Hochrechnungen zum Abstimmungssonntag

17. Mai 2009. Abstimmungstag. Die Volksentscheidungen über die Biometrischen Pässe und die Komplementärmedizin werden gefällt. Ein Bericht in Raten, wie ich die von unserem Institut gfs.bern geleitete Verarbeitung der Abstimmungsergebnisse erlebte.

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11 00
Im Studio ist die Zeit des Probens. Die Schminke ist auch schon gesetzt. Jetzt kommen die ersten Ergebnisse. Gemeinden, die um 10 Uhr die letzte Urne schliesslich, melden ihre Resultate. Unser Telefonteam ist im vollen Einsatz. Und das Analyseteam verfolgt die news-Lage interessiert.

11 30
Gespannte Ruhe. Eigentliche Prognosen wagt niemand. Nur über das Wetter wird gelästert. Einen sonningen Tage im Freien, das wünschen sich hier die meisten, die im Dienst sind. Von Westen her drohe ein Gewitter, wirft jemand ein. Man ärgere sich nicht zu früh, heisst es. Ob das politisch gemeint sei, fragt die Redaktion sicherheitshalber nach. Wie gesagt, für Prognosen ist es nicht der Moment.

12 35
Die Komplementärmedizin wird gemäss Trendrechung klar angenommen. Bei der Biometrie ist alles offen; eine Trendaussage in die eine oder andere Richtung ist nicht möglich.
Das bestätigen auch die Kantonsergebnisse, die schon vorliegen. Glarus sagt zur Biometrie nein, mit 5 Stimmen Differenz. Derweil sind die vorliegenden vorläufigen Kantonsergebnisse in der Romandie eher im Nein, in der deutschsprachigen Schweiz nicht ganz einheitlich, aber ganz knapp mehrheitlich im Ja.

13 10
Die Komplementärmedizin ist angenommen. Gemäss Hochrechnung sind 67 Prozent dafür. In der Extrapolation der Gemeindeergebnisse erscheinen auch alle Kantone auf der Ja-Seite. Das doppelte Mehr ist hier ausser Zweifel.
Bei den biometischen Pässen zeichnet sich ein ganz knappes Ergebnis ab. Eine Hochrechnung liegt noch nicht vor, und die Trendrechnung ist zu nahe bei 50 Prozent um die Richtung anzugeben.

13 45
In der Tat, die Hochrechnung zu den Biometrischen Pässen gibt gerundet 50:50. Die Differenz aufgrund der vorläufigen Extrapolation ist so gering, dass keine weiterreichenden Schlüsse gemacht werden können. Bei der Beteiligung zeichnet sich ein tiefer Teilnahmewert ab. Er wird unter 40 Prozent liegen.

14 15
Knapp, knapp, knapp, so knapp wie seit 7 Jahren nicht mehr! Damals ging es um die SVP-Asylinitiative. Den Ausschlag gaben die AuslandschweizerInnen, welche die Vorlage kippten. Es brauchte aber eine Nachzählung, bis das Resultat klar war.
Momentan weiss man nicht, ob das alles auch hier auf uns zukommt.

15 15
Es ist entschieden: Die Hochrechnung von 14 50 gab 50,1 Ja zu den Biometrischen Pässen, das vorläufig amtliche Endergebnis von 1505 weist einen Ja-Wert von 50,14 Prozent aus. In Stimmen sind das gut 5508 an Differenz.
Die Stimmbeteiligung liegt bei hochgerechneten 37 Prozent.

15 40
Die kleine Pause war verdient. Ein Stück Käsekuchen und ein Orange-Jus. Doch wird sind mit dem Zeitplan im Verzug, wegen dem knappen Ja zur Biometrie.
Jetzt geht die Analyse los: 38 Prozent effektive Beteiligung sind nicht nur wenig, sondern auch unterdurchschnittlich für schweizerische Volksabstimmungen. Das ist so etwas wie die “Basis-Mobilisierung +”. Die BefürworterInnen erhielten die Unterstützung von den praktisch sicheren Teilnehmenden. Die GegnerInnen haben darüber hinaus wohl ein wenig zusätzlich mobilisieren können. Dafür spricht, dass die Beteiligung in der Romandie etwas mehr ist, als der Sockelwert erwarten lässt, und dort die Biometrischen Pässe etwas verstärkt umstritten waren.

