke (2-2-2-1-System): Die ausschlaggebende Einheit im Parlament ist nicht die Partei, sondern die Fraktion. Gemäss dieser Argumentation soll also die Fraktionsstärke den Ausschlag geben. Resultat, wenn man die 2-2-2-1-Formal anwendet: je 2 Sitze für die SVP (inkl. Lega, 65), die CVP-EVP-glp (52) und die SP (51) und einen für die FDP (47).
Fraktionsstärke (proportional): Das Gleiche, aber proportional verteilt: 2 Sitze für die SVP (inkl. Lega, 65) und die CVP-EVP-glp (52) und je einen für die SP (51), die FDP (47) und die Grünen (inkl. CSP und PdA, 24).
Blockstärke (mit 3 Blöcken, BDP in der Mitte): Man könnte das Parlament in 3 Blöcke zusammenfassen. Resultat: 3 Sitze für BDP/FDP/CVP/EVP/glp (105) und je 2 Sitze für SVP/Lega/EDU (66) und SP/Grüne/CSP/PdA (75).
Blockstärke (mit 3 Blöcken, BDP rechts): Wenn man die BDP zum SVP-Block zählt: 3 Sitze für FDP/CVP/EVP/glp (99) und je 2 Sitze für SVP/Lega/EDU/BDP (72) und SP/Grüne/CSP/PdA (75). Dies entspricht dem Status quo.
Blockstärke (mit 2 Blöcken): Man könnte das Parlament auch in 2 Blöcke teilen, links und rechts. Resultat: 4 Sitze für die Ratslinke mit CVP/EVP/glp/SP/Grüne/CSP/PdA (127) und 3 Sitze für die Ratsrechte mit SVP/Lega/EDU/BDP/FDP (119).”
Warum ich meinen Weg vorziehe: Die Uebersicht von Substanz gibt vor allem die Ziele wider, die aber nicht erreicht werden, wenn damit eine Mehrheit einverstanden ist, und sie über mehrere Wahlen hinweg verfolgt werden. Das alles erscheint mir, auch aus den Gründen die ich gegen Bernds Auffassung genannt habe, wenig wahrscheinlich.