Mehr als nur Verstärkerwirkungen möglich

Welche Rolle spielt die politische Information bei Wahlentscheidungen? Eine vermehrt eigenständige und zunehmend massenmedial bestimmte, sagt der Mannheimer Politikwissenschafter Rüdiger Schmitt-Beck.

Klassisch wird die aufgewordene Frage durch die Forschungsergebnisse beantwortet, welche die amerikanischen Columbia-School im Gefolge von Paul Lazarsfeld beginnend in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts erarbeitet hatte. Medien als den wichtigsten Verbreitern von Informtion kommt dabei vor allem eine Verstärkerwirkung bestehender Prädispositionen der Menschen zu.

Differenzierter fallen die Schlüsse aus, wenn man der Habilitationsschrift von Rüdiger Schmitt-Beck folgt, die sich auf Sekundäranalysen von Wahlbefragungen in den USA, Grossbritannien, Spanien sowie West- und Ostdeutschland aus den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts stützt.

Politischen Prädispositionen der WählerInnen, kollektiv auch Grundlinien einer Entscheidung genannt, mischen sich in Entscheidungen mit Informationen, welche Wahlergebnisse oszillieren lassen. Das ist auch bei Schmitt-Beck der Ausgangspunkt. Als Einfluss von Information wird dabei jener Effekt definiert, der WählerInnen Entscheidungen treffen lässt, die sie ohne diese Informationen nicht gefällt hätten.

Die empirischen Ergebnisse, die Schmitt-Beck hierzu präsentiert, sind zunächst nicht unabhängig von der untersuchten Wahl resp. von ihrem Kontext: Personenwahlen wie die amerikanischen Präsidentschaftswahlen sind stärker informationsabhängig als Parteiwahlen; das gilt auch für Parteiwahlen in jungen gegenüber etablierten Demokratien. Schliesslich findet sich das Phänomen auch dort vermehrt, wo politische Entscheidungen von gesellschaftlichen Konfliktlinien unabhängiger, sprich individualisierter, ausfallen.

Unter den Prädisposition geht die Bedeutung der Schicht zurück, während Werthaltungen bei Wahlen wichtig bleiben, meist aber von Parteibindung überlagert werden. Informationen wiederum treffen auf zwei verschiedenen Wegen auf Parteibindungen: einerseits massenmedial resp. anderseits durch interpersonale Kommunikation. Dabei kommt dem Fernsehen generell die grösste Bedeutung zu, weil es ubiquitär verbreitet ist, während sich in der Nutzung von Printmedien und damit ihrer Bedeutung als Informationsquellen kulturell bestimmte Unterschiede finden. Das gilt auch für die Verbreitung von Gesprächen zur Informationsgewinnung, die zusätzlich durch den Grad der Politisierung von Wahlen beeinflusst sind.

Je pluralistischer ein Mediensystem ist, desto geringer fallen die erwarteten Medieneinflüsse aus. Konzentrationen im Mediensystem erhöhen diese jedoch ebenso wie die Abhängigkeit der Medien von politischen Akteuren. Hinzu kommt, dass moderat einseitige Berichterstattungen beeinflusender sind, als neutrale und klar gerichtete, weil letztere zu eigentlichen Gegenreaktionen unter den RezipientInnen führen.

Das Fernsehen trifft wegen seiner zentralen Stellung per definitionem auf vermehrt diskordante Prädispositionen. Gerichtete Printmedien in einem pluralistischen Mediensystem führen dagegen dazu, dass sich die WählerInnen jenen Medien zuwenden, von denen sie eine höhere Uebereinstimmung mit den eigenen Positionen erwarten. Das gilt ganz besonders auch für Primärbeziehungen wie Ehepartner, Verwandte und FreundInnen, weniger aber für Sekundärnetze wie Arbeitskolleginnen.

Informationen aus Kanälen, die Konkordanz mit den Prädispositionen versprechen, aktivieren diese in erster Linie. Sie verstärken damit die Grundlinie. Zu Konversionen kommt es vor allem dann, wenn diskordante Informationen aufgenommen und akzeptiert werden. Hierbei ist jedoch die Glaubwürdigkeit der Absender massgeblich. Dabei ist das Vertrauen meist wichtiger als die Kompetenz. Ist das Vertrauen von Absendern gegeben, können diskordante Informationen durch Prädispositionen überlagern oder verändern, sodass die Wahlergebnisse zu oszillieren beginnen. Das ist namentlich beim Fernsehen der Fall.

Insgesamt weichen die Ergebnisse, die Schmitt-Beck präsentiert, nicht fundamental von jenen der wahlbezogenen Kommunikationsforschung der amerikanischen Columbia-School ab. Doch reduziert der deutsche Politikwissenschafter angesichts verschiedenartiger Befunde die bisher übliche Beschränkung der Medienwirkung auf die übliche Verstärkerrolle. Ës kann auch zu einer Umkehr der Verhältnisse kommen, hält er in seiner Bilanz fest. Zahlreiche Fenster der Beeinflussung von Prädispositionen durch Informationen, sei dies bei parteiungebundenen BürgerInnen oder Wahlen, in denen Personen wichtiger sind als Parteien, werden angesichts der steigenden Durchdringung von Wahlkämpfen durch Massenmedien geöffnet.

Claude Longchamp