Wahlprognosen: eben doch kein Kinderspiel!

Die Meldung schlug ein: Wahlprognosen erstellen, sei ein Kinderspiel. Denn Wahlentscheidungen würden in hohem Masse aufgrund von Personenimages gefällt. Und folgten so erschliessbaren Stereotypen, die sich bereits im Kindesalter ausbildeten. Jetzt hat die Prognose der Härtetest in der Schweiz nicht bestanden.

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Roland Debély, Bisheriger in der Neuenburger Regierung, vermittelt visuell Führungswillen, blieb aber wegen seiner Gesundheitsreform nicht unumstritten. Leadership-Prognosen sind eben keine Wahlprognosen, wie das Beispiel zeigt.

Auslöser der Nachricht war ein Forschungsprojekt von John Antonakis, Professor für Management am HEC der Universität Lausanne. Folgerungen zu einer neuen Beratungspraxis bis hin zur wissenschaftlich begründeten Kinderwahlrecht schossen bereits ins Kraut.

Antonakis, der Spezialist für Leadership, machte nun bei den Neuenburger Staatsratswahlen von diesem Wochenende die Probe aufs Exempel. Er liess Genfer Kinder im Alter von 10-12 Jahren die 30 KandidatInnen für einen Sitz in der Kantonsregierung bewerten. Gefragt wurde, wem man zutraue, Kapitän auf einem Schiff im Mittelmeer zu werden. Die bisherigen erhielten über der Wahlfoto symbolisch eine Mütze, die sie auszeichnete, die anderen traten unverändert an.

Das Ergebnis fiel ausgesprochen ernüchternd aus. Zwei der fünf bestplatzierten wurden von Kindern erkannt. Die drei anderen Favoriten der SchülerInnen fielen in der ersten Runde der Volkswahl teilweise hochkannt durch.

Das hängt auch mit der Uebungsanlage zusammen: PolitikerInnen müssten nicht nur Leadership vermitteln. Sie müssen auch im richtigen Moment für die richtige Partei mit den richtigen Forderungen in Erscheinung treten. Und Politikerinnen kommen zwischenzeitlich in Frage, selbst, wenn sie in unseren Kapitänsbildern fehlen.

Krass ist der Prognosefehler im Experiment bei Roland Debély. Der Gesundheitsdirektor schnitt bei den Kindern am besten ab. Er wurde gestern demonstrativ nicht wiedergewählt. Auf der Liste der FDP belegte er den letzten Platz unter fünf Kandidaten.

Die Begründungen, die man seit gestern für das schlechte Abschneiden hörte, stehen der Hypothese des Experimentes diametral gegenüber. Der 61jährige bürgerliche Politiker aus Cernier tritt zwar medial gekonnt auf. Seine Gesundheitspolitik in den letzten vier Jahren ist den NeuenburgerInnen aber nicht entgangen, und sie wurde am Wochenende quittiert!

John Antanakis verteidigte am Sonntag abend in einer ersten Stellungnahme seine Annahmen. Sie hätten sich in Frankreich bewährt. In der Schweiz werde es einige Relativierungen geben, fügte er bei. Die Kleinheit der Verhältnisse führe möglicherweise zum einem anderen Verhalten.

Das ist das Mindeste, was man sagen kann, füge ich bei. Denn aus meiner Sicht belegten die Neuenburger Staatsratswahlen, dass es nicht möglich ist, PolitikerInnen aus der Image-Retorte zu sein. PolitikerInnen sind in erster Linie VertreterInnen von Parteien, Regionen, Interessen und gesellschaftlichen Gruppen. Mit all ihren Stärken und Schwächen!

Mein erster Schluss: Die Kriterien der Identifikation, die so entstehen, entsprechen nicht einfach dem, was man im Management von wirtschaftlichen Organisation für wichtig hält.

Und mein zweiter: Zum Eignungsverfahren von Kapitänen äussere ich mich als Politikwissenschafter lieber nicht!

Claude Longchamp