(zoon politicon) Think Tanks und parteiliche Stiftungen sind nicht die einzige Form der modernen Wissensproduktion für die Praxis. Auch Gesellschaften sind für die internationalen Koordination der Wissensdiffusion von Belang, die als Netzwerke Einfluss auf Wissenschaft, Politik und Massenmedien nehmen. Anders als Denkfabriken haben Zusammenschlüsse dieser Art jedoch keine festen Angestellten, und sie legen auch nicht institutionelle gebundene Publikationen vor. Vielmehr treten sie als gesellschaftlich organisierte Personenverbindungen auf.
Die Mont Pèlerin Society ist Netzwerk dieses Typs. Gemäss Sunday Times ist die Mont Pèlerin Society „the most influential, but little-known think tank of the second half of the 20th century”.
Entstanden ist die Gesellschaft 1947 auf Initiative des liberalen österreichischen Oekonomen Friedrich August von Hayek. Er regte nach dem Zweiten Weltkrieg an, Ideen der “Walter Lippmann Gesellschaft” aus der Zwischenkriegszeit wiederaufzunehmen. Hierzu lud er 36 Intellektuellen, vor allem Wirtschaftswissenschafter, aber auch Philosophen, Soziologen und Historiker, auf dem Mont Pélerin bei Vevey (Schweiz) ein. William Rappart, Schweizer Diplomat und Wirtschaftshistoriker an der Genfer Universität leitete Vermittlerdienste. Ursprünglich sollte die Vereinigung Acton-Tocqueville Society heissen, doch erhoben sich unter den Mitgliedern Bedenken gegen römisch-katholische Herkunft der beiden Aristokraten.
Zu den Zielen zählen seither die Verteidigung von Freiheit und Rechtsstaat sowie der Förderung von Privateigentum und Wettbewerb. Marktwirtschaft und offene Gesellschaft sieht sie als die besten Prinzipien gegen marxistische und keynesianistische Tendenzen in Politik und Wirtschaft. Vielmehr will die Gesellschaft eine intellektuelle und kulturelle Revolution fördern “… between like-minded scholars in the hope of strengthening the principles and practice of a free society and to study the workings, virtues, and defects of market-oriented economic systems.”
Bis heute wurden 8 dieser Mitglieder der Gesellschaft (Friedrich August Hayek, Milton Friedman, George Stigler, Maurice Allais, Gary Becker, James M. Buchanan, Ronald Coase und Vernon L. Smith) mit einem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichent. Bekannte Politiker unter den Mitgliedern waren resp. sind Ludwig Erhard, Otto von Habsburg und Vaclav Klaus. Zudem zählt die Gesellschaft auch Wirtschaftsführer zu ihren Mitgliedern.
Heute zählt die Gesellschaft mehr als 500 Mitglieder, die nicht mehr nur aus Europa und Nordamerika kommen, sondern sich auf die ganze westllich beeinflusste Welt verteilen. In der Schweiz bestehen Beziehungen zum Liberalen Institut Schweiz in Zürich.
Seit 1949 trifft sich die Gesellschaft einmal jährlich an einem anderen Ort; 2008 verhandelt die Gesellschaft in Tokio den Zusammenhang von Technologien und Freiheit. Derzeitiger Präsident ist der australische Mathematiker Greg Lindsay. Wichtigster Sponor ist die Atlas Economic Research Foundation.
Claude Longchamp
Literatur:
(affirmativ) Ronald M. Hartwell: A History of the Mont Pelerin Society. Liberty Fund Inc, 1995
(kritisch) Bernhard Walpen: Die offenen Feinde und ihre Gesellschaft. Eine hegemonietheoretische Studie zur Mont Pèlerin Society. VSA-Verlag, Hamburg 2004
Diese Woche traf sich eine andere Mont Pélerin Gesellschaft am berühmten Ort. Die Schweizer Wirtschaftselite diskutierte die gegenwärtige Finanzkrise. Gastgeber war alt Bundes Kaspar Villiger, Organisator war Gerhard Schwarz, Wirtschaftschef bei der NZZ. Eingeladen war auch Marcel Opselt. Was genau verhandelt worden war, ist unklar. Doch der Kommentar von Schwarz am Samstag spricht Klartext; hier die entscheidenden Passagen, die darin enden, dass für die “politische Hygiene” der Verzicht auf Boni nicht reichen wird.