Räumliche Verteilung von Zustimmung Ablehnung bei Komplementärmedizin (links) und Biometrischen Pässen (rechts)
komplementaaerbiometrie
Quelle: BfS

16 15
Die Erstanalyse der Komplementärmedizin gibt eine klare Abweichung. Sie betrifft die Gebiete mit einer überdurchschnittlichen SVP-Stärke. Sie sind die einzigen, die statistisch signifikant weniger stark zugestimmt haben. Die Effekte werden vor allem in der deutschsprachigen Schweiz sichtbar, kaum aber in der Romandie.
Die parteipolitische Aufladung gesundheitspolitischer Vorlagen ist und bleibt aber schwierig. Parteipolitische Opposition wird maximal von den treuen Parteianhängerschaften verstanden, strahlen aber kaum darüber hinaus. Die Basis der Grünen, der SP, der CVP und der FDP will, dass die Komplementärmedizin wieder in die Grundsversicherung aufgenommen wird.

16 40
Auch zu den Biometrischen Pässen liegt die Erstanalyse vor. Wo die CVP, genereller auch die Mitte-Wählenden überdurchschnittlich stark vertreten, stimmt man eher zu. Das gilt exemplarisch für den Kanton Luzern, der am klarsten von allen Ja sagte. Auf der anderen Seite zeigt sich die verstärkte Ablehnung durch die Regionen, in denen insbesondere rot-grün verstärkt gewählt wird. Hier war das Nein über dem Mitteln. Nur sehr beschränkt kann das auch für Regionen mit SVP-Dominanz gesagt werden.
Von den generellen Konfliktmuster schlägt aber nur das zur Sprache systematisch an. Alles andere bleibt zurück.
Das Ja zu den biometrischen Pässen stammt demnach aus dem politischen Zentrum, das kräftig in den Schwitzkasten genommen wurde. Da das von verschiedener politischer Seite, ergibt die Nein-Karte ein neuartiges Patchwork. .
Der politische Druck kam von aussen auf das Parlament. Dieses tut gut daran, ihre diesbezüglichen Modernisierungsvorhaben nicht nur juristisch und technisch zu beurteilen, sondern auch politisch zu gewichten.

18 00
Was bleibt von diesem Abstimmungssonntag? Sicher das knappe Ja zu den Biometrischen Pässen, dann die klare Sache bei der Komplementärmedizin. Und schliesslich die auch für die Schweiz tiefe Beteiligung.
Die Debatten waren diesmal weniger durch Konfrontation, Emotion und Werbemitteleinsatz geprägt. Vielmehr berichteten Zeitungen und Internetseiten über das Pro- und Kontra. Das Wesentliche war dann irgendwann gesagt, sodass die Kampagnen am Schluss förmlich aufliefen. Die Entscheidungen dürften vielmehr aus den Lebenswelten heraus getroffen worden sein, und sind denn auch politisch nicht eindeutig zu fassen.
Das Zentrum hat sich heute zweimal durchgesetzt. Die Linke hat einmal gewonnen, einmal verloren. Die SVP unterlag mit ihren zwei Nein-Parolen zwei Mal.

19 00
Ich sitze im Zug nach Bern. In Olten ziehen von Westen her dicke Regenwolken auf. Die Prognose lag goldrichtig.

Nachtrag Montag morgen
Unsere Hochrechnung zum Kanton Zürich ergab schnell 51,8 Prozent Ja. Jene auf der Website des Kantons zeigte dagegen 54,7. Hätten wir jene des Kantons übernommen, wären wir von Beginn weg bei rund 50,5 Prozent Ja für die eigenössische Hochrechnung gewesen. Die Trendaussage hätte aber auf einem tendenziellen Irrtum basiert. Denn der Kanton Zürich lag am Schluss effektiv bei 52,0 Prozent Ja.

Claude Longchamp

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