Das Ende der Politik?

“90:60:90”, sei, spottete diese Woche der “Spiegel”, die einzige Frauenquote, die Silvio Berlusconi, Italiens Ministerpräsident, kenne. Damit spielte das deutsche Magazin auf die Nominierung für die Europawahlliste seiner Partei, bei welcher der Parteichef von “Volk und Freiheit” Frauen wie der “Big Brother”-Teilnehmerin Angela Sozio, der Soap-Opera-Darstellerin, Camilla Ferranti, der Schauspielerin Eleonora Gaggioli und Fernsehansagerin Barbara Matera vorschlug. Deren Gemeinsamkeit bestand nicht im politischen Programm, das sie erst in einem Crahs-Kurs kennen lernten, sondern ihrem medientauglichen Aussehen.

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Silvio Berlusconi, Italiens Ministerpräsident: In seiner Partei gäbe es gut kultivierte und kompetente Menschen, sagt er, die anders als bei den andern nicht schlechtgekleidet und übelriechend seien.

Der so angestrebte Coup misslang allerdings ziemlich gründlich. Veronica Lario, Berlusconis derzeitige Ehefrau, diskreditiert die Aktion als “Unverschämtheit und fehlende Zurückhaltung der Macht”, die “einzig und alleinder Unterhaltung des Imperators” diene. Der so bloss gestellte Berlusconi erklärte, seine Gattin sei Opfer einer linken Desinformationskampagne geworden. Seine Kandidatinnen seien “kultivierte und kompetente Personen” und anders als die Vertreter anderer Parteien keine “schlecht gekleideten und übelriechenden Meschen”.

Am EAPC-Kongress 2009 mehrfach aufgenommen

An der gestrigen Tagung der Europäischen Politischen BeraterInnen in Zürich wählte ich diese Episode aus dem italienischen Nationaldrama der Gegenwart als Einstieg in mein Referat, – und war damit im Workshop zu den Beiträgen der Schweiz und der EU füreinander nicht allein: Auch Hanspeter Kriesi, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Zürich, brauchte den Fall, um seine Thesen zur wachsenden Bedeutung von Medien einzuleiten.

In der Tat ging es auch mir um eine ähnliche Frage, jener nämlich, ob wir heute in einer Mediengesellschaft leben würden, wie das insbesondere verschiedenen Medienwissenschafter nahelegen. Ihr neuerdings bevorzugtes Phänom definieren sie als Vordringen der Massenmedien ins Herz der Gesellschaft, das dadurch neu konstituiert werde. Alle von den Medien erfassten Bereiche würden öffentlich und beobachtbar, gleichzeitig durch die Anpassung an die Logik der Medien in ihrer Substanz verändert.

Pro und Kontra zur These “typisch für die politische Kommunikation in der Mediengesellschaft”

Ohne Zweifel wirft das gewählte Beispiel die Frage auf, ob die Nominationen für die italienischen Europawahlen, der gegenwärtig bestmögliche Ausdruck für die Zerstörung der Politik durch die Medien sei. Dafür spricht, dass Silvio Berlusconi nicht einfach einer von vielen Politikern, sondern ein Medientycoon ist, der mit seinem privatem Kommunikationsimperium ein Vermögen von knapp 10 Milliarden Euro aufgebaut hat. Sicher ist auch, dass Berlusconi mit der Definitionsmacht seiner Medien regiert, Themen besetzt und verschwinden lässt, und Wahlkämpfe für seine Partei führt. “Forza Italia”, wie seine ursprüngliche Partei, entstanden insbesondere nach der Auflösung der Democrazia Cristiana, hiess, ist, seit der Fusion mit der “Alleanza nationale”, die einzig relevante Rechtspartei in Italien.

Für die These spricht auch die enorme Medialisierung von Wahlen und Wahlkämpfen, die dadurch immer mehr der Medienlogik unterworfen werden. Denn immer weniger geht es um die Legitimierung politischer Programm durch organisierte Akteure, die gesellschaftliche Interessen bündeln und nach gewonnen Wahlen vertreten wollen. Zum wichtigsten Kriterium der massenmedial vermittelten politischen Kommunikation wird, wer die höchste Medienaufmerksamkeit gewinnt, die Medienthemen strategisch setzen kann, welche die emotionale Grundierung legen, die Wahlentscheidungen bestimmen sollen. Der Kampf zwischen Programmen und Ideologien tritt dabei im Umfeld von Wahlen in den Hintergrund, während die Identifizierung mit Person, Lebensstilen und Geschichten massgeblich wird. Man ist geneigt zu sagen, das Ende der Politik in der Oeffentlichkeit sei gekommen.

Der Fall “Berlusconi” zeigt allerdings auch, wie anfällig die reine Kontrolle der Politik durch Medien selbst in Italien bleibt. Denn mit Berlusconis Gattin Veronica Lario, einer bekennenden Wählerin der linken Opposition, stolperte der Imperator nicht zum ersten Mal über ein Person, die vormals private, heute gänzlich öffentliche Angelegenheiten medial ebenso wirksam thematisieren, kann wie er das in gewohnter Manier überspielen möchte. Schon als ihr Ehemann dem früheren Topless-Modell Mara Carfagna, zwischenzeitlich Ministerin für Gleichstellungsfragen im vierten Kabinett Berlusconis, öffentlich einen spontanen Eheantrag machte, kam es zum Rosenkrieg, während dem sich Berlusconi bei seiner Frau entschuldigen musste. Nun hat eine bestrittene Liaison mit der minderjährigen Neapolitanerin Noemi Letizia die politische Macht des Ministerpräsidenten ins Wanken gebracht. Gleichzeitig mit der Einreichung der Scheidung durch seine Gattin, musste Berlusconi auf Druck seiner Partei die umstrittenen Kandidatinnen für die anstehenden Europawahlen zurückziehen.

Meine Bilanz: typisch für eine bestimmte politsiche Kommunikation der Mediendemokratie
Politik, könnte man daraus folgern, lässt sich selber in der perfektionierten italienischen Mediokratie nicht ganz auf Medienherrschaft reduzieren, sondern folgt, wenn auch erheblich transformiert, ihren eigenen Logik: der Eroberung der politischen Macht, die danach durch ein politisch eingebundenes und geschultes Personal auch gesichert werden muss. Die politische Kultur, welche diese Eroberung bestimmt, wird allerdings immer mehr durch eine politische Kommunikation, die den Gesetzmässigkeit der Mediengesellschaft folgt, beeinflusst. Das ist meine These.

Claude Longchamp

Mehr dazu:
Parteien in der Mediendemokratie, hgg. von U. von Allemann und Stefan Marschall, Verlag für Sozialwissenschaften 2002
Otfried Jarren, Patrick Donges: Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft. Eine Einführung, Verlag für Sozialwissenschaften, 2006 (2. Auflage)
Plasser, Gunda
Fritz Plasser, Gunda Plasser: Global Political Campaigning: A Worldwide Analysis of Campaign Professionals and Their Practices, Greenwood Pub Group Inc, 2002