“Die Marktwirtschaft belohnt erwünschtes Verhalten und bestraft unerwünschtes. Was erwünscht ist, bestimmen die Kunden. Unternehmen, die Kundenbedürfnisse befriedigen, haben Arbeit und machen Gewinn. Jene, die das nicht tun, verlieren Kunden und Geld. Am Ende steht schlimmstenfalls der Konkurs. Allein in der Schweiz geschieht das jährlich über viertausend Mal. Gelegentlich greifen Regierungen ein, um Arbeitsplätze zu «retten» oder weil sie glauben, ein Unternehmen sei zu gross, als dass man es fallieren lassen dürfte. Tatsächlich kann das ungeordnete Scheitern grosser Firmen gravierende Kollateralschäden mit sich bringen. Hier kann staatliches Eingreifen sinnvoll sein, sofern es den Markt nicht auf Dauer unterläuft. Doch nicht nur Unternehmen werden «abgestraft». Hinter diesen stehen Menschen. Wer etwas gelernt hat, für das keine Nachfrage mehr besteht, findet kaum Arbeit. Wer wenig leistungswillig ist, verliert seinen Arbeitsplatz, wer in einem erfolglosen Unternehmen angestellt ist, mit der Zeit ebenso. Und viele Eigentümer von Kleinstunternehmen werden, wenn sie am Markt nicht bestehen, rasch von den Kunden, den Lieferanten, den Banken (und oft sogar der Ehefrau) fallengelassen.
Die Marktwirtschaft hat dank diesen für den Einzelnen oft harten Sanktionen Wohlstand und Fortschritt gebracht und damit Akzeptanz gewonnen. Sie verliert jedoch jegliche Glaubwürdigkeit, wenn es Mitspieler gibt, die systematisch scheinbar fast jeglicher Sanktion entgehen und die Konsequenzen ihres Tuns wenig oder erst sehr langfristig zu spüren bekommen. Dann ist das Aufkeimen leicht klassenkämpferischer Ressentiments eine Frage der Zeit. «Nur eine Minderheit ist gleicher, und die ist auch ein bisschen reicher», sang einst die als Brecht-Interpretin bekannt gewordene italienische Sängerin Milva.
Diese Zeitung steht nicht im Verdacht, im Falle des Misserfolgs Jagd auf Sündenböcke zu machen. Wirtschaftliches Scheitern, das nicht grobfahrlässig oder vorsätzlich erfolgt, darf nicht strafbar sein, weder juristisch noch moralisch. Doch ist es systemwidrig, wenn solches Scheitern unmittelbar keinerlei marktwirtschaftskonforme Sanktionen nach sich zieht. Im Gefolge der Turbulenzen an den Finanzmärkten entsteht der Eindruck, hier herrsche weitgehend Sanktionsfreiheit ausgerechnet für jene, die für Erfolge jeweils fürstlich belohnt werden: entlassene Manager in den USA, deren Abgang vergoldet wird; UBS-Chef Marcel Ospel, dem die Wirren «seiner» Bank zwar nahegehen, der aber im Amt verharrt; und Bankangestellte, deren Boni kaum gekürzt werden sollen, trotz Milliardenabschreibungen ihrer Institute.
Eine in einer Marktwirtschaft naheliegende Sanktion für Fehlentscheide ist finanzieller Natur. Die flexiblen und – unter anderem dank Bonuszahlungen – leistungsabhängigen Löhne der Finanzbranche sanktionieren jedoch nur ungenügend. Sie lassen den Einzelnen fast ohne Grenze nach oben an einem guten Firmenergebnis teilhaben, belasten ihn aber im Fall von Verlusten kaum. Bei kleineren Einkommen lässt sich das rechtfertigen. Ein Absinken des Lohnes auf null oder ein Einfordern von Kapital würde aus Mitarbeitern Unternehmer mit vollem Risiko machen. Bei hohen Einkommen widerspricht die Asymmetrie dagegen, wie an dieser Stelle seit Jahren moniert wird, der Idee der Erfolgsabhängigkeit. Zudem verleitet sie zu übertriebenem Risikoappetit. Philipp Hildebrand, Vizepräsident der Schweizerischen Nationalbank, hat dies den Banken ins Stammbuch geschrieben.
Trotz dem Konstruktionsfehler könnte man mit einem Verzicht auf Bonusauszahlungen im mittleren und oberen Einkommensbereich ein Zeichen setzen. Doch offenbar verhalten sich Boni ähnlich klebrig wie «sticky prices» auf den Gütermärkten: Die Korrektur nach unten erfolgt weniger leicht als die Anpassung nach oben. Begründet wird dies bei den Boni unter anderem damit, dass man nicht alle Mitarbeiter eines Unternehmens «bestrafen» dürfe, wenn einzelne Abteilungen Milliardenverluste produzierten. Doch fällt etwa bei der UBS die Fehlanreize setzende, billige interne Finanzierung der Investmentbank nicht in die Verantwortung des Gesamtunternehmens? Und steigen umgekehrt nicht die Boni aller, wenn die UBS dank einzelnen Geschäftsfeldern floriert? Selbst die Angst vor dem Abwandern der Besten zur Konkurrenz vermag als Rechtfertigung für die «Klebrigkeit» der Boni kaum zu überzeugen. Es bleibt ein Ärgernis, dass der Erfolg des Eingehens grosser Risiken mit fremdem Geld hoch belohnt, der teure Misserfolg aber nicht entsprechend «bestraft» wird.
Eine andere Sanktion für Fehlentscheide ist – zumal für Führungskräfte – der Rücktritt, die Entfernung aus dem Amt. Es geht hier um das, was man politische Verantwortung nennt. Sie ist in vielen Ländern in öffentlichen Funktionen selbstverständlich. Ein Rücktritt bedeutet dabei nicht ein Eingeständnis von Schuld. Er ist nur die Kehrseite der Macht, des Ansehens und des Einkommens, das man dem Amt verdankt. Das sollte auch für Spitzenpositionen in der Wirtschaft gelten. Ihre hohe Bezahlung beruht ja nicht nur, ja nicht einmal in erster Linie, auf Leistung. Zwar hat man es oft der eigenen Tüchtigkeit zu verdanken, dass man es bis an die Spitze schafft, aber einmal dort angelangt, wird man nicht zuletzt dafür entschädigt, dass man, wenn die Dinge aus dem Ruder laufen, den Kopf hinhält, um Schaden vom Amt und von der Institution abzuwenden.
Auch diese Sanktion darf nicht voreilig erfolgen. Es gibt gute Gründe, dass Manager, die Fehler begangen haben, an der Spitze eines Unternehmens bleiben. Der Wille, Teil der Lösung zu sein, ist nicht der schlechteste. Dazukommen können der Wunsch nach Kontinuität und Stabilität gerade in der Krise sowie die trotz den Irrtümern unbestreitbaren Fähigkeiten eines Mannes wie – in unserem Beispiel – Marcel Ospel. Er bringt Kompetenz, Führungsqualitäten, Machtinstinkt, Beziehungsnetze und Geschäftssinn mit, die der UBS und ihren Aktionären schon viel genützt haben. Doch irgendwann wiegen diese Gründe nicht mehr schwer genug, die Balance kippt. Das ist der Fall, wenn die Fehlentscheide zu gravierende Folgen haben oder wenn die Reputation zu angeschlagen ist. Im Falle Ospels trifft beides zu.
Wer in einer solchen Situation an seinem Amt festhält, wird zum Sesselkleber. Der UBS-Verwaltungsrat ist in keiner einfachen Lage. Er trägt in seiner Gesamtheit selbst Mitverantwortung am Schlamassel. Das macht es menschlich schwieriger, den eigenen Präsidenten zu «opfern», zumal dieser beträchtliche Ansprüche auf eine Abgangsentschädigung geltend machen könnte. Und da es Ospel verpasst hat, genügend Nachfolger aufzubauen, sind die Alternativen rar. Gleichwohl wird der UBS-Verwaltungsrat nicht darum herumkommen, personelle Konsequenzen zu ziehen, im Interesse der UBS und im Interesse einer Ordnung, die sonst oft alles unerbittlich abstraft, was gegen das Interesse von Kunden und Investoren verstösst. Der freiwillige Verzicht Ospels auf seinen Bonus für 2007 ehrt ihn; mit Blick auf die politische Hygiene wird er indessen kaum genügen.” (NZZ, 9.2.2008)
Der Text selber kann als Lehrstück verwendet werden für die Definition des Verhältnisses von Oekonomie, Oeffentlicher Meinung, Moral und Politik.
Vermutlich müsste man heute die Darstellung des neoliberalen oder radikalliberalen Diskurs-Netzwerkes der Schweiz mit der «Weltwoche» und den hinter ihr agierenden Personen (Tettamanti, Blocher, etc) ergänzen. Wobei die Zusammenhänge zwischen den um die «Weltwoche» versammelten Rechtsliberalen und den Hayek-Jüngern, die sich um die «Schweizer Monatshefte» und «Neue Zürcher Zeitung» (insbesondere G.S.) scharen, nicht ganz durchsichtig sind.
[…] 1. März 2009 · Keine Kommentare Mein liebster Wendehals heißt Nikolaus Piper. Der leitende Journalist der Süddeutschen Zeitung (früher Chef der Wirtschaftsredaktion, heute Korrespondent in New York) ist ein leidenschaftlicher Neoliberaler; eine Behauptung, die man kaum wirkungsvoller unterstreichen kann als mit dem Hinweis auf seine Mitgliedschaft in der Mont-Pélerin-Gesellschaft. […]