Wahlkämpfe in der Schweiz: amerikanisch oder modernisiert schweizerisch?

Eine neue Untersuchung beschäftigt sich mit der Amerikanisierung der politischen Kommunikation in der Schweiz. Und bejaht den Trend für die Wahlkämpfe weitgehend. Eine Buchbesprechung.

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Im Fazit zu seiner Untersuchung der Modernisierung politischer Kommunikation in der Schweiz kommt der Freiburger Kommunikationswissenschafter Benjamin Weinmann zu folgendem Schluss: Die Amerikanisierung von Wahlkämpfen ist weiter fortgeschritten, als wie es uns bewusst sind. Das hat viel damit zu tun, dass man in der Schweiz dem Begriff “Amerikanisierung” aus kulturellen Gründen kritisch gegenüber steht, die Phänomene selber, die damit gemeint seien, jedoch einiges neutraler beobachtet.

“Amerikanisierung” der politischen Kommunikation definiert Weinmann anhand von vier Eigenschaften:

. der Professionalisierung,
. der Emotionalisierung,
. der Personalisierung und
. der Wettbewerbsorientierung

der politischen Kommunikation.”

In einem Rundgang durch die Medienberichte und Auswertungen hierzu, die sich vorwiegend auf die Nationalratswahlen 2007 stützen, zeigt Weidmann für alle vier Bereiche Evidenzen auf. Dabei ist viel von der Offensive die Rede, welche die SVP mit ihrem Wahlkampf lanciert hat. Das so gewonnene Material bleibt aber nicht für sich stehen; vielmehr wird es in der eben publizierten Untersuchung anhand von 10 Experteninterviews gewichtet und bewertet. Je fünf Spitzenfunktionäre der Parteien resp. zentrale Akteure der Massenmedien gaben ihm hierfür unmittelbar nach dem Wahlkampf Auskunft.

Die Bilanz am Schluss des Buches ist auf der Ebene der Befunde eindeutig. “Eine Amerikanisierung der politischen Kommunikation in der Schweiz gibt es auf jeden Fall.” In der Diskussion wird diese These dann aber differenziert: Weinmann zieht, um die Trends übergreifend zu charakterisieren, den Begriff der “Modernisierung” der politischen Kommunikation jenem der Amerikanisierung vor. Denn die realen Veränderungen reflektierten sowohl vom System wie auch von der Kultur her nur bedingt die amerikanischen Voraussetzungen. Sie werden auch nicht zwingend direkt aus den USA kommend in die Schweiz importiert; häufiger kommen sie als Adaptationen aus Nachbarländer in unser Land.

Was das Ausmass betrifft, hält Weinmann drei der vier ausgewählten Kriterien der Transformation politischer Kommunikation in der Schweiz für erfüllt: Einzig bei der Wettbewerbsorientierung resp. dem damit verbundenen negative campaigning ist er sich nicht so sicher, ob es stattfindet oder nicht.

Pointiert ausgedrückt kommt die aktuelle Veränderung von Wahlkämpfen für den Kommunikationswissenschafter darin zum Ausdruck, dass es der SVP gelungen sei, werberisch und medial die Parlamentswahlen ’07 in eine Quasi-Bundesratswahl umzugestalten. Ein eigentliches Pferderennen um die politische Macht sei daraus aber nicht geworden, denn dafür spräche die politische Kultur mit ihrem Beharrungsvermögen dagegen.

Man kann bei einigem, das Benjamin Weinmann präsentiert, Fragezeichen anbringen. Das hat vor allem mit der Begriffsdefinition und ihren Folgen zu tun. Denn diese wird etwa von den Innsbrucker PolitikwissenschafterInnen Fritz und Gunda Plasser in ihrer weltweit führenden Uebersicht über die Amerikanisierung von Wahlkämpfen radikaler vorgenommen: Amerikanisierung sei der Uebergang von der parteien- zur kandidatengetriebenen Kampagne, verbunden mit der Kommerzialisierung der Aktion, mit der forschungsgestützten, von externen Beratern geführten Kampagne, die sich auf die Fernsehpräsenz ausrichtete. Davon sind wir in der Schweiz wohl noch einiges mehr entfernt, als es hier bilanziert wird. Plasser würde denn auch nicht von Modernisierung sprechen, eher von der Diffusion von Techniken aus der amerikanischen politischen Kommunikation in die anderer Systeme und Kulturen. Und schon diese bleiben nicht ohne Wirkung, wo sie den Verhältnissen angepasst eingesetzt werden.

Trotz dieses Einwandes kommt Weinmann das Verdienst zu, sich erstmals in einer Publikation mit den Phänomenen der Amerikanisierung politischer Kommunikation in der Schweiz auseinander gesetzt zu haben.

Claude Longchamp

Benjamin Weinmann: Die Amerikanisierung der politischen Kommunikation in der Schweiz. Verlag Ruegger, Zürich/Chur 2